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Es wußte Niemand den andern Morgen, woher dieser nächtliche Schuß gekommen sei. Der Gutsherr machte ein sehr schlimmes Gesicht, und da es obenein regnete, so wurde die Jagd sehr unerfreulich. Man ging zu Tische; der Herr des Hauses fand unter seiner Serviette einen Brief und erbrach ihn hastig; der Zorn legte sich immer schwerer auf sein Antlitz.
Meine Herren, sprach er, zu den Jagdgästen sich wendend, die aus der Umgegend gekommen waren, ich habe Sie sehr um Entschuldigung zu bitten, daß Sie schon zum zweitenmale auf gleichem geselligem Fuße mit Leuten behandelt werden, die mir bisher ebenfalls so weit unbekannt waren, und von denen ich nichts als die Namen wußte. So eben erfahre ich, daß es Schauspieler sind; Monsieur Schaller und Monsieur Dorn, es wird Sie nicht befremden, daß ich keinen Verkehr mit Komödianten zu halten pflege. –
Gustav war außer sich vor Zorn und Entrüstung, Alles war todtenstill, Schaller lächelte.
Wissen Sie vielleicht, wandte er sich nach dieser Pause zum Hausherrn, wer Ihnen den Brief geschrieben hat?
»Herr, ich habe keine Lust, in solche Details mit Ihnen einzugehen!«
Ich aber.
»Johann! theile dem Herrn Schaller mit« –
Ich möchte Sie gern von einer Brutalität abhalten, die Sie bald bereuen würden, und ich bin so höflich, weil Sie mein Gast sind – der Brief, den Sie da eben gelesen haben und der Sie in Kenntniß setzt, daß wir Komödianten seien, ist von mir geschrieben, und – ich bitte, unterbrechen Sie mich nur eine Minute lang nicht, Sie werden nach Verlauf derselben ganz andere Dinge zu sagen haben, als Sie jetzt beabsichtigen – ich habe Sie nicht umsonst vorgestern auf Ihren Herrn Bruder, den Majoratsherrn dieses Schlosses und aller dieser Besitzungen aufmerksam gemacht; er lebt wirklich, und ich bin sein Abgesandter und Stellvertreter, diese Güter verwalte ich von Rechtswegen und Sie sind mein Gast; nicht Ihnen kommt es zu, mir die Thür zu weisen, weil ich ein Komödiant bin, und ein solcher bin ich nebenher wirklich.
Diese Erklärung gab natürlich große Bestürzung. Schaller hatte sich ruhig nach dem Bedienten umgewendet und diesem aufgetragen, die Suppe ungestört weiter zu serviren.
Der Gutsherr war todtenbleich geworden, raffte sich indessen bald zusammen und erklärte, vom Stuhle aufspringend, daß er diese Komödianterei gebührend züchtigen werde.
Nun erhob sich Schaller ebenfalls vom Sessel, der unweit der Wand aufgestellt war, an welcher das lebensgroße Konterfei des zuletzt verstorbenen Gutsherrn hing; er strich mit einem Griffe falsches Haar und falschen Backenbart von Kopf und Antlitz, und in der frappantesten Aehnlichkeit mit dem Wandgemälde sah er blitzenden Auges den starr hinblickenden Herrn vom Hause an, mit donnernder Stimme sprechend: Nun, Christoph, bin ich der richtige Stellvertreter?
Karl selber! rief dieser tonlos, und zwei alte Bediente stürzten herbei, den jungen Herrn mit Handküssen und großer Rührung bewillkommend.
Darauf nahm Herr Schaller wieder den vorigen sanften Ton an, bat die Gesellschaft, solche Störung als nicht da gewesen zu vergessen und sich keinen Augenblick im Diner stören zu lassen.
Er setzte sich, winkte den Bedienten, und das Essen ging unter einer Todtenstille seinen Gang. Schaller unterbrach sie endlich mit folgenden Worten: Die geehrten Gäste mögen mir erlauben, daß ich sie mit einem kurzen Abriß meiner Geschichte unterhalte. Ich war der älteste Sohn dieses Hauses, aber nicht der geliebteste; unser Vater bevorzugte eigentlich den dritten, Antoniens Vater, der früh verstorben ist, und nächst ihm Christoph, der bisher die Güter verwaltet hat und unter uns sitzt. Unsere Jugend fiel in die Zeit der französischen Revolution, alle Gemüther und Geister waren mehr als sonst darauf gestellt, Rechtmäßigkeit des Besitzes zu prüfen. Das geschah mitunter so spitzfindig, wie es skrupulöse Mönche ehedem mit ihrer Frömmigkeit getrieben haben. Die Stimmung und das Verhältniß unsers Vaters zu uns brachte mir allerlei beunruhigende Gedanken, die meistens darauf hinausliefen, ob man eine Stellung, welche die bloße Geburt geschenkt habe, die aber übrigens den Nächststehenden und Nächstberechtigten gar nicht genehm sei, ob man diese gegen den Willen und Wunsch dieser doch behaupten solle, und ob man selbst unter solchen Umständen Glück finden und geben könne. Das Glück überhaupt machte mir große Noth: kommt es blos von außen zu uns, oder ist es nur von innen heraus zu gewinnen? Sie sahen, ich war frühzeitig ein Komödiant, ich ließ mein Erbtheil im Stiche und ging in die weite Welt. Ist das Glück wirklich Dein, dachte ich, so wird es sich zeigen, Du willst eine Glücksprobe versuchen und Deine Existenz daran setzen.
