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Endlich kommt auch einmal der jüngste Tag, sagen die Leute, endlich kam auch der Tag, wo Gustav spielen sollte. Der tägliche Verkehr mit den Schauspielern, der Ton, welchen die Leute im Wirthshause gegen ihn angenommen, wo er bereits für einen Schauspieler galt, die Scherze und Spöttereien Toni's, welche ihm die schwache Seite des Stolzes bald abmerkte, hatte ihn ruhiger und gleichgültiger gemacht. Wir lernen Alles, auch das Verlernen; Toni hatte vielleicht am stärksten eingewirkt. Daß sie einen glänzenden geselligen Standpunkt verlassen, daß sie sich in dem neuen bedenklichen so heiter und sicher bewegte, daß sie ihn mit den Worten verhöhnte: Bis jetzt ist er im Leben gar nichts gewesen, und nun schämt er sich, etwas zu sein – das half auf's beste.
Er ging getrost zur Probe, die nun eine vollständige sein sollte; bei der ersten war die Liebhaberin, Mlle. Phantasie krank gewesen, heut war sie gesund, Abends sollten die Räuber auf Maria Culm gegeben werden, die Zettel an den Straßenecken mit seinem Namen erregten ihm wohl noch einen leisen Schauer, aber nur einen leisen; gewöhnt sich doch auch der Furchtsame an den Muth.
Gustav! Gustav! rief schreiend eine Stimme, als er auf die Bretter trat, und eine Dame hing ihm am Halse und überschüttete ihn mit Liebkosungen. Es war Wlaska, erste Liebhaberin unter dem Namen Mlle. Phantasie.
Obwohl man dergleichen Ausbrüche auf dem Theater und namentlich an Mlle. Phantasie gewohnt war, die selbst unter den Schauspielern für excentrisch galt, so machte diese Scene doch einiges Aufsehn, man hatte sich Gustav entfernter gedacht, wie solcher Bekanntschaft. Gustav selbst war, wie immer durch Wlaska, in Verlegenheit, er konnte sich des Wiedersehns nicht freuen und mußte eine arge Verstimmung niederkämpfen, als sie mit offenbarer Uebertreibung athemlos ihre Theaterschicksale erzählte, die sie bis Danzig gebracht hatten – aber nun ist Alles vergessen, rief sie, nun habe ich Dich wieder, Du Stern meines Lebens, und nun lasse ich Dich nicht mehr.
Herr Müller gratulirte höflich zum Wiederfinden, und bat, sich für die Probe zu sammeln. Toni sagte leise: ei, ei, so schlimm haben Sie Ihren Geschmack verborgen! Gustav hatte eine Empfindung, als sei er tief beschämt.
Die Probe ging sehr schlecht.
Toni meinte beim Schlusse: Sie können viel besser spielen und müssen sich nicht durch überspanntes Zeug stören lassen. Wlaska hing sich ihm an den Arm, er mußte Krankheit vorschützen, um von ihr loszukommen. – Der Moment war da, das Haus gefüllt, man guckte durch die kleinen Löcher des Vorhanges – 's ist sehr voll, sprach Toni, so viel thut ein hübscher junger Mann, auch wenn er nicht zu spielen versteht, die Natur überlernt kein Mensch. –
Warum wollen Sie, gnädiges Fräulein, nicht der eben genesenen Mlle. Phantasie ihr Theil lassen am vollen Hause? sie hat drei Wochen nicht gespielt, sagte Herr Müller und lächelte wie gewöhnlich.
In drei Wochen mit einer Entbindung fertig zu werden, warf die Prima donna ein, welche sich unbeschäftigt auf den Brettern umhertrieb und sich vom Musikdirektor unterhalten ließ, das kann auch nur eine Böhmin. –
Gustav hörte nichts, obwohl er in der Nähe stand, das Herannahen des gefürchteten Augenblicks hatte ihn ganz in Beschlag genommen, die fein gelispelten Worte des Musikdirektors, der sich mit ihnen und einem graziösen Handkusse bei seiner Dame empfahl, die Worte: »Wir wollen anfangen,« schlugen ihm wie Posaunenschall in die Nerven.
Die Musik begann, die Bühne ward leer, der Souffleur klingelte, Gustav stand vor dem Meere von Köpfen, er wußte nicht, was ihm die Füße hob, er kam sich über alle Dinge in die Höhe gehoben vor, es sprach und handthierte ein ganz Anderer als er – so schien's ihm wenigstens.
Der erste Akt war vorüber – nur der böhmische Dialekt, der Dialekt fällt auf, hieß es, sonst haben die Leute nichts dawider – Du hast ja ganz muthig gespielt, meinte Victor. Muthig? Irgend was Anderes in uns, unklares Gefühl, daß wir eben durch müssen, Mangel an Muth, Aufsehn zu machen, Alles über den Haufen zu werfen, was uns fremdartig, beängstigend ist, ferner, daß wir uns willenlos der Situation hingeben, wie oft gilt das für Muth!
