Artur Landsberger
Emil
Artur Landsberger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel,
in dem wir erfahren, was aus Emils früheren Freunden wurde

Gern hätte ich es euch, meine Lieben, die ihr Emils Einbruch in die bürgerliche Gesellschaft bis hierher miterlebt habt, erspart, mit mir in die Niederungen menschlichen Daseins hinabzusteigen. Aufstieg ist ja stets erfreulicher als Zusammenbruch. Wenn der auch nicht immer die Folge moralischer Minderwertigkeit zu sein braucht – so wenig wie der äußere Aufstieg eines Menschen besondere Leistungen der Charaktereigenschaften voraussetzt. Mit allgemeinen Moralbegriffen darf man sich – will man ihnen gerecht werden – jedenfalls nicht zu denen da unten begeben. Man wird gleich sehen, weshalb.

Als unser junger Freund Emil jenen, für die nächsten Monate seines Lebens so bedeutungsvollen Einbruch bei dem Kommissionsrat Redlich verübte, war – wie wir uns erinnern – die schwarze Paula nur schwer zu bewegen gewesen, ihren Freund in seiner verzweifelten Lage zurückzulassen. Wäre es nach ihr gegangen, so hätte sie sich nicht von der Stelle gerührt. Aber Emils Wille galt. Und wie falsch es war, ihm zuwiderzuhandeln, hatten viele schon am eigenen Leibe gespürt. Wo aber er die Richtung wies, da war noch keiner zu Schaden gekommen.

Das hatte sich auch Paula gesagt, als sie in jener Nacht aus dem Fenster der Villa stieg und schweren Herzens mit Anton den Heimweg antrat.

Der hatte sie zu beruhigen versucht:

»Emil hat schon in ganz anderer Klemme gesessen,« sagte er, »und ist doch losgekommen. Er wird auch diesmal nicht hängenbleiben.«

Aber Paula, die mutig war und den Kopf nicht leicht hängen ließ, sagte ein Gefühl:

»Diesmal nicht.«

Sie fuhren mit den Teppichen zu einem Hehler in der Beußelstraße. Er war ein Türke, der seine Freude über die schönen Stücke nur schwer verbergen konnte und sagte:

»Ich habe schon Besseres gesehen. Also dreihundert Mark. Äußerst. Das ist eine Menge Holz heutzutage.«

Anton und Paula sahen sich an. Sie dachten beide: wäre doch Emil hier. – Dann sagte Anton:

»Nicht unter sechs.«

Da lachte der Türke laut auf und rief:

»Warum nicht tausend?«

»Wert sind sie's,« erwiderte Paula. »Und mehr als das.«

»Was kosten sie euch? – na?« – Er wies auf Antons zerfetztes Beinkleid und fuhr fort: »'ne alte Hose – mehr nicht.«

»Wer weiß auch,« erwiderte Anton, und Paula sagte mit Tränen in den Augen:

»Das kann uns niemand bezahlen – was sie uns kosten.«

Der Türke sah auf und fragte:

»Is wer alle geworden?«

Paula senkte den Kopf.

»Emil etwa?« fragte er weiter.

Paula und Anton gaben keine Antwort. Und der Türke sagte mit gedämpfter Stimme – als spräche er von einem Toten:

»Dann allerdings.«

Nach einer Weile stieß Anton hervor:

»Er wird schon loskommen!«

Aber der Türke widersprach:

»Den, wenn sie'n haben – den halten sie fest.«

»Abwarten,« sagte Anton.

»Wenn sie Emil'n haben, is die Zore heiß!« erwiderte der Türke. »Ich zahl' nicht mehr als dreihundert.«

»Schuft!« rief Anton und warf ihm die Teppiche vor die Füße. Der Türke ging, holte das Geld und gab es Anton. Dann trat er nahe an Paula heran, sah sie begehrlich an und sagte:

»Wenn Emil alle is, komm zu mir!«

Paula rief:

»Dreckskerl!« und stieß ihn zurück.

Anton zählte das Geld.

