Artur Landsberger
Emil
Artur Landsberger

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Vierzehntes Kapitel,
Intermezzo

An demselben Morgen, an dem Baron v. Koppen als gemeingefährlicher Verbrecher in das Präsidium eingeliefert wurde, saß der neue Regierungsrat Emil Aufrichtig zum ersten Male in seinem Amtszimmer und studierte die Akten von Coeur-As. Tatsächlich enthielten sie nur die Vorgänge, die sich in Deutschland begeben hatten. Vorn aber war ein Vermerk des Inhalts, daß die Strafakten von Coeur-As bei den Polizeipräsidien in Paris, London und Neuyork zwecks Einsichtnahme eingefordert waren. Ein weiterer Vermerk berichtete über die Bereitwilligkeit der fremden Behörden und verzeichnete mit genauer Angabe der Daten den Eingang der Akten, die zwecks Bearbeitung vom Präsidium wieder an den ehemaligen Oberstaatsanwalt Spicker weitergegeben worden waren.

Emils erste Amtshandlung bestand, was man verstehen wird, darin, daß er sich mit dem Oberstaatsanwalt verbinden ließ. Er bat ihn nochmals um vorübergehende Überlassung der Akten, um ein Gesamtbild zu gewinnen. Aber der erwiderte:

»Unmöglich! Ich sitze selbst gerade über den Akten. Das ist der frechste Bursche, der mir in meiner Praxis bisher begegnet ist.«

»Ich finde, er hat eine ganze Reihe recht sympathischer Züge,« erwiderte Emil. »Wenn der aus einem anderen Milieu stammte, ich glaube, das wäre ein Ihnen ebenbürtiger Staatsanwalt geworden.«

»Ich muß doch bitten,« erwiderte Spicker empört. »Was sind das überhaupt für Vergleiche! Im übrigen begeht er Fehler über Fehler, und ich begreife nicht, daß man ihn noch immer nicht hat. Es würde mich interessieren, zu erfahren, ob sich in Ihren Akten auch Fälle befinden, in denen er plötzlich eine Art Gefühlsneurose zeigt, in der er alle Vorsicht außer acht läßt.«

»Gewiß, solche Fälle habe ich auch. Ein Beweis, daß er noch nicht völlig verroht ist.«

»Sie finden bei jedem Verbrecher noch etwas Gutes heraus.«

»Weil ich sie nicht für wilde Tiere halte, auf die man Jagd macht, sondern für bedauernswerte Menschen, denen man helfen soll.«

»Mit den Ansichten sollten Sie Pastor werden.«

»Wollen sehen, wer mit seiner Auffassung weiter kommt,« erwiderte Emil.

»Ich freue mich auf das Match mit Ihnen,« sagte der Oberstaatsanwalt, »und bin jederzeit bereit, die Summe zu verdoppeln.«

»Auf Wiedersehen!« rief Emil in den Apparat und hing den Hörer an.

Daß der Oberstaatsanwalt ihm aber nicht die Akten herausgab, stimmte ihn bedenklich.

* * *

Um die gleiche Zeit unternahm eine Abteilung der Kriminalpolizei eine Streife und suchte die Quartiere der Mädchen ab, die in dem Café Kuhle verkehrten. Das Resultat war die Festnahme von einem Mädchen und im Anschluß daran von ein paar Männern, die beschäftigungslos und vorbestraft waren. Es war gekommen, wie der Baron vorausgesagt hatte. Ein Mädchen, bei dem die Polizei gewesen war, lief über ein paar Höfe, kletterte über einen Zaun, pfiff zu einem Fenster hinauf und warnte ihre Freundin, die des Nachts dem Baron den Kaffee bezahlt und ihm als Ausgleich dafür die Kette aus der Tasche gezogen hatte. Die Freundin überlegte einen Augenblick lang, wo sie die Kette verbergen könnte, erinnerte sich eines Mädchens, das seit ein paar Nächten in dem Café saß und ein paar Häuser von ihr entfernt wohnte. Sie stürzte mit der Kette aus dem Haus, lief zu dem Mädchen, das noch im Bett lag, und rief:

»Die Polente ist hinter mir her!« und warf ihr die Kette zu. Dann lief sie auf demselben Wege in ihre Wohnung zurück. Wenige Augenblicke später erschien tatsächlich die Polizei, drohte, fragte, suchte und verschwand wieder. Aber sie klopfte eine halbe Stunde später auch bei der anderen, die arglos die Kette aufbewahrte. Das Mädchen hatte das weder gewollt noch vermutet, da die andere neu und, wie sie glaubte, der Polizei noch unbekannt war. Aber der Besitzer des Cafés hatte der Polizei die Namen und Adressen aller Mädchen preisgegeben. –

Die Polizei fand die Kette und nahm das Mädchen fest. Das Mädchen, das auffallend hübsch, aber todelend war und sich vor Schwäche kaum auf den Beinen halten konnte, verweigerte jede Auskunft.

»Machen Sie mit mir, was Sie wollen,« sagte es zu dem Kommissar, »mir ist alles gleich.«

Der Kommissar diktierte dem Schreiber das Protokoll. Es lautete:

»Ich bin die Freundin des berufs- und beschäftigungslosen Koppen, der mir das Kollier in Aufbewahrung gegeben hat. Ich wußte, daß es von einem Einbruch herrührte und daß ich mich dadurch der Hehlerei schuldig machte.«

»Lesen Sie ihr das Protokoll nochmals vor!« befahl der Kommissar. Der Schreiber las.

»Sie hören ja gar nicht zu,« brüllte der Kommissar das Mädchen an.

Das Mädchen fuhr erschrocken auf und erwiderte:

»Ich sagte ja schon, mir ist alles gleich.«

»Sie müssen unterschreiben.«

»Das kann ich ja tun.«

Der Schreiber gab ihr einen Halter und legte ihr das Papier vor. Das Mädchen unterschrieb.

»Ihr Freund hat übrigens alles gestanden,« sagte der Kommissar, während das Mädchen unterschrieb. »Ihr Leugnen hätte Ihnen also nichts genützt.«

Sie sah ihn groß an und fragte:

»Wer hat gestanden?«

»Koppen!«

Paula schüttelte den Kopf. Dann fragte sie:

»Was hat er denn gestanden?«

»Den Einbruch.«

Da zuckte das Mädchen zusammen. Eben noch todmatt, richtete es sich plötzlich hoch. Das Gesicht bekam Leben, die Augen Glanz, und jeden Nerv gespannt rief es:

»Was für ein Einbruch?«

»Bei der Filmdiva Assunta Lu.«

»Assunta Lu?« wiederholte das Mädchen, und mit einer Stimme, die kaum noch hörbar war, sagte sie: »Ich . . . dachte . . . schon . . . Emil!«

»Führen Sie sie ab!« befahl der Kommissar.


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