Kurz, es ging nun eben so, daß er bald ein mittelmäßiger Schauspieler mit wenig Talent mehr in der Welt war, der so mitlief, weil eben gelaufen werden mußte. Wlaska mit ihrer phantastischen Ueberschwenglichkeit machte nach wie vor kein Glück bei ihm, sie hatte wirklich einen Knaben geboren, und bat Gustav ganz naiv, ihm seinen Namen zu geben, da er doch für die Taufe irgend einen bürgerlichen haben müsse, sein Vater aber ein unwürdiger Mensch sei, der sie gemein verlassen habe. Victor warnte ihn lebhaft davor: Du hängst Dir da einen Balg auf für's ganze Leben, denn von diesem zufälligen Namen macht man einst Gebrauch. – Gustav ließ es aber geschehen. Diejenige Verpflichtung, deren er sich noch immer gegen sie schuldig geglaubt hatte, meinte er nun erledigt zu haben; was wir sonst wohl erfahren, eine Pietäts- oder landsmannschaftliche Theilnahme für das, was ein Stück Geschichte mit uns erlebt hat, das erfuhr er mit Wlaska just im Gegentheile: eben, weil sie so viel Geschichte mit ihm hatte, war sie ihm geradehin zuwider, und er wies von Tage zu Tage ihr übertriebenes Zärtlichkeitswesen schonungsloser und rücksichtsloser ab. Dagegen interessirte ihn Toni immer mehr, man nannte sie das Conversationslustspiel, neben der Kothurntragödie Wlaska; sie war auch wirklich im Lustspiele eine gute Schauspielerin, und übrigens ein geistreiches Mädchen. Vielleicht war es nicht blos das hübsche Aeußere und der gewandte Geist, welche Gustav zu ihr zogen, sondern die ihm zusagende Betrachtungsweise, die Auffassung des Lebens, welche, ganz verschieden von der seinigen, ihm große Erleichterung gab. Wenn das Gleiche wohl thun und bequem sein mag, so reizt und fesselt doch am meisten das Verschiedene, und jeder Mensch hat eine verborgene Sehnsucht nach Ergänzung. Wie gern hörte er folgende und ähnliche Worte des lebhaften Mädchens: Wir gehören beide nicht zu diesen Komödianten, und Sie noch weniger als ich; aber wer findet im Leben das Ausreichende? Aushilfe ist Alles, was uns nutzlosen Kreaturen zu Gebote steht; Sie sollten ein Prinz sein, der regieren läßt und sich wohl befindet, ich eine Prinzessin, die Alles zur Mode machen kann, was ihr beliebt, Bewegung anrichten darf, Spässe veranstalten. Um das im Großen zu versuchen, sind wir zu klein, ich bin zu fahrig, Sie sind unerfinderisch; beim Lichte besehn, lieber Gustav, werden Sie den Prinz von Gold und Seide streichen müssen und gelegentlich ein baumwollner Familienprinz werden, der in Beschränktheit und Liebe mit der Welt auf- und zusammengeht; denn eigentlich sind Sie, mit Ihrer Erlaubniß, ein mittelmäßiger Mensch, der leider aus der Bahn geworfen ist. Doch nein, damit könnte Ihnen Unrecht gethan werden. Sie sind ein mittelmäßig Talent mit viel edlen, unklaren Anforderungen an die Welt, und deßhalb steht's bedenklich um Sie; ich glaube, das Beste wäre, Sie läsen Bücher; das hat überhaupt viel Gutes, ich hab' nur keine Ruhe dafür. Ja, so wollte es denn mit unsrer Prinzlichkeit nicht recht gehn, und da sind wir unter die Komödianten gegangen: Sie, weil Sie den Leuten gerade begegneten und wahrscheinlich eben kein Reisegeld hatten, und – weil Sie eben auch mal ganz fertig waren mit der dürftig gebenden, ordentlichen Welt; ich, weil ich Unband just nirgends anders hin paßte. Wenn der Stil, die Manier nur etwas höher wären; lange wird sich's doch wohl nicht mehr treiben lassen, und wenn mir nicht eine glückliche Idee kommt, fahr' ich an einem schönen Morgen zu meiner alten Gouvernante zurück, die jetzt in schwarzem Krepp um mich trauert. A propos, wenn Sie nur nicht so schläfrig wären, Sie könnten mir jetzt der Mittelpunkt aller Intrigue werden, ach, und Intrigue ist so ergötzlich. Sie gefallen den Weibern, und die Männer sind eifersüchtig, bitte, geben Sie der blonden Prima donna, die so verliebt in Sie ist, ein Rendezvous hier unter meinen Fenstern, ich bitte den Musikdirektor, die kleine artige Bachstelze, zu mir, und laß ihn nicht vom Fenster; sagen Sie, Gustav, Sie können wohl gar nicht lieben?