»Du wirst schon von selber kommen,« sagte der Türke und legte den Arm um sie.

Da schlug ihm Anton die Faust unters Kinn. Der Türke schlug lang hin und blieb bewußtlos liegen.

»Komm!« sagte Anton und nahm Paula bei der Hand. Und als sie draußen waren, schoben sie sich die Häuser entlang bis zur nächsten Ecke und verschwanden in einem Hausflur.

»So geht's jedem, der dich anrührt!« sagte Anton.

»Ich dank' dir,« erwiderte Paula und drückte ihm die Hand.

* * *

Und nun begann Paulas Leidensweg. Es ist die wahre Geschichte eines schwachen, aber in der Liebe starken Mädchens, die ich euch erzähle und nicht zu Romanzwecken etwa erfinde. Ich verschweige ihren Namen, ich übergehe ihre freudlose Kindheit, schweige von der Schande der Mutter, die zugleich die Schande des Vaters war, der von ihr lebte. Man pflegt zu sagen, daß Mädchen dieses Milieus »der Versuchung leichter ausgesetzt« sind als die Mädchen bürgerlicher Herkunft. Wie falsch ist das! Sie sind keiner Versuchung ausgesetzt, sie sind der Straße ausgeliefert. Kein Mensch fragt danach. Und die zu Hause kümmern sich zu allerletzt darum. Schon viel, wenn so ein Mädel sich über die Schulzeit hinaus hält und etwas lernt. Die Straße lacht sie aus. »Wozu braucht 'n Mädel, das aussieht wie die, zu arbeiten,« sagen die Burschen. – »Hält sich eben für was Besseres,« spotten die Mädchen und lachen hinter ihr her. – Paula stenographiert und schreibt Maschine. Sie erträgt die schmutzigen Menschen zu Haus nicht, verläßt sie und zieht in ein anderes Viertel. Hier arbeitet die Versuchung mit feineren Mitteln. Hier sagt man nicht, was man will. Man heuchelt, beteuert und verspricht. Aber Paula bleibt fest. Sie kennt die Gefahr. Da hinab – nie wieder! – Ein Kellner, der in der Welt herumgekommen ist und spricht wie ein gebildeter Mensch, müht sich um sie. Er gefällt ihr. Er ist zwar vorübergehend ohne Stellung. Denn er ist wählerisch. Er war in ersten Hotels beschäftigt, spricht drei Sprachen, hat also ein Recht, Ansprüche zu stellen. Wirft man sich erst einmal weg, meint er, nachher kommt man an guten Stellen nicht wieder an. Sie glaubt ihm. Aber sie will geheiratet sein. Was macht es ihm aus? Für ein Mädel, das ausschaut wie sie, lohnt sich schon ein Gang zum Standesamt. Als sie am nächsten Morgen aufstehen und ins Bureau gehen will, hält er sie fest und sagt: »Bist du verrückt? Meine Frau hat nicht nötig, zu arbeiten.« – »Ja, wovon wollen wir leben, bis du Stellung hast?« – Er verkuppelt sie an einen reichen Freund. Wehrt sie sich, so setzt es Prügel. Ihre Widerstandskraft erlahmt. Nach ein paar Wochen schickt er sie auf die Straße. – So lernt sie Emil kennen. Die beiden fühlen sich zueinander hingezogen. Irgendein gleiches Gefühl verbindet sie. Der Kellner will Paula nicht freigeben. Die Faust entscheidet. Zu Emils Gunsten. – Paulas Versuche, Arbeit zu finden, scheitern an ihrer Vergangenheit. Bekennt sie, so weist man sie ab. Verschweigt sie's, so bringen es polizeiliche Recherchen an den Tag und man jagt sie fort. Der Eifer erlahmt. Sie wird verbittert. Aus Bitterkeit wird Haß. Sie haßt die Reichen, die Bourgeoisie, kurz alle, in denen sie die Verantwortlichen für ihr Schicksal erblickt. In ihrem Haß begegnet sie sich nun mit Emil. Aber in beiden steckt irgendwie ein Rest sittlicher Kraft. Sie sinken. Gewiß! Aber das Bewußtsein für das, was sie tun, schwindet für keinen Augenblick, weder bei ihm, noch bei ihr. Was sie tun, nennen sie: einen Kampf führen aus Notwehr, die man ihnen aufzwang. – Aber irgendwie dämmert bei beiden die Sehnsucht nach einem geregelten Leben. Sie haben die Aussichtslosigkeit, es je zu finden, erkannt. Sie betäuben sich. – Einmal sagt Paula zu ihm:

