Artur Landsberger
Emil
Artur Landsberger

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Einundzwanzigstes Kapitel
Auf Tod und Leben

Die Reform war unter Dach und Fach. Emil rüstete mit Paula und Anton zum Aufbruch. Der Minister hatte ihm in Anerkennung seiner Arbeit und Verdienste einen längeren Urlaub bewilligt.

Von Coeur-As sprach niemand mehr. Der Baron sah unter Konstanzes Pflege in einer Schweizer Nervenanstalt seiner völligen Genesung entgegen. In der Villa traf Redlich bereits die ersten Vorbereitungen zur Hochzeit. Emil hielt seine freundschaftlichen Beziehungen zu Konstanze aufrecht. Paula wußte davon – wie sie nun alles wußte, was Emil tat. Seit ein paar Wochen fehlte sie, wo man sie sonst zu sehen gewohnt war. Sie hat eine Stellung angenommen, hieß es. Aber man wußte weder als was noch wo.

Je weniger man von Coeur-As sprach, um so mehr war die Rede noch immer von den Schrullen des Oberstaatsanwalts Spicker. Seine Verhältnisse ermöglichten ihm eine Lebensführung großen und eigenen Stils, und er kümmerte sich nicht viel um das, was über ihn geredet wurde. Seit kurzem hatte er eine Dame ins Haus genommen, die der Wirtschaft vorstand, aber so hübsch und schick war, daß liebe Nachbarsleute nicht recht an ihre hausfraulichen Funktionen glaubten. Hätten sie tieferen Einblick in das gehabt, was im Hause vorging, so hätten sie sich zwar vermutlich auch weiterhin die Mäuler zerrissen, obschon sie sich leicht davon hätten überzeugen können, daß die Beziehungen zwischen der hübschen Hausdame und dem Oberstaatsanwalt durchaus korrekte waren – womit nicht gesagt ist, daß der Staatsanwalt nicht alle seine Künste springen ließ, um die dem Haus gewonnene Dame auch seinem Herzen zu gewinnen. Mehr als einmal glaubte er am Ziel zu sein – im entscheidenden Moment aber siegte stets die Tugend, von der der Oberstaatsanwalt im Laufe der Zeit so stark beeindruckt war, daß er allen Ernstes daran dachte, die Hausdame zu seiner Frau zu machen.

Oder war es weniger ihre Tugend und mehr sein Wunsch des Besitzes, der diesen Gedanken in ihm wach werden ließ? Jedenfalls wußte er, daß dieser Besitz nur zu erreichen war, wenn er als Preis die Ehe bot.

Er war entschlossen, es darauf ankommen zu lassen. – Es war nach dem Diner. Oberstaatsanwalt Spicker saß, wie jeden Abend, mit seiner Hausdame in der Halle an dem runden Tisch, auf dem Obst, Liköre, Wein und Süßigkeiten standen. Sie war in kleiner Abendtoilette ohne Schmuck, er im Smoking. – Der Diener zog die hohen Gardinen vor die Fenster und knipste das Licht aus. Nur die Stehlampe neben dem runden Tisch blieb brennen.

»Daß Sie die Dunkelheit so lieben,« sagte sie, und er erwiderte:

»Ich finde, es ist so gemütlicher.«

Sie wandte sich an den Diener:

»Vergessen Sie nicht, die Türen abzuschließen.«

»Es ist bereits geschehen,« erwiderte der, verbeugte sich und ging.

Als er draußen war, sagte Spicker:

»Sie sind seit ein paar Tagen so ängstlich.«

»Das kommt Ihnen nur so vor,« erwiderte sie, obschon ihr die Unruhe deutlich auf dem Gesicht stand.

Er nahm ihre Hand und sagte:

»Sie zittern ja!«

»Wundert Sie das? Lebt man bei Ihnen nicht ständig in Angst?«

»Ich liebe die Gefahr und suche sie – aber ich kann sie nicht finden.«

»Sie haben einen Preis von zwanzigtausend Mark für den ausgesetzt, der Ihnen ein Abenteuer verschafft, auf das Sie nicht hineinfallen. An Versuchen hat es nicht gefehlt, Sie haben sie sämtlich bestanden.«

»Wissen Sie auch, daß ich, als Sie vor drei Wochen in mein Haus kamen, glaubte, daß Sie sich den Preis verdienen wollten?«

Sie entfärbte sich.

»Ich mir?« erwiderte sie. »Wie kommen Sie darauf? Mich reizte es, den Mann kennenzulernen, der dies gefährliche Preisausschreiben erließ. Deshalb suchte ich Sie auf. Daß Sie mir den Vorschlag machen würden, als Hausdame bei Ihnen einzutreten, daran habe ich niemals gedacht.«

Spicker legte den Arm um ihre Schulter und sagte zärtlich:

»Und wenn ich durch dies Preisausschreiben nur Sie gewinnen würde, so hätte es sich gelohnt.«

»Wie lieb Sie sind.«

»Und doch werde ich das Gefühl nicht los, daß ich durch Sie noch ein Abenteuer erlebe.«

»Ich wüßte wirklich nicht, wie das geschehen sollte.«

»Nun, so ganz aus der Welt liegt es doch wohl nicht. Haben Sie mir nicht selbst einmal erzählt, daß Sie Männer lieben, die etwas wagen?«

»Mag sein. Aber das bedeutet noch lange nicht, daß ich die Absicht habe, Sie in Abenteuer zu stürzen.

