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Als der Baron gegangen war, stand Emil noch lange in Gedanken und sah ihm nach.
Ich kann mir nicht helfen, sagte er sich, der Junge gefällt mir – und tut mir leid. – Und er überlegte, wie er ihm helfen konnte.
Er ging ein paarmal in der Halle umher, öffnete die Tür, die in das Innere der Wohnung führte und rief laut:
»Fräulein Konstanze!«
»Ich komme!« rief eine Frauenstimme, und im selben Augenblick stand Konstanze auch schon im Zimmer. Es klang wie ein Vorwurf, als sie fragte:
»Haben Sie wirklich einmal Zeit für mich?«
»Ein famoser Mensch,« sagte Emil halblaut vor sich hin.
»Wer?« fragte Konstanze.
»Der Baron!«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Ja!«
»Der ist doch blöd!«
»Das gerade gefällt mir an ihm.«
»Sie ziehen mich auf.«
»Ich wünschte mir, es wäre so.«
»Was hätten Sie dann?«
»Meine Ruhe. – Irgendwo einen Posten, auf dem ich nicht zu denken brauchte.«
»Das hielten Sie nicht aus.«
»Das ist ja das Schlimme.«
»Weil Sie immer neue Ideen haben.«
»Der Teufel hole die Ideen.«
Konstanze trat dicht an ihn heran und sagte:
»Ich glaube, Sie brauchten jemanden . . .«
Emil verstand.
»Sie meinen?« erwiderte er und wies auf Konstanze.
»Sie brauchten nur zu wollen.«
»Was wäre dann?«
»Ich glaube, ich würde nicht nein sagen.«
»Vor dieser Dummheit werde ich Sie bewahren.«
Konstanze war enttäuscht.
»Sie fühlen demnach gar nichts für mich?«
»Ich bin . . . nun, im besten Falle ein Abenteurer.«
»Gerade das reizt mich ja.«
»Auf ein paar Wochen! – Weil es neu ist – und verrückt – verstehen Sie? Als Sensation da reizt es Sie. Aber auf die Dauer – gar als Beruf – da wird Ihnen sehr bald der Geschmack vergehen.«
»Wieso vergeht er Ihnen nicht?«
»Bei mir, da war es nie anders. Ich wäre auch als Polizeipräsident nur eine Maske, hinter der der Verbrecher steckt.«
»Vielleicht bin ich's auch?«
»Sie sind ein Rüpel – ein Wildfang – nein! – ein Geschöpf zum Liebhaben sind Sie!«
»Ja, so haben Sie mich doch lieb!«
Emil breitete die Arme aus und rief:
»Ich liebe dich ja, du Luder!«
»Du Lümmel!« rief Konstanze und warf sich ihm an den Hals.
Sie küßten sich. Dann löste Emil die Umarmung, legte die Hände um ihre Taille, sah sie fest an und sagte:
»So! und nun wissen wir's!«
»Ich wußte es längst!«
»Und du wirst mir nun in allem folgen?«
»Ja! Und wenn du einen Mord von mir verlangst.«
»Ganz so schlimm ist es nicht, was ich von dir fordere.«
»Sprich!«
»Du wirst den Baron heiraten.«
Konstanze riß sich los, wich ein paar Schritte zurück und sagte:
» Waaas?«
»Ihr geht hier heraus aus diesem Trubel.«
» Wer?«
»Du und der Baron!«
»Und wohin, meinst du, daß wir gehen sollen?«
»An irgendeine Gesandtschaft im Auslande. Er ist gerade dabei, seinen Befähigungsnachweis zu erbringen.«
»Sei vernünftig, Konstanze, folge mir. Du kennst das Leben nicht. In ein paar Jahren, wenn du hörst, was aus mir geworden ist, wirst du einsehen, wie recht ich hatte.«
»Was hast du vor?«
»Ich habe kein Programm – ich kann keins haben. Ich lasse mich treiben.«
»So ändere du dich, mir zuliebe!«
»Ich könnte es dir versprechen, aber ich weiß, ich kann es nicht halten.«
»Versuch' es.«
»Es ist zwecklos. – Und nicht wahr, du wirst den Baron heiraten?«
»Wenn ich dich nicht habe, ist es mir auch gleich – ob ihn oder einen andern.«
»Und die dumme Bedingung, die du ihm gestellt hast?«
»Du weißt?«
»Du erläßt sie ihm?«
»Nein, nein, nein! So leicht darf er's nicht haben.«
»Also gut! Und wenn er sie erfüllt?«
»Dann weiß ich wenigstens, daß er ein Mann ist.«
»Das ließe sich am Ende auch auf andere Weise feststellen.«
»Ich will aber!« forderte sie eigensinnig, und Emil erwiderte:
»Bewilligt!«
Er streckte ihr die Hand hin. Sie warf sich ihm an den Hals und sagte:
»Du machst mit mir was du willst«
»Nur was zu deinem Guten ist,« erwiderte er und drückte sie an sich.