»Manchmal habe ich so das Gefühl, als gäbe es doch etwas, wodurch wir dahin kommen könnten, wie andere Menschen zu leben und zu arbeiten.«

»Hoffst du immer noch?« fragte Emil, und sie erwiderte:

»Es gibt Stunden, da glaube ich fest daran.«

»Ich möchte wissen, was das sein soll.«

»Ich will es dir sagen. Aber du darfst nicht lachen, Emil.«

»Sag's nur!«

»Wenn wir glauben könnten.«

»Glauben?«

»Ja! wenn wir einen Glauben hätten!«

Emil lachte nicht. Er war sehr ernst und sagte:

»Würden wir dann nicht Reue haben?«

»Vielleicht – aber dann würden wir eben anders sein. Denn wenn man an etwas glaubt, so von innen, mit dem Herzen – wie ich an dich glaube –, dann fürchtet man sich auch nicht.«

»Fürchtest du dich denn, Paula?«

»Manchmal. Wenn du nicht da bist. Vor dem Alleinsein habe ich Furcht – und vor der Ruhe.«

»Wir dürfen uns nicht viel Zeit zum Denken lassen, Paula! Wir müssen immer in Bewegung sein. Dann geht es schon.«

»Das ist es ja, daß man diese Furcht vor der Ruhe hat – und sich dann doch wieder so nach Ruhe sehnt.«

»Menschen wie wir dürfen nicht fühlen, Paula. Es bringt uns um.«

So sprachen sie abends, nachts stiegen sie dann mit Anton in die Villa des Kommissionsrats Redlich ein. Eine Stunde später saß Emil fest und Paula war allein.

* * *

In dem Polizeibericht, der am nächsten Tage in den Mittagsblättern stand, hieß es, daß der verwegene Einbrecher Coeur-As bei Eintreffen der Polizei im letzten Augenblick durch einen Sprung aus dem Fenster zwar entkommen sei, daß man aber seine Spur aufgenommen habe und seine Festnahme bevorstehe.

Da sie demnach annehmen mußte, daß er sich auf der Flucht vor seinen Verfolgern befand, so verhielt sie sich zunächst ganz still und zog keinerlei Erkundigungen über ihn ein. Denn damit lenkte sie die Spur auf sich und gefährdete ihn, der vielleicht eines Tages wieder erschien und bei ihr Zuflucht suchte. Endlos gingen ihr die Tage und Nächte hin. Obschon sie sich nichts gönnte, war das Geld, mit dem sie den sogenannten Haushalt bestritt, schnell zu Ende. Anton bot ihr seine Hilfe an. Ihr blieb keine Wahl. Sie nahm sie an. Als er aber nach einer Woche etwa sagte:

»Gib's endlich auf! Emil ist über alle Berge,« da sagte sie nur:

»Ich warte.«

»Er wird ins Ausland sein.«

»Dann fahre ich ihm nach.«

»Dazu mußt du erst wissen, wohin.«

»Ich werd's erfahren.«

»Ich möchte wissen, wie.«

»Er wird mich schon kommen lassen, wenn es Zeit ist.«

»Da kannst de sitzen bis de schwarz wirst.«

»Gar so arg wird es nicht werden.«

»Der hat sich längst wieder auf ein Schiff geschmuggelt. Er hat so ja schon immer weggewollt.«

