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Man sollte es nicht für möglich halten, wie schnell manchmal selbst die bureaukratische Maschine arbeitet. Auf einen leisen Druck von oben war die Ernennung Emils sofort erfolgt. Und zwar ernannte man ihn zum Regierungsrat, beorderte ihn aber zuvor zur Dienstleistung bei der Kriminalpolizei, um ihm – wie es amtlich hieß – Gelegenheit zu geben, für die in Vorbereitung befindlichen Reformen des Strafvollzugs praktische Kenntnisse und Erfahrungen zu sammeln. In Wahrheit war es ein Kompromiß. Emil bestand darauf, zunächst einmal den Fall Coeur-As zu erledigen, dem er, wie er behauptete und wovon er sich nicht abbringen ließ, seinen Aufstieg verdankte.
Das hinderte ihn aber nicht, die Reformen für Strafgefangene und Strafentlassene in einer Denkschrift niederzulegen, die er vervielfältigen und zum Entsetzen seiner vorgesetzten Behörden den Parteiführern im Landtag überreichen ließ. Die Presse griff sie auf. Die Öffentlichkeit erregte sich für und wider. Alle Welt war von dem Tatsachenmaterial verblüfft, das er zusammentrug. – »Endlich mal kein Theoretiker!« hieß es. »Ein Mensch, der den Dingen auf den Grund gegangen ist. Kein Schreibtischmensch. Einer, der ein Herz für die Ärmsten der Armen hat. Dabei aber nicht nur die Wunden aufzeigt, sondern auch Wege zur Besserung weist. Ein Reformator großen Stils, zu dem man die Justiz beglückwünschen kann.« – Freilich gab es, wie immer, auch Stimmen, die anders klangen. So schrieb ein Blatt: »Mit diesem unverkennbar nicht gewöhnlichen Menschen hat das Ministerium sich einen Mann verschrieben, an dem es wenig Freude erleben dürfte. Vielleicht erkennt es sehr bald, daß es mit dieser Ernennung den Bock zum Gärtner bestellt hat. Fraglos sind viele seiner Anregungen der Beachtung wert. Im großen ganzen aber gewinnt man doch den Eindruck, daß hier auf Kosten der Sicherheit der bürgerlichen Gesellschaft gar zu weitgehende Rücksicht auf die Psyche der Verbrecher genommen wird.«
Stimmen dieser Art aber befanden sich in der Minderheit. Emils humane Auffassung von den Pflichten des Staates gegenüber seinen Verbrechern wurde als der erhabene Ausdruck eines sittlich hochstehenden, gütigen Menschen gepriesen.
Es war ein beängstigendes Tempo! Während der Minister mit dem Staatssekretär vor den Morgenblättern saß und gerade über die Möglichkeiten eines Disziplinarverfahrens gegen den kaum ernannten Beamten nachdachte, begrüßte der Polizeipräsident den neuen, verehrten Mitarbeiter, wies auf dessen große Erfolge als Chef der Firma Redlich und Aufrichtig hin, durch die er die Aufmerksamkeit weiter und hoher Kreise auf sich gelenkt habe. Er nannte ihn einen Liebling der Götter und gab der Hoffnung Ausdruck, daß, wenn er voraussichtlich auch bald zu höheren Aufgaben berufen würde, die kurze Zeit seiner Tätigkeit im Präsidium doch ausreichen werde, um die ihm unterstellten Abteilungen mit seinem Geiste zu erfüllen und das Vertrauen der Bevölkerung in die Tüchtigkeit der Beamtenschaft zu befestigen.