»Täten Sie es nur.«

»Wünschen Sie es sich nicht,« sagte sie erregt. – Im selben Augenblick läutete draußen das Telephon.

»Johann hat wieder einmal vergessen, das Telephon umzustellen,« sagte Spicker, stand auf und ging hinaus. – Kaum war er draußen, veränderte sich der Gesichtsausdruck der Hausdame. Sie sah ihm nach und sagte spöttisch:

»Dir kann geholfen werden.« – Dann stand sie auf, sah noch einmal nach der Tür, durch die Spicker hinausgegangen war, eilte hastig zur Flurtür, schloß sie auf, öffnete sie behutsam und ließ einen elegant gekleideten, nicht mehr jungen Menschen, der Brille und Vollbart trug, eintreten. Ohne Begrüßung fragte er hastig:

»Ist er am Telephon?«

»Ja!«

»Ausgezeichnet! Ist der Diener zu Bett?«

»Ja!«

»Geh zu ihm hinein und leg' ihm die Maske auf.« – Er steckte ihr einen Gegenstand zu.

»Großer Gott!« rief sie erschrocken.

»Ruhe! Er wird ein paar Stunden lang so fest schlafen, daß er nichts hört, im übrigen aber keinen Schaden an seiner Gesundheit nehmen.«

»Wenn du nicht die Wahrheit sagst!«

»Tu, was ich dir befehle!« wiederholte er bestimmt und merkte so wenig wie sie, daß Spicker leise in die Tür getreten war und die Szene miterlebte. – Sie schmiegte sich an ihn und sagte:

»Ich tue alles, wenn du mir schwörst, nie wieder mit Konstanze zusammenzukommen.«

»Jetzt ist keine Zeit für Eifersuchtsszenen.«

»Schwör es mir,« bettelte sie.

»So wahr ich mir hier die zwanzigtausend Mark verdienen werde.« Er hielt ihr die Hand hin und sie schlug ein.

»Und nun geh!« drängte sie. »Er wird gleich wieder hier sein.« Und während sie ihn zur Flurtür hinausschob, wiederholte sie: »Du hast mir geschworen.«

»Mein Ehrenwort!«

Noch einmal drückte sie ihm die Hand und sagte:

»Ich glaube dir.«

Und während sie die Tür abschloß, ging auch Spicker wieder in das Innere der Wohnung.

Sie setzte sich wieder genau so hin, wie sie beim Hinausgehen Spickers gesessen hatte, wandte sich zur Tür und rief:

»Herr Oberstaatsanwalt, wo bleiben Sie denn?«

»Ich bin schon da!« – Er trat wieder auf die Diele und setzte sich an den runden Tisch, als wenn nichts geschehen wäre.

»Und wer hatte Sie so spät noch dringend zu sprechen?« fragte Paula und tat eifersüchtig.

»Eine Frau!«

»Natürlich!«

»Die mich kennenlernen will.«

»Und Sie haben selbstredend zugesagt?«

»Ich habe sie an Sie verwiesen.«

»An mich?« fragte sie unsicher.

»Nun ja, Sie sollen sie sich ansehen. Sie kennen doch meinen Geschmack.«

»Gern!«

»Es würde Ihnen also nicht weh tun, wenn ich mich in eine andere verliebte?«

»Sonderbare Frage!«

»Sie meinen es doch gut mit mir – und ehrlich?«

»Zweifeln Sie daran?«

Am Schloß wurde gerüttelt. –

»Was war das?« fragte Spicker. »Haben Sie nichts gehört?«

Paula tat erschrocken.

»Mir war auch so, als wenn sich jemand an der Tür zu schaffen machte,« erwiderte sie. Im selben Augenblick setzte der Lärm wieder ein. »Da – schon wieder!«

Spicker wandte sich zur Tür, zog einen Browning aus der Tasche. »Nun, wir wollen ihm einen warmen Empfang bereiten.«

»Sie werden doch nicht schießen?«

»Sie meinen, ich soll ihn zu einem Glas Sekt einladen?«

Das Geräusch an der Tür wurde immer lebhafter. Paula flüchtete zu Spicker, der auf die Tür zuging, und sagte:

»Wenn es nun gar keine Einbrecher sind?«

»Wer sollte es denn sonst sein?«

»Denken Sie an Ihr Preisausschreiben.«

Der Oberstaatsanwalt stutzte:

»Sie meinen . . .?«

»Ich weiß nicht, aber es wäre doch möglich.«

»Ein fingierter Einbruch?« – Sie standen jetzt dicht beieinander. »Unter Ihrer Assistenz etwa?«

Sie prallte entsetzt zurück und fragte:

»Wie kommen Sie darauf?«

»Ich lese es Ihnen vom Gesicht ab.«

»Sie irren.«

»Schade, daß Sie es mir verraten haben,« erwiderte er überlegen. »Vielleicht wäre es diesmal ein Abenteuer geworden.«

»Was wollen Sie tun?« fragte sie ängstlich.

»Das werden Sie gleich sehen.«

Er stand jetzt unmittelbar vor der Tür.

Paula versuchte, ihn zurückzuhalten.

»Nicht! nicht!« bettelte sie.