»Mit mir.«

»Du siehst ja, wie er dich hat sitzen lassen.«

»Hetz' nicht!«

»Ich sag' ja nichts. Gegen Emil'n schon gar nicht. Er fehlt mir auch. Er fehlt uns allen. Aber so'n Mensch wie er klebt nicht wie unsereins.«

»Wie meinst du das?«

»Na ja. Wir kleben doch hier wie die Wanzen. Immer in dieselben Häuser, immer in dieselben Spelunken. Dabei kennt die Polente hier jedes Versteck. Als ob ganz Berlin nur aus das Stück Moabit bestände. Emil is aufs Meer jenau so zu Hause wie in de Beußelstraße. Und ob der dir aufs Knie schaukelt oder ne Schwarze – das is für den man kein großer Unterschied.«

»Und du willst Emil kennen?«

»Vielleicht irr' ich mir. Aber ich glaube nich. Wenn der jetzt in Hajiti oder Honolulu sitzt – da hat er dir und mir und uns alle hier längst verjessen.«

»Das redst du ja nur – ich weiß auch warum – das glaubst du ja selbst nicht.«

»Was dran is schon.«

»Wünschst du's, daß es so wäre?«

Anton zögerte:

»Für dich, da wünscht ich's ja jrade nich – aber wenn ich an mir denke, da denk' ich anders.«

»Du bist wenigstens ehrlich.«

»Bei mir, Paula, da wärst du sicher – da käm' so leichte niemand nich ran.«

»Aber ich liebe dich nicht.«

»Ich weiß!«

»Ich werde dich nie lieben.«

»Vielleichte doch mal.«

»Ich werde immer nur Emil lieben – ganz gleich, ob er in Moabit oder in Honolulu ist.«

»Wenn Emil aber nu 'ne andere liebt?«

»Wenn er hier ist, liebt er nur mich.«

»Und wenn er nich hier is?«

»Denn erfahr' ich's nicht.«

»Er auch nich.«

»Was meinst du?«

»Ob du mit'm andern bist.«

»Mach' mich nicht toll! Ich sage nein – und ich will nicht.«

»Es braucht ja nicht heut zu sein.«

»Morgen auch nicht und auch übermorgen nicht – und überhaupt nicht! – so! und nun weißt du's! Und wenn du willst, daß ich nicht davonlaufe, dann red' nicht mehr davon. Nie mehr!«

»Gut! ich versprech's dir!« – Er reichte ihr die Hand, und sie schlug ein. »Aber eins muß ich wissen.«

»Was?«

»Das mit Emil'n – gut, das gilt! – Und das is mir auch recht so. – Aber wenn er nich kommt und er läßt nichts hören – und du hast keine Lust mehr, zu sitzen und zu warten – dann, wenn de jemand brauchst und du nimmst 'n andern an seine Stelle – der andre, Paula, muß ich sein – das versprich mir.«

»Ich kann nichts versprechen, was nie sein wird.«

»Und in drei Jahren – wenn er da noch immer nich kommt – was tust de dann?«

»Ich warte.«

»Und nach nochmal zwei Jahren? – Wart'st de da noch immer?«

»Ja!«

»Ich duld's aber nich, daß du dich verzoddelst und verbrauchst. Du sollst was haben vom Leben.«

»Ich – und was vom Leben haben! Was sollte das wohl sein?«

»Viel is es nich – da hast de recht – aber mehr als jetzt is es schon.«

»Schlag dir das aus'm Kopf – für heut und für . . .«

»Sag' nich für immer,« fiel er ihr ins Wort. »Sag' mir: wenn nich Emil, denn ich.«

»Das kann ich dir versprechen.«

»Tu's!«

»Aber wenn du so stehst zu mir – wenn auch nur in Gedanken –, dann nehm' ich kein Geld mehr von dir.«

»Pfui, Paula! Glaubst du, ich treib's ein – auf die Art?«

»Das trau' ich dir nicht zu. Es ist meinet-, nicht deinetwegen. Es liegt im Gefühl, dafür kann man nicht!« – Anton hielt noch immer die Hand hin. – »Wenn du also willst, daß ich . . .«

Und Anton, nur von dem Gedanken beherrscht, daß, wenn je ein andrer an Emils Stelle trat, daß dann er es war, überlegte nicht die für Paula schweren Folgen, die sich daraus ergeben mußten, wenn sie es ihm versprach.

