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In der Morgenstunde

Anna Svärd erwachte am nächsten Morgen beim ersten Tagesgrauen. Anstatt jedoch sofort aufzustehen, blieb sie liegen und hielt ein kleines Zwiegespräch mit sich selbst.

»Möcht' wissen, ob die neu' Pfarrfrau in ihrem Bett drauf wartet, daß ihr' vornehme Magd ihr Kaffee und frisch's Weißbrot ans Bett bringt?« murmelte sie und lachte. Sie war in bester Morgenlaune. Ein Weilchen blieb sie noch liegen, aber einmal ums andere richtete sie sich auf und schaute nach der Tür.

»Ist's zu begreifen, daß sich nix in der Küch' regt, wo's doch gewiß schon auf sechs geht! Da bleibt mir woll nix übrig, als daß ich auf steh' und nach 'em Rechten seh'.«

Der Gatte schlief noch, und die junge Frau kleidete sich so leise wie möglich an, um ihn nicht zu wecken. Schließlich schlich sie sich in Strümpfen durch den schmalen Flur in die Küche, und dort erst zog sie die Schuhe an. Als dies getan war, schaute sie mit vor Bestürzung weit aufgerissenen Augen in der Küche umher. »Na, ich hab' wahrlich meiner Lebtag schon viel erlebt, Gut's und Bös'«, sagte sie, »aber so was ist mir doch noch nit vorkommen. All beid', d' Kleinmagd und d' Köchin, hab'n d' Zeit verschlaf'n. Hätt' man nit denken soll'n, sie wär'n am ersten Morgen recht pünktlich? Und richtige Schlampen müssen's sein, denn hier in der Küch' gibt's kein Holz und kein Wasser. Und 's Feuer ist aus, das ist's allerschlimmst'. Anna Svärd, verlaß dich drauf, denk an mich! D' Frau Sundler, die hat die Dienstboten ang'worben, wie sie ja auch 's andere alles auf 'm Hof eing'richt hat, und da kannst halt nix anders erwart'n.«

Mitten unter diesem Klagelied schien ihr indes ein Licht aufzugehen, und sie schlug sich vor die Stirn.

»Wie dumm bist doch, Anna Svärd, man müßt dich hauen! Von der erst' Minut' an hätt'st begreif'n müss'n, daß d' Magd drauß'n im Stall ist und d' Küh melkt.«

Sie ging durch den Flur, kletterte über die wackelige Hausstaffel und betrachtete die nächste Umgebung.

»Aha, aha!« sagte sie, während sie mit den Augen eine kleine Umzäunung abmaß, die einen Holzschuppen, einen Keller, einen Brunnen und weiter nichts umschloß. »Möcht' woll wissen, was die neu' Pfarrfrau sagt, wenn's die viele Wirtschaftsgebäud' sieht? Dort drüben ist natürlich der Stall, 's wird denne neue Pfarrleut nit leicht werd'n, so viel Küh anzuschaffen, daß sie so 'nen großen Stall füllen.«

Sie trat in den Hof; aber dann blieb sie von neuem stehen und rieb sich die Augen. »Könnt' ich doch ausfindig mach'n, wo d' Knechtstub' ist«, murmelte sie. »Nit ein einzig Scheit Holz ist in der Küch'. Aber der Knecht ist woll im Stall bei de' Pferd. Ja, ich muß sag'n, 's ist gut, daß d' Anna Svärd auf der Reis' mitkommen ist, sonst wär' die neu' Pfarrfrau schlecht dran.«

Ein paar Minuten später stand sie im Holzschuppen, ergriff die auf dem Haublock liegende Axt und fing eilends an, Scheiterholz zu spalten. Aber nach ein paar guten Schlägen blieb die Axt in einem allzu groben Scheit stecken, und sie mußte eine gute Weile zerren und sich abrackern, um sie wieder loszubekommen.

Während sie sich mit der Axt so abmühte, ertönten Schritte vor dem Schuppen, und ein großer Junge erschien in der Türöffnung.

Was hat jetzt der hier z'schaffen? dachte Anna Svärd. Na, jetzt wird's bald 's ganz' Kirchspiel erfahren, daß die neu' Pfarrfrau ihr Holz selber spalten muß. Woher soll so 'n dummer Kerl wissen, daß 's nit die neu' Pfarrfrau ist, die Holz spaltet, sondern bloß d' Anna Svärd?