Aber er schloß auf – und vor ihm stand verdutzt der nicht mehr junge Mann, den er mit übertriebener Höflichkeit begrüßte:

»Bitte! treten Sie näher!« – und da der Mann zögerte, so fuhr er fort: »aber so kommen Sie doch und tun Sie ganz, als wenn Sie zu Hause wären.«

Der Mann, der behutsam eintrat, sah sich zur Tür um.

»Ah so! Sie sind nicht allein!« sagte Spicker, trat selbst in die Tür und rief hinaus: »Darf ich bitten?«

Ängstlich trat ein Mann ein, der die Ballonmütze so tief nach vorn geschoben hatte, daß man von seinem Gesicht nicht viel sehen konnte. Er hatte eine große Handtasche im Arm und sah sich verblüfft um.

Der Oberstaatsanwalt trat an ihn heran und streckte ihm die Hand hin. Der immer verdutzter dreinschauende Mann schlug zögernd ein.

»Willkommen! Spicker ist mein Name und die Dame brauche ich Ihnen wohl nicht erst vorzustellen. Bitte, legen Sie ab.« – Und während er die Tasche betrachtete, sagte er: »Ein bißchen klein der Koffer! Finden Sie nicht? für die vielen Sachen, die hier herumstehen?«

Der nicht mehr junge Mann, der den Spott nicht länger ertrug, trat jetzt dicht an Spicker heran, zog den Revolver aus der Tasche und sagte:

»Nun wird mir das zu dumm!« Er kommandierte: »Hände hoch!«

»Mit dem größten Vergnügen,« erwiderte Spicker und hob die Arme in die Höhe.

»Glauben Sie, daß wir uns von einem wie Sie bluffen lassen?« tobte der junge Mann.

»So wenig wie ich mich von Ihnen.«

»Das wird sich ja zeigen.«

»Sie geben also zu, daß dieser Einbruch fingiert ist?«

Der nicht mehr junge Mann stellte sich verdutzt und fragte:

»Herr! Wie kommen Sie darauf?«

Spicker ließ den Arm sinken, griff nach der Tasche des Mannes und zog daraus ein Manuskript hervor, das aus der inneren Rocktasche hervorsah, warf einen Blick darauf und rief: »weil Einbrecher keine kurbelfertigen Filmmanuskripte bei sich zu tragen pflegen.«

Der Mann tat erschrocken und sagte:

»Kann das nicht auch gestohlen sein?«

Jetzt zog ihm Spicker aus der oberen Rocktasche eine blaue Brille, hielt sie hoch und sagte:

»Und diese Schutzbrille gegen Jupiterlampen?«

Er tat bestürzt und rief:

»Allmächtiger!«

»Sie geben nun zu, daß Ihr und Ihres Freundes nächtlicher Besuch den ausgesetzten zwanzigtausend Mark gilt?«

»Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als es einzugestehen.«

»Also wieder einmal abgeblitzt,« triumphierte Spicker. »Sie können sich trösten, Sie sind Nummer zwölf!«

Jetzt mischte sich Paula hinein und sagte:

»Nun, Herr Oberstaatsanwalt, diesmal habe ich Ihnen den Tip gegeben.«

»Gewiß! Aber ich hätte es auch ohne Sie gemerkt.«

Und als Paula fragte:

»Wieso?« wies er auf die beiden und erwiderte:

»Sehen so Einbrecher aus? Jedenfalls danke ich für Ihre gute Absicht. Aber wenn Sie wieder einmal eine Überraschung für mich haben, dann strengen Sie bitte Ihren Kopf etwas mehr an.«

Nicht ohne Spott, mit Seitenblick auf den nicht mehr jungen Mann, erwiderte Paula:

»Ich verspreche es Ihnen. Sie sollten aber großzügig sein und die Herren für ihren Mißerfolg durch ein Glas Sekt entschädigen.«

»Das ist ein guter Gedanke. Damit Sie Ihre Nachtruhe nicht umsonst geopfert haben.«

»Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen,« erwiderte der nicht mehr junge Mann, wandte sich zu dem anderen Einbrecher und sagte: »Ich glaube, wir nehmen an.«

Paula, die inzwischen unauffällig hinausgegangen war und jetzt mit einer Flasche Sekt wieder hereinkam, sagte zu Spicker, obschon es dem andern galt:

»Der Diener schläft so fest, daß wir die Herren selber bedienen müssen.« – Spicker nahm ihr die Flasche ab und goß ein. »Trinken wir auf das Wohl des Oberstaatsanwalts, des Unbesiegbaren,« sagte Paula.

Sie setzten sich, stießen an und tranken.

Dann sagte Spicker:

»Und nun verraten Sie mir auch, wie Sie sich Ihre Tätigkeit hier eigentlich gedacht hatten?«

»Sehr einfach,« erwiderte der nicht mehr junge Mann: »Wir wollten Sie gründlich ausplündern, Sie bedrohen und derart in Angst versetzen, daß Sie auf den Knien um Ihr Leben gebettelt hätten.«

Der Oberstaatsanwalt schüttelte sich vor Lachen.

