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3.

Der schöne junge Mann war ihrem phantastischen Wesen ein reizendes Ideal geworden – das mannigfach Unentschiedene, Unentwickelte in seinen Gewohnheiten, Aeußerungen und Sympathieen hatte seine Anziehungskraft ebenfalls beigesteuert. Wir lieben in einer gewissen Jugend durchaus alles Romantische, was den Reiz verbergen kann, weil es überhaupt verbirgt; Charakteristisches mag uns später ansprechen. Die glänzende Stellung, welche Gustav dort in der kleinen Welt einnahm, mochte redlich geholfen haben an der Illusion des lebhaften Mädchens, wenn sie auch nicht das Mindeste davon wußte, ja mit Entrüstung jedwedes solches Motiv als ein verächtliches zurückgewiesen hätte. Es dünkte ihr just überaus entzückend, Gustav als armen Schäfer an's Herz drücken zu können.

Die äußere Welt, deren wir uns so gern überheben, treibt darin ihr verstecktes Spiel mit uns: der äußere Reichthum, welcher uns entgegentritt, macht uns doppelt empfänglich, inneren zu suchen oder zu lieben, auch wenn wir glauben, daß nicht die mindeste derartige Rücksicht in uns möglich sei. Denkt Euch zwei Mädchen, die in Liebenswürdigkeit vollkommen gleich mächtig sind, die eine lebt in unscheinbaren Verhältnissen, die andere in glänzenden – wie viel lockender, blendender wird die Illusion sein, welche die letztere entzündet! Nur der Gegensatz andrer Art kann die Wirkung solchen Kontrastes ändern: ein Mann oder ein Weib, die von Jugend auf in begründeten, besten Verhältnissen gelebt haben, werden in der Neigung leichter zu den Erben der Unscheinbarkeit gezogen.

Es ist aber dies derselbe Bezug, wenn auch umgekehrt.

Von Gustav war dies nicht zu sagen; seine Phantasie war darin unthätig, sie ging nicht aus dem geordneten Kreise hinaus; die Neigung und Leidenschaft wußte nichts von einem näheren Bezuge zu Wlaska, für seine Phantasie existirte die Möglichkeit solch einer Verbindung gar nicht. Er nahm es deshalb auch ganz harmlos auf, als sie durch kleine unschuldige Machinationen eine Einladung in ihr Haus an ihn gebracht hatte, und er erschien.

Das Ungewöhnliche interessirt oft, ohne gerade einen besondern Reiz auszuüben. Wlaska war ganz anders, als die übrige Welt, mit der Gustav zu verkehren hatte, die Unterhaltung, welche sie in dem kleinen, etwas wunderlichen Zimmer für den erwünschten Gast versuchte, war diesem so neu, daß sie ihm nothwendig eine gewisse Spannung bereiten mußte. Er kam öfter zu ihr; der langweilige Papa, welcher sich Anstands halber mit der langen Pfeife im Zimmerchen einzufinden pflegte, ließ sich nicht mehr von seinem Kasino abhalten, als Gustav's Besuche nicht mehr so neu waren, die Freundinnen Wlaska's, welche zuerst mitgebeten waren, fanden sich so vernachlässigt, daß sie im ersten Trotze auch wegblieben. Sie bereuten es zwar bald, denn Gustav interessirte sie höchlich, und sie hatten auch nur so trotzig gethan, um zu zeigen, daß sie größere Berücksichtigung verdienten; aber das Manövre war ihnen verunglückt. Weder Wlaska noch Gustav nahmen Notiz davon, und so finden wir denn diese beiden junge Leute manchen Abend allein bei einander, und dürften nach herkömmlicher Voraussetzung ein Liebesverhältniß erwarten.

Wlaska's Zimmerchen ging auf einen kleinen Garten hinaus, mit welchem es durch eine altmodische Glasthüre in Verbindung stand Dieß mochte im Winter seine großen Uebelstände haben, das Mädchen ließ sich aber um keinen Preis etwas davon ändern, und verwahrte im Spätherbste die mangelhaft schützende Thür so gut es nur gehen wollte mit grün und braunem Moose. Ihre Bekanntschaft mit Gustav fiel in's zeitig beginnende Frühjahr, hie und da wurde schon ein Sträuchlein grün im Garten, und es war unserer Kleinen von außerordentlichem Genüge, die Thür größtentheils offen halten und bei den lebhaft sich geberdenden Empfindungen ihres Temperaments zuweilen hinausagiren zu können. Das Zimmer selbst hatte wenig Möbel, und diese wenigen zeichneten sich mehr durch Wunderlichkeit aus als durch schöne Fassung: der Tisch hatte arg verschränkte Beine, auf der eingeschweiften Kommode war ein kleiner Zaun angebracht, der die obere Fläche zum Schreibtisch einrahmte, das große, blau gemalte Schreibzeug von Porzellan hatte an den Ecken tolle Köpfe, welche groteske Fratzen schnitten. Auf dem Bette, was im Zimmer war, lag eine rothe Decke ausgebreitet mit großen schwarzen Figuren, und das alte Klavier, welches zwischen Bett und Kommode stand, sah auch ganz absonderlich aus. Bücher, Putzsachen, Bilder, Noten waren in allen Winkeln zu finden; sie lagen keineswegs unordentlich herum, sondern hatten ihre regelmäßige Stelle, aber die ganze Anordnung war von der Art, daß Alles barock aussah und frappant in die Augen fiel.

