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Der Ehering

Wer war sie, daß sie an das denken mußte, das alle andern vergessen haben? Warum mußte sie immerfort an die Zeit denken, wo er auf den Jahrmärkten herumzog wie ein Zigeuner? Warum sah sie jeden Augenblick die vor sich, die damals bei ihm gewesen war?

Sie war ganz gewiß, daß er im Jahr 1842 als Missionar ausgezogen war, und jetzt schrieb man erst 1850. Nicht länger als acht Jahre war er fortgewesen. Und trotzdem meinte jedermann, alles sollte vergessen und vergeben sein. Aber sie, die mit ihm verheiratet gewesen war, mußte doch wohl ihre eigene Ansicht in dieser Sache haben dürfen.

Ja, wahrhaftig, seit er vor einiger Zeit nach Korskyrka zurückgekommen war und auf Groß-Sjötorp Unterkunft gefunden hatte, kamen die Nachbarn im Kirchspiel daher und fragten sie, ob sie mit nach Afrika zu ziehen gedenke? Aber so war es mit den Leuten hier südwärts im Lande: oberflächlich waren sie und wankelmütig; sie schwankten hin und her wie das Wasser in einem Trog. Sie sollte mit ihm nach Afrika ziehen, sie, die wohlhabend und geehrt auf dem eigenen Hofe saß! Sie sollte die Heimat verlassen, jetzt, wo die Pflegekinder erwachsen waren und sich selbst versorgen konnten, jetzt, wo sie es ruhig und gut haben, ihre Mutter zu sich nehmen und ihr ein behagliches Alter bereiten könnte!

Sie war nicht mit ihm zusammengetroffen, obgleich er schon vor einigen Tagen nach Korskyrka gekommen war. Soviel Einsicht hatte er wenigstens gehabt, daß er nicht versucht hatte, sie aufzusuchen. Und jetzt wünschte sie, sie wäre nicht vor ein paar Stunden in die Kirche gegangen, um ihn predigen zu hören. Es konnte ja so gedeutet werden, wie wenn sie darauf aus gewesen wäre, ihn zu sehen. Aber sie war ja auch nicht freiwillig gegangen, sondern Frau Schagerström war zu ihr gekommen und hatte sie aufgefordert, mitzugehen. Und ihr konnte man nicht leicht eine abschlägige Antwort geben.

Wer war sie, daß sie es nicht lassen konnte, an all das zu denken, was gewesen war? Frau Schagerström hatte ihr gesagt, daß er draußen unter den Heiden schon ein gutes Werk vollbracht habe. Jetzt sei er an den richtigen Platz in seinem Leben gekommen, sagte sie. Wie ein Tier in der Falle, so habe Gott ihn gejagt und getrieben; alle Wege seien für ihn verschlossen gewesen, außer diesem einen, und dann habe sich's gezeigt, daß es der richtige gewesen, der, den er vom ersten Augenblick an hätte wählen sollen.

Frau Schagerström hatte nicht geradeheraus zu ihr gesagt, sie müßte hier alles aufgeben und mit ihm gehen, sondern ihr nur mit einigen hingeworfenen Worten mitgeteilt, daß es ihm da draußen unter den Wilden am Nötigsten fehle und daß es gut wäre, wenn er jemand bei sich hätte, der ein ordentliches Essen für ihn kochen könnte. Und Herr Schagerström, der ihn bisher mit Geld unterstützt habe, würde sich wohl nicht weigern, auch eine Hilfe zu bezahlen, wenn man nur jemand dafür finden könnte.

Was sie noch weiter gesagt hatte, war, daß er jetzt gelernt habe, die Menschen zu lieben. Das sei sehr wichtig, denn gerade das habe ihm gefehlt. Er habe Christus geliebt und gezeigt, daß er alles auf der Welt opfern könne, um ihm nachzufolgen. Aber die rechte Menschenliebe habe er nie gekannt. Und wer ein Nachfolger Christi sein wolle, ohne die Menschen zu lieben, müsse durchaus nicht nur sich selbst, sondern auch andere ins Elend führen.

