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Das neue Heim

Anna Svärd war sicher dazu geschaffen, mit dem Kramsack auf dem Rücken umherzuwandern. Sie hatte den rechten Blick für das, was sie den Kunden anempfehlen sollte. Niemals hatte sie in ihren Ranzen eine Ware gelegt, die unverkäuflich gewesen wäre. Wenn sie in ein Haus kam, wo man nichts kaufen wollte, ging sie, ohne aufdringlich zu sein, wieder fort. Traf sie mit Käufern zusammen, die gern die Preise herunterhandelten, dann ließ sie ihnen ihren Willen, setzte aber dabei eine genügend mißvergnügte Miene auf, damit sie glauben sollten, sie machten ein gutes Geschäft. Außerdem war sie vollkommen ehrlich. Sie pries nie einen Stoff an, der mottenzerfressen war oder vom Seewasser gelitten hatte. Wenn ein seidenes Tuch durch langes Liegen in ihrem Ranzen an den Falten brüchig geworden war, machte sie selbst auf den Schaden aufmerksam und verkaufte das Stück zu einem Schleuderpreis.

Über eines kann durchaus kein Zweifel herrschen: Anna Svärd hätte sich sicher ein kleines Vermögen erworben, wenn sie bei ihrem Handel geblieben wäre. Aber von dem Tag an, wo sie Karl Artur auf der Landstraße getroffen hatte, war eine große Veränderung mit ihr vorgegangen. Sie war durchaus nicht weniger gewandt, weniger berechnend, weniger wachsam, o nein, aber diese guten Gaben, die ihr früher dazu gedient hatten, sich ihren Lebensunterhalt zu verschaffen, waren jetzt eben in den Dienst der Liebe getreten. Sie verwunderte sich selbst oft darüber, daß sie früher so eifrig aufs Geldverdienen ausgewesen war. War sie es denn wirklich gewesen, die sich auf den Jahrmärkten über jeden herzutretenden Käufer glücklich gefühlt hatte? War sie es selbst, sie, Anna Svärd, die im Lande umhergewandert war und an nichts anderes gedacht hatte, als Groschen auf Groschen zu sammeln? Es war seltsam und unglaublich; aber damals hatte sie eben nicht gewußt, was das Wichtigste im Leben war.

Die Neuvermählten waren noch ein paar Tage in Medstuby geblieben; aber am Mittwoch fuhren sie im Schlitten ab, und am Freitagnachmittag erreichten sie Korskyrka und langten höchst vergnügt und zufrieden vor ihrem Häuschen am Hügelabhang über dem Kirchspiel an, um ihr Eigentum in Besitz zu nehmen.