»Und Sie haben wirklich geglaubt, daß Ihnen das gelingen würde?«

»Nun, wo ich das Vergnügen habe, Sie persönlich zu kennen, zweifle ich allerdings daran.«

»Und angenommen, es wäre Ihnen gelungen. Kein Mensch auf der Welt hätte es Ihnen geglaubt.«

»Das haben wir uns auch gesagt und deshalb Vorkehrungen getroffen.«

»Da bin ich aber wirklich neugierig.«

»Was glauben Sie, was darin ist?« fragte er und wies auf die große Tasche.

»Ah! Ich verstehe! Ihr Apparat!«

»Erraten! – Wir hätten während der wesentlichen Momente den Kurbelkasten in Bewegung gesetzt.«

»Prachtvoll! Und ich, der gefürchtete Staatsanwalt, wäre, auf den Knien rutschend, einem begeisterten Kinopublikum gegen Entree vorgeführt worden? Wissen Sie, die Idee ist so fabelhaft, daß es mich reizt, sie in die Tat umzusetzen.«

»Das wollte ich eben vorschlagen,« sagte Paula.

»Sie wollten das vorschlagen?«

»Ja! Sie als Sieger haben geradezu ein Recht darauf, daß der Film gedreht wird.«

»Aber so wie ich ihn haben will.«

»Selbstredend!«

Der nicht mehr junge Mann widersprach:

»Ich meine, wir sind gerade blamiert genug.«

»Den Triumph sind Sie mir schuldig,« erklärte Spicker.

»Gut, ich habe Humor genug, darauf einzugehen.«

»Sie brechen also bei mir ein, genau so, wie Sie es beabsichtigt hatten – nur die Rolle, die Sie mir zugedacht hatten, wird nicht ganz Ihren Wünschen entsprechend ausfallen.«

»Ich muß mich damit abfinden,« erwiderte er, während der andere Einbrecher den Apparat aufstellte. »Sie ziehen sich also aus und kommen, sobald Sie hören, daß ich mir am Schloß zu schaffen mache, aus Ihrem Schlafzimmer nach vorn gestürzt – den Revolver in der Hand – Sie haben doch einen?«

»Selbstredend.« Er zog den Browning aus der Tasche. »Der geht durch sechs Mann!«

»Ausgezeichnet!« erwiderte er und nahm den Browning, entfernte das Magazin und sagte: »Damit Sie im Eifer des Gefechts das Spiel nicht für ernst nehmen und aus Versehen Unheil anrichten, will ich die Munition lieber herausnehmen. So!« – Mit diesen Worten gab er Spicker, der sich meisterhaft beherrschte, den entladenen Revolver zurück.

»Und Sie? Wessen Geliebte werden Sie spielen?« fragte Spicker, als er hinausging.

»Ihre natürlich!« erwiderte sie.

»Und wenn Sie hereinkommen,« rief der nicht mehr junge Mann ihm nach: »Bitte, achten Sie darauf, daß Sie immer vor dem Apparat bleiben.«

»Ich will mich bemühen.«

Er war kaum draußen, da sagte der Mann mit der Brille:

»Ich finde, es entwickelt sich ganz programmmäßig.«

»An sich schon,« erwiderte Paula – »und doch ist mir ganz unheimlich zumute.«

Er beruhigte sie und sagte:

»Geh nun auf dein Zimmer und zieh dich aus.«

Paula gehorchte und ging, während er seinem Gehilfen befahl, ihm eine alte Joppe, ein Halstuch und eine Mütze zu geben, die er mit seinen Sachen vertauschte.

»Sobald er kommt, kurbelst du und richtest den Apparat immer nach der Stelle, wo wir stehen.«

»So'n Film wird doch mal alle.«

»Unserer eben nicht. Er ist kein Fachmann – und dann werde ich schon dafür sorgen, daß er seine Gedanken wo anders hat.«

Während er sich umzog, löschte der andere, der – wie ihr längst erraten habt – kein anderer als Anton war, das Licht und ging dann zum Fenster. Er gab mit seiner Taschenlampe Zeichen nach unten, woraufhin ein Kopf am Fenster erschien. Er öffnete behutsam und sagte:

»Es klappt! Du kannst gehen.«

Daraufhin verschwand der Kopf wieder. Er schloß das Fenster und wandte sich wieder in das nun fast dunkle Zimmer, in dessen Hintergrund sein Begleiter am Kurbelkasten stand.

»Also du kurbelst, sobald er kommt, und achtest darauf, daß wir beide in den Apparat kommen.«

Dann nahm er die Einbruchswerkzeuge auf und ging zur Flurtür hinaus.

Gleich darauf erschien in der Tür Spicker. Er trug ein schwarzweiß seidenes Pyjama und hielt den Revolver in der Hand.

»Kreuzdonnerwetter!« polterte er. »Warum fangt ihr denn nicht an? Ich werde eiskalt.«

Im selben Augenblick knatterte es draußen am Schloß.

»Aha! Jetzt geht's los!« sagte er. – Und da der Lärm immer lauter wurde, schalt er »der Kerl ramponiert mir ja die ganze Tür – da will ich doch lieber . . .« Als er eben zur Tür gehen wollte, krachte die lärmend auf – und der nicht mehr junge Mann, als Verbrecher gekleidet, stürzte mit Revolver und Lampe in der Hand ins Zimmer, und rief:

»Hände hoch!«

Der andere kurbelte wild darauf los.