Es war auf ihrem Zimmer, wo sie das sprach, sie ergriff seine Hand und streichelte ihm die Wange. Gustav lächelte und küßte ihr die feine, weiße Hand, aber er benützte das Entgegenkommen nicht; Toni hatte ihn offenbar sehr gern. –
So standen die Sachen und schleppten sich eine Zeitlang hin, Gustav hatte zu lernen und zu thun, er kam wenig zu eignen Gedanken, und half sich weiter ohne besonders deutliches Bewußtsein. – Schlafen, Essen, Trinken, triviale Berührungen erfüllen ja wie eine Pflanzen-Vegetation zwei Drittheile unsers Lebens, und mit Entsetzen gewahren wir in besseren Momenten, wie wenig bessere, kräftiger bewußte Zeit uns werden mag, und daß es am Ende Momente bleiben. Die Theaterintriguen, welche ihn natürlich nicht verschonten, beachtete er wenig, man braucht auch zum Aerger und Zorn ein lebhaftes Interesse am Leben; Victor, obwohl sehr abgekühlt und gleichgültig gegen den Freund, dem er so lebhaft entgegengekommen war, übernahm es meisthin, dergleichen zu schlichten; so rückte man tief in den Winter hinein, da ereignete sich plötzlich Folgendes:
Wlaska, die sich fortwährend verschmäht sah, zog sich von Gustav zurück, ward finster und schweigsam. Eines Tag's auf der Probe – es sollte ein Lustspiel eingeübt werden, und Gustav mit Toni hatte eine lebhafte Scene – trat sie rasch zwischen beide, ergriff Toni so heftig am Arme, daß diese aufschrie, und sprach langsam mit gepreßter Stimme: »Verrätherin, Du hast mein Leben vergiftet,« und rasch, ehe Jemand etwas ahnte, hatte sie sich einen Dolch in die Brust gestoßen. Sie fiel Gustav in die Arme, und sprach noch: Ich liebe Dich bis über die Ewigkeit hinaus. –
Der Dolch war an die Erde gefallen, und Toni, einen bekannten Theaterdolch erkennend, der stumpf und rostig war, rief entrüstet: Das geht doch bis zum Tollhause. –
Hilfe – lauft nach dem Arzte! schrie dagegen Gustav; Wlaska hatte nach jenen Worten die Augen geschlossen, ein warmer Blutsstrom stürzte über ihn, schwer wie Blei lag das Mädchen in seinen Armen.
Alles stürzte hinzu, Herr Müller hatte den Dolch aufgehoben, er war geschliffen und blutig – Toni ward davon und über ihren frevlen Ausruf, das Unglück verhöhnt zu haben, so betroffen und erschüttert, daß ihr die Sinne vergingen, und Müller sie aufrecht halten mußte.
Alles stürzte durcheinander, schrie, klagte, es war nicht gleich ein Arzt zu finden, der Direktor kam, er rannte auf den Brettern umher, und schrie einmal über das andre: Das wird uns ruiniren, Kriminaluntersuchung, Suspension der Vorstellungen, Entrüstung im Publikum. –
Müller verwies ihm solch unpassendes Betragen, und fügte leise hinzu: im Gegentheile, der Skandal bringt Zulauf und volle Häuser. Die Prima donna rief ihren Musikdirektor und ließ sich wegführen. – Ich habe, sagte sie auf die ohnmächtige Toni blickend, die Ohnmachten nicht so zur Hand, aber ich vertrage solche Scenen nicht, es ist mir übel. –
Victor stand bleich neben Gustav und half mit fliegenden Händen Wlaska auf einen alten Thronsessel legen, der mit verblichenem, schmutzig gewordenen rothen Plüsch überdeckt war – es ist entsetzlich, stotterte er heraus, und nun hast Du den Balg auf dem Halse, wie ich Dir voraus gesagt habe.
Der Arzt fand nichts mehr zu thun; das Herz war wirklich getroffen; Gustav mußte Alles übernehmen, was dabei zu thun war, da der Direktor von nichts wissen und Alles der Polizei übergeben wollte.
Dieser Antheil brachte nun Alles noch zu Wege, was an seiner Verzweiflung fehlen konnte: man behandelte ihn als den treulosen Halbgatten der Verstorbenen, die Weiber schmähten seine Abscheulichkeit, welche solch Unheil angerichtet habe, die Polizei brachte ihm das kleine Kind, dessen Vater er sei; »Komödiantenskandal!« hörte er von allen Seiten. –