Als sie die Axt losbekommen hatte und nun zu einem neuen Schlag ausholte, trat der Junge zu ihr.

»Ich will für Euch spalt'n«, sagte er.

Sie warf ihm einen raschen Blick zu. Der Junge sah mager und gelblichblaß aus, und da schüttelte Anna Svärd den Kopf.

»Unsinn!« sagte sie. »Bist wohl nit mehr als neun Jahr alt?«

»Doch, vierzehn«, antwortete der Junge. »Und ich hab' meiner Lebtag Holz klein g'macht. Hab' schon heut morgen für uns g'spalten.«

Er deutete mit der Hand auf eine ganz in der Nähe liegende Hütte, wo schon eine dünne Rauchsäule aus dem Kamin aufstieg.

Das Anerbieten war wirklich verlockend; aber Anna Svärd vergaß auch diesmal ihre gewohnte Vorsicht nicht.

»Möchtest's woll bezahlt hab'n, denk' ich?«

»Ja«, antwortete der Junge mit einem Grinsen, bei dem die ganzen Zahnreihen sichtbar wurden. »Ich will's gut bezahlt haben. Aber was ich möcht', das sag' ich nit zum voraus.«

»Dann muß ich halt mein Holz selber spalt'n.«

Eine Weile ging es rasch vorwärts mit der Arbeit; aber dann saß die Axt wieder fest.

»Ich verlang' kein Geld«, sagte der Junge.

Sie sah ihn noch einmal an. Sein Mund war jetzt fest zusammengekniffen, und er hatte kleine blinzelnde Augen. Er sah zwar verschmitzt und altklug aus, aber sicher nicht boshaft. Und plötzlich wurde es Anna Svärd klar, daß sie eines von den zehn Kindern vor sich hatte, für die ihr Mann Sorge trug. 's ist ja, sozusagen, einer von uns, dachte sie, dann kann's mit der Bezahlung nicht so g'fährlich sein.

»Dann spalt eben«, sagte sie. »Nachher kannst 'rüberkommen, dann kriegst 'n Butterbrot.«

»Danke«, sagte der Junge, »aber Essen haben wir daheim, fast mehr, als wir verzehren können.«

»Na, was in aller Welt könnt' man denn dann so 'nem Herrn anbieten?«

Der Junge hatte schon nach der Axt gegriffen; aber nun konnte er sein Geheimnis nicht länger bei sich behalten. »Ihr habt doch wohl auch den Sack bei Euch? Möchtet Ihr nicht zu uns 'rüberkommen und mich und meine G'schwister sehen lassen, was drin ist?«

»Aber bist du denn verrückt? Meinst vielleicht, wer mit 'nem Pfarrer verheirat' sei, könnt' mit dem Kramsack 'rumlaufen?«

In diesem Augenblick ertönten neue Schritte hinter ihr. Ein Mädchen kam zu ihnen herein. Auch sie hatte eine gelblichblasse Hautfarbe und überdies einen kummervollen Ausdruck im Gesicht. Die beiden waren leicht als Geschwister zu erkennen. Das Mädchen trat schnell zu dem Bruder.

»Was sagt sie? Dürfen wir in den Sack 'neingucken?«

Es war also ein wohlüberlegter Plan. Die armen Kinder in des Kätners Hütte, wohin nie ein Hausierer gekommen war, brannten vor Neugier, die Herrlichkeiten sehen zu dürfen, die Anna Svärd auf anderen Höfen vorgezeigt hatte.

»Sie sagt, seit sie mit 'nem Pfarrer verheiratet ist, dürf' sie nimmer mit dem Kramsack 'rumziehen.«

Das Mädchen schien dem Weinen nahe. »Ich könnt' Wasser und Milch für Euch holen«, sagte sie überredend. »Und ich könnt' Feuer auf dem Herd anmachen.«

Anna Svärd überlegte rasch. Der Kramsack befand sich zwar bei dem Gepäck, es waren aber nur ihre eigenen Kleider darin. Sie mußte irgend etwas ausklügeln, um die Kinder zufriedenzustellen. Das war wegen der guten Nachbarschaft unumgänglich notwendig.