»Schlag ein!« sagte er zitternd – und sie erwiderte:

»Da du es willst« – und legte ihre Hand in seine.

Und Anton, der Koloß, fiel vor ihr nieder, drückte sein Gesicht in ihre Hand und – ihr mögt es glauben oder nicht – weinte wie ein Kind. –

Paula wußte, daß es wenig Zweck hatte, nächtelang die Lokale und Schlupfwinkel nach Emil abzusuchen. Wenn er nicht weit fort war, so fand er schon die Möglichkeit, ihr Nachricht zu geben. Wie weit er sich – trotz örtlicher Nähe – von ihr entfernt hatte, ahnte sie nicht.

Nach einer Woche, die sie stark herunterbrachte, gab sie es auf, ihn zu suchen. Was sie an Kleidung und in ihren zwei Stuben an Möbeln entbehren konnte, versetzte sie. Es reichte für ein paar Tage. Und dann – ja, dann gab es für sie keine Möglichkeiten mehr. An Arbeit war nicht zu denken. Die Lungen machten ihr selbst bei ruhigem Leben zu schaffen. Anton bot ihr Geld, drängte es ihr auf, legte es ihr heimlich hin.

»Es geht ja nicht, und es darf nicht sein,« sagte sie. »Daß du das nicht einsiehst, Anton!«

»Und weshalb geht es nicht?«

»Emils wegen.«

»Gib es mir wieder – später!«

»Wovon?«

»Vielleicht hast du Glück.«

Paula, die weiß wie der Tod aussah und tiefe Ränder um die Augen hatte, trat dicht an ihn heran und fragte:

»Sieht so ein Mensch aus, der Glück hat?«

»Ich schleppe mich nicht länger mit deinem Geld herum,« sagte Anton und legte ihr hundert Mark hin.

»Was soll das?« fragte Paula.

»Dein Drittel – von damals,« erwiderte er, und da sie noch immer nicht zu begreifen schien, was er meinte, so fügte er hinzu:

»Als wir das letzte Mal mit Emil'n waren.«

»Hast du Emil betrogen?«

»Paula!«

»Du hast mir doch damals gesagt, es war die Hälfte, was du mir für ihn gabst?«

»Nich ein Groschen weniger.«

»Ich verstehe! – Das war schlecht von mir. Verzeih mir!«

»Wenn du's nimmst! – Es kommt dir zu. Du und Emil, ihr habt mehr getan als ich. Ohne euch wär' ich mein Lebtag nicht da hingekommen.«

»Das mach' mit Emil ab. Ich habe damit nichts zu tun.«

»Wenn er doch nicht da ist?«

»So warte – und heb's ihm auf.«

»Du brauchst es doch.«

»Dein Geld brauch' ich nicht.«

»Denn nimm seins. Ich weiß doch, daß du 'n paar Tausender für ihn aufbewahrst.«

»Da ich es aufbewahre, so bewahre ich es auf – das ist doch ganz einfach.«

»Wenn er da wär', so würd' er dich zwingen, daß de davon nimmst, um zu leben.«

»Er ist aber nicht da.«

»Du sollst so leben, wie er es haben will.«

»Und wenn du nun recht hast, daß er eine andere liebt und uns längst vergessen hat, und er denkt eines Tages an das Geld und verlangt's – was dann?«

»Dann soll ihn der Teufel holen!« polterte Anton heraus – »wenn er so gemein ist.«

»Du sagtest es – nicht ich,« erwiderte Paula. »Aber sein Geld, das rühr' ich nicht an.«

»Und wovon willst du leben?«

Paula senkte den Kopf und seufzte schwer.