Emil hatte wenig Sinn für Feierlichkeit. Das war überhaupt sein Unglück, daß er kein Zweckmensch war und aus einer Situation selten einen Vorteil für sich zu ziehen suchte. Auch an jenem denkwürdigen ersten Abend in der Villa Redlichs war nicht er, sondern Redlich es gewesen, der die Gelegenheit genutzt hatte. So sagte er auch hier:
»Alles im Leben ist Zufall. Den einen macht das Leben zum Verbrecher, den anderen zum Millionär. Veranlagung ist kein Verdienst. Wie wir unsere Veranlagung nutzen, kommt auf das Milieu an, in das man uns stellt. Ich habe mich immer treiben lassen, überall aber, wo man mich hinstellte, meinen Mann gestanden und meine Pflicht getan. Wie ich nicht wünsche, daß man mich schilt, wenn ich mißfalle, so wünsche ich auch nicht, gelobt zu werden für etwas, was eigentlich nur in Ihrer Vorstellung besteht, – noch dazu in einer falschen. Das Leben ist ja so dumm! Sie haben ja gar keine Ahnung, wie dumm es ist – sobald man es ernst nimmt.« – Er erschrak plötzlich und rief: »Allmächtiger! Was rede ich da? Denken Sie, ich war mit meinen Gedanken eben ganz wo anders.« – Er nahm Haltung an und fuhr fort: »Ich stehe ja hier vor dem Repräsentanten einer der feierlichsten Behörden. Denn das Wesen, auf dem die Existenz der Polizei beruht, ist der Respekt.« – Er sprach jetzt fast wie ein Offizier. – »Und da wäre ich beinahe darauf verfallen, geistreich zu werden. Meine Herren! Herr Präsident! Ich bin mir der Schwere der Aufgabe bewußt. Ich hoffe, daß es mir gelingt, das in mich gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen.« – Die Stirn des Präsidenten glättete sich. Das waren Worte von gutem Klang, von altem Klang. Goldene Worte, die man seit hundert Jahren und länger bei derartigen Gelegenheiten sprach. Worte, die Revolutionen überdauerten! – Emil fuhr fort und der Präsident sprach leise jedes Wort mit: »Ich rechne auf die so wertvolle Mitarbeit der Beamtenschaft. Nur wenn jeder einzelne seine Pflicht tut, jeder als Glied einer Kette sich fühlt, im Dienst des Ganzen, eines Höheren, des Staates« – Allmächtiger! dachte Emil, während er sprach und erschrak vor seiner eigenen Rede, während den Präsidenten ein Gefühl überlief wie den Kommandeur eines Regiments beim Anhören des Präsentiermarsches – »des Staates,« wiederholte Emil, »kann Ersprießliches geleistet werden. Die Polizei, meine Herren Kollegen, wenn ich Sie so nennen darf, muß jedem Bürger, ohne Rücksicht auf den Stand, mit der gleichen Höflichkeit begegnen.« – Auf der Stirn des Präsidenten erschien wieder die erste Falte. »Vergessen Sie nie, daß auch die, die gegen die Gesetze verstoßen, im Innern oft gute Menschen sind,« – die zweite Falte markierte sich auf der Stirn des Präsidenten – »daß wir alle unsere Fehler haben und mehr oder weniger alle mit daran schuld sind, wenn andere straucheln.« – Der Präsident fuhr sich mit dem Zeigefinger hinter den hohen Kragen und schnappte nach Luft. Er hielt es für seine Pflicht, weiteren Entgleisungen Emils vorzubeugen und reichte ihm möglichst unauffällig einen Zettel, auf dem stand:
»Derartige Erwägungen, verehrter Herr Kollege, sind hier nicht angebracht.«
Teufel ja! dachte Emil, was ist das nur mit mir? Schon wieder die falsche Walze! Er preßte die Brust heraus, drückte die Knie durch und fuhr in völlig verändertem Tone fort:
»Alles das sind aber Dinge, über die höhere Stellen zu befinden haben. Für uns Beamte bleibt Pflichterfüllung oberstes Gesetz. Wenn wir uns hier mit Gedanklichem belasten, so leidet naturgemäß der Dienst darunter. Hier darf es keine Sentimentalitäten geben. Hier gilt frisches Draufgehen und rasches Zugreifen. Unter diesem Zeichen trete ich unter Sie! Unter diesem Zeichen werden wir siegen.«
Emil unterdrückte mit Mühe ein dreifaches Hoch! Der Präsident rief Bravo und drückte ihm beide Hände. Den Kommissaren und den untergeordneten Stellen war zumute wie bei einer Fahrt auf der Schwebebahn. Plötzlich war man unten, um im nächsten Augenblick ohne jeden Übergang mit einem plötzlichen Ruck wieder nach oben befördert zu werden. Und die natürliche Folge war, daß sie sich auf ihren Zimmern über die innere Einstellung Emils stritten.
