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Vorwort.

Ein Werk, welches seinen Stoff in einer bisher wenig gebräuchlichen Weise behandelt und dabei in der Ausführung vielfach hinter der ursprünglichen Idee zurückbleibt, kann seinem Verfasser zu so vielen Bemerkungen gegründete Veranlassung bieten, dass aus dem Vorwort wieder ein Buch zu werden droht. Das Bewusstsein dieser Gefahr wird mich zu gedrängtester Kürze bestimmen.

Mein Zweck war kein geringerer, als zu einer definitiven Erledigung gewisser Kardinalpunkte in der Streitfrage des Materialismus anzuregen, und da diese Punkte grade den Gegensatz von Materialismus und Idealismus, Wissen und Dichten, Empirie und Transscendenz betreffen, so reicht der Gegenstand des Werkes wohl weiter, als der Titel andeutet. Da ich aber eben nur anregen, nicht selbst erledigen will und überhaupt kein ϰτῆμα εἰς ἀεί geben, sondern nur im Sinn meiner Ueberzeugung auf die Zeitgenossen wirken möchte, so durfte auch der Titel des Buches, gleich der ganzen Behandlungsweise, das Gepräge der Zeit, der Veranlassung, des Augenblicks tragen.

Da ich im Werke selbst auf die entscheidenden Punkte immer und immer wieder zurückkomme, so ist es nicht nöthig, sie hier zusammenzustellen, wohl aber will ich frei bekennen, dass ich der Erledigung derselben die höchste theoretische und praktische Bedeutung beilege. Die Menschheit muss und kann dazu gelangen, wenigstens über die ärgsten Ursachen ewiger Irrungen und Quertreibereien Herr zu werden. Man wird in Zukunft gewisse Fehler des Denkens und der Willensrichtung mit Sicherheit vermeiden oder mit Lächeln in ihrem Entstehen berichtigen, wie man heutzutage bei einer handgreiflichen optischen Täuschung verfährt, mit deren Wesen Jedermann vertraut ist. Damit aber können die tief in der menschlichen Natur begründeten Gegensätze der Neigungen und Ansichten unglaublich gemildert und gewissermassen auf einen harmonischen Antagonismus zurückgeführt werden. Ob man dahin friedlich und allmählig gelangt, oder durch einen grossen Entscheidungskampf gegen die Mächte, in denen sich der böse Wille concentrirt, steht dahin.

In rein theoretischer Hinsicht sind die Punkte, um die es sich handelt, Vielen schon ihrer vollen Bedeutung nach klar. Namentlich ist Kant in neuester Zeit, besonders unter den Naturforschern, zu grösserem Ansehen gelangt, und das Bleibende in seinem System wird immer mehr zum Gemeingut der leitenden Geister auch ausserhalb des engen Kreises der Schulphilosophie. Es musste jedoch der falsche Absolutismus jenes Systems zerschlagen, der falsche Schein einer zwingenden Deduktion beseitigt werden, um die einfache Wahrheit in gemeinverständlicher Weise hervortreten zu lassen. Dass Kant mit dem Materialismus sehr viel weiter zusammengeht, als seine Anhänger von der dogmatischen Richtung, Schleiden an der Spitze, einräumen würden, wird aus unsrer Darstellung hoffentlich einleuchtend hervorgehen; ebenso aber, dass seine Rettung der Ideen auf praktischem Wege nicht blosser Schein ist, wie Noack es darstellt, und auch nicht reine Willkür, wie in dem Kantianismus, den J. B.  Meyer den Materialisten entgegenstellt. Noack, der sich ein grosses Verdienst erworben hat durch die scharfe Hervorkehrung der negativen Seite der Kant'schen Kritik, welche Unwissenheit und Tendenz stets wieder zu bemänteln suchen, hat eben doch wohl ein wesentliches Element der Anschauung Kant's über Bord fallen lassen, welches in der aufrichtigen – keineswegs schalkhaften, ironischen oder gar weltklugen – Werthschätzung der Ideen besteht, deren theoretische Haltlosigkeit Kant darthut. J. B. Meyer fasst diese Werthschätzung viel zu subjektiv, wenn er den »Sprung in das Unbegreifliche« als eine Art metaphysischer Max Stirner schlechtweg für seine eigne Liebhaberei erklärt. (Zum Streit über Leib und Seele, S. 122). Nimmerschwiegen, mehr kann ich mit Noack (Kant mit oder ohne romantischen Zopf, Deutsche Jahrb. II, 2, S. 254 u. ff.) glauben, dass Kant, wenn er bis zu unsrer Zeit gelebt hätte, in den schwingenden Bewegungen der Physiker das wahre Ding an sich erkannt hätte, da doch diese Bewegungen nur Folgerungen einer räumlich-zeitlichen Ursache aus räumlich-zeitlichen Erscheinungen sind und die empirisch gefolgerten Ursachen, wären sie noch so subtil, mit zu dem Ganzen der Erscheinungswelt gehören, welchem das von den Bedingungen menschlicher Sinnlichkeit freie »Ding an sich« gegenübersteht. Wohl aber ist sicher, dass Kant nur eine einzige Art der Erkenntniss gelten liess, die empirische und streng verstandesmässige, welche zu einer durchaus naturalistischen Weltauffassung führt; dass wir nach seiner Lehre nur wissen, dass diese ganze Erscheinungswelt Produkt unsrer Sinne und unsres Verstandes mit einem unbekannten Faktor ist, und dass jeder Versuch diesen zu erfassen mit Nothwendigkeit misslingen muss; dass endlich eben deshalb Metaphysik als Wissenschaft Selbsttäuschung ist, während sie als Architektur der Begriffe ihren Werth hat, ja zu den wesentlichsten Bedürfnissen der Menschheit gehört. Unter allen Kantianern ist derjenige, welcher meiner Auffassung am nächsten geht, kein Geringerer als Schiller und ich bedaure nur, dass der Plan meines Werkes ein näheres Eingehen auf die Philosophie des grossen Dichters ausschloss.