In diesem Augenblick betrat Redlich das Zimmer. Konstanze und Emil lagen sich noch in den Armen.
»Ja . . . das ist ja doch . . .!« rief er.
Emil ließ Konstanze los, trat dicht an ihn heran und erklärte in aller Form:
»Wir haben uns soeben entlobt.«
»Wa . . . as habt ihr?«
Konstanze warf sich dem Vater an den Hals und rief:
»Papa, ich bin ja so unglücklich!«
»Hat dieses Ungeheuer auch dir den Kopf verdreht?«
»Im Gegenteil, er hat ihn mir zurechtgesetzt,« erwiderte Konstanze unter Tränen, woraufhin Emil abermals förmlich die Erklärung abgab:
»Sie haben soeben der Verlobung Ihrer Tochter mit dem Baron Koppen beigewohnt.«
Redlich sah sich um und fragte:
»Wo ist er denn?«
»Keine Ahnung! Aber da es ihn sicher interessieren wird, so benachrichtigen Sie ihn vielleicht.«
»Ich verstehe kein Wort.«
»Das ist auch gar nicht nötig.«
»Ach, Papa, ich habe ihn ja so lieb!«
»Den Baron?«
»Ihn!« schluchzte Konstanze und wies auf Emil. – Redlich fragte nur:
»Was?«
»Oder glaubst du, ich hätte mich sonst mit dem Baron verlobt?«
Redlich faßte sich an den Kopf.
»Weil du . . . ihn . . . liebst . . . darum hast du dich mit dem . . . Baron?«
»Ja, so verstehe doch!«
»Ich verstehe kein Wort.«
»Das ist auch jetzt nicht nötig,« erwiderte Emil.
»Ihr müßt mir das noch später erklären. Draußen ist nämlich der Kriminalinspektor v. Reifenbach.«
»Wer?« fragte Emil und zuckte zusammen.
»Er hat dringend mit Ihnen zu sprechen.«
»Ihr sagt noch immer ›Sie‹ zueinander?« frag Konstanze.
Obschon Emil mit seinen Gedanken bei dem Kriminalinspektor war, so erwiderte er doch:
»Ich als der Jüngere konnte doch nicht gut . . .«
»Wo ich doch in die Verlobung mit dem Baron eingewilligt habe?«
»Deswegen soll ich mich mit Herrn Aufrichtig . . .?«
»Aber, Papa, du verstehst auch heute gar nichts.«
»Wenn Ihre Tochter es sich wünscht, so sollten wir ihr den Gefallen tun.«
»Ich weiß gar nicht . . .«
Konstanze nahm die Gläser, die auf dem Tisch standen, und reichte sie gefüllt dem Vater und Emil.
»Es sind dieselben Gläser, aus denen ich vor fünf Minuten mit dem Baron Schmollis getrunken habe,« sagte Emil.
»Was? Mit dem Baron duzen Sie sich auch?«
»Ich bitte dich, ich werde zu deinem Schwiegersohn doch nicht ›Sie‹ sagen.«
Konstanze drängte ihrem Vater das Glas in die Hand.
