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Es war ein regnerischer Tag des Spätwinters, als drei große Packwagen mit Kisten und Kasten beladen, mit abenteuerlich gefärbter und verblichener Leinwand zugedeckt durch die schlechten Wege zwischen Danzig und Elbing fuhren. Hinter der Kelle des Kutschers war immer eine kleine Lücke offen gelassen, in welcher zwei, drei Personen ziemlich unbequem placirt waren. Wenn die Wagen aber vor einer Schenke hielten, da krochen allerlei muntre Gestalten unter den Leinwanddecken hervor und erhoben in den hölzernen Wirthsstuben einen bunten Spektakel.
Es war ein Theil der Danziger Schauspielergesellschaft, welche nach Elbing zog, um dort einige Monate zu spielen. Gustav war dabei, neben ihm saß eine wohlgenährte hübsche Frau, die nahe an den Vierzig sein mochte, und hielt Wlaska's kleines Mädchen auf dem Schooße. Sie ward allgemein die »hübsche Mutter« genannt, weil sie alle Mutterrollen spielte und höchst redselig, gutmüthig und ein wenig vernagelt war – bête, wie der Herr Direktor zu sagen pflegte, der in der Jugend zu Straßburg Komödie gespielt und von da noch mancherlei französische Ausdrücke in petto hatte. Beim Theater geht's eben auch wie bei der Gelehrsamkeit, es kommen Leute dazu und lernen die Handgriffe, die nicht Drang, nicht Beruf an solche Stelle geführt hat, sondern der leidige Zufall. Madame Poltmann war recht guter Leute Kind, wie sie zu sagen pflegte, aus einer kleinen Stadt im Lande Pommern, ihre Mutter hatte sich aber den Narren an der Komödie gesehen, die vor zehn Jahren einmal auf ein paar Wochen im Städtchen gewesen war. Dabei hatte es einen dunkellockigen Liebhaber gegeben, welcher sich sehr artig und verbindlich aufgeführt, dieser und die Komödie hatten ihr dann so gut gefallen, daß sie ihr Töchterlein durchaus zur Schauspielerin erziehen wollte. Ihr Mann sagte, sie sei nicht gescheidt, und die Verwandten schlugen die Hände über'm Kopf zusammen, sie ließ aber nicht davon ab, der Gatte segnete das Zeitliche und sie nahm ihre paar Thaler Vermögen und ihr Bischen Habseligkeit zusammen und fuhr mit ihrer Tochter zur nächsten Truppe, allwo das stramme, gesunde Mädchen eingestellt wurde und sich zunächst in jungen Mägden, zuweilen auch als robustes Landedelfräulein producirte. Obwohl sie sich über die Maaßen schlecht dabei ausnahm, war die Mutter doch entzückt, und als sie der Tod übereilte, bedauerte sie nichts mehr, als ihre schöne Tochter die Karriere nicht weiter verfolgen zu sehen. Es fand sich bei der Truppe ein starkknochiger Herr Poltmann, welcher die Biedermänner, Vehmrichter und pensionirten Officiere zu allgemeiner Zufriedenheit spielte, dem gefiel das feiste, rothe pommersche Mädchen sehr, und er trug der weinenden Waise seine fleischige Hand an; daraus ward eine Hochzeit und aus der Madame Poltmann allmählig die sogenannte hübsche Mutter, weil als solche ihr einfaches Naturell, was sie doch keinen Augenblick zu verläugnen wußte, am besten paßte. Dies Ehepaar war der eigentlich bürgerliche Stamm der Gesellschaft: ohne leichten oder sonstigen Sinn für Kunst trugen sie Sorge, daß ihre Rollen wirklich gelernt waren, daß sie ein leidlich Bett, Mittags ein Stück Rindfleisch und für gewöhnlich hübsche Wäsche hatten – bei wilden Vorfällen und Exzessen sagten sie: »ei du lieber Gott, sind das wunderliche Leute!« und wurden dann meisthin zur Aushülfe benutzt, wozu sie sich mit ihren schwachen Kräften stets bereitwillig zeigten. Sie galten für dasjenige Depot philisterhafter Solidität, was jeder Gesellschaft als Bodensatz nöthig sei.
