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Wenn es sich bei diesen Aufzeichnungen um einen Roman handeln würde, so könnte man vielleicht schreiben – schon, um unserem Helden die Sympathie der Leser ungemindert zu erhalten –, daß Emil auch auf seinem neuen Posten in erster Linie an Pflichterfüllung und erst in zweiter Linie an seine eigene Sicherheit dachte. Will man aber der Wahrheit die Ehre geben, so muß man leider sagen, daß dem nicht so war. Die Atmosphäre des Polizeipräsidiums legte sich ihm im Anfang doch lähmend auf die Brust. Dazu kam das Studium seiner Akten, die ihm seine Vergangenheit völlig geist- und humorlos erscheinen ließen, während sie in seiner Phantasie als interessante Eskapaden und Abenteuer fortgelebt hatten. Und in der Vorstellung, daß zur gleichen Zeit, wo er die deutschen Akten las, der Oberstaatsanwalt die Akten des Auslandes vor sich liegen hatte und jedes seiner Abenteuer verständnislos nur daraufhin prüfte, ob nicht irgendein Gesetzesparagraph auf sie Anwendung finden könne, verlor er, zum ersten Male, seitdem wir uns mit ihm beschäftigen, seine gute Laune.
Auch sah er mit einigem Unbehagen die Stunde, die ja nicht lange auf sich warten lassen konnte, voraus, wo er einem seiner früheren Freunde als Ankläger und Verfolger gegenüberstand. Nicht, daß er für sich und seine Sicherheit fürchtete – darüber, ob sie ihn verraten würden, dachte er nicht nach –, aber die Vorstellung, er werde mit einem Gefühl der Minderwertigkeit, das er als Strafgefangener den Beamten gegenüber nie gehabt hatte, seinen ehemaligen Kameraden gegenüberstehen, drückte ihn nieder.
Er stand auf, um die Tür zum Nebenzimmer zu schließen, in dem ein älterer Kommissar gerade einen Verbrecher vernahm. Er sah nur den geschorenen Kopf und den Rücken des Mannes, der dem Beamten gegenübersaß. Auf dem Tisch lag ein Stoß von Pelzen. Statt die Tür zu schließen, trat er zur Seite, damit der Kommissar ihn nicht sehen konnte, und wurde Zeuge folgender Vernehmung:
»Sie bleiben also dabei,« sagte der Kommissar, »daß die drei Nerzpelze, der Breitschwanzmantel und die vier Zobelgarnituren, die man in Ihrer Wohnung gefunden hat, zur Garderobe Ihrer Frau gehören?«
»Jawoll, Herr Richter, das is so!«
»Obgleich die sonstige Garderobe Ihrer Frau nur aus einem alten Mantel, einem unsauberen Rock und drei Waschblusen besteht?«
»Jede Frau hat ihren Fimmel. Meine is nu mal für Pelze.«
»Wo stammt denn das Geld für derartige Anschaffungen her?«
»Wissen Se, Herr Richter, wenn 'ne Ehe heutzutage halten soll, darf man 'ne Frau nich viel fragen.«
»Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß Ihre Frau Liebhaber hat und daß diese Liebhaber ihr derartige Geschenke machen?«
»Ich denk' mir jar nischt.«
»Im übrigen ist doch Ihre Frau weder jung noch schön.«
»Das sagen Se ihr man.«
»Und längst über die Jahre hinaus.«
»Se muß es doch verstehen.«
»Wissen Sie, was die Pelze für einen Wert haben?«
»Keene Ahnung!«
»Vierzigtausend Mark.«
»Nu sehn Se bloß mal an, des is ja een Vermögen.«
»Was sagen Sie aber dazu, wenn ich Ihnen verrate, daß in der Nacht vom 26. zum 27. März in das Pelzgeschäft von Arend in der Leipzigerstraße eingebrochen worden ist.«
»So was soll ja vorkommen.«
»Und daß da genau dieselben Pelze gestohlen wurden, die man bei Ihrer Frau gefunden hat.«
»Nu sagen Se bloß, Herr Richter, da kommt unsereins wegen seine Gutmütigkeit am Ende noch in Verdacht.«
»Wieso Gutmütigkeit?«
»Weil ich doch meiner Frau ihr Amüsemang lasse.«
»Zu welchen Gelegenheiten hat denn Ihre Frau die Pelze getragen?«
»Wenn ich mit se ausgegangen bin, nich.«
»Also wenn sie mit ihren Freunden zusammen war.«
»Des is 'n heikles Thema, Herr Richter, da möcht' ich mir nich drauf einlassen.«
»Wo waren Sie denn in der Nacht vom 26. zum 27.?«
»Wo ick immer bin.«
»Wo sind Sie denn immer.«
»Mal da – mal da. Das hängt von's Wetter ab. Und von de Jahreszeit.«
»Im März ist Frühling.«
»Es hat auch schon geschneit im März. Ich erinnere mir zum Beispiel an das Jahr 1911.«
»Das interessiert mich nicht.«
»Mir interessiert auch nich, was Se mir fragen.«
»Ich will nicht wissen, wo Sie im Jahre 1911, sondern wo Sie am 26. März 1925 waren.«
»Morjens, da bin ich so gegen acht zu de Hühner . . .«
»Abends!« unterbrach ihn der Kommissar wütend.