Ich ging zunächst nach Frankreich, und sah, wie der natürliche Mensch dem künstlichen täglich seine Streiche spielte, wie die Humanitätshelden Menschen blieben, und um so bedenklicher, je gewaltsamer sie es verläugnen wollten. Ich ging nach Rußland, und sah, wie bedenklich der Mensch würde, wenn er sich ganz ungefragt gehen lasse. Gegen den Gedanken, wir seien nichts und vermöchten nichts, das Glück sei ein unmittelbares Geschenk, gegen diesen Gedanken, der mich am längsten beherrscht hat, sträubte sich mein Stolz. Hätte ich ihm nachgegeben, so wäre ich ohne Weiteres nach Hause zurückgekehrt und hätte meine Herrschaft angetreten.
Ich machte einen neuen Versuch, und probirte alle Stände, in die ich mich eindrängen konnte: ich ward Soldat, Bürger, Bauer, Geschäftsmann, Künstler, am Ende Komödiant, weil man da Alles brauchen kann.
Der Soldat war mir zu sehr auf's unmittelbare Glück angewiesen, er ist das Instrument desselben; Bürger, Bauer, Gescäaftsmann, sind in so enge Gränzen gewiesen, daß nur ein kümmerlich Glück den Weg zu ihnen findet, die Ansprüche werden so beschränkt, katasterartig, daß es sogar oft nicht erkannt, daß es von der Thür gewiesen wird; der Künstler braucht's wie der Soldat zum täglichen Brode, seine Existenz ist nur eine, wenn er Glück hat.
Wo gerieth ich am Ende hin? Dahin: es gibt zweierlei Glück, und wer gutes Glück hat, verbindet sie beide. Das erste ist jenes wunderbare Gelingen, was wie eine segensreiche Seele unser Thun und Lassen begleitet, was uns von der Geburt, von der Lotterie, von der kapriciösen Neigung in den Schooß geworfen wird. Das zweite ist unsere innere Harmonie, dies nie verstimmte Glockenspiel, was unsre Existenz tönend begleitet, was die heiteren Gesichter macht, die harmlose Theilnahme schafft an den Freuden der Kinder, am Gelingen des Kleinsten.
Dies zweite läßt sich zum Theil erwerben und ist somit der menschliche Triumph über das unerklärte Schicksal; es läßt sich zum Theil erwerben durch Bildung, aber freilich nur zum Theil; wenn jenes Dämonische oder Göttliche oder regelmäßig Zufällige, wie es die verschieden denkenden Menschen heißen, wenn jenes geheimnisvolle Etwas fehlt, was man ordinair hin Glück nennt, da wird Alles ein kümmerlich Wesen.
In dieser Erscheinung liegt's, daß die schwachen Menschen abergläubisch oder frömmelnd oder durchaus ungläubig werden und daß ich wieder zu meinem Besitze heimgekehrt bin, den mir das Glück der Geburt beschert hat.
Natürlich kam es auch nach dieser Rede zu keinem fließenden, bequemen Verkehr unter den Gästen; sie kannten Christoph, und wenn sie ihn auch nicht liebten, so waren sie doch daran gewöhnt, ihn als Besitzer zu sehn; wäre er gestorben, so hätten sie den Wechsel harmlos aufgenommen, aber es ist uns immer unbequem, den Lebenden neben uns verlieren zu sehn, weil uns das Mitleid unbequem ist, zu dem wir dann genöthigt werden, der schweigende Anspruch auf Hilfe, der aus der Lage heraus auch uns mahnend entgegentritt.
So hat auch der Egoismus seine Theilnahme.