Mit Befremden wird vielleicht mancher Leser in meiner Darstellung den Namen Schopenhauer vermissen, um so mehr, da manche Anhänger dieses Mannes in meiner Anschauungsweise viel Verwandtes finden dürften. Ich muss offen gestehen, dass mir viele Schüler dieses Philosophen lieber sind, als der Meister. Schopenhauer selbst konnte ich in meiner Arbeit deshalb keinen Platz einräumen, weil ich in seiner Philosophie einen entschiednen Rückschritt hinter Kant finde. Die principiellen Fragen mussten dort entschieden werden, wo die grosse Grenzscheide liegt, zwischen der alten Metaphysik und einer freien, mit der Kritik versöhnten Begriffsdichtung. Der Rückfall eines Schopenhauer war an sich nicht besser oder schlimmer, als der eines Fries, Fichte, Herbart; es lag jedoch im Zusammentreffen geschichtlicher Umstände und persönlicher Verhältnisse, dass Schopenhauer, anfangs von der Schulphilosophie beispiellos todt geschwiegen, mehr durch seine Opposition gegen alle bekannteren Systeme Aufsehen erregte, als durch seine eigne Philosophie. Seine Verbissenheit gegen das Professorenthum rettete uns mehr von der kritischen Schärfe Kant's, als die Treue der gepriesenen Schüler, Nachfolger und Fortbilder auf sämmtlichen deutschen Kathedern. So ist es denn nicht zu verwundern, dass er manchen klaren Kopf für sich gewann, dem das Treiben der gewöhnlichen Schulphilosophie widerwärtig wurde. Frauenstädt's Schriftchen: »Der Materialismus, seine Wahrheit und sein Irrthum (Leipzig, 1856) gehört unzweifelhaft zu dem Besten, was über den Materialismus geschrieben ist. Auch die treffliche Schrift von Dr. A.  Mayer in Mainz »Zur Verständigung über Materialismus und Spiritualismus« (Giessen, 1861) ist wohl zu den Früchten der Anregung Schopenhauers zu zählen, obwohl der Verfasser diesem gegenüber seine Selbständigkeit behauptet.

