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10.

Gegen Abend war Gustav wieder zu Hause, fand sich ein wenig gestärkt und viel besonnener, und er hatte doch auch schon die Unbefangenheit wieder, daß er an Außendingen so weit Interesse nehmen konnte, um sich nach seinem Pferde zu erkundigen, und mit Zufriedenheit anzuhören, es sei glücklich heimgekommen.

Eine leise Bewegung erhob sich zwar von Neuem in ihm, als der Wagen vom Lande heimkehrte, und am Thorwege still hielt, und sie ward noch lebhafter, als die Frau Prinzipalin die Einladung schickte, mit der Familie im Garten den Thee zu trinken, oder wie sie nach Art gut erzogener Leute sagen ließ: den Thee zu nehmen, und mit ihnen zu soupiren.

War Angélique da? Sollte er gehen? Jener männliche Trotz, der sich bei solcher Gelegenheit einstellt, und den wir gegen uns selbst für Starke ausgeben, ließ ihn Ja sagen.

So glaubte er wenigstens; es war aber im Grund nur die Hoffnung, Angélique zu sehen, ohne daß es den Anschein hätte, als ob er sie aufgesucht.

Die Frau Prinzipalin hatte auch ihre guten Gründe; es war ihr bekannt, daß Gustav's Verhältniß zu Angélique, was sich so lebhaft angesponnen hatte, zersprengt war, der Moment schien ihr günstig, sein liebebedürftig Herz anderswie zu versorgen. Hulda, ihre Aelteste, sah just so angenehm echauffirt aus von der Landpartie, Angélique war im Begriff, nach Hause zu gehn, sie wollte nur rasch eine neue Musik probiren, welche Hulda bekommen, und ihr sehr angepriesen hatte.

Die Frau Prinzipalin empfing Gustav allein im Garten, erkundigte sich theilnehmend nach seinem Befinden, und versicherte, ihre Töchter würden sogleich erscheinen, man wollte nach langer Zeit wieder einmal den Abend en famille behaglich und gemüthlich zubringen, die Witterung sei schön, bis Neune ginge es ohne Erkältung im Freien, und dann soupirte man oben.

Kichern, Lachen, Geschwätz in der Ferne, die Mädchen kamen, jede hatte einen Arm von Angélique gefaßt, – »wir haben sie nicht fortgelassen, Mama« riefen beide – Mama lächelte, und schlug vor, einen Bedienten an Angélique's Eltern zu schicken, damit sie wüßten. –

Angélique fand das nicht nöthig. Sie war so harmlos, als ob zwischen ihr und Gustav gar nichts vorgefallen sei, die beiden jungen Leute redeten einander zwar nicht an, aber ein Fremder hätte das für Zufall halten können. Im Uebrigen sprachen beide sehr viel, und es gab eine äußerst belebte Unterhaltung. Wenn wir das Beste in uns zugedeckt zurückzuhalten glauben, dann geben wir alles Andere um so freigebiger und bereitwilliger hin, um jenes Verbergen nicht entdecken zu lassen.

Aber Gustav litt unsäglich dabei. Dem Manne ist die Geselligkeit mit ihren Formen nie so wichtig als der Frau, er opfert ihr nur im Nothfalle und dann meist ungeschickt seine besten Wünsche und Neigungen, ein junger Mann, der nicht in strenger Etikette wie in einem Kultus auferzogen ist, vermag dies noch weniger; ein leidenschaftlich Verliebter wie Gustav gar nicht, er begriff es nimmermehr, daß ein Weib mit teilnehmendem Herzen dies der Gesellschaft wegen Stunde lang verbergen könne; darum peinigt ihn Angélique's Unbefangenheit entsetzlich. Aber es ist dies Verhältniß ein ganz anderes bei den Frauen: die Geselligkeit, der Umgang ist ihre nächste, wichtigste Welt, der sie jedes Opfer schuldig zu sein glauben, der sie es meist ohne Frage bringen. Vielleicht hatte Angélique auch andere Rückgedanken, vielleicht kannte sie Gustav's Leidenschaft, und wußte, daß sie dadurch nur zu steigern sei, vielleicht hatte sie nie etwas für ihn empfunden. Bei geistreichen, lebhaften Weltdamen liegen die Gegensätze so dicht neben einander, daß man nicht so leicht ein Urtheil fällen kann; haben solche Damen erst länger und mannigfache Erfahrungen des Bezugs, der Neigung gemacht, dann sind sie selbst keine kompetenten Richter mehr, die eigne Mannigfaltigkeit hat sie irre oder sorglos gemacht, die Natur tritt in ihre Rechte des ewigen Sieges. Sehen wir es doch oft genug, daß eine kokette oder blasirte Dame, die täglich gespielt hat, plötzlich von einer leidenschaftlichen, unwiderstehlichen Neigung übereilt ist, deren sie nicht Herrin werden kann, die das Aergste mit ihr beginnt.