Und dann hatte Frau Schagerström gesagt, wenn sie mit in die Kirche käme und ihn reden hörte, würde sie bald die große Veränderung bei ihm wahrnehmen. Sie würde zu hören bekommen, daß er die Schwarzen, die er zu Christen zu machen versuche, liebe. Und das sei die Liebe, die ihn zu einem andern Menschen gemacht habe.

Ja, und wie es nun auch zugegangen war, so war sie in die Kirche gelockt worden.

Als er dann auf der Kanzel stand, hatte sie ihn zuerst gar nicht wiedererkannt. Sein Kopf war kahl und sein Gesicht von vielem Leiden durchfurcht. Er war nicht mehr schön, und ganz ruhig und demütig trat er auf. Und als sie ihn so sah, war ein ganz sonderbarer Drang zum Weinen in ihr aufgestiegen. Und doch sah er durchaus nicht betrübt aus, ein Lächeln lag auf seinem Gesicht, ein Lächeln, das die ganze Kirche erhellte.

Sie wollte gerade nicht sagen, es sei eine merkwürdige Predigt gewesen. Nach ihrem Geschmack war zu wenig von Gottes Wort darin vorgekommen. Er hatte nur davon gesprochen, wie die Leute es drüben im Heidenlande hätten; aber es habe ja auch nichts weiter als ein Missionsvortrag sein sollen. Ja gewiß konnte sie verstehen, daß er die da draußen liebhatte, da er es ja dort aushielt und wieder zu ihnen zurück wollte. Denn in Medstuby hatten die Ihrigen und sie selbst es allerdings schwer gehabt, aber das war ja nichts im Vergleich zu dem Leben dort draußen. Die dort hatten ja weder einen Bretterboden noch Fenster in ihren Hütten.

Und während sie das milde Lächeln auf seinem Gesicht sah und hörte, welche Herzensgüte aus jedem Wort, das er sprach, herausleuchtete, da hatte sie daran denken müssen, daß er es gewesen war, der die Leute auf den Jahrmärkten ausgescholten hatte und dafür ausgelacht worden war. Denn so war es bei ihr: Sie war nicht von Korskyrka, sie war von Medstuby und die Nichte von Jobs-Erik. Sie war halsstarrig und mißtrauisch wie dieser auch.

Als sie aus der Kirche heraustrat, sah sie, daß vor der Tür ein Tisch mit einem Messingteller darauf aufgestellt war. Zwei Herren aus dem Kirchspiel standen zur Aufsicht neben dem Tisch, und sie meinte, beide sähen sie groß an, als sie vorbeikam. Sie trug kein Geld bei sich, denn sie hatte nicht gedacht, daß die Predigt sie zu einer Gabe verlocken könnte. Und aus Mangel an etwas anderem hatte sie hastig ihren Ehering vom Finger gestreift und ihn in den Teller geworfen. Den Ring hatte er ihr geschenkt, den konnte er gerne wiederbekommen.

Und jetzt saß sie hier allein in der Küche und grübelte darüber nach, ob dies etwas nach sich ziehen könne. Er könnte es ja so auffassen, daß sie ihre Ehe für gelöst betrachte und nie mehr etwas von ihm wissen wolle.

Und wenn er es so auffaßte, dann würde er nicht zu ihr kommen, das wußte sie. Dann würde er ohne weiteres seiner Wege gehen.

Aber er könnte es ja auch so nehmen, als ob sie ihn daran erinnern wolle, daß er hier in Korskyrka eine Frau habe, die auf ihn wartete.

Aber wenn er es auf die zweite Art auffaßte und zu ihr kam, was sollte sie ihm dann antworten?

Ja, wer war sie, was wollte sie? Wußte sie denn, was sie wollte?

Sie hatte wahrhaftig etwas Herzklopfen. Es war ihr so seltsam zumute. Sie konnte nicht vergessen, daß er der Mann war, dem sie einstmals mit den Zugvögeln Grüße geschickt hatte.

Jetzt ging jemand draußen am Fenster vorbei. War er's? Ja, er war's!

Und jetzt trat er in den Flur. Jetzt faßte er nach der Türklinke.

Was sollte sie ihm antworten?

 

*

 


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