Der Uebergang von der Kritik zur Aufstellung praktischer Lebensgrundsätze kann nie so sicher sein, wie die Grundzüge der Kritik selbst. Während Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft bleibende Grundlagen für alle späteren Untersuchungen dieser Art geschaffen hat, kann das Resultat seiner Kritik der praktischen Vernunft von vornherein nur exemplificatorische Bedeutung haben. Ich kann mich hier am bequemsten in Kürze verständlich machen, wenn ich an einen Satz Noack's anknüpfe: »Man vergass oder übersah (bisher) ganz und gar, dass Kant den Standpunkt und das Lehrgespinnst einer von den erfahrungsmässigen Bedingungen und Verhältnissen des Menschen absehenden und sich auf die Möglichkeit eines reinen Willens oder einer sogenannten transscendentalen Freiheit steifenden Sittlichkeit, wie sie nun einmal im Schwange gehe, mit ihren leeren Ansprüchen und hohlen Forderungen eben nur entwickelt, um sie zu kritisiren, d. h. um die dabei von der reinen praktischen Vernunft gemachten Voraussetzungen von der Wirklichkeit einer transscendentalen Freiheit des Ich und eines vermeintlich unbedingt gebietenden Sittengesetzes, mitsammt den weiter darauf gebauten Forderungen eines höchsten Gutes, eines rein übersinnlichen Reiches der Zwecke, einer Unsterblichkeit der Seele und eines moralischen Welturhebers in ihrer Wurzel als unbegründet und unhaltbar aufzuzeigen.« (A. a. O. S. 257 u. f.) Dieser Satz scheint mir wieder vollkommen berechtigt, gegenüber denjenigen, welche behaupten, Kant habe in der praktischen Vernunft den unerschütterlichen Boden gewonnen, um die ewige Wahrheit jener Ideen beweisen zu können. Ich kann jedoch nicht umhin bei der Ansicht stehn zu bleiben, dass Kant selbst diese Ideen trotz ihrer praktischen wie theoretischen Unbeweisbarkeit als Grundlage seiner eignen Sittlichkeit festhielt, dass er nicht eine Art von Carricatur, sondern ein ächtes und wahres Bild einer sittlichen Weltanschauung geben wollte, wie sie sich für ein nach Consequenz und Klarheit ringendes Gemüth aus gewissen Grundsätzen ergeben müsse, die sich uns aufdrängen, obwohl wir ihre Berechtigung nicht erweisen können.

Ich habe die Theile meines Werkes, in welchen diese Ansicht von Kant und seiner Lehre dargestellt, verallgemeinert und gerechtfertigt wird, mit dem vollen Bewusstsein einer grossen Gefahr niedergeschrieben, die für den Leser sich ergiebt, wenn er ohne den rechten inneren Halt diesen Gedanken verfolgt. »Es ist also wahr,« könnte er sagen, wenn er mir aufmerksam bis zu Ende gefolgt ist, »es ist also wahr, dass der Mensch in einem schaffenden, dichtenden, offenbarenden Trieb seines Geistes die Berechtigung findet, sich, wie es von jeher in der Dichtkunst geschehen ist, so auch auf dem Gebiete der Religion und Metaphysik, Vorstellungen hinzugeben, sich in ganze Systeme von Vorstellungen zu versenken, die an sich unbegründet und unhaltbar sind und nur dazu dienen, in ihrer Gesammtheit gleichsam einen symbolischen Cultus jenseitiger und unerreichbarer Wahrheiten darzustellen? Es ist also wahr, dass diese Dichtung des Göttlichen in ihrer Form und in der Rückwirkung dieser Form auf das Gemüth des Sterblichen einen Werth hat; ja, dass eben dieser Trieb zur Hervorbringung des Göttlichen dem jenseitigen Wesen der Dinge durch seine tiefe Wurzel in der menschlichen Natur ebensowohl verwandt ist, wie der Verstand mit all seinen Schätzen? Ist dann nicht mit einer leichten, fast unmerklichen Wendung wieder jede beliebige Religionsform, jede Form von Aberglauben gerechtfertigt, sobald sie etwas ästhetisch Bedeutendes, sobald sie wahrhaft ideellen Gehalt hat? Kann uns ein solcher Standpunkt nicht schnurstracks in den Katholicismus des Mittelalters zurückführen, und wird nicht die ganze Frucht der modernen Aufklärung mit ihrer ungeheuren Verbesserung aller Zustände des Volkslebens mit der Vernichtung bedroht, wenn in dieser Weise der extremste Radikalismus des kritischen Verstandes sich mit den bunten Gebilden einer grossartig wilden Gothik der Phantasie versöhnt? Ist nicht auf Grund deiner Philosophie eine schlimmere und nachhaltigere Reaktion möglich, als sie durch Hegel's vernünftige Wirklichkeit vermittelt wurde?«