»Ach so!« sagte er und kehrte ihr den Rücken. »Na denn man zu.« – An der Tür blieb er stehen, wandte sich zu ihr um und sagte: »Und du meinst, das wird Emil'n recht sein?«

»Ich werde es ihm erklären – und er wird es verstehen.«

»Dann is er schlauer als ich.«

»Anton, ich weiß, du meinst es gut mit mir – es läßt sich nicht ändern.«

»Ich duld' es nicht!«

»Du wirst es nicht verhindern.«

»Das werden wir sehen.«

Er kehrte ihr den Rücken und ging.

* * *

Paula glaubte noch immer, daß Emil nichts von sich hören ließ, weil er aus Gründen der Sicherheit oder Gesundheit außerstande war, ihr Nachricht zu geben. Zwar war sie entschlossen, den letzten Schritt zu machen. So nannte sie es, wenn sie das Gewerbe wieder aufnahm, zu dem ihr Mann sie einst gezwungen hatte. Vorher aber suchte sie, frierend und mit leerem Magen, noch einmal alle Krankenhäuser, Ambulatorien, Schlupfwinkel und Kaschemmen ab. Kam sie des Abends todmatt nach Hause, fand sie regelmäßig auf dem Tisch ein paar belegte Brote und daneben in einem Glase mit Wasser standen ein paar Blumen.

»Der Anton!« sagte sie laut und dankte ihm im stillen.

Aber mit der Absicht, auf die Straße zu gehen, war es dann vorbei.

Am nächsten Morgen schrieb sie, bevor sie fortging, einen Zettel, legte ihn auf den Tisch. Darauf stand:

»Lieber, guter Anton! Ich danke Dir, aber, bitte, tu das nicht. Es ist ja doch dasselbe, als wenn Du mir Geld gibst.

Paula.«

Als sie an diesem Abend halbtot nach Hause kam, stand nichts zu essen da. Aber der Zettel war umgedreht und darauf stand:

»Wie Du wilst, Paula, aber, bitte, geh nich. Bis morgen habe ich eine stelung führ Dich gefunden. Ich pase auf.

Anton.«

Paula saß, den Kopf in die Hände gestützt, über dem Papier. Immer wieder las sie die Worte: »Bis morgen habe ich eine stelung führ Dich gefunden.«

Sie saß den Abend und die ganze Nacht – und Anton war noch eine Treppe tiefer, da sagte sie schon:

»Herein!«

Mit letzter Kraft richtete sie sich hoch und quälte sich zur Tür. Es waren noch ein, zwei Schritte – da schob sich ein Dietrich ins Schloß – und Anton trat ein.

»Hast – du – die – Stellung?« fragte Paula und sah ihn mit flehenden Augen an.

In Antons Gesicht stand die Antwort. – Er senkte den Kopf.

Da schlug Paula lang hin und blieb bewußtlos liegen. – Anton hob sie auf und trug sie die Treppe hinunter. Er fühlte kaum, daß er etwas im Arm hatte. Er legte sie in ein Auto und brachte sie in ein Krankenhaus.

Als der Riesenkerl die schwere Last in der Aufnahmehalle des Krankenhauses niederlegte, fragte der Arzt:

»Ist das Ihr Kind?«

Anton nickte.

»Sie ist halb verhungert. Warum geben Sie ihr nichts zu essen?«

»Sie ißt nicht.«

»Worüber hat sie geklagt?«

»Ich glaube, sie hat's auf den Lungen.«

Der Arzt beugte sich über Paula.

»Sie pfeift aus dem letzten Loch,« sagte er. »Warum sind Sie nicht früher gekommen?« – Bevor Anton eine Antwort gab, wandte sich der Arzt zum Wärter und fragte: »Haben wir überhaupt Platz?«

Der Wärter schüttelte den Kopf.

»Bitte, behalten Sie sie,« flehte Anton. »Ich bezahle alles.«

»Was sind Sie denn?«

»Auf einem Bau,« log Anton, und legte ein paar Markstücke auf den Tisch.

»Erst geben Sie Ihre Personalien an,« sagte der Arzt und wies auf eine Tür, an der »Bureau« stand.

