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Haben Sie schon einmal einen Blick in die Wohnung von Neureichen getan? Wenn ja, ist Ihnen dann nicht aufgefallen, daß diese Herrschaften, die vor wenigen Jahren noch in Gartenhäusern wohnten und die Wände mit Reklamebildern von Kupferberg schmückten, in der Ausstattung ihrer Wohnräume plötzlich einen Geschmack entwickelten, den man ihnen gar nicht zugetraut hätte? Einen Geschmack, von dem man glaubte, daß Generationen dazu gehörten, um ihn zu erwerben.
Es kam ja auch früher hin und wieder einmal vor, daß solche Leute zu Geld kamen. Sie gewannen in der Lotterie oder ein Onkel aus Amerika starb. Dann kauften sie als erstes ein Klavier, und wenn der Onkel sehr reich gewesen war, so vertauschten sie den Öldruck im Wohnzimmer mit einem Gemälde von Anton von Werner. Nicht, weil sie es schöner fanden, sondern weil es teurer war. Sie nahmen sich eine größere Wohnung, kauften neue Plüschmöbel und deutsche Teppiche, behängten sich mit Brillanten und reisten im Sommer statt auf acht Tage nach Ahlbeck, auf vier Wochen nach Swinemünde. Innerhalb ihres Kreises, aus dem herauszukommen ihnen trotz der Erbschaft oder des Lotteriegewinnes selten gelang, waren sie damit als »die Reichen« gehandicapt. Das genügte ihnen.
Ganz anders heute. Menschen, die gestern noch sehr verbindlich hinter dem Ladentisch lächelten, wenn sie eine Pfunddose Gemüse verkauften, die dann plötzlich nur waggonweise lieferten, wuchsen in ihrer Vorstellung auch menschlich empor. Zudem war das Tempo, in dem sie reich wurden, so unerhört, daß es lächerlich gewesen wäre, den veränderten Verhältnissen durch Zulegung einer neuen Plüschgarnitur äußerlich Ausdruck zu geben. Sie gingen in die Geschäftsräume eines Möbellieferanten mit dem Bewußtsein: ich brauchte nur einen Scheck auszuschreiben und das ganze Lager gehörte mir.
Ihnen genügte es auch nicht, den Kreisen, in denen sie bisher verkehrten, durch warmes Abendbrot und eine Droschkenfahrt am Sonntag zu imponieren. Das Vorbild, dem sie nachstrebten, waren ihre Kunden. Und von den Kunden wieder diejenigen, die nicht selbst kamen, sondern ihren Diener oder ihre Mamsell schickten. Durch die wußten sie, wie wirklich feine Leute lebten. Swinemünde? Pah! Feine Leute gingen im Sommer nach Scheveningen oder Deauville, im Frühjahr nach Cannes und im Winter ins Engadin. In ihren Wohnungen hingen keine Anton von Werners, sondern Courbets, und auf dem Parkett lagen echte Seidenperser.
Sie besuchten nicht die Traberbahn und die Radrennen, ihr Sport war Golf und Polo, und sie ließen die Schneiderin nicht ins Haus kommen, sondern gingen in die Modesalons der Lennestraße.
Ja, das alles wußten sie. Auch daß die Gesellschaft von heute nicht mehr exklusiv war. Daß sie aus denen bestand, die sich früher vergebens bemüht hatten, in sie hineinzukommen. Und daß selbst der schlechteste Ruf kein Hindernis war, wenn man einen Rollce Royce fuhr.
So! und nun werden Sie auch verstehen, wer der Kommissionsrat Kurt Redlich war. Einer von den vielen, die es in jenem beschleunigten Tempo zu etwas brachten, das keine Zeit für Übergänge ließ. An Stelle des Grammophons trat auch bei ihm nicht das Klavier, sondern der Steinway, und von der Elektrischen aus stieg auch er, ohne den Umweg über das Taxiauto, gleich in seinen Rollce Royce.