»Halt!« rief der Oberstaatsanwalt, »das ist abgedroschen! Im übrigen: die Texte zu dem Film mache ich! – Und dann halten Sie die Lampe so, daß das Licht auf das Bild fällt. – Also nochmal die Szene! – Ich steh', von dem Lärm wach geworden, in der Mitte des Zimmers, und Sie stürzen auf mich los. Achtung! Aufnahme!« rief er dem Mann am Kasten zu.

Der andere ging bis zur Tür zurück und stürzte nun auf Spicker zu, so daß sich beide mit erhobenen Revolvern gegenüberstanden.

In diesem Augenblick kam Paula ins Zimmer und warf sich entsetzt zwischen beide. Sie deckte den Staatsanwalt und rief:

»Großer Gott!! Schonen Sie ihn!«

»Ausgezeichnet!« sagte Spicker. »Das macht sich sehr gut! Davon machen wir eine Großaufnahme.«

Der Apparat wurde herangerückt und aus nächster Nähe gekurbelt.

Der nicht mehr junge Mann schob Paula zur Seite und rief:

»Aus dem Wege! Zünde das Licht an!«

Aber Spicker widersprach:

»Herr! Sie haben nicht das mindeste Talent zum Einbrecher! Erst müssen Sie mich doch außer Gefecht setzen.«

»Sie sind es schon!« erwiderte er in dem nun hellen Zimmer und zog einen Knebel aus der Tasche, den er Spicker tief in den Mund stieß.

Spicker stutzte im ersten Augenblick, zwang sich aber zu lächeln, selbst jetzt noch, als der Mann aus der Tasche einen Strick hervorholte. Er versuchte, den Knebel mit der Hand zu entfernen, bekam aber im selben Augenblick einen so kräftigen Schlag auf die Hand, daß der Arm herabsank.

Spicker erhob jetzt den Revolver, erinnerte sich aber im selben Augenblick, daß der andere das Magazin entfernt hatte, zuckte zusammen und schloß für einen Moment die Augen.

Jetzt warf ihm der Mann die Schlinge um, so daß er die Arme nicht mehr bewegen konnte, und während er die Schlinge fester zog, gab er dem andern ein Zeichen, ihm den Knebel aus dem Mund zu nehmen.

Spicker hatte sich wieder in der Gewalt. Und es klang fast ungezwungen, als er jetzt sagte:

»Das haben Sie wirklich gut gemacht, meine Herrschaften!«

»Wir sind erst am Anfang!« erwiderte er. »Sie haben doch nichts dagegen, wenn wir Sie jetzt dort an die Säule binden? – Das macht sich im Film besser.«

»Bitte sehr! – Aber Sie kurbeln ja gar nicht.«

»Das kommt noch, wir müssen die Szene erst einmal so durchgehen.«

»Warum haben Sie mir denn vorhin den Knebel in den Mund gesteckt?«

»Weil die Möglichkeit bestand, daß Sie den kleinen Spaß falsch auffaßten und um Hilfe riefen!«

Paula, die nicht wagte, den Oberstaatsanwalt anzusehen, meinte:

»Das wäre für den Film am Ende auch das Natürliche gewesen.«

»Es wäre mir gar nicht eingefallen,« erwiderte Spicker. »Denn dadurch, daß ich alles ohne Widerstand geschehen ließ, zeigte ich ja, daß ich den Bluff durchschaute und mich über euch lustig machte.«

»Daran tun Sie ganz recht,« sagte der nicht mehr junge Mann und zog den Strick, mit dem er ihn an die Säule gebunden hatte, fester, »und erleichtern uns die Arbeit.«

»Ich brauchte jetzt ja nur meinen Diener zu rufen.«

»Wie mir scheint, hat er einen sehr festen Schlaf,« erwiderte er, während Spicker sich an Paula wandle und fortfuhr:

»Oder Sie hinauszuschicken, um das Haus zu alarmieren.«

Der Mann überlegte einen Augenblick und sagte dann:

»Bitte sehr, es steht Ihnen frei!«

»Soll ich gehen?« fragte Paula.

Spicker schien zu überlegen, lächelte dann, schüttelte den Kopf und sagte:

»Danke nein! den Gefallen kann ich Ihnen nicht tun.«

»Das verstehe ich nicht ganz,« erwiderte Paula.

»Damit würde ich ja bekennen, daß ich den Überfall für ernst nehme, mich also bluffen lasse. – Damit ich das glaube, müssen Sie schon überzeugender auf mich wirken.«

»Einen Augenblick Geduld,« erwiderte der nicht mehr junge Mann und sagte zu seinem Kollegen: »Du kannst gehen, ich brauche dich nicht mehr.«

Der ging und löschte das Licht, so daß nur die Säule mit dem gefesselten Spicker im Hellen, der übrige Raum aber im Halbdunkel lag.

»Aha! Effektbeleuchtung!« sagte Spicker. »Da erkennt man den Fachmann.« Dann stemmte er sich gegen die Stricke und sagte: »Donnerwetter! das schneidet ja ein! Etwas weniger realistisch hätten Sie die Fesselung ja vornehmen können.«

Jetzt stellte sich der nicht mehr junge Mann vor Spicker hin und sagte:

»Herr Oberstaatsanwalt! Wenn ich Ihnen jetzt erkläre, daß Sie zum ersten Male doch in Ihrem Leben geblufft worden sind!«

Der schüttelte den Kopf und erwiderte:

»Ich glaube kaum!«

»Nun denn: Sie befinden sich keinem Filmmann, sondern dem gesuchten und diesmal echten Coeur-As gegenüber.« – Emil nahm die Mütze, Brille und Bart ab und wartete auf die Wirkung.

