Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Baron Koppen war nicht das, was man sich im allgemeinen unter einem Diplomaten vorstellt. Er sah zwar gut aus, aber es fehlte ihm an Selbstbewußtsein – wohl eine Folge der finanziellen Schwierigkeiten, in denen er sich ständig befand.
Als er jetzt eintrat, Emil begrüßte und Redlich nicht sah, sagte er:
»Herr Redlich scheint nicht da zu sein.«
Nicht ohne Ironie erwiderte Emil:
»Wie gut Sie beobachten.«
»Ich muß ihn aber sprechen.«
»Ich weiß.«
»Was wissen Sie?«
»Daß Sie in Ihrer diplomatischen Karriere nicht vorwärtskommen.«
»Wenn es nur das wäre!«
»Und daß Sie Schulden haben!«
»Märchenhaft!«
»Und daß Ihre einzige Rettung die Ehe mit Fräulein Konstanze ist.«
»Mein Verstand.«
»Leider macht Fräulein Konstanze Schwierigkeiten.«
»Märchenhaft!« äffte ihm Emil nach.
»Ich liebe sie aber.«
»Sie ist ein Luderchen.«
»Sie sprechen von meiner Braut.«
»Ein allerliebstes Luderchen also.«
»Habe ich in Ihnen etwa einen Rivalen zu sehen?«
»Für mich kommt die Dame gar nicht in Frage.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Daß ein Aufrichtig aus Frankfurt wohl mit einem Herrn Redlich Geschäfte machen, nie aber seine Tochter heiraten kann.«
»Bei uns Freien und Edlen Herren von Koppen zu Lengfeld ist es gerade umgekehrt.«
»Das richtet sich jeder ein, wie es für ihn am praktischsten ist.«
»Ich will mit den Geschäften des Herrn Redlich nichts zu tun haben,« entgegnete Baron Koppen stolz.
»Darauf habe ich Ihnen als Chef der Firma Redlich und Aufrichtig zu erwidern, daß Fräulein Konstanze Redlich ohne geschäftliche Beteiligung nicht abgegeben wird.«
»Was kann ich Ihnen nützen?«
»Sie nicht. Aber Ihr Name. Wir brauchen ihn für unseren Aufsichtsrat.«
»Nehmen Sie es nicht übel, aber ich habe so das
Gefühl, als ob – ja, wie sage ich nur? – hier nicht alles so ist, wie es ausschaut.«
»Das wäre dann also das Gegebene für einen Diplomaten.«
»Leider!«
»Ein Diplomat muß auftreten, sich in die Brust werfen – bluffen!«
»Wenn ich das könnte!«
»Er braucht nicht über Geist zu verfügen, aber er muß einen ersten Schneider haben. Er muß fremde Sprachen beherrschen, aber er braucht nicht zu wissen, was außerhalb seines Ressorts vorgeht. Er muß exklusiv sein, aber gesellschaftliche Fähigkeiten haben.«
»Gerade die fehlen mir. Wenn ich gesellschaftlich gewandter wäre.«
»Hören Sie,« sagte Emil, »ich glaube, daß ich Ihnen da helfen kann.«
»Wirklich?«
»Ich hatte früher einmal Beziehungen zu einem Verbrecher . . .«
Der Baron wich zurück.
»Wa . . . as hatten Sie?«
»Beruflich natürlich.«
»Sie waren Jurist?« fragte der Baron und kam wieder näher.
»Sozusagen.«
»Sie standen im aktiven Staatsdienst?«
»Aktiv ist gar kein Ausdruck. Es gibt kaum einen Paragraphen im Strafgesetzbuch, zu dem ich nicht einen Kommentar geliefert habe.«
Der Ton des Barons wurde wärmer:
»Als Akademiker rücken Sie mir auch menschlich näher.«
Emil klopfte ihm vertraulich auf die Schulter:
»Mir geht es genau so. Ich liebe so blöde anständige Menschen wie Sie.«
Der Baron wich gekränkt zurück:
»Sie wollten mir von Ihrem Verbrecher erzählen.«
»Richtig! Ein ganz patenter Kerl, der nach einem Kartenkunststück, mit dem er die gerissensten Falschspieler bluffte, allgemein Coeur-As genannt wurde.«
»Und Sie kennen das Kunststück?«
Emil griff in die Tasche und zog ein Spiel Karten heraus:
»Ich trage es immer bei mir.«
»Und Sie meinen . . . man könnte . . .?«
»Natürlich könnte man!«
». . . auch in den Salons?«
»Da werden Sie die größten Erfolge haben.«
»Auch in Gegenwart von Damen?«
»Die werden Sie für ein Phänomen halten und bewundern.«
»Das würde meine Karriere äußerst erleichtern.«
»Der Reiz des Dämonischen wird von Ihnen ausgehen.«
»Ich hätte meine Beförderung in der Tasche.« Der Baron streckte die Hand nach den Karten aus.
»Ich darf Sie demnach als Mitglied des Aufsichtsrates betrachten?« fragte Emil.
»Ich verstehe so gar nichts von Geschäften.«
»Andernfalls würde ich es Ihnen auch nicht zumuten.«
»Verfügen Sie über mich.«
Emil überreichte ihm die Karten, die in einem Futteral waren und sagte:
»Die Gebrauchsanweisung liegt bei. Sie ist selbst für einen Diplomaten leicht verständlich.«
»Dann bliebe immer noch Fräulein Konstanze.«
»Richtig! Sie sprachen von Schwierigkeiten.«
»Es ist unmöglich, sie zu nennen, geschweige denn, sie auszuführen.«
»Wo wir nun Freunde sind, sollte es kein Geheimnis mehr zwischen uns geben.«
»Sie hat sich in den Kopf gesetzt, nur einen mutigen Mann zu heiraten.«
»Jede Frau hat heutzutage ihre Schrullen.«
»Gewiß! aber sie verlangt Unmögliches.«
»Sollen Sie nach dem Nordpol fliegen?«
»Wenn es nur das wäre.«
»Oder in einen Tigerkäfig steigen?«
»Ich täte es heute noch.«
»Also was sollen Sie?«
»Einen – Einbruch begehen.«
Emil wich ein paar Schritte zurück.