Die Leute wußten nicht recht, sollten sie sich an Christoph oder an Karl wenden, und das störte sie; jener war doch eigentlich nichts mehr, und dieser blieb nebenher ein Komödiant und mit dem Anstriche eines abenteuernden Vagabunden versehen. Sie bestellten in der Stille ihre Pferde; wer nicht wußte was zu thun sei, erfuhr es dadurch mit und bestellte auch das Anspannen. Nach dem Kaffee war Alles fort, Christoph war auf sein Zimmer gegangen, Toni stand in der Fenstertiefung und sah nach den Wolken; sie war ärgerlich; und Aennchen, was neben ihr stand, konnte nichts recht machen. Schaller und Gustav gingen im Saale auf und ab.
Spiele nur Einer, hub jener an, den Weisen, oder solch 'ne Art Schicksal, wie ich eben gethan, dann kommt gewiß dummes Zeug heraus; ich hab' da viel mehr gesagt, als ich sagen wollte, und die Dinge so sicher und fest gemacht, wie sie mir's keineswegs sind. Wer eine Rede hält und systematisch sprechen will, der macht das System sogleich zum Lügner.
Sehn Sie, ich bin wirklich ein Komödiant geworden, mir unter den Händen geworden: da hab' ich eine Scene bereitet wie Einer, und die Gewohnheit straft mich schon in diesem Augenblicke. Ich bin nun einmal wirklich der Herr Schaller geworden, der ich nur einige Zeit zum Scherz sein wollte. Hier dieses Gut zu verwalten, ist gar nichts mehr für mich, ich fühl' es deutlich in diesem Augenblicke, es ist mir unbequem nicht mehr Schaller genannt zu werden, was soll mit meinem Bruder geschehen, der nichts anders thun kann, als seinen Bauern befehlen? Da haben Sie die Nemesis des Glücks, was dem auf der Stelle entweicht, der es definiren will; ich werde unruhig, was ich seit Jahren nicht gewesen bin, und muß mich beeilen, aus dieser Lage wieder heraus zu kommen.
Schon gestern begann es: ich trieb Sie selbst zum Abenteuer mit der gesuchten Toni, ehe ich wußte, wer sie sei. Als ich meine Nichte in ihr fand, ein verwandtschaftliches Wesen, was mir blos durch Tradition und Einbildung darum näher stand, die mir nach meinen theoretischen Begriffen durchaus fremd sein mußte, sehen Sie, als ich das wußte, war ich plötzlich der beste Familienpedant, ich wollte Eure ordentliche Liebschaft durchaus zerstören, ich schoß heute Nacht zum Fenster hinaus, um das Haus aufzuregen, weil ich wußte, daß Sie zu ihr geschlichen seien. –
Sie?
Ja, ich, und ich rathe Ihnen jetzt noch ernstlich, allen Umgang mit ihr abzubrechen, weil das Mädchen gar nicht für Sie paßt, überhaupt kaum für einen Mann paßt; ich glaube bestimmt, sie wird eine alte Jungfer werden.
Blos darum paßt sie nicht für mich?
Brav gefragt, brav eingeworfen! ich halte mich selbst auf der Jagd, ob ich nicht blos darum gegen Euch bin, weil Sie nicht von Adel sind? Ist es nicht die höchste Ironie meines Lebens, daß mir so was passiren muß? Ja, wir wachsen im Herkommen auf, und wenn wir Zeit unsres Lebens mit Händen und Füßen dagegen stampfen, und das Herkommen hat ein ungeheures Recht, will sagen, es liegt ein außerordentliches Richtiges in ihm. Der Parvenü, welcher Minister wird vom Sohne eines Schusters, behält bis an seinen Tod etwas von Pech in einem Winkel seiner Gesinnung. Es ist ein gräulicher Gedanke zum Vergnügen für bornirte Aristokraten, aber ich mag ihn nicht verläugnen; die ersten Erziehungsjahre, in denen das Bewußtsein erwacht – und mit drei bis vier Jahren ist sich das Kind bewußt – sind unvertilgbar.
Aber, lieber Gustav, dies bizarre Mädchen ist wirklich nicht zum Heurathen. –
Sehen Sie doch, wie schön, wie reizend, wie pikant –
Wer Pikantes heurathet, der läßt eine Rosenknospe länger ungebrochen, um länger eine Rosenknospe zu haben, über Nacht ist sie aufgeplatzt und die Knospe ist todt, das Pikante ist für das Jeweilige, für den Besuch, für Alles, was sich wieder trennen muß, nicht aber für das tägliche Zusammensein. Eine pikante Ehefrau muß ein göttliches Weib sein, oder sie wird eine Xantippe.
In diesem Augenblicke schlug Toni dem kleinen Aennchen eine Ohrfeige und verließ schnell den Saal.