Dieses Bedenken wiegt in meinen Augen ungleich schwerer als das entgegengesetzte der Dogmatiker von der äussersten Rechten bis zur äussersten Linken, die Alle eine absolut wahre Religion haben wollen und keine principielle Verschiedenheit von Wissen und Glauben zugeben. Denn in der Richtung des Fortschrittes der Menschheit möchte ich gearbeitet haben, und wenn meine Kritik des Materialismus dazu führen könnte, indirekt dem Rückschritt zu dienen, so würde ich jeden Satz streichen, der auch nur mit einer leisen Andeutung den Boden der starren Skepsis verlässt.

Ich verlasse mich auf die Richtigkeit der signatura temporis, wie ich sie verstehe; obwohl in diesen Dingen nur von einer praktischen und subjektiven Sicherheit und nicht von einer objektiven Gewissheit die Rede sein kann. Ist unsre Zeit der Beginn einer grossen Uebergangs-Epoche, einer Periode, in welcher sich die definitive Erringung politischer und wissenschaftlicher Freiheit vollzieht, während gleichzeitig Keime eines neuen geistigen Lebens Boden fassen, welches von dem Makel der Tyrannei geläutert emporspriesst: dann wird mein Wort seinen Boden finden. Meine Absicht ist, im Sinne der Aufklärung und Versöhnung auf meine Zeitgenossen zu wirken, aber nicht die Augen von den grossen Kämpfen abzuwenden, die den nächsten Generationen bevorstehen. Je blinder wir im Strudel der Zeit diesen Kämpfen entgegentreiben, desto leidenschaftlicher und verwüstender müssen sie werden. Es ist nicht Zufall, wenn ich meine Arbeit mit einem Abschnitt über praktische Fragen beschliesse; vielmehr liegt es in der Natur und Consequenz meiner ganzen Kritik, dass sie auf eine rein praktische Lösung jener Fragen hinweist, die der Materialismus unsrer überlieferten Denkweise entgegenwirft. Ich sehe in der Geschichte des Materialismus eine Geschichte der berechtigten Reaktionen des Verstandes und der Sinnlichkeit gegen das Wuchern der Ideendichtung, zugleich aber auch die Geschichte der einfachsten und consequentesten Naturauffassung, welche dem Menschen, so lange er nicht über die Natur der Sinnenwelt ins Klare kommen konnte, überhaupt möglich ist. Eben weil die kräftigste Reaktion gegen den Idealismus sich immer wieder an die einfache Auflösung der Welt in Atome und ihre Bewegung angeknüpft hat, glaubte ich auch in der Geschichte grade dieser ganz bestimmten Weltanschauung ein Mittel zur allmähligen Entwicklung einer Kritik zu finden, die dem Verstand und den Sinnen ihr volles Recht zu wahren, aber dennoch einen weiteren, alle menschlichen Bestrebungen umfassenden Gesichtskreis zu gewinnen und zu behaupten sucht. Man wird es deshalb erklärlich finden, dass ich nicht ausführlicher auf die Erscheinungen des pantheistischen Naturalismus eingehen konnte, die man so häufig mit dem Materialismus zusammenwirft. Eher wäre eine ausführlichere Berücksichtigung der Skepsis an der Stelle gewesen, doch wird man für diese Unterlassung in dem Abschnitt über Kant, sowie in manchen Bemerkungen zu Hume, Comte und Andern einigen Ersatz finden. Materialismus und Skepticismus stellt auch Kant stets zusammen, wo er von denjenigen philosophischen Richtungen spricht, welche rein dem Verstand und den Sinnen entstammen; ihnen gegenüber ist der Pantheismus schon eine Form des Idealismus.