»Wollen Sie denn nicht erst die Paula . . .?« sagte Anton.

»Das lassen Sie unsere Sorge sein,« fuhr ihn der Arzt an. »Sie hätten sich früher um sie kümmern sollen.« – Er hatte Paula Rock und Bluse ausgezogen. »Kein Pfund Fleisch am Leib.« – Anton sah über die Schulter des Arztes hinweg und schloß die Augen. »Und hier,« sagte der Arzt und wies auf ein paar schlecht vernarbte Wunden auf dem Rücken, »geschlagen haben Sie sie auch.«

»Ich nicht,« beteuerte Anton.

»Wer denn?«

»Ihr Mann – der Hund!«

»Sie ist verheiratet?«

Anton, der glaubte, man werde sie dann vielleicht besser behandeln, sagte:

»Ja.«

»Dann muß der Mann ihre Aufnahme beantragen.«

»Wenn er sie doch schlägt.«

»Das kümmert uns nicht.«

»Er ist tot.«

»Wenn er tot ist, kann er sie nicht schlagen. – Herr, Sie kommen mir sehr verdächtig vor.«

»Früher – das sind doch Jahre her.«

Der Arzt wies auf das Bureau:

»Gehen Sie jetzt da hinein. Und ich rate Ihnen, machen Sie keine falschen Angaben. Wir prüfen nach. Und wenn, was Sie angeben, nicht stimmt, sitzt das Mädel morgen auf der Straße und Sie fliegen ins Loch.«

Anton warf noch einen Blick auf Paula, dann ging er wie ein verprügeltes Tier schwer und langsam in das Bureau.

* * *

Als er am nächsten Morgen wieder in das Bureau kam, um sich nach dem Befinden seiner Tochter zu erkundigen, führte man ihn in ein kleines Zimmer, das man, ohne daß er es merkte, von außen abschloß. Es dauerte keine fünf Minuten, da kam der Bureauvorsteher mit einem Polizisten und fuhr ihn an:

»Sie haben gestern falsche Angaben gemacht, obgleich der Oberarzt Sie gewarnt hat.«

»Das war doch man nur, weil ich dachte, daß Sie das Mädchen am Ende sonst nicht aufnehmen.«

»Damit haben Sie eine intellektuelle Urkundenfälschung begangen.«

»Ich hab' nichts unterschrieben.«

»Stellen Sie sich hier nicht dumm. Wir wissen auch, wer das Mädchen ist.

»Is se denn wieder uff'm Damm?«

»Um für Sie Geld zu verdienen.«

»Um was?« rief Anton und ging mit erhobener Faust auf den Beamten zu. »Sagen Se das noch mal!«

Der Beamte fiel ihm in den Arm. – Mit einem Ruck befreite sich Anton von ihm. Der Beamte taumelte an die Wand.

»Was haben Se von dem Mädchen jesagt?«

Der Beamte sah ängstlich zu dem Polizisten, der den Gummischlauch aus dem Gurt zog, und erwiderte:

»Wir wissen Bescheid!«

»Hund!« rief Anton und schlug ihm die Faust ins Gesicht. Im selben Augenblick streckte der Gummischlauch des Polizisten ihn nieder. Während er bewußtlos am Boden lag, legte ihm der Polizist Fesseln an.

Er kam schnell wieder zu sich. Über die gefesselten Hände war er keinen Augenblick lang erstaunt. Er erhob sich.

»Vorwärts!« befahl der Polizist.

Anton wandte sich an den Beamten, der ein blutunterlaufenes Auge hatte, und sagte:

»Entschuld'gen Se! Aber, bitte, sagen Se mir, wie es das Mädchen geht.«

»Raus ist sie!« brüllte der Beamte. »So was gehört hier nicht her.« Und da Anton mit gesenktem Kopf wie ein Stier auf ihn losging, schlug ihm der Polizist noch einmal den Knüppel über den Kopf. Dann zerrte er ihn zur Tür.

»Pack!« schimpfte der Beamte hinter ihm her.


 << zurück weiter >>