Dabei wurde Kurt Redlich von keiner ehrgeizigen Frau nach oben getrieben. Die hatte im Geschäft ihres Mannes hinter dem Ladentisch gestanden, bis ein Herzschlag sie mitten aus der Arbeit herausriß. Das war lange, bevor der Aufstieg begann. Ihr einziges Kind trug damals noch kurze Kleidchen – nicht der Mode und der seidenen Strümpfe wegen, sondern weil es erst acht Jahre alt war. Sie besuchte zwar eine höhere Schule, wuchs aber in kleinbürgerlichem Milieu auf, und ihr ganzer Luxus bestand eigentlich darin, daß sie Konstanze hieß. Als einzige in der ganzen Schule, während es eine Unzahl von Mädchen gab, die Else, Grete, Ida und Frieda hießen. Aber dann, als sie zehn Jahre alt war und Redlich plötzlich emporschnellte, bekam sie eine Gouvernante, die mit Vorliebe englisch sprach. Es war das einzige, was ihr die Inflation nicht hatte rauben können. Sie dokumentierte damit ihre Distanz zu den Neureichen, obschon Konstanze, ein gewecktes Mädchen, meinte: »Sprechen Sie richtig deutsch – und die Distanz ist die gleiche.«
Die Gouvernante, die aus sehr gutem Hause war, holte bei Konstanze nach, was die Kinderstube versäumt hatte. Das war fast alles. – Auf die Entwicklung ihres Charakters übte sie keinen Einfluß. Einmal, weil sie selbst nicht damit beschwert war, dann aber, weil Konstanze so sehr der Mutter glich, daß auch andere an ihr nichts hätten ändern können. Die Gradheit der Mutter, die keine Verstellung kannte, und die Erziehung der Gouvernante für den gesellschaftlichen Verkehr, dessen wesentliches Merkmal ja die Kunst der Verstellung ist – diese beiden Faktoren, die auf keinen gemeinsamen Nenner zu bringen waren, machten aus Konstanze einen Menschen, der sich weder in die Kreise fügte, aus denen sie kam, noch in die Kreise, in die gesellschaftlicher Ehrgeiz des Vaters sie trieb.
Kurt Redlich war unbekümmert. Keine robuste Natur, die sich, auf ihren Geldsack pochend, über alles hinwegsetzte und mit starken Ellenbogen beiseiteschob, was ihm nicht paßte. So pfiffig er in seinen Geschäften war, so arglos stand er den gesellschaftlichen Dingen der Welt gegenüber. Er hatte das Gefühl, in einem großen Theater, das nur den oberen Hunderttausend erschlossen war, mitspielen zu dürfen. Daß auf diesem Parkett zu schreiten, ohne auszugleiten, eine Kunst war, die erlernt werden wollte – der Gedanke kam ihm nie.
Nun wollt ihr gewiß noch erfahren, wie Kurt Redlich und seine Tochter Konstanze sich äußerlich präsentierten. – Der Dame den Vorrang, den sie neben diesem Vater aber auch in rein menschlicher Beziehung verdient. Gut gewachsen, mittelgroß, schlank. Eine Sportfigur. Ein schmales Gesicht, blondes Haar, große blaue Augen, frische Gesichtsfarbe. Gewandt, beinahe forsch in ihren Bewegungen. Es gibt Frauen, bei deren Anblick man denkt: die möchtest du mal im Abenddreß oder beim Tennis oder des Morgens im Kimono sehen. Bei Konstanze hatte man unwillkürlich die Vorstellung: wie gut muß die Frau zu Pferde aussehen. – Papa Redlich hingegen erinnerte trotz des teuren Schneiders noch immer an die Kegelbahn. Klein, untersetzt, mit einem spitzen Bäuchlein und ein paar flinken und lustigen Augen. Nach Pfunden gemessen gewiß ein Schwergewicht, aber behende auf den Beinen, die viel zu kurz waren. Auf dem Sportplatz würde man denken: ein Grotesktänzer; an der Börse: ein Mann, der gern Witze erzählt und doch nicht ganz ungefährlich ist. Im Verkehr mit Frauen der Mann, der zahlt und selten genießt. Der nach dreijährigem Golftraining jedesmal, wenn er die Kugel schlägt, noch an die Kegelbahn zurückdenkt. Ein Mann, den man ein dutzendmal drehen und wenden, sogar auf den Kopf stellen kann, und der im Frack doch immer wirkt, als wäre er auf einem Kostümfest. Der nach zehn Jahren gesellschaftlichen Glanzes noch jeden Abend, wenn er das Frackhemd abstreift, das Gefühl hat, für ein paar Nachtstunden einem Käfig entwichen zu sein, in den er sich trotzdem mit Beginn jedes neuen Tages von neuem hineinzwängt. – Kein eigentlich glücklicher Mensch also. Aber einer von den vielen, die sich selbst belügen. Denn sie glauben, daß es wider die Natur sei, soviel Geld zu besitzen, von Millionen Menschen beneidet zu werden und doch kein glücklicher Mensch zu sein. Einer aus dem Heer der armen Reichen.
Und nun beginnt's!