Nicht minder liegt es im ursprünglichen Plane, die Geschichte des Materialismus für die Periode nach Kant in eine Kritik der Naturwissenschaften mit eingehender Berücksichtigung der wichtigsten Streitfragen auslaufen zu lassen. Hier erst kann sich die auf geschichtlichem Wege gewonnene Anschauung bewähren, und hier ist auch der einzig fruchtbare Angriffspunkt, um dieser Anschauungsweise einige Geltung unter dem lebendigen Theile der Zeitgenossen verschaffen zu können. Allerdings hatte ich ursprünglich vor, auch dem gegenwärtigen materialistischen Streit ein eignes literarischkritisches Kapitel zu widmen; allein je mehr Streitschriften ich las, desto undankbarer erschien mir für mich und den Leser diese Beschäftigung. Allerdings sind sehr viele unsrer heutigen Polemiker an Bildung, Gewandtheit und Beherrschung des positiven Wissens unsrer Zeit den Knutzen, Frantzen, Tralles und wie die biedern Kämpen des vorigen Jahrhunderts alle heissen, weit überlegen; allein diese letzteren haben den Vorzug, gewissermassen als Typen ganze mächtige, wenn auch im Hinschwinden begriffene Zeitrichtungen zu vertreten. Unsre gegenwärtigen Bekämpfer des Materialismus bieten aber, sowohl im Ganzen, als auch die meisten Einzelnen für sich genommen, ein solches Bild von Zerfahrenheit und Verschwommenheit dar, dass sie fast in nichts, als in der Negation des Materialismus übereinstimmen und mit Ausnahme einiger ultramontanen Produkte nicht einmal eine mächtige Partei oder eine weit verbreitete Zeitrichtung vertreten. Es ist diese ganze Polemik auch nur ebenso ein Symptom der Zersetzung aller Grundanschauungen in unserm Zeitalter, wie der Materialismus und seine Ausbreitung selbst. Einem einzigen der theologischen Gegner des Materialismus, Fabri nämlich, möchten wir hier aus besondrem Grunde noch einige Worte widmen. Sind auch seine viel gelesenen Briefe über den Materialismus eins der deutlichsten Beispiele jener Zerfahrenheit und inneren Hohlheit, welche fast diese ganze Literatur charakterisirt, so möchten wir doch einen Angriff nicht unerwähnt lassen, der sich ausdrücklich gegen ein Princip wendet, dem wir, freilich in einem viel weiter gehenden Sinne als Fabri es verstand, die höchste Wichtigkeit zuschreiben. Fabri richtet gegen die »moderne Rede von einem Gegensatze des Glaubens und des Wissens« seinen achten Brief. Nach einer Einleitung über das Verhältniss der Reformation zu dieser Frage kommt er zu der Behauptung, es handle sich bei der Apologie der christlichen Wahrheit nicht um einen Kampf des Wissens mit dem Glauben, sondern um einen Kampf des religiösen Glaubens mit dem irreligiösen Glauben, oder um den Kampf des religiösen Wissens mit dem irreligiösen Wissen. Die Trennung von Glauben und Wissen, welche doch geschichtlich von Gläubigen ausging, hält er für eine Schalkheit der Kinder dieser Welt »Die Operation ist klug,« meint er, »und die Autorschaft dieser listigen Taktik reicht wohl noch etwas weiter, als in das phosphorescirende Gehirn Feuerbachs und seiner Freunde.« Nach diesen unnützen Verdächtigungen folgt ein überraschendes Geständnis des eignen Unglaubens: » Lasst euch nur erst die Natur entreissen und zur unbestrittenen Domäne eines gottleugnenden Materialismus werden, lasst diese Ueberzeugung in der Menge sich ungestört befestigen – nun so werdet ihr mit dem gar freundlich Euch überlassenen Gebiete des blinden Köhlerglaubens nicht nur wenig Zeichen und Wunder mehr thun, sondern auch mehr und mehr, wo ihr anklopft, als die Betrogenen lächelnd die Thüre gewiesen bekommen.« Der Apostel Paulus sagt 1. Cor. 2, 2-5: »Denn ich hielt mich nicht dafür, dass ich etwas wüsste unter euch, ohne allein Jesum Christum, den Gekreuzigten. Und ich war bei euch mit Schwachheit und mit Furcht und mit grossem Zittern. Und mein Wort und mein Reden war nicht in vernünftigen Reden menschlicher Weisheit, sondern in Beweisung des Geistes und der Kraft, auf dass euer Glaube bestehe nicht auf Menschen Weisheit, sondern auf Gottes Kraft.« Diesen Standpunkt hält das neue Testament überall fest, und die Reformation war vollkommen consequent, wenn sie den Glauben als einen Akt rein geistiger Verbindung mit Gott festhielt und aus der Wissenschaft ruhig werden liess, was unter dem Einfluss des Geistes Christi daraus werden musste. Jeder Versuch, dem Glauben durch naturwissenschaftliche Erörterungen Bahn zu machen, ist dem Geist Christi und der Apostel zuwider, und wenn er vollends mit einem Zweifel an der genügenden Wirksamkeit des schlichten, nicht wissenschaftlichen Köhlerglaubens verbunden wird, so ist er eben nur ein Symptom der inneren Haltlosigkeit des Apologeten. Allerdings kann man der Ausbreitung der weltlichen Wissenschaft durch hinterlistige Angriffe auf ihrem eignen Gebiet, die nur Verwirrung bezwecken und nichts Positives an die Stelle setzen, sehr nachtheilig sein; man kann auch durch solches Treiben dem äusseren Kirchenthum Vorschub leisten, da dies sich immer auf eine grosse Masse stützt, die weder lebendigen Glauben noch gediegenes Wissen hat; alle diese Rücksichten sind jedoch ein blosses Zeichen des Verfalls, denn der lebendige Glaube treibt nicht nur sein Werk direkt durch »Beweisung des Geistes und der Kraft,« sondern er imponirt auch den Massen, die sein inneres Wesen noch nicht begreifen, weit wirksamer, als die Entfaltung einer Vielwisserei, von der ohnehin Jeder weiss, dass sie dem Wissen der ungläubigen Fachmänner eben doch nicht gleichkommt. Wenn daher Fabri klagt, dass die Mehrzahl der heutigen Christen zwischen dem Heidenthum des Kopfes und dem Christenthum des Herzens in der Schwebe bleibt, so müssen wir vor allen Dingen ihn selbst dieser Mehrzahl zuzählen, denn ein solcher Zwiespalt lässt sich nicht mit den dürftigen Sophismen flicken, die Fabri uns über Glauben und Wissen vorbringt. Er versucht zuerst einen biblischen Beweis, indem er es nach Art der Sophisten wohlweislich unterlässt, die vielen gegen ihn sprechenden Stellen zu erwähnen, deren eine wir oben angeführt haben. Vielmehr dreht sich sein ganzer Beweis darum, dass nach Aussage der Schrift aus dem Glauben nicht nur Friede und Freude folgt, sondern auch Licht und Weisheit. Er führt jedoch keine einzige Stelle an, in welcher sich die aus dem Glauben folgende Stärkung der Vernunft auf weltliche und wissenschaftliche Dinge bezöge; dafür vollends, dass ein Wissen über die Natur zur Sicherung des Glaubens erforderlich wäre, wird auch nicht einmal ein Scheinbeweis geführt. Sodann will Fabri auf speculativem Wege darthun, dass alles Wissen überhaupt auf dem Glauben beruhe und dass das christliche Wissen in derselben Weise auf dem christlichen Glauben beruhe, wie jedes Wissen auf einem ihm entsprechenden Glauben. Er meint, auch der radikalste Unglaube habe mit dem Christenthum und überhaupt jeder positiven Religion ein und dasselbe Erkenntnissprincip gemein – das Princip des Glaubens. Er beruft sich auf Pilgram, welcher den Ungläubigen einen Widerspruch vorwirft, weil sie auf religiösem Gebiet dasselbe reale Erkenntnissprincip (den Zeugnissglauben) verwerfen, welches sie sonst überall praktisch anerkennen und thatsächlich verfolgen. Wären diese Argumente richtig, so würde jeder Glaube schon als solcher wahr sein; es würden auch, ganz wie die alten Sophisten lehrten, entgegengesetzte Behauptungen gleich wahr sein können, sobald sie sich nämlich auf das Princip des Glaubens stützten. Das Sophisma Pilgrams beruht auf dem Taschenspielerkunststückchen einer Vertauschung von Subjekt und Prädikat im Obersatz des Schlusses, einem Kunststück, das den Logikern viel zu plump erschienen ist, um es unter den Formen der Trugschlüsse einer besondern Behandlung zu würdigen. »Alles begründete Wissen ruht auf Glauben.« Nun ruht der Inhalt der Religion auf Glauben; ergo ist er ein begründetes Wissen.« Und um dies Stückchen anwendbar zu machen, musste Fabri erst noch den Begriff des Glaubens so ungebührlich erweitern, dass er sogar die unmittelbare Selbstgewissheit des Denkens, sofern wir bloss von der Wirklichkeit unsres Denkens, abgesehen von dessen Inhalt, Ueberzeugung haben, mit zum Glauben rechnet. Es ist aber klar, dass der Glaube in dieser Allgemeinheit ebensowohl das Fundament des Irrthums wie des Wissens der Wahrheit ist, und dass sonach das Kriterium des Wahren nicht wieder der Glaube sein kann.

