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Tatsächlich war Emil bei den Verhandlungen über die Reform des Strafvollzuges, die sich über Wochen hinzogen, die treibende Kraft für alle Milderungen, die in dem Gesetz und darüber hinaus in den Ausführungsbestimmungen Aufnahme fanden. Vor allem erfuhren die Bestimmungen und Verordnungen über die Behandlung und Beschäftigung und Bezahlung der Gefangenen in den Strafanstalten auf seine Anregung hin grundlegende Veränderungen. Sein einziger gefährlicher Gegner war auch hier der Oberstaatsanwalt Spicker, der ihm teils aus Überzeugung, teils aus persönlichen Gründen Widerstand leistete. Daß es Emil und nicht ihm gelungen war, den Fall Coeur-As zu klären, kränkte seine Eitelkeit und seinen Ehrgeiz. Die ausländischen Akten enthielt er Emil noch immer vor. Nicht, weil ein Rest von Verdacht in ihm zurückgeblieben wäre, daß es sich hier um ein Schwindelmanöver großen Stils handelte – der Gedanke kam ihm nicht einen Augenblick lang –, vielmehr aus Eitelkeit, um ihm zu zeigen, daß er den Fall restlos doch nicht zur vollen Zufriedenheit gelöst habe.
Die Gegnerschaft der beiden bestand aber nicht nur darin, daß Emil die mildeste, der Oberstaatsanwalt die rigoroseste Denkart in der Kommission vertrat, sie fand auch Nahrung darin, daß Emils ungewöhnliche Sachkenntnis aller einschlägigen Fragen ihm von selbst die Führung der Verhandlungen in die Hände spielte. Selbst die Dezernenten, die sich seit zehn und zwanzig Jahren mit nichts anderem als diesen Fragen beschäftigten, staunten über sein grundlegendes Wissen und diese Kenntnis von Einzelheiten, die selbst ihnen oft unbekannt waren, von deren Richtigkeit sie sich dann durch Rückfragen bei den untergeordneten Stellen überzeugten. Statt Gefahr zu laufen, sich vor dem Staatssekretär und Minister, die den Verhandlungen beiwohnten, zu blamieren, indem Emil sich orientierter zeigte als sie oder sie gar desavouierte, zogen sie es vor, ihrer Überzeugung ein wenig Gewalt anzutun. Sie ließen sich durch Emil bekehren, traten plötzlich in Opposition zum Oberstaatsanwalt und vertraten die mildere Auffassung.
Während Emil den täglichen Verkehr mit Paula bisher in aller Heimlichkeit geführt hatte, sprach er in der Kommission eines Tages ganz offen davon, daß er mit Menschen und an Stätten verkehre, die wenig zu ihm und seiner Stellung paßten. Und er riet den Mitgliedern der Kommission, im Interesse der Arbeiten ein Gleiches zu tun. Der Oberstaatsanwalt, der auf seine zwanzigjährige Praxis pochte, lehnte ab – und die anderen billigten zwar Emils Selbstentäußerung, konnten gewisse Hemmungen aber nicht überwinden und beruhigten ihr Gewissen damit, daß sie Emils Autorität bedingungslos anerkannten.
Nach einer dieser Sitzungen sagte der Oberstaatsanwalt zu Emil mit einer gewissen Ironie:
»Sie bringen es noch zum Reichskanzler!«
»Wenn ich Ihren Ehrgeiz hätte,« erwiderte Emil, »vielleicht.«
»Sie besitzen eine große Überzeugungsgabe, aber etwas fehlt Ihnen.«
»Das ist?«
»Schlauheit! – Der Fall Coeur-As war ein Zufall und im übrigen nicht Ihr Verdienst, sondern das der Beamten.«
»Ich habe es nie für mich in Anspruch genommen,« erwiderte Emil.
»An mich trauen Sie sich, scheint's, nicht heran. Es hätte Sie bei unserer Gegnerschaft doch reizen müssen, mich zu überlisten.«
»Ich hatte Wichtigeres zu tun,« erwiderte Emil. »Aber sollte ich einmal eine Viertelstunde Zeit übrig haben . . .«
Da lachte der Oberstaatsanwalt laut auf und sagte:
»Vergessen Sie nur ja nicht, sich vorher anzumelden.«
»Ist bereits geschehen,« erwiderte Emil und ließ ihn stehen.