»Nee, morjens. Ich muß et doch wissen. Ich weiß et sojar genau. Ein Huhn, das war in das Gitter ingeklemmt«
»Ich will wissen, wo Sie am 26. März abends waren.«
»Wo soll ich'n jewesen sein? Zu Hause natürlich. Unsereins hat kein Geld zum lumpen.«
»Sie sind aber gesehen worden.«
»Mir sieht bald wer.«
»Und zwar um elf Uhr abends, als Sie fortgingen. Sie haben sogar ›guten Nabend‹ gesagt.«
»Des is schon Schwindel.«
»Wieso?«
»Weil ich immer ›Mahlzeit‹ sage, da könn' Se fragen, wen Se wollen.«
»Was denn? Sie sagen nachts um elf Uhr Mahlzeit?«
»Des hab' ich so an mir. Des ärgert de Leute. Weil se meist doch nischt im Magen haben und denken, man kommt gerade von's Essen.«
»Also gut! nehmen wir an, der Mann hat sich geirrt und Sie haben nicht guten Abend, sondern Mahlzeit gesagt.«
»Wenn Se meinen, der Mann hat sich geirrt, was woll'n Se denn mit son'n Zeugen?«
»Derselbe Mann hat Sie dort um drei Uhr nachts mit einem großen Paket wieder ins Haus gehen sehen.«
»Was hab ich'n da gesagt?«
»Das weiß ich nicht.«
»Der Mann muß ville zu tun haben, wenn er da noch immer vor das Haus stand.«
»Er steht an der Ecke und handelt mit Streichhölzern.«
»Derf er denn das um die Zeit?«
»Natürlich nicht.«
»Und auf so'n Mann, der jegen die polizeilichen Vorschriften verstößt, berufen Sie sich als Zeugen?«
»Geben Sie endlich zu, daß die Pelze aus dem Einbruch herrühren?«
»Dazu muß ich erst wissen, ob der Zeuge vorbestraft ist.«
»Was hat das mit den Pelzen zu tun?«
»Mit was für Pelzen?«
»Die wir in Ihrem Hause gefunden haben.«
»Wir reden doch jetzt von de Streichhölzer. Nu sagen Se bloß, Herr Richter, wie kommt so'n Mann dazu, mitten in der Nacht dazustehen und gegen die Polizei Verordnung . . .«
»Kreuzdonnerwetter! Machen Sie mich nicht toll.«
»So was kann mir ärgern.«
Emil, der im Gegensatz zu dem Kommissar Humor genug besaß, um sich über die überlegene, trockene Art zu amüsieren, mit der dieser Verbrecher es verstand, in kritischen Augenblicken auf Nebendinge abzulenken, vergaß, wo er war, und lachte laut auf.
Der Verbrecher rührte sich nicht. Aber der Kommissar wandte den Kopf zur Tür, sprang auf, rief:
»Ah! Herr Regierungsrat!« und verbeugte sich.
»Ich war zufällig Zeuge,« sagte Emil, und der Kommissar erwiderte:
»Ein hartgesottner Sünder!«
Emil trat näher, warf einen Blick in die Akten und sagte:
»Überlassen Sie mir mal den Mann.«
Der Verbrecher blieb unbeweglich und hielt es nicht einmal der Mühe für nötig, aufzustehen.
»Wünschen Herr Regierungsrat, daß ich bleibe?« fragte der Kommissar.