Der Oberstaatsanwalt setzte alles daran, seine Verblüffung zu verbergen.

»Es freut mich aufrichtig, unerwartet einen so guten Fang gemacht zu haben,« erwiderte er.

Emil zuckte zusammen:

»Wie? Sie wollen behaupten . . . daß Sie . . .?«

»Ich bin so frei!«

»Was bedeutet das?« fragte Emil.

»Daß ich, noch bevor Sie bei mir eintraten, im Bilde war. Ich fand den Scherz mit Hilfe einer Filmaufnahme so apart, daß ich darauf einging – um so mehr, als er mir die erwünschte Gelegenheit gab, die Polizei zu verständigen.«

»Nicht möglich!«

»Wenn Sie durch einen Blick aus dem Fenster sich überzeugen wollen – Ihr Komplice mag gerade noch durchgeschlüpft sein. Ihnen wird es schwerlich gelingen.«

»Sie glauben, Bluff mit Bluff begegnen zu können. Aber Sie irren!«

Paula, die inzwischen ans Fenster getreten war und den Vorhang ein wenig zur Seite geschoben hatte, schrie in diesem Augenblick laut auf.

»Wahrhaftig!«

»So sorge ich für Ihre und meine Sicherheit,« sagte Spicker spöttisch zu Paula. »Im übrigen sind Sie vollkommen im Recht. Ich suchte Abenteuer und Sie haben mich in eins gestürzt. Ich habe also allen Grund, Ihnen dankbar zu sein.«

Emil unterbrach und sagte:

»Geh hinunter, Paula, und sage der Polizei, der Herr Oberstaaatsanwalt sei das Opfer eines schlechten Scherzes seiner Freunde geworden und bedaure den falschen Alarm. Sie sollten nach Hause gehen.«

Spicker fuhr zusammen. Als er eben den Mund auftun und um Hilfe rufen wollte, steckte ihm Emil lächelnd den Knebel in den Mund.

»Sie verzeihen schon!« sagte er dabei höflich. »Hier kann nur einer kommandieren.« Und in verbindlichstem Tone fuhr er fort: »Verzeihung! Wo stehen doch gleich Ihre Zigarren? Richtig!« Er ging auf den Tisch zu, nahm aus der Kiste eine Handvoll Zigarren und gab sie Paula. »So, die nimm den Polizisten als Gruß und Dank des Herrn Oberstaatsanwalts mit hinunter. So etwas stärkt das Vertrauen.«

Paula schlüpfte in den Pelzmantel und ging rechts hinaus. Der Oberstaatsanwalt und Emil horchten in atemloser Spannung. Man hörte sie die Treppe hinuntergehen. Emil schlich ans Fenster, zog die Gardinen etwas zurück und beobachtete. Man hörte Gemurmel. Die ungeduldige Erwartung der beiden war auf das äußerste gestiegen. Das Gemurmel dauerte nur ganz kurz und verstummte wieder. Man hörte die Schritte Paulas, die die Treppe wieder hinaufstieg. Gleich darauf trat sie ins Zimmer.

»Nun, sind sie fort?«

Paula schüttelte den Kopf.

»Nein! Infolge verschiedener Vorkommnisse in letzter Zeit, bei denen die Polizei geblufft worden sei, fordern sie einen schriftlichen Befehl.«

Spicker schöpfte neue Hoffnung.

»Hm!« meinte Emil. »Wenn es weiter nichts ist.« – Er ging auf den Schreibtisch zu, nahm ein Formular, schrieb, stempelte. – Als er eben die Feder zur Unterschrift ansetzen wollte, stutzte er – lächelte und sagte: »Nein! Diese Urkundenfälschung kann ich vermeiden.« Er tauchte den Halter ein und gab Urkunde und Halter an Paula. »Halt einmal!« Dann ging er zu Spicker, lockerte die Schlinge an der rechten Hand ein wenig, steckte ihm den Halter in die Hand und sagte: »So, und nun haben Sie wohl die Freundlichkeit, zu unterschreiben.«

Spicker las. Und da er zögerte, hielt ihm Emil den Revolver vor das Gesicht.

»Nun, wird es bald?«

Der Oberstaatsanwalt unterschrieb.

»Danke vielmals!« Er gab das Formular Paula, die eilig damit abging. »Und da ich Sie schon einmal bemühen muß, so unterschreiben Sie bitte auch gleich die beiden Schecks.« Er hatte sie zuvor zugleich mit dem Formular vom Schreibtisch genommen. »Aber bitte, überzeugen Sie sich vorher, daß es nicht ein Cent mehr ist, als die Summe, die Sie in Ihrem Preisausschreiben ausgesetzt haben.« – Spicker unterschrieb. – »Danke verbindlichst!«

Jetzt hörte man unten die Schritte der abziehenden Mannschaft. Emil lächelte.

Und Paula, die gleich darauf erschien, meldete:

»Sie sind fort!«

»So! Dann wären wir also wieder unter uns!« sagte Emil und zog Spicker den Knebel aus dem Mund. »Ich bin gegen Gewalt, wo sie keinen Sinn hat.«

»Machen Sie es kurz!« sagte Spicker.