Karl Artur, der einige wohlgemeinte Winke von der Frau Schultheiß erhalten hatte, war überdies sehr darauf bedacht gewesen, Anna darüber nicht in Unkenntnis zu lassen, was ihrer wartete. Er hatte sie gefragt, ob sie sich wohl von ihrem kurzen Aufenthalt in Korskyrka im vorigen Sommer noch an zwei kleine Katen erinnere, die am Abhang über Doktor Romelius' Garten lägen? Und sie, die drei Sommer lang kreuz und quer durch das Kirchspiel gewandert war, hatte sofort zwei verfallene Kätnerhütten, die jeden Augenblick einfallen konnten, vor ihren Augen auftauchen sehen. Sie war indes weder in der einen noch in der andern gewesen; denn eine Hausiererin besucht natürlich keine solchen elenden Behausungen, wo man nicht einmal die eingeschlagenen Scheiben instand setzen lassen kann. Aber der Ordnung halber hatte sie doch gefragt, wem die Katen gehörten, und so wußte sie Bescheid. In der einen wohnte ein alter Soldat, der von seiner Pension, die zwanzig Reichstaler im Jahr betrug, lebte. Und in der andern ein armes Mädchen, die Matts-Elin hieß und für zehn unerwachsene Geschwister sorgen mußte. Dagegen war es eine Neuigkeit für Anna, daß Karl Artur alle die zehn Kinder bei einer Armenauktion, wo sie in der Gemeinde auf Wohltätigkeitskosten öffentlich verteilt werden sollten, für sich ersteigert hatte. Und ebensowenig wußte sie etwas von der glücklichen Veränderung, die infolge von Karl Arturs Angebot eingetreten war. Mehrere von den einflußreichsten Frauen des Kirchspiels hatten nämlich einen Verein gebildet, der sich um die Kinderschar angenommen, sie mit Kleidern und Nahrungsmitteln versehen hatte und ihre verfallene Hütte ausbessern ließ. Alles wäre ausgezeichnet gegangen, wenn sich die älteste Schwester nicht ganz plötzlich zum Sterben hingelegt hätte. Es hatte wirklich den Anschein gehabt, als ob die abgearbeitete Älteste, nachdem sie die Geschwister gekleidet, den Keller mit Kartoffeln und die kleine Speisekammer mit Mehl und Heringen gefüllt sah, als der Stubenboden festgestampft war, so daß die Mäuse nicht mehr durch die Risse schlüpfen konnten, als die Fenster nicht mehr mit Lumpen zugestopft werden mußten, gedacht habe, nun gebe es für sie auf dieser Welt keine weiteren Pflichten mehr zu erfüllen, sondern nun dürfe sie sich zu der wohlverdienten Ruhe schlafen legen.

Damit hatte sie indes Karl Artur große Sorgen bereitet. Die vortrefflichen Frauen, die die Kinder beschützten, hatten zwar bald eine neue Hausmutter ausfindig gemacht, nämlich eine alte Jungfer, die viele Jahre lang in der Propstei gedient hatte, und diese versah auch ihren Platz in gewisser Beziehung ausgezeichnet; aber sie war eben alt und vermochte zehn unbändige Kinder kaum zu beaufsichtigen. Karl Artur hätte ihr ja gerne geholfen, seine Schützlinge in Ordnung zu halten, doch das hatte seine großen Schwierigkeiten, solange er in der Propstei wohnte. Deshalb hatte er, als ihm sein kleines Erbe ausbezahlt war, sofort die Kate des alten Soldaten, die dicht neben der der zehn Kinder lag, gekauft und herrichten lassen. Und in dieser Hütte sollten nun also die Neuvermählten wohnen.

Der junge Geistliche hatte seiner Frau versichert, das Haus sei so herausgeputzt, daß sie es durchaus nicht wiedererkennen würde. Im ganzen genommen glaubte er ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Er hatte ein Haus, das ausgezeichnet paßte; es war klein und anspruchslos, und von ihm aus konnte er die große Kinderschar leicht überwachen.

Anna Svärd, die in diesen Tagen nach nichts weiter fragte, als danach, ob ihr Mann sie liebte, hatte über alles gelacht und war zufrieden gewesen. Was hätte sie übrigens tun sollen? Sie waren verheiratet, und sie hatte versprochen, »Gut und Böse« mit ihrem Manne zu teilen. Außerdem hatte sie einen starken Glauben an ihre Tüchtigkeit. Und eins wußte sie gewiß: wenn alles allzu schlimm ausfallen sollte, dann war sie imstande, sowohl für ihren Mann als auch für sich selbst Wohnung und Unterhalt zu verschaffen.