»Sehen Sie, das wirft selbst Sie um.«
»So ein Luder!«
»Sie sind der einzige Mensch, zu dem ich darüber zu sprechen wage.«
»Halten Sie mich in diesem Fache etwa für sachverständig?«
»Aber nein! Wie käme ich dazu? – Aber ich habe so ein Gefühl, als könnten wir gute Freunde werden.«
»Wir sind es, denke ich, schon.«
»Was mich betrifft, so glaube ich, es bejahen zu dürfen.«
Emil ging an den Likörschrank und holte eine Flasche und zwei Gläser heraus. Der Baron fragte ängstlich:
»Darf ich fragen, was Sie vorhaben?«
Emil, der eingegossen hatte, reichte ihm ein Glas und sagte:
»Ihr Vorname, bitte?«
Der Baron erwiderte zögernd:
»Wolf Dietrich.«
»Emil!« – Er erhob sein Glas: »Also Wolf Dietrich! auf du und gute Freundschaft.« – Sie stießen an und tranken. Dann küßte Emil den Baron, der steif wie ein Brett dastand und in die Luft stierte, auf den Mund. »So! und nun kann ich in aller Ruhe mit dir über den Einbruch sprechen.«
»Sie meinen?«
» Sie?«
»Du meinst – . . . ich soll wirklich . . .«
»Du mußt! – Ich bitt' dich, so ein kleiner Einbruch ist schneller getan als erzählt.«
»Du meinst, man täuscht ihn vor . . . man erzählt einfach . . .?«
Emil sprang auf:
»Wolf Dietrich! Ich hoffe doch, ich habe mit einem Ehrenmanne Schmollis getrunken.«
Jetzt sprang auch der Baron auf und rief:
»Daß ich einen solchen Betrug von Seiten eines Freundes nicht dulde.«
»Du hast recht! Aber stelle dir doch vor, ich soll da bei einem fremden Menschen . . .«
»Ist das Bedingung?«
»Wie?«
»Es könnten ja auch Bekannte sein.«
»Noch schlimmer.«
»Du glaubst gar nicht, wie sicher einen das macht, wenn man in so einer Wohnung Bescheid weiß.«
»Nanu? – Du sprichst ja gerade als ob . . .?«
»Dieser Coeur-As hat mir so viel von seinen Einbrüchen erzählt, daß mir der Gedanke nicht mehr so furchtbar ist. Aber denke einmal nach, ob nicht unter deinen Bekannten jemand ist . . .«
»Ich hätte da . . . einen alten Onkel.«
»Ein alter Onkel ist ein ausgezeichnetes Einbruchsobjekt.«
»Der jeden Abend in den Klub geht.«
»Und da ist noch niemand auf den Gedanken gekommen?«
»Auf was für einen Gedanken?«
»Das schreit doch förmlich nach Einbruch.«
»Begleite mich,« bat der Baron.
»Bist du toll? Du scheinst nicht zu wissen, wen du vor dir hast.«
»Ich habe mir das auch nicht träumen lassen.«
»Immerhin – deine Vorfahren . . .«
»Was ist mit ihnen?«
». . . waren vermutlich Raubritter. Du bringst also schon eine gewisse Veranlagung für den Beruf mit.«
»Das liegt über sechs Jahrhunderte zurück und galt damals als ehrenvoll.«
»Du begehst also sozusagen einen Akt der Pietät.«
»Du beruhigst mich – und dann der Gedanke mit diesem Geizhals von Onkel, der nicht sterben kann, wird mir immer sympathischer.«
»Das Blut deiner Vorfahren meldet sich. Immerhin, die Zeiten haben sich geändert. Hast du Übung im Aufbrechen von Schlössern?«
»Aber nein! wie sollte ich . . .?«
»Wie willst du dann hineinkommen?«
»Ich werde klingeln.«
Emil war platt.
»Was willst du?«
». . . und dem Diener . . .«
»Deine Visitenkarte geben?«
»Pfeffer ins Gesicht streuen.«
»Das ist eine Gemeinheit!« – Er griff in die Tasche, holte ein Werkzeug heraus und gab es Koppen. »Hier, nimm diesen Dietrich. Ein Ausstellungsstück. Aber nur leihweise. Damit öffnest du jedes Schloß geräuschlos.«
»Wie kommst denn du dazu?«
»Ich sagte dir doch schon, ich habe mich praktisch betätigt.«
»Hast du auch die Gefängnisse und Zuchthäuser studiert?«
»Im ganzen fünf Jahre lang. – Mit Unterbrechungen natürlich.«
»Ich ziehe das Leben in den modernen Luxushotels vor.«
»Wie kann man das vergleichen?«
»Der Hauptunterschied besteht in der Verschiedenheit der Kleidung.«
»Unter den Verbrechern gibt es gewiß auch intelligente Menschen?«
»Ich glaube schon.« – Er wies auf den Dietrich und sagte: »Vielleicht lernst du sie bald aus eigener Anschauung kennen.«
Der Baron war ganz gerührt und reichte Emil die Hand.
»Wenn ich dich nicht hätte!«
»Aber du hast mich ja,« erwiderte Emil, nahm den Baron unter den Arm und begleitete ihn hinaus.