Gerne hätte ich die ethischen und politischen Wissenschaften in derselben Ausführlichkeit wie die Naturwissenschaften in ihrem Verhältniss zum Materialismus geprüft, und namentlich in diesem Theil eine Kritik der Volkswirtschaft, für welche die Grundgedanken längst bei mir feststehn, in rein theoretischer Weise gegeben; allein hier musste ich nicht nur der dringenden Nothwendigkeit der Abkürzung huldigen, sondern ich fürchtete auch einigermassen unwillkürlich zu tief in specielle Streitfragen zu gerathen, die mich in den letzten Jahren in Folge meiner Thätigkeit auf dem socialen Gebiete lebhaft beschäftigt haben. So wurde dieser ganze Theil denn nun mit dem Abschnitt über praktische Fragen verschmolzen. Sollten dadurch einige wesentliche Momente meiner Kritik einen unverdienten Schein von Subjektivität erhalten, so muss ich mir das einstweilen gefallen lassen und hoffen, dass die wichtigsten Gedanken dieser Kritik, die mir nun einmal in unsrer Zeit zu liegen scheinen, bald von einem befähigteren Arbeiter in anderm Zusammenhang zur Geltung gebracht werden mögen. Dass der Behandlung der praktischen Fragen selbst eine stark subjektive Färbung mit Nothwendigkeit anhaften muss, folgt aus meiner eignen in diesem Werk so oft dargelegten Grundanschauung. Ich hoffe nur auch hier nicht ganz vereinsamt zu stehen, und den Gesinnungen eines grösseren oder kleineren Kreises Ausdruck zu geben. Es werden vielleicht nicht die Klügsten sein, die es mit mir halten, aber gewiss nicht die Schlechtesten.