Als sie auf der Reise in die Nähe von Korskyrka gekommen waren, hatte Anna Svärd ihrem Manne erzählt, in ihrer Heimat sei es Sitte, wenn zwei Neuvermählte zum erstenmal ihr eigenes Heim beträten, knieten sie nieder, um Gott zu bitten, das Haus und ihr Leben darin zu segnen. Und Karl Artur hatte gesagt, das sei eine schöne Sitte, das wollten sie auch tun. Als sie aber das Haus erreichten, war der Vorsatz vergessen. Nicht, daß Anna Svärd von dem Haus überwältigt gewesen wäre, als sie es erblickte. O nein, darauf beruhte es nicht. Die Kate lag ungefähr noch genauso da, wie Anna sie in ihrer Erinnerung hatte. Sie war durchaus nicht in einen Herrenhof verwandelt worden. Die Leute, die mit dem Herrichten beauftragt gewesen waren, hatten überdies vergessen, für eine ordentliche Hausstaffel zu sorgen. Sie hatten vor dem Hauseingang dieselben wackligen Steine liegen lassen, die zur Zeit des alten Soldaten dagewesen waren. Anna war nach wie vor überzeugt, daß sie es sich als Hausiererin zweimal überlegt hätte, ehe sie in eine so erbärmliche Hütte hineingegangen wäre, um ihre Waren anzubieten. Dies sagte sie auch zu ihrem Manne, um ihn damit zu necken. Und alle beide lachten darüber und waren in ausgezeichneter Laune.

Nein, es war durchaus nicht etwas an dem Hause, worüber sie vergaßen, vor der Schwelle niederzuknien und Gott um seinen Segen für das neue Heim zu bitten; sondern der Grund war, daß in dem Augenblick, wo der Schlitten hielt, die Haustür weit aufging und eine kleine dicke Frau auf die wacklige Hausstaffel heraustrat, um sie zu empfangen.

Anna Svärd war nicht umsonst drei Sommer lang kreuz und quer in Korskyrka umhergewandert und hatte da ihren Handel getrieben. Sie kannte den Namen von jedem einzelnen im ganzen Kirchspiel. Aber diese Person erkannte sie kaum wieder. In ein paar Sekunden rechnete sie indes doch aus, wer es sein mußte, nämlich Frau Sundler, die Frau des Organisten. Als Anna Svärd sie zum letzten Male gesehen hatte, war ihr Gesicht von langen schwarzen Locken eingerahmt, jetzt aber war es kurz geschnitten wie bei einem Jungen, und das hatte Thea Sundler gewaltig verändert. Ja, Frau Sundler mußte es sein, denn von ihr hatte Karl Artur während der ganzen Reise immerfort gesprochen. Frau Sundler hatte Karl Artur beim Kauf des Hauses geholfen, sie hatte auch das Instandsetzen geleitet, ja, die ganze Heirat war ihr Werk gewesen. Die beiden hätten jetzt nicht so froh in ihrem Schlitten gesessen, ja, so überirdisch glücklich, könnte man wohl sagen, wenn Frau Sundler nicht gewesen wäre. Demzufolge war es ganz natürlich, daß Frau Sundler sich in das kleine Heim begeben hatte, um in dem Zimmer zu heizen und das Paar zu bewillkommnen. Sie, die so eifrig auf die Vereinigung der beiden bedacht gewesen war.

Frau Sundler breitete die Arme aus und drückte das Paar an ihr Herz. Sie erklärte ganz bewegt, wie glücklich sie sei, die beiden vereinigt zu sehen. Nun sei ihr heißester Wunsch in Erfüllung gegangen, und wie wunderbar es doch sei, daß Karl Arturs Traum von einem kleinen grauen Häuschen und einer einfachen Gattin, wovon er geträumt habe, solange Frau Sundler ihn überhaupt kenne, in Erfüllung gegangen sei.

Während Frau Sundler ihre kleine Rede hielt, war den beiden Eheleuten ihr Vorsatz, Gott um seinen Segen für das neue Heim zu bitten, ganz aus dem Gedächtnis entschwunden. Die Gedanken beider wurden von diesem Augenblick an vollständig von der Frau des Organisten in Anspruch genommen.

Als Frau Sundler sie endlich wieder aus ihren Armen ließ, öffnete sie die Eingangstür und führte das Paar in einen schmalen Gang, der mitten durchs Haus lief und es in zwei Hälften teilte.