So war Madame Poltmann jetzt auch zu Wlaska's Mädchen gekommen, und sie hätschelte und pflegte es bestens. Besonders that sie das Gustav zu Gefallen, da sie ihn sehr gern leiden mochte – diesen Punkt anbetreffend pflegte man zu sagen: die hübsche Mutter hat auch ihre Faibles, und wenn solch ein Faible sie etwa des Abends besucht, wo Poltmann, der Biedere, zum Biere gegangen ist, dann kocht sie ihm Thee, sollte er dringend werden, dann sagt sie, o, o, das ist zu viel, Sie scherzen, und es schickt sich nicht, und sie wehrt lächelnd und verschämt so lange ab, bis Poltmann heimkehrt und dem Gaste die Hand schüttelt und von seiner Frau hören muß: Du kommst ja heute sehr früh, Alter.
Madame Poltmann war nämlich allen Ernstes noch von jener reifen, fleischigen Schönheit, wie sie mancher junge Mann gerne sieht.
Diese Dame also und die Primadonna mit dem kleinen Musikdirektor saßen neben Gustav in der Spitze des ersten Wagens und ertrugen auf verschiedene Weise die Uebelstände des schlechten Sitzes und Wetters und die Insinuationen des Wagens, welcher ihnen mit der Vorderaxe alle Löcher des Weges schonungslos bemerklich machte. Madame Poltmann hatte nur Sorge für ihren kleinen Pflegbefohlenen, der Musikdirektor nur Augen für die malkontente Primadonna, welche sich wahrscheinlich Gustav's halber auf diesem Wagen angesiedelt hatte, und ihre Verstimmung, von diesem ignorirt zu werden, Sitz, Wetter und Weg am kleinen Cicisbeo ausließ. Ihr Thron war eine ziemlich hohe Kiste, und damit ihre Füße einen Anhalt gewännen, hatte der Kleine unter ihr Platz suchen müssen und bot seine Schultern und den etwas unklar und verwickelt aussehenden Rücken zum allenfallsigen Fußschemel. Das mochte bei den öfteren lebhaften Rücken, welche der Wagen erlitt, sein Störendes haben, indessen Püffe der Liebenden sollen ja immer süß sein, es blieb doch eine wenig unterbrochene Verbindung zwischen ihm und der Dame seines Herzens, und die Donna trug auch die seidenen oder doch seidenartigen Schuhe, welche sie als Königin der Nacht zu benutzen pflegte. Aus dieser Chaussure entstand nun vor den Schenken meisthin einiges Demelée, da sie kein Verlangen zeigte, die zarte königliche Bekleidung dem groben Straßenkothe anzuvertrauen, und immer verlangte, bis zum trocknen Asyle der Schwelle getragen zu werden. Der kleine Musikdirektor konnte das auf keine Weise prästiren, da die Donna von respektabler Größe und entsprechender Schwere war; eigentlich mochte es auf Gustav abgesehen sein, der verstand sich aber nicht dazu, und so mußte im entscheidenden Momente, wo der echauffirte Musikdirektor nach schleunigem Sukkurs schrie, der Kutscher gewöhnlich in's Mittel treten. Diese Intervention hatte ihr Schlimmes, einmal weil der Kerl durchgeregnet und schmutzig war, und zweitens weil ein sehr unsichrer Friedenszustand zwischen ihm und der Donna sich fortwährend offenbarte; diese hatte bereits so viel am Fuhrwerke zu tadeln gefunden, daß sich der Wagenlenker am Ende bewogen gesehn hatte, ihr sein nasses rothes Antlitz zuzukehren und ihr einige Erläuterungen mitzutheilen, die jedes Zartgefühl verletzen mochten. Es mußte indessen aus der Noth eine Tugend gemacht werden; ja der Musikdirekter ertrug lächelnd ein noch viel größeres Mißgeschick: Seine Position nämlich als Fundament der Geliebten erschwerte es höchlich, das Antlitz derselben zu erblicken, besonders da die Kiste einen überragenden Deckel hatte. Die Bestrebungen, dieses Glücks doch je zuweilen theilhaftig zu werden, erforderten also immer großen Aufwand, und ihr moralisches Element wurde stets durch die Ausdrucksweise der Donna gestört, welche ihm dergleichen Unbequemlichkeit ersparen wollte und gewöhnlich zurief, ob er nicht stillsitzen könne. Ferner brauchte er die rechte Hand unumgänglich, einen Stützpunkt zu halten und dadurch einen festen Sitz zu sichern; nun hatte er aber mit vornehmen Leuten die Manier gemein, stark zu schnupfen, eine Manier, die selbst jeder andern Leidenschaft überlegen war. Das gab natürlich lebhafte Uebelstande, denn mit einer Hand in beschränktem Raume, bei nassem Wetter die Dose handhaben und den natürlichen Folgen mit dem Taschentuche zu Hülfe kommen, welches Taschentuch des Regens halber stets wieder in Sicherheit gebracht werden mußte – das ist offenbar mehr, als man billigerweise verlangen sollte. Dennoch lächelte er und führte das Gespräch. Dies sollte offenbar nebenher lehrreich für die Geliebte sein; denn es bewegte sich um Opern und Singmanieren; größtentheils wurde es zwar von der Donna schnöde behandelt, wenn aber just eine Lieblingsarie in Rede kam, erhob sie wohl ihre Stimme und sang einige Passagen, z.B.