»So!« – Sie stießen an und tranken. »Und nun der Kuß!« befahl Konstanze. – Emil trat an Redlich heran und sagte:
»Du bist von einer Gründlichkeit, Konstanze!«
Redlich hatte den Mund noch voll.
»Wa . . . as?« rief er, »mit meiner Tochter . . . duzen . . . duzt . . . du . . .«
Emil verhinderte ihn durch einen Kuß auf den Mund am Weitersprechen. Als er ihn freigab, klopfte es an die Tür. Er rief:
»Herein!«
Der Kriminalinspektor v. Reifenbach, der Typ des Polizeibeamten in gehobener Stellung, steckte den Kopf herein und fragte:
»Störe ich?«
»Sie kommen immer zur rechten Zeit,« erwiderte Emil.
Reifenbach wandte sich an Redlich:
»Sie haben Herrn Aufrichtig gesagt, daß ich gern auf ein paar Minuten . . .«
»Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung,« erklärte Emil. Aber die Sicherheit war nicht ganz echt und man sah ihm an, wie ihm zumute war.
Der Inspektor wandte sich an Redlich und Konstanze: |
»Wenn ich dann vielleicht bitten dürfte, uns ein paar Augenblicke allein zu lassen.«
»Wie denn?« fragte Emil – und ihm schien jetzt wirklich unbehaglich zumute. – »Mein Sozius darf nicht hören . . .?«
»Wenn er Sie doch allein sprechen will!« sagte Redlich, nahm Konstanze beim Arm und ging mit ihr hinaus.
Emil bot dem Kommissar einen Stuhl an. Der Kommissar setzte sich. – Emil, dem es offenbar nicht eilte, die Unterredung zu beginnen, holte Zigarren. Der Kommissar lehnte ab.
»Ein Gläschen Wein vielleicht?« fragte Emil.
»Vormittags nicht.«
»Wenn ich Ihnen vielleicht ein Brötchen mit Kaviar . . .?«
»Danke! Also hören Sie! . . .«
»Wenn es Ihnen zu heiß ist, stelle ich die Heizung ab.«
»Aber nein! So hören Sie doch endlich. Sie müssen mir auf eine Spur verhelfen.«
»Ich . . . Ihnen?«
»Dieser gemeingefährliche Einbrecher – Sie haben von ihm gehört?«
»Etwa . . .«
»Ja, Coeur-As! Er ist der Schrecken meiner sämtlichen Beamten.«
»Was Sie sagen!«
»Ein ganz gefährlicher Mensch!«
»Sie sollten eine Belohnung auf seine Ergreifung aussetzen.«
»Das ist längst geschehen. Meine Leute sind Tag und Nacht auf den Beinen.«
»Nach dem tollkühnen Einbruch hier waren wir ihm auf der Spur.«
»Nicht möglich.«
»Wieso nicht möglich?«
»Ich meine, daß Sie ihn dann noch immer nicht haben.«
»Er ist wie vom Erdboden verschwunden.«
»So ein Kerl!«
»Er ist ein Genie!«
»Sehr schmeichelhaft!«
»Wie bitte?«
»Ich meine, Sie übertreiben.«
»In seinem Fache ist er jedenfalls unerreicht.«
»Und Sie haben sich in den Kopf gesetzt, ihn unschädlich zu machen?«
»Selbstredend! Das Prestige der Polizei steht auf dem Spiel.«
»Und ich soll Ihnen dazu, verhelfen?«
»Darum bin ich hier.«
»Und wieso – meinen Sie – daß gerade ich . . .?«
»Ihre sensationellen Erfolge.«
»Sie übertreiben.«
»Seit Bestehen Ihrer Gesellschaft ist die Zahl der Einbrüche um fünfundzwanzig Prozent zurückgegangen.«
»Und Sie führen das auf unsere Tätigkeit zurück?«
»Zweifellos.«
»Das wäre allerdings sehr schmeichelhaft für unsere Gesellschaft. Aber wenn ich offen sein darf . . .«
»Ich glaube, Ihre Statistik hat ein Loch.«
»Inwiefern?«
»Die fünfundzwanzig Prozent sind eine Täuschung, da viele vom Einbruch Betroffene sich gar nicht mehr an die Polizei, sondern direkt an uns wenden.«