»Das ist einer von der alten Garde!« sagte ein graubärtiger Kommissar. »Frisch draufgehen, rasch zugreifen! Das klingt wie ein alter Militärmarsch! Der Mann kann mir gefallen!«
»Da haben Sie ihn aber völlig mißverstanden,« erwiderte ein junger Kollege. »Der Mann will, daß wir mit den Gannoven Schmollis trinken und in ein kollegiales Verhältnis zu ihnen treten.«
»Zum Schein natürlich,« erwiderte der andere. »Um sie zu bluffen.«
In diesem Augenblick erschienen zwei Beamte und lieferten einen gefesselten Verbrecher ein. Der Mann sah wie ein Gentleman aus. Zwar war der Rock zerrissen und der Hut verbeult. Er hatte Verletzungen im Gesicht und an den Händen. Aber alles das konnte ebensogut von einem Unfall herrühren. Wie ein Verbrecher sah er jedenfalls nicht aus.
»Wo habt ihr den her?« fragte der ältere Beamte. »Der Mann sieht ja soweit ganz harmlos aus. Freilich heutzutage . . .«
»Der und harmlos?« rief der jüngere Kollege. »Dem steht das Gewerbe im Gesicht geschrieben. Kluft wie'n Kavalier, Lackschuhe und seidene Strümpfe.« – Er trat nahe an ihn heran und musterte ihn genau. »Der Kerl riecht auf fünf Schritte Entfernung nach Patscholi. Pfui Deibel! So was am frühen Morgen und auf nüchternen Magen. Und so was wird nun geliebt. – Wie oft sind Sie vorbestraft?«
Der junge Mann fuhr zusammen, lächelte und sagte:
»Aber nein! Gar nicht! Was denken Sie!«
»Ach so! Sie wollen also den Harmlosen spielen? Sie wissen natürlich von nichts. – Na, von wem haben Sie denn die Kluft?«
Der Mann suchte die beschädigten Stellen seines Anzuges zu verdecken und sagte:
»Sie entschuldigen! – Sie glauben gar nicht, wie peinlich es mir ist, in diesem Aufzuge – wenn mich jemand so sieht.«
»Jagdschein, was? Sie spielen verrückt. Lieber Freund, das Theater verfängt bei uns nicht.«
Jetzt mischte sich auch der ältere Beamte mit ein:
»Ein Mann, der aussieht wie Sie, gehört entweder zur guten Gesellschaft oder läßt sich von Frauen aushalten.«
»Wie kommen Sie darauf?« erwiderte er ganz entsetzt. »Das ist ja furchtbar! Sehe ich denn so aus?«
»Auf zehn Schritte sieht man Ihnen das an.«
»Entsetzlich!« rief der junge Mann und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
»Ich habe Ihnen doch gesagt,« fuhr der Beamte ihn an, »Sie sollen sich das Theater für die Hauptverhandlung aufsparen. Wir hier sind keine Idioten.« – Er wandte sich an die Beamten: »Wo ist der Mann aufgegriffen worden? Vermutlich hat ihn eins der Mädchen verpfiffen?«
»Im Café Kuhle.«
»Na also! Da haben wir's ja! Das genügt.« Und zu dem Schreiber sagte er: »Nehmen Sie die Personalien auf. Sie heißen?«
Der junge Mann fragte verlegen:
»Muß das sein?«
»Idiot! Stellen Sie sich hier nicht so dumm. Und ich kann Ihnen nur raten, geben Sie keinen falschen Namen an. Sonst machen Sie sich außerdem noch der intellektuellen Urkundenfälschung schuldig. Wir führen Buch. Das Verbrecheralbum und Ihre Fingerabdrücke verraten Sie doch.«
»Aber . . . ich . . .«
»Ich rede!« unterbrach er ihn. »Überhaupt kommen Sie mir sehr bekannt vor. Also! Wann hatte ich schon mal mit Ihnen zu tun?«
»Ich wüßte wirklich nicht.«
»War's nicht im letzten Sommer – wie?« pfiff er ihn an.