Wlaska selbst aber schien ganz an diesen Ort zu gehören; sie war ein Mädchen unter Mittelgröße, aber in den anmuthigsten Verhältnissen gewachsen, schlank und drall, geschmeidig, behende wie ein bunter gewandter Eidechs war sie bald hier bald da, bald tanzend, bald sitzend, immer in der zierlichsten Stellung, immer mit dem ganzen Körper thätig, immer voll Beredsamkeit, die von den kleinen, schön gefärbten Lippen, oder von den schwarzen Augen floß. Sie mochte damals achtzehn Jahre alt sein, oder wurde es doch in Kurzem, und hatte viel von der böhmischen Nationalfarbe, welche mitunter an asiatische Völkerschaft erinnert, viel von jenem Aussehen, was die Franzosen Bohèmienne heißen, und was mit dem Worte Zigeunerin unvollständig übersetzt wird. Die meisten Franzosen denken sich zwar auch weiter nichts darunter, aber in der Ahnung, welche hinter jedem sprachlichen Ausdrucke verborgen liegt, ruhen noch ganz andere Dinge. Ein fremder Welttheil mit unbekannten Reizen der Furcht und der Leidenschaft, der Form und Farbe verbirgt sich unter solchen Ausdrücken. Wlaska's Teint war ein wenig dunkel, aber von einem lockenden Glanze, ihre Formen waren mädchenhaft erfüllt, aber von der festen, straffen Art, in welcher eine Gewähr zu liegen scheint, daß sie niemals feist, fleischig werden dürften. Der Ausdruck des Gesichtes war nicht nur über alle Trivialität erhaben, sondern ging auch mitunter über den Gegensatz hinaus und konnte phantastisch genannt werden. So unangenehm dies bei älteren Gesichtern werden mag, so viel Zauber entwickelt es bei jungen Mädchen. Sie hatte eine wohlklingende, tiefe Stimme, und deklamirte und sang den ganzen Tag. Es ließ sich hierbei schnell bemerken, daß ihr jenes Element des Maßes, der Ruhe abging, was sich bei den verschiedenen Nationen verschieden gestaltet, bei allen aber die Vermittlung bildet zwischen dem inneren und äußeren Leben, was bei der Französin Witz und Laune, bei der Deutschen Behaglichkeit und Humor wird; wo es fehlt, da giebt es nur eine stoßweise, unruhige Existenz, der wohlthätige Fluß des Daseins wird vermißt.

Dergleichen beobachtete aber weder Gustav in seiner Unbekümmertheit noch sonst Jemand, ein Mädchen zwischen siebzehn und achtzehn Jahren, das Lieder dichtet und singt, und in erster Jugend fortwährend schafft und producirt, fordert nicht zu sorglichen Gedanken heraus; was unstät erscheinen mag, schreibt man der Jugend zu, und für die späteren Jahre verhofft man das Beste.

Dies ist ein Moment reichen Unglücks unserer Welt. Die Erde, die Realität verlangt ihre Berücksichtigung, denn sie ist nichts Einzelnes, was sich verläugnen ließe – daß dieser Moment übersehen wird bei denjenigen Mädchen, deren Naturel nicht von selbst behilflich ist, das gibt uns die große Klasse derer, welche man obenhin überspannt nennt, und die größtentheils alte Jungfern werden. Für den Mann ist es weniger bedenklich, ihn greifen die tausend Konflikte, und was er nicht gutwillig suchen will, das wird ihm schmerzhaft aufgedrungen; mag er auch den Verlust des rein Idealen wie einen poetischen Schmerz pflegen, denn wir haben noch immer die Tradition einer schlechten Erde in unseren Adern, mag er auch klagen, er gewinnt gegen seinen Willen den Aplomb der Bildung – nicht so das Weib, das der Einseitigkeit überlassen bleibt.

Dergleichen hätte nun Wlaska gar nicht verstanden, und es war im ganzen Städtchen Niemand, dem solcher Ideengang nothwendig oder begreiflich geschienen hätte. Das ist ein tief poetischer Reiz der Welt; nichts bleibt verloren in seinen Beziehungen, wenn auch die Dinge eines eng geschlossenen Kreises in diesem Kreise keinen höheren Bezug finden; der Geist unserer Welt und Geschichte ist eine Atmosphäre.

Wem solche Fäden zu dünn sein möchten, der denke sich einen Vogel, welcher weit, weit hergeflogen kommt aus unbekanntem Lande, das Samenkorn einer uns unbekannten Frucht ruht in seinem Schnabel, es fällt auf unsern Boden, und wir wundern uns höchlich, von wannen die Staude kam, welche aufschießt über Nacht. Die Bildung hat tausend unbekannte Wege.


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