In Beziehung auf die historisch-literarischen Grundlagen meiner Arbeit bemerke ich, dass ich natürlich den Anforderungen an eine geschichtliche Monographie im Ganzen nicht entsprechen konnte und wollte; weil ich dann nicht die Verbindung zwischen den Resultaten verschiedner Zweige des Wissens und der Lebenserfahrung hätte herstellen können, die ich zur Lösung meiner Aufgabe bedurfte. Was auf der einen Seite gewonnen wurde, musste auf der andern geopfert werden. Anderseits ist meine Arbeit auch keine bloss secundäre. Meine Detailstudien reichten immerhin aus, um mich für die wichtigsten Angelpunkte: Lucrez, Gassendi, Hobbee, De la Mettrie u. a. völlig unabhängig zu machen und mir ein begründetes Urtheil über die Grenzen der Brauchbarkeit der wichtigsten Vorarbeiten zu verschaffen. Wo ich solche benutzt habe, ist es in der Regel im Text durch ein eingeflochtenes Wort der Anerkennung oder Beziehung angedeutet. Anmerkungen und Citate entsprachen dem Zweck meiner Arbeit nicht.

In der Kritik der einzelnen Wissenschaften konnte ich nicht umhin, öfter ein Resultat eigner Studien vorzubringen, ohne dass der Zusammenhang eine ausführliche Begründung erlaubt hätte. Hinsichtlich der mathematischen Psychologie Herbarts habe ich mir durch eine besondre kleine Broschüre geholfen; einige Punkte der Volkswirtschaft finden in meinen socialpolitischen Flugschriften Erwähnung; bei manchen andern Fragen verlasse ich mich darauf, dass ich nach Kräften in der Richtung des thatsächlichen Fortschritts der Wissenschaften vorgegangen bin, und dass ich daher von besser gerüsteten Nachfolgern eher eine Bestätigung hoffen, als eine Zurechtweisung fürchten darf.

Duisburg im Oktober 1865.
A. Lange.


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