»Ja«, sagte sie, »'s ist so, wie ich sag', die neu' Pfarrfrau kann nit mit 'nem Kramsack 'rumlaufen. Aber wenn ihr fleißig Holz spaltet und bei euch drüben schnell Feuer holt, kann ich's vielleicht mach'n, daß d' Anna Svärd mit ihrem Kramsack zu euch kommt.«

Gegen elf Uhr an demselben Vormittag kam auch wirklich ein junges schönes Dalmädchen mit einem großen schwarzen Lederranzen auf dem Rücken in Kätner Matts Hütte. Das Mädchen blieb an der Tür stehen, knickste und fragte, ob jemand da sei, der ihr etwas abkaufen wolle.

Im selben Augenblick standen alle zehn Kinder um sie her. Die zwei Ältesten, die das Mädchen wiederzuerkennen glaubten, hüpften vor Freude und versuchten den jüngeren Geschwistern zu erklären, wer es war. Die alte Jungfer, die die Kinder betreute, saß auf der Bank vor dem Fenster und spann Wolle. Sie schaute auf, als das Dalmädchen hereinkam, und sagte, hier im Hause gebe es nur arme Kinder, die nichts kaufen könnten; doch sie brach schnell ab, als das Dalmädchen ihr zublinzelte.

»Aber d' Kinder selber hab'n mich doch eing'laden, weil sie so unmenschlich viel Geld zum Einkauf'n hätten«, sagte das Dalmädchen.

Damit trat sie an den Tisch, drehte sich um, schob den Ranzen auf die Tischplatte und machte die Achselriemen auf.

Dann ging sie zu der alten Jungfer hin, nahm sie bei der Hand und sagte: »Ihr kennt woll d' Anna Svärd nimmer und habt ihr doch vorigs Jahr 'nen Nähring abkauft.«

Die Alte stand auf, blinzelte ein paarmal mit den Augen und machte dann eine so tiefe Verbeugung, die der Frau Propst selbst angestanden hätte.

Nun trat das Dalmädchen an den Tisch und fing an, die Schnallen und Riemen an dem Sack aufzumachen. Die Kinder standen in atemloser Erwartung ringsum. Aber ach, es gab eine große Enttäuschung! Der Kramsack war nicht mit Handelsware gefüllt, sondern mit Stroh.

Niemand hätte unangenehmer berührt und verwunderter sein können als das arme Dalmädchen selbst. Sie schlug die Hände zusammen und jammerte. Seit dem vorhergehenden Abend habe sie den Ranzen nicht mehr aufgemacht, und nun müsse in der Nacht jemand herbeigeschlichen sein und alle ihre schönen seidenen Tücher, ihre Knöpfe und Bänder und Kattunstoffe gestohlen und dafür Stroh in den Sack gefüllt haben. Ja, sie habe sich doch gewundert, wie leicht der Ranzen gewesen sei, als sie ihn heute morgen auflud; aber so etwas habe sie sich doch nicht denken können; denn die Leute, bei denen sie übernachtet habe, hätten ebenso redlich und ehrlich ausgesehen wie die leibhaftige Unschuld selber. Die Kinder umstanden sie betrübt und enttäuscht, und das Dalmädchen hörte nicht auf zu jammern. Wie war es nur möglich, daß jemand so etwas Schlechtes tun mochte: alle die schönen Sachen herauszunehmen und den Sack mit so schlechtem Stroh zu füllen!

Sie wühlte in dem Stroh und warf es nach allen Seiten hinaus, um zu sehen, ob denn nicht noch etwas von ihren Waren zurückgeblieben sei. Und siehe, ganz unten auf dem Boden fanden sich auch wirklich noch ein seidenes Tüchlein, ein wollener Schal und ein Kästchen, worin ein Dutzend Bröschchen mit einem Knopf aus buntem Glas lagen.

Das Dalmädchen war ganz verzweifelt, weil sonst nichts mehr da war. Sie sagte, wenn sie nun um alles andere gekommen sei, dann sei es nicht der Mühe wert, diese paar Sachen aufzuheben. Wenn also das älteste Mädchen mit dem seidenen Tüchlein vorliebnehmen wolle, dann solle es ihr gehören, der Junge könne den wollenen Schal haben und die Kinder die Bröschchen unter sich verteilen. Und wenn die Jungfer das kleine Kästchen annehmen möchte, würde es sie freuen, denn sie selbst habe keine Verwendung dafür. Ja, ja, in dem kleinen Häuschen herrschte nun eitel Freude!


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