O hört den Schwur, ihr Götter,
Seid Schützer, seid Erretter!
als welches auf den Stockfisch Don Juan – Gustav gehen mochte. Solche Aeußerungen brachten sie aber wieder mit dem Kutscher in Kollision, der sich umzuwenden und zu sagen pflegte: Na, mach Se mir die Pferde nicht scheu mit dem Spektakel! Diese Losung erregte natürlich Debatten, der Musikdirektor sekundirte mit dem wiederholten Ausdrucke: Er ist ein Vandale, und ward dadurch in's Vordertreffen gerissen, weil der Geschimpfte diesen Ausdruck nicht verstand und das Unglaubliche dahinter vermuthete. Er ließ also nach Art gemeiner Leute, die das Wort Pack immer im Munde führen, sehr Unangenehmes fallen wegen wahrscheinlich schlechter Bezahlung und Kujonirung obenein, und bewegte sich zweifellos nach dem Liebessitze des Musikdirektors zu. Die kleine Wlaska schrie, Madame Poltmann rief, man möge doch nicht so wunderlich sein, und Gustav mußte dazwischen greifen, was sich der Kutscher gefallen ließ, wahrscheinlich weil ihm der Ernst und die Ruhe dieses Passagiers imponirten.
Mit Gustav selbst war eine große Veränderung vorgegangen: zum zweitenmale war der Tod in sein Leben getreten, und wie er ihn das erstemal zusammenwarf, weil er ihm die äußere Existenz zerstörte, so wirkte er diesmal kräftigend und spornend, weil er ihm die ganze Thorheit und Jämmerlichkeit seiner Zustände zeigte. Als sie Wlaska still zu Grabe schleppten, da drängte es sich ihm mit Gewalt auf, daß er unmächtig in Verhältnissen herumgezogen werde, die keinen Halt und eitel Thörichtes in sich trügen. Trotze dem Glücke und es wird sich beugen, sprach es in ihm, und je größer das Lästige um ihn wuchs, die Last des Kindes, das Gerede und Fingerzeigen der Leute, desto hartnäckiger rüttelte er sich in diesen Trotz. Nebenher empfand er ein lebhaftes Verlangen, Toni zu sehn, die Kraft und Selbstständigkeit dieses Mädchens, der Einfluß gedanklicher Bezügnisse, welche er in ihr wirken fühlte, auch wenn er sich dessen nicht klar bewußt machen konnte, der Anstrich von einer andern stolzen Lebenswelt, welcher sie sich entäußert hatte, die aber in ihrem Wesen noch existirte und wirkte, das frische Leben dieses Geschöpfes unter all der Hohlheit und larvenartigen Gemachtheit der Uebrigen, wie er es bei der Katastrophe erkannte, zog ihn unwiderstehlich zu Toni. Er eilte, sie aufzusuchen. Sie war fort, kein Mensch wußte, wohin. Vorstellungen waren nicht möglich, da die zwei Hauptdamen fehlten; man behalf sich ein paar Tage mit Opern, der traurige Vorfall wirkte aber diesmal nicht mit der gewöhnlichen Neugier auf's Publikum, zumal nichts Betheiligtes in der Oper zu erwarten stand, sondern abschreckend, wie ein Leichenhaus. Die stets existirende Opposition der Religiösen gegen das Theater war überaus geschäftig, dies ganze Institut als ein Werk des Teufels zu verdammen, und verfehlte ihre Wirkung nicht, da ihr der erschreckende Eindruck zu Hülfe kam – das Haus blieb leer, der Direktor war in Verzweiflung und griff zu der dargebotenen Gelegenheit, einen Theil der Truppe nach Elbing zu schicken und sich in Danzig allmählig wieder zu vervollständigen.
Gustav, vom Schauspielen angeekelt, wollte es ganz bei Seite werfen, es war aber immer noch das einzige kümmerliche Einkommen, was ihm blieb, nebenbei hoffte er auch, auf der Reise etwas von Toni zu erfahren, er stieg also mit auf den Wagen und ließ sich schweigend fortschleppen. Nichts dachte er, als wie er das schöne Mädchen finden könne und wie das ungünstige Leben nun herausgefordert werden sollte auf alle Art.