»Sie müssen schon gestatten, daß ich mich rechtfertige. Ich habe Sie um meine Akten gebeten! Ich hatte ein Recht darauf. Sie haben sich geweigert, sie mir herauszugeben. Es blieb mir also gar nichts weiter übrig, als mich selbst zu bemühen. Ich bitte Sie also in aller Form, mir meine Strafakten auszuhändigen.«

»Nein!« erwiderte Spicker.

»Wie? Sie weigern sich?«

»Über mich und mein Privateigentum mögen Sie verfügen! Zu einer amtswidrigen Handlung aber werden Sie mich durch keinerlei Drohung zwingen.«

»Die Akten will ich!«

Paula ging zum Schreibtisch und zog ein Schub auf.

»Die Schlüssel sind fort.«

»Vermutlich im Kanal! Ich habe sie in das Abflußrohr geworfen.«

»Wenn wir den Schrank nicht aufbekommen, kann es Ihr Leben kosten.«

Paula stürzte auf Spicker zu, griff in seine Taschen und zog die Schlüssel heraus, dann schloß sie den schweren Schrank auf, der voller Akten war. Emil wühlte darin herum, warf das meiste auf die Erde – plötzlich klingelte das Telephon – alle drei stutzten.

»Wer kann das sein?« fragte Emil und sah nach der Uhr. »Es ist halb fünf in der Frühe!«

Spicker verzog keine Miene. Emil stürzte an den Apparat, wollte den Hörer abnehmen – stutzte – ging zu Spicker, steckte ihm den Knebel in den Mund, kehrte zum Apparat zurück, nahm den Hörer ab und rief hinein:

»Hallo! Hier der Diener des Herrn Oberstaatsanwalt Spicker – wer? Herr Polizeirat von Mosch? – Nein! Ich bin's – der Diener vom Herrn Oberstaatsanwalt – die Unterschrift?« – Spicker lächelte triumphierend. – »Aber was denken Sie? – Natürlich hat der Herr Oberstaatsanwalt selbst unterzeichnet – wie? – es war nicht seine Unterschrift?« – Er wandte sich zu Spicker und sagte leise: »Sie Spitzbube!« dann rief er wieder in den Apparat: »Aber ich bitte Sie, Herr Polizeirat, wenn ich Ihnen doch sage – schließlich halten Sie mich noch für den Verbrecher – gewiß, das sehe ich ein, aber ich kann ihn jetzt unmöglich wecken – wieso? Wie kommen Sie darauf, daß er das Telephon am Bett hat? – Sie wissen es? Natürlich weiß ich es. Aber der Schlaf meines Herrn ist mir heilig. – Sie bestehen darauf? – Also gut! Dann will ich ihn wecken – einen Augenblick.« Er legte den Hörer hin, flüsterte Paula zu: »Versuch' du es!«

Paula nahm zitternd den Hörer.

»Hier ist – die Hausdame. Ja? – Sie kennen mich doch? Sie wollen durchaus den Herrn Oberstaatsanwalt selbst . . .? Also, ich stell' um.«

»Was ist das für ein Wahnsinn,« flüsterte Emil ihr zu, und Paula erwiderte:

»Er will sonst selbst kommen.«

Emil war jetzt dicht an Spicker herangetreten und flüsterte ihm zu, während er Paula ein Zeichen gab, den Apparat heranzubringen. »Wenn Sie jetzt nicht in den Apparat rufen: ›Oberstaatsanwalt Spicker! Es ist alles in bester Ordnung!‹ oder auch nur ein Wort hinzufügen, dann fliegt das Haus samt Ihnen und allen, die darin wohnen, in die Luft.« – Er nahm Spicker den Knebel aus dem Mund, hielt ihm den Hörer vor und drang durch Zeichen auf ihn ein.

Spicker sprach in den Apparat:

»Oberstaatsanwalt Spicker – es ist alles in bester Ordnung.«

Im selben Augenblick riß Emil ihm den Hörer aus der Hand, führte ihn ans Ohr und lächelte triumphierend, während Paula den Apparat zum Schreibtisch zurücktrug.

Emil zog den Scheck aus der Tasche, blätterte in den Akten und verglich die Unterschriften.

»So also sieht Ihre Unterschrift aus!«

In diesem Augenblick ertönte unten laut zweimal hintereinander die Hupe eines Autos.

Emil fuhr zusammen und fragte Paula:

»Was ist das?«

»Großer Gott!« erwiderte die. »Schon fünf Uhr? – Das ist sein Auto. Er hat um sieben einen Lokaltermin in Eberswalde.«

Emil schien im ersten Augenblick verzweifelt. Er überlegte, war erst ernst, schmunzelte dann und sagte:

»Das trifft sich ja ausgezeichnet. Er wird uns mit den Akten nach Eberswalde fahren und, sobald wir die Schecks eingelöst haben, zu Fuß nach Berlin zurückkehren.«

»Wie willst du das anstellen?« fragte Paula.