»Dann ersparen Sie uns also noch Arbeit?«
»Unbedingt. Aber als Geschäftsmann tue ich nichts umsonst.«
»Wir können Sie doch unmöglich dafür bezahlen?«
»Warum nicht? – Es braucht ja nicht in bar zu sein.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß wir im Begriff stehen, uns in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln.«
»Ich habe davon gehört.«
»Wir hätten im Aufsichtsrat gern einen prominenten Kriminalisten – am besten Sie!«
»Sehr schmeichelhaft – aber das würde der Gesellschaft nach außen hin einen halbamtlichen Charakter geben.«
»Gewiß, aber dafür würde sich zugleich das Vertrauen in die Polizei heben.«
»Darf ich Ihre Frage mit einer Gegenfrage beantworten?«
»Bitte!«
»Wären Sie Ihrerseits geneigt, Ihre seltene kriminelle Begabung in den Dienst der Polizei zu stellen?«
Emil, der vor zwei Minuten noch geglaubt hatte, daß es sich um seine Verhaftung handle, war völlig verblüfft
»Wie? . . . ich soll . . .?«
»Die Anregung geht direkt vom Minister aus, der auf Ihre Erfolge aufmerksam wurde.«
»Und Sie meinen?«
»Zur Bearbeitung besonders schwieriger Fälle . . .«
»Die ich mir – selbst aussuchen dürfte?«
»Ganz gewiß!«
»Dieser Coeur-As zum Beispiel wäre so ein Fall, der mich reizen würde.«
»Wenn ich dem Präsidenten das melden könnte!«
»Es dürfte mir natürlich niemand hineinreden.«
»Das, glaube ich, verbürgen zu können.«
»Leicht fällt es mir nicht, denn ich habe so schon kaum eine Stunde für mich.«
»Mit ein bißchen gutem Willen geht es bestimmt.«
»Ich empfinde es ja selbst als eine Art moralische Pflicht, meine Erfahrung der Allgemeinheit nutzbar zu machen.«
»Ein Mann mit soviel Verantwortungsgefühl wäre eine Zierde für unsere Beamtenschaft.«
»Und Sie würden, wenn ich mich dazu entschlösse, in unseren Aufsichtsrat treten?«
»Ich bin überzeugt, daß der Herr Polizeipräsident unter dieser Bedingung gern die Einwilligung gibt.«
Emil stand auf, reichte dem Inspektor die Hand und sagte:
»Auf gute Kameradschaft also!«
Der Beamte schlug freudig ein und erwiderte:
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, dem Minister diesen Bescheid bringen zu können.«
Als sie durch die Halle gingen, sagte Emil:
»Ich darf Sie dann wohl bitten, mir die Strafakten von Coeur-As zu schicken?«
»In einer halben Stunde haben Sie sie hier.«
»Und es bleibt dabei, daß kein anderer sich mit diesem Fall beschäftigt?«
»Mein Wort darauf.«
Der Kriminalinspektor war noch nicht aus dem Hause, da stürzte Emil zur Tür, riß sie auf und rief:
»Konstanze!! Schnell, schnell!«
»Was ist?« rief eine Stimme.
»Eine Neuigkeit!«
Konstanze eilte herbei.
»Doch nichts Unangenehmes?«
»Ich bin durch das besondere Vertrauen des Herrn Minister ehrenamtlich zum Polizeikommissar ernannt.«
» Du? – Nicht möglich!«
»Und zwar wird meine erste Aufgabe sein, einen Schwerverbrecher, an dem sich bisher meine Herren Kollegen vergeblich versucht haben, unschädlich zu machen.«
»Wen denn?«
»Den ehemaligen Schiffssteward Emil Wohlgemuth alias Aufrichtig, genannt Coeur-As!«
Konstanze fiel vor Schreck und Staunen in den Sessel. Dann rief sie:
»Das ist der Gipfel!«
»Zweifelst du, daß es mir gelingt?«
»Du bringst schließlich auch das fertig.«