»Nein!« erwiderte Emil, worauf sich der Kommissar verneigte und hinausging.
Emil überflog die Akten und brabbelte vor sich hin:
»Karl Pflaume, fünfzehnmal vorbestraft wegen schweren Einbruchs, Raubs, Nötigung, Diebstahl. Ah! hier! Einbruch in das Pelzgeschäft von Arend. – Hm! Die Pelze sind da. Ein Zeuge auch. Und trotzdem leugnen Sie?«
»Nee!«
»Sie gestehen also?«
»Ich leugne weder, noch gestehe ich. Beweisen müssen Sie!«
»Stimmt!« sagte Emil und sah sich den Mann näher an. »Sind wir uns nicht schon mal irgendwo begegnet?«
»Mir war auch gleich so.«
»Bei Ihren vielen Vorstrafen wäre das ja kein Wunder.«
»Nee, hier nich! Die Brüder von's Präsidium kenne ich alle. Durch de Banke.«
»Na, dann vielleicht draußen?«
»Verkehren Se och ans Schles'sche Tor?«
»Hin und wieder.«
»Dann kennen Se och am Ende das Café Plinke?«
»Aber ja! Natürlich!«
»Des jehört meinem Schwager! – Aber wie kommen Sie 'n dahin? Dienstlich?«
»Nee! Um vom Dienst auszulüften.«
»Sie, des versteh' ich. Des macht mir Ihnen sympathisch. Ich könnt' hier och nich den janzen Tag an'n Schreibtisch sitzen und mir dumm kommen lassen.«
»Sie haben ganz recht. Das ist auf die Dauer unerträglich.«
»Bei uns – überhaupt ins Café Plinke – da is doch was los – alle Tage was anders. – Aber hier? Immer det gleiche.«
»Wie kann man aber auch so töricht sein?« fragte Emil, der fortgesetzt die Akten las.
»Was'n?«
»Sie brechen mit einem Dietrich die Tür auf, obschon Sie bloß die Glasscheibe einzudrücken brauchten.«
»Sehn Se, das hab' ich mir auch jesagt. Und ich hatte se auch schon ringsum ausgelotet.«
»Ja – und?«
»Wie ich mit de Laterne ableuchte, seh' ich, des is'n Kachelboden.«
»Was besagt das?«
»Der Lärm von de Scheiben.«
»Hatten Sie denn kein Teerpapier?«
»Was is'n das?«
»Da fällt die Scheibe nicht heraus und bleibt an der Hand kleben.«
»Bei Sie lernt man doch was.«
»Ein Mann wie Sie muß so was doch wissen.«
»Ich schäm' mir ja. Aber ich wußte es wirklich nich.«
»Na, das ist nicht mehr zu ändern.«
»Aber das nächste Mal.«
»Und wenn man Silber anfaßt und keine Handschuhe anhat . . .«
»Ich arbeite nich gern mit Handschuh.«
»Dann reibt man das Silber hinterher mit einem Tuch ab. Von Ihren fünfzehn Vorstrafen hätten Sie sich ein Dutzend ersparen können.«
»Wenn ich Ihnen vorher gekannt hätte.«
»Bei diesem Pelzdiebstahl kann Ihnen kein Mensch helfen.«
»Ich glaube och.«
»Dann wär's vielleicht das beste, Sie gestehen ein.«
»Mach ick!« erwiderte der Verbrecher und wies zur Tür. »Aber nich dem.«
»Ich würde Ihnen nicht dazu raten, wenn ich auch nur die geringste Möglichkeit für Sie sähe – aber es gibt keine.«
»Ich weiß, wo Se mir so entgegenkamen, lass' ick Ihnen auch nich sitzen. Ich gestehe alles. So'm Menschen wie Sie, hilft unsereins auch mal vorwärts.«
»Sie würden das auch zu Protokoll geben?«
»Ja!«
In diesem Augenblick erschien der Polizeidiener und überreichte Emil eine Karte. Emil las:
Amalie Aufrichtig.
Er wandte sich an den Diener und sagte:
»Führen Sie die Dame in mein Zimmer. Und zu dem Verbrecher sagte er:
»Wir machen das Protokoll heute nachmittag.«
»Wann Se woll'n. Ick hab' nischt zu versäumen.«
Dann ließ er ihn abführen und ging in sein Zimmer zurück.