»Sage dem Chauffeur, er soll ein paar Augenblicke warten.«

Paula ging ans Fenster, öffnete und rief hinaus:

»Karl!«

Von unten erwiderte eine Stimme:

»Gnädiges Fräulein?«

»Wir kommen gleich.«

»Zieh dich an, geh hinunter und bereite ihn darauf vor, daß statt des Oberstaatsanwalts dessen Vertreter den Termin wahrnimmt.«

Paula entfernte sich, während Emil mit dem Rücken zu Spicker, auf der Erde hockend, die Akten sortierte, einiges zusammenpackte, das meiste liegen ließ.

Spicker kämpfte verzweifelt, um sich zu befreien. Er zog sich mit dem Munde die Füllfeder aus der oberen Tasche, die ihm Emil zuvor, nach Unterschrift des Formulars, spöttisch selbst hineingesteckt hatte, führte mühsam den Halter vom Mund zur gefesselten Hand und schrieb mit äußerster Kraftanstrengung auf einen der Zettel, die neben ihm auf einem kleinen Tisch lagen, ein paar Zeilen. Den Zettel schob er mit dem Halter so weit an den Rand des Tisches, daß er hinter Emil auf die Erde fiel. Dann beförderte er auf gleichem Wege den Halter wieder in seine Tasche.

Emil suchte inzwischen fieberhaft in den Akten herum und fand gerade in dem Augenblick, in dem Paula im Autodreß wieder ins Zimmer trat, die Akten, die er gesucht hatte.

»Endlich! Da – und da!« Er raffte ganze Stöße zusammen. »Meine Akten aus Genf, aus London, Paris, Brüssel! Mit deren Vernichtung erspare ich dem Gericht eine Heidenarbeit und räume uns die Hindernisse zum Aufbau eines neuen Lebens aus dem Wege.«

»Ich gehe immer hinunter!« sagte Paula, die blaß war und zitterte.

»Geh! – Geh! – Ich komme gleich,« erwiderte Emil, der voller Freude vor den Akten saß und sich nicht einmal nach ihr umsah.

Paula ging mit einem ängstlich scheuen und gesenkten Blick an Spicker, der mit aller Energie auf den Zettel auf der Erde starrte, vorüber. Sie sah den Zettel, hob ihn auf und las:

»Geliebter! Ich erwarte dich voll Sehnsucht. – Konstanze.«

Paula entfärbte sich und schrie kurz auf. Der Zettel fiel ihr aus der Hand.

Emil wandte sich zu ihr um und fragte:

»Was ist?«

Der Oberstaatsanwalt lächelte höhnisch.

Paula wankte zum Schreibtisch, sank in sich zusammen, nahm Emils Revolver auf und sagte leise:

»Leb' wohl – Emil!« – setzte an und . . .

. . . im letzten Augenblick sprang Emil auf, schlug ihr die Waffe aus der Hand, riß Paula an sich und fragte:

»Was ist? – Was hat man dir getan?«

Paula gab keine Antwort. Sie sah auf eine Stelle am Boden. Emil folgte, sah den Zettel und hob ihn auf.

Er stutzte, wandte sich zu Spicker:

»Hund!« rief er. »Wie hast du das gemacht?«

Paula sah auf.

»Er?« fragte sie.

Spicker schüttelte den Kopf.

»Hund!« wiederholte Emil. »Um eine Sekunde, und du hattest sie auf dem Gewissen!« – Er stürzte mit dem Zettel zu Paula: »Hier sieh! Die Tinte ist noch naß!« – Er ergriff ihre Hand und fuhr damit über das Papier. Die Tinte klebte an Paulas Finger.

Paula, die wie leblos vor dem Papier stand, fuhr immer wieder darüber und verwischte die Schriftzeichen.

Emil riß dem Oberstaatsanwalt die Füllfeder aus der Tasche.

»Da sieh!« sagte er zu Paula, »es ist seine Tinte!« – Und zu Spicker gewandt rief er:

»Wenn Sie unter denen da unten geboren wären – Sie wären einer von den ganz großen Verbrechern geworden.«

Dann nahm er Paula unter den Arm, schob unter den freien Arm die Akten und sagte:

»Komm!«

Als sie vor Spicker standen, fragte Paula:

»Und du willst ihn so zurücklassen?«

»Du hast recht,« erwiderte Emil, »man muß ihm die Möglichkeit geben, sich zu befreien.«

Er legte die Akten beiseite, ließ Paula los und lockerte die Stricke an den Armen.

Paula sah erstaunt zu und sagte:

»Er wird uns verraten.«

»Wenn man ihn hilflos findet – vielleicht, daß er uns dann verrät. Denn dann ist er seinen Ruf als der »Unbesiegbare« los und hat nichts mehr zu verlieren. Wenn er bis zur Rückkehr des Chauffeurs aber frei ist, so wird er die Spuren seiner Niederlage verwischen und nur den einen Wunsch haben, nie mehr an Coeur-As erinnert zu werden.«

»Du bist klüger als ich,« erwiderte Paula, reichte Emil die Akten, trieb ihn an und sagte: »Komm!«

Der Oberstaatsanwalt zog eben den rechten Arm aus der Schlinge, als die Hupe seines Chauffeurs ertönte und sein Auto mit Emil und Paula und den Akten in der Richtung nach Eberswalde um die Ecke bog.

Ob Emil den Termin in Eberswalde für den verhinderten Oberstaatsanwalt Spicker wahrnahm, konnte nicht ermittelt werden. Zuzutrauen ist es ihm.


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