Angélique mußte Gustav einen Teller reichen, die Finger berührten sich flüchtig, es flog wie ein elektrischer Funke durch ihn, Angélique ward roth – war sie vielleicht durch die Spannung in ein gereiztes Interesse hineingerathen, oder hegte sie wirklich in der Tiefe eine ernste Neigung für ihn? Ja, wer es dem glatten Wasserspiegel ansehen könnte, wie weit es bis zu dem klar heraufschimmernden Grunde sei!

Man ging in die Zimmer hinauf; Gustav war etwas muthiger geworden, Angélique stiller; die jüngste Tochter des Hauses war jetzt mit Muthwillen und Scherzen Sprecherin, sie war noch ein junges unbekümmertes Blut, man ließ sie gewähren, und ihre jugendliche Art machte den besten Eindruck.

Es ward spät, die Mutter verbarg kaum ihre Verdrießlichkeit, und es mochte ihr sehr ungelegen kommen, als die Kleine bei Angélique bettelte, das Liedchen zu singen, was sie in diesen Tagen von ihr gehört habe. »Ich versteh zwar nicht viel davon,« sagte sie, »aber Angélique singt es so hübsch, und sieht so hübsch dabei aus.« –

Damit hatte sie rasch das Zimmer verlassen, um die Noten zu holen; man schwieg bis sie wiederkam, und Angélique ohne Weiteres zum Flügel führte. Diese setzte sich mehr zögernd als gewöhnlich an's Instrument, ein Paar muntere Passagen schienen sie aber ganz in ihre stetige, heitere Stimmung zu bringen, und sie sang und spielte tändelnd:

Wie sie flattern, wie sie springen,
Die Gefühle, durch den Sinn,
Möchten lachen, möchten singen,
Wissen nicht, woher, wohin.

Und das Herz ist leicht beweget,
Schaukelt sich in kleiner Lust –
Was sich so behaglich reget,
Stammt es, geht's aus meiner Brust?

Immerhin, ob es mein eigen,
Ob es kommt wo anders her –
Seinem Reiz will ich mich neigen,
Glück entsteht von ungefähr.

Die Kleine klatschte, und bat um noch eins, Angélique schüttelte aber den Kopf, stand auf, und sagte: Es ist Zeit, nach Haus zu gehen, unser Bediente wird sich wohl hergefunden haben.

Die Kleine bat noch weiter, und setzte hinzu: Euren Johann, der draußen eingeschlafen war, hab' ich heimgeschickt, damit er bequemer schlafen könne, ach, Schlafen ist so süß – Herr Dorn ist ja da zur Begleitung. –

Das war ein geselliger Wetterschlag, der prasselnd traf – aber was ließ sich thun? die Kleine hatte es in ihrer Sorglosigkeit einmal so eingerichtet, Gustav sah sich bald auf der Straße neben Angélique. Keines von Beiden sprach – hätte man ihm vorher die Möglichkeit gezeigt, neben Angélique gehen zu dürfen, was würde er Alles dafür geboten, versprochen haben, jetzt stieg der männliche Trotz auf, da ihm ihre Nähe auf eine Strecke lang sicher war.

Aber die Strecke war nicht so groß; schon drohte das Haus in der Ferne – nun kam ihm die Angst, solch schöne Gelegenheit unwiederbringlich verloren zu sehn; er hatte gehofft, sie würde sich durch sein Schweigen nöthigen lassen, anzufangen. Aber die sonst Redelustige sah unbefangen in den Mond, der glänzend herabschien, sie kuckte wohl gar hie und da nach einem lichten Fenster, als ob es sie besonders interessire, daß dieser oder jener noch wach sei – Gustav mußte beginnen, sollte nicht alle Möglichkeit abgeschnitten werden.

Eben wollte er es wirklich, als sie sagte: Nun Sie machen ein gute Unterhaltung, warum sprechen Sie nicht?

Angélique!

»Was haben Sie?«

Was haben Sie?

Er faßte ihre Hand, die ohne Handschuh und pulsirend in der seinigen blieb. –

Eben wollte er sie an seinen Mund drücken, als Angélique rief: Nun, Jacob, was hast du mit dem Mondschein zu schaffen!

Sie waren am Hause, und der Portier saß vor der Thür. –

»Bon soir Monsieur.«

Damit war sie verschwunden, die Flügelthür fiel in's Schloß – Gustav taumelte nach Hause.


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