»Möglich. Ich erinnere mich nicht.«
»Aber ich.«
»Dann sind wir uns vielleicht in Karlsbad begegnet?«
»Wo?«
»Oder später am Rigi?«
»Mann!« tobte jetzt der Beamte. »Wenn Sie glauben, daß ich mich von Ihnen an der Nase herumführen lasse, dann irren Sie sich. Also wie heißen Sie?«
»Wenn es denn sein muß – Sie glauben gar nicht, wie peinlich mir das ist – schon der andern wegen – kann man das denn nicht irgendwie unterdrücken?«
»Der spinnt, scheint's, wirklich,« sagte der ältere Beamte, während der jüngere ihn nur noch gröber anfuhr:
»Ihren Namen!«
Der junge Mann senkte den Kopf und sagte leise:
»Koppen!«
»Stimmt das auch?«
»Sie können auch schreiben: Baron v. Koppen.«
»Sie sehen auch gerade so aus. – Also schreiben Sie Koppen. Vorname?«
»Wolf Dietrich!«
»Sie, das klingt sehr unwahrscheinlich. Was war denn Ihr Vater?«
»Gehört das auch zum Protokoll?«
»Nein!« erwiderte der Sekretär. – »Aber Ihr Beruf?«
»Den kennen wir ja,« erwiderte der Beamte. »Was waren Sie früher?«
»Diplomat!«
»Wa . . . a . . . s? Diplo . . .? Hören Sie, junger Mann, der Witz ist gut. Sie haben Humor. Warum nicht gleich Reichskanzler?«
»Das war mein Ziel – aber nun, nach dieser Affäre!«
»Schreiben Sie beruflos,« befahl der Kommissar dem Schreiber.
»Ich bin doch aber . . .«
»Interessiert uns nicht. Schreiben Sie weiter: Ich gebe zu, in der Nacht vom vierten zum fünften März – wann war das?« fragte er die Polizisten.
»Etwa vier Uhr.«
»Also schreiben Sie: zwischen drei und vier Uhr wie jede Nacht in dem Café Kuhle verbracht zu haben.«
»Erlauben Sie! Ich war noch nie in meinem Leben . . .«
»Kenn' ich! Sie waren natürlich das erstemal in dem Café und kannten nicht einmal den Namen.«
»Ich habe ihn eben zum erstenmal gehört.«
Da brüllte der Beamte erheitert auf und bog sich vor Lachen. Auch sein Kollege stimmte in die Heiterkeit mit ein.
»Was hab' ich gesagt?« pruschte er den Kollegen an. »Er war das erstemal – er kannte den Namen des Cafés nicht – die Gegend war Ihnen ganz fremd, nicht wahr? – Und von den kleinen Mädchen, die da nachts über entlang trippeln, kennen Sie auch keine, Herr Baron!« fügte er spöttisch hinzu.
»Ich habe in der Gegend sonst nichts zu tun.«
Der Beamte wandte sich wieder an den Polizisten:
»Sie haben gesehen, daß er von den Mädchen Geld genommen hat?«
Der Polizist erwiderte zögernd:
»Das gerade nicht.«
»Sie haben sein Gespräch belauscht und es daraus entnommen?«
»Das auch nicht gerade.«
»Die Mädel haben es Ihnen also erzählt?«
»Die Mädel . . .«
». . . wollen natürlich ungenannt sein. Sie haben Furcht, er wird sich rächen. Also gemeingefährlich, wie ich schon sagte. Hilft nichts! Das Zeugnis von den Mädchen müssen wir haben.« – Er wandte sich an den Baron, der völlig erschlagen dem Beamten gegenübersaß: »Es sei denn, daß Sie einfach zugeben, von ihnen Geld genommen zu haben.«
»Ich weiß es nicht.«
»Sie gestehen also endlich ein. Das ist verständig von Ihnen. Sie waren ja sowieso überführt.«
»Ich war sehr erregt – goß eine Tasse Kaffee herunter – legte zehn Mark auf den Tisch – es können auch zwanzig gewesen sein – als der Kellner sie nehmen will, sind sie fort – da hat dann, glaube ich, eins der Mädchen – ich weiß es nicht, es standen so viele herum – die fünfundzwanzig Pfennige für mich bezahlt – vermutlich dieselbe, die den Zwanzigmarkschein vom Tisch genommen hat.«
»Gegeben hat, wollen Sie sagen.«
»Genommen!«
»Irgendwer muß Ihnen den Schein doch gegeben haben.«
»Wieso?«
»Fragen Sie nicht so dumm. Oder wollen Sie mir einreden, daß jedem Besucher des Café Kuhle beim Eintritt in das Lokal von dem Portier zwanzig Mark in die Hand gedrückt werden?«
Der alte Beamte und die Polizisten lachten laut auf.
»Sie haben Humor, Kollege!« rief der Beamte, worauf der Jüngere unter Hinweis auf Koppen erwiderte:
»So ein Gannove denkt sonst womöglich noch, man nimmt ihn für ernst.«
»Das haben wir gar nicht gesehen,« sagten die Polizisten.
»Auch nicht nötig,« erwiderte der Beamte. »Er gesteht es ja ein« – und zum Schreiber gewandt fuhr er fort: »Schreiben Sie also: Ich saß wie jede Nacht mit Mädchen der dortigen Gegend an einem Tisch des Café Kuhle, wo ich eine Tasse Kaffee trank. Als ich mit einem Zwanzigmarkschein, über dessen Herkunft ich die Aussage verweigere, zahlen wollte, war der Schein plötzlich verschwunden. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat ihn eins der Mädchen an sich genommen, das dann auch den Kaffee für mich bezahlte. Ihren Namen möchte ich nicht nennen. Was ich an Kleidung und zu meinem Lebensunterhalt benötige, beziehe ich auf gleichem Wege. – So! das können Sie, ohne irgendwelche Nachteile für sich zu befürchten, unterschreiben.«
»Kann ich dann gehen?« fragte der Baron.
»Zuvor müssen Sie jedenfalls das Protokoll unterzeichnen.«
Er reichte dem Baron die Feder und fragte, während der Baron unterschrieb, einen der Polizisten:
»Das Protokoll enthält doch alles Wesentliche?«
»Ja,« erwiderte der, »bis auf den Einbruch.«
»Einbruch? Was für'n Einbruch?«
»Das in dem Café war doch nachher.«
»Sie haben eine sonderbare Art, einen klaren Sachverhalt zu komplizieren. Sie liefern hier einen Mann wegen Zuhälterei ein . . .«
»Wegen Einbruchs, Herr Kommissar!«
»Davon haben Sie bisher kein Wort gesagt.«
»Ich wollte die Vernehmung nicht stören.«
»Einen Einbruch hat er also auch begangen?«
»Ja!«
»Berichten Sie!«
»Wir sahen,« begann einer der Polizisten, zog sein Dienstbuch aus der Tasche und las daraus vor, »wie ein Mann gegen zwei Uhr die Fassade einer Villa in der Leibnizstraße emporkletterte und durch ein offenstehendes Fenster einstieg. Bald darauf wurde es hell im Zimmer. Es dauerte nicht lange, da wurden die Gardinen vorgezogen, es blieb eine Weile hell, dann erlosch das Licht von neuem.«
»Und Sie sind nicht auf den Gedanken gekommen, dem Mann nachzusteigen?« fragte der ältere Kommissar.
Der Polizist erwiderte:
»Ich war mit dem Rapport beschäftigt.«
»Und Sie?« fragte er den zweiten Polizisten.
»Ich dachte mir, da er so bequem eingestiegen ist, wird er wohl auf dem Wege wieder heraussteigen. Trotzdem gab ich auch auf die übrigen Fenster und auf die Haustür acht.«
»Inzwischen konnte ja jemand oben umgebracht werden,« warf der ältere Kommissar ein, worauf der Polizist erwiderte:
»Das hätten wir auch festgestellt. Jedenfalls dauerte es knapp eine halbe Stunde, da wurde es für Augenblicke wieder hell, und als das Licht erlosch, öffnete sich das Fenster und der Mann stieg wieder heraus. Wir verbargen uns, sahen noch, wie er sich an dem Geländer eines Balkons im Erdgeschoß Rock und Hose zerriß, und folgten ihm unauffällig.«
»Warum haben Sie da noch immer nicht zugegriffen?« fragte der Kommissar.
»Weil wir feststellen wollten, ob er Helfershelfer hatte.«
»Das war klug von Ihnen.«
»Der Mann rannte wie besessen, als wenn er sich verfolgt glaubte, und stürzte dann an der nächsten Ecke in das Café Kuhle, in das wir ihm unauffällig folgten.«
»Das haben Sie ausgezeichnet gemacht.«
»Dann stammten die zwanzig Mark am Ende von dem Einbruch her,« sagte der ältere Kommissar, worauf der jüngere erwiderte:
»Aber, Herr Kollege, wir wissen ja bereits, daß sie einem der Mädchen gehörten, das sie beim Zahlen auch wieder an sich nahm.« – Dann wandte er sich an den Baron und fragte: »Was haben Sie auf den lückenlosen Bericht dieses Beamten zu bemerken?«
Der Baron hatte, während der Polizist aus seinem Buche vorlas, unruhig in seinen Taschen herumgesucht und war dabei in immer größere Erregung geraten.
»Antworten Sie!« fuhr ihn der Kommissar an. »Geben Sie zu, was der Bericht Ihnen vorwirft?«
»Sind Sie taub?«
»Nein! Aber ich habe die Kette verloren.«
»Was für eine Kette?«
»Assuntas Perlen.«
»Herr! Hören Sie endlich auf, hier verrückt zu spielen.«
Der Baron stülpte, ohne auf den Kommissar zu achten, sämtliche Taschen um, riß sich Rock und Weste vom Leibe, durchsuchte fieberhaft jedes Stück, das er am Körper hatte, und rief verzweifelt:
»Assuntas Perlen! Sie sind mir gestohlen.«
»Sie sind hier im Polizeipräsidium und nicht bei einer Filmaufnahme.«
»Wir haben festgestellt,« sagte der Polizist, »daß die Wohnung, in die der Einbrecher einstieg, der Filmschauspielerin Assunta Lu gehört.«
»Hören Sie!« rief der Beamte dem Baron zu, der immer verzweifelter seine Sachen durchsuchte. »Sie sind überführt! Ersparen Sie sich die Anstrengung. Geben Sie den Einbruch zu.«
»Natürlich gebe ich ihn zu. Wie sollte ich denn sonst zu den Perlen kommen?«
»Habe ich Sie endlich so weit?« – Und zum Schreiber sagte er: »Schreiben Sie: Ich gebe ferner zu, in die Wohnung der Filmschauspielerin Assunta Lu gewaltsam eingebrochen zu sein, um sie . . .« – Er wandte sich wieder an den Baron: »Zu welchem Zweck? Zu einem Liebesrendezvous steigt man ja für gewöhnlich nicht durchs Fenster. Geben Sie also ruhig zu, daß Sie sie berauben wollten.«
»Natürlich! – Ihr Kollier sollte ich rauben.'
»Wollte – meinen Sie!«
»Sollte!«
»Sie behaupten also, im Auftrage anderer gehandelt zu haben?«
»Selbstverständlich. – Wie käme ich sonst dazu, einer Diva, die ich gar nicht kenne, ein Kollier zu rauben, für das ich gar keine Verwendung habe.«
»Nun fehlt nur noch, daß Sie uns erzählen, Sie sind Millionär – Baron sind Sie ja schon.«
»Ich besitze keinerlei Vermögen.«
»Und da wollen Sie uns weismachen, Sie wüßten nicht, was Sie mit dem Kollier hätten anfangen sollen?«
»Sie glauben doch nicht etwa, daß ich es verkaufen wollte?« rief er erregt. »Es kann nur eins von den Mädchen haben. Ich beschwöre Sie, Herr Rat oder was Sie sonst sind, lassen Sie die Mädchen festnehmen. Ich komme sonst in den furchtbarsten Verdacht! Meine ganze Karriere ist hin, wenn ich das Kollier nicht wiederbeschaffe.«
»Alte Faxen!« erwiderte der Beamte. »Daß ihr Gannoven auch nie etwas Neues bringt. Das Kollier haben Sie im Augenblick Ihrer Verhaftung natürlich einem Ihrer Mädchen zugeworfen« – und zu den Polizisten gewandt, fuhr er fort: »Sie hätten auch besser Obacht geben können.«
»Jede Minute ist kostbar!« drängte der Baron. »So ein Mädchen versteht ja gar nichts von dem Wert eines solchen Kolliers. Die verschleudert es an den ersten besten. Und wenn sie die Steine herausbrechen, besteht überhaupt keine Möglichkeit mehr, es wiederzubeschaffen.
»Wenn Sie glauben, daß wir uns von Ihnen bluffen lassen,« sagte der jüngere Beamte, »irren Sie sich. So früh wie Sie stehen wir noch lange auf. Wenn Sie uns auf die Mädchen hetzen, so geht für uns nur daraus hervor, daß keins von den Mädchen das Kollier hat.«
»Ich hatte es noch, als ich ins Café kam. Und da ich es von da bis hier nicht verloren haben kann, so muß es . . .«
»Schweigen Sie!« kommandierte der Beamte und fuhr fort zu diktieren: »gewaltsam eingebrochen zu sein, um sie zu berauben. Ich stahl ihr ein Kollier . . .«
»Ja, das tat ich.«
»Sehen Sie, so gefallen Sie mir. – Was haben Sie sonst noch gestohlen?«
»Nichts!«
»Wo das Kollier lag, wird doch noch anderer Schmuck gelegen haben.«
»Eine Unmenge lag da noch herum. Ringe, Armbänder, Broschen . . .«
»Und die haben Sie nicht mitgehen lassen? Lieber Mann, einen so beschränkten Eindruck, daß man Ihnen das glaubt, machen Sie nun doch nicht.«
»Es handelt sich doch nur um das Kollier. Da das fort ist, so wird man sagen, daß ich es unterschlagen habe.«
»Da können Sie Gift darauf nehmen.«
»Ich kann Ihnen ja gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, daß Sie mich verhaftet haben.«
»Wa . . . a . . . s?«
»Man hat mich von dem Augenblick an, wo ich aus dem Fenster Assunta Lu's stieg, beobachtet und verfolgt bis zu dem Augenblick, wo man mich verhaftet hat. Ich hatte also gar keine Möglichkeit, das Kollier zu verbergen. Wenn ich es fortgeworfen hätte . . .«
»Ausgeschlossen!« sagte der Polizist. »Wir hätten es sehen müssen.«
»Also ist es mir von einem der Mädchen im Café gestohlen worden.«
»Die Möglichkeit ist nicht von der Hand zu weisen,« erklärte der Kommissar und fragte die Polizisten: »Sind Ihnen die Mädchen bekannt?«
»Die meisten,« erwiderten die.
»Sofortige Haussuchung und Leibesvisitation,« ordnete der Kommissar an, und der Baron bat:
»Aber bei allen gleichzeitig.«
»Dazu reichen unsere Beamten nicht aus.«
»Dann laufen die Mädchen, bei denen die Polizei war, zu den anderen und warnen sie.«
»Das lassen Sie unsere Sorge sein! Ob die Kette da ist oder nicht, spielt zunächst gar keine Rolle. Hauptsache, wir haben Sie!«
Und der ältere Kommissar strich sich den großen Schnauzbart hoch und meinte:
»Mir scheint auch, wir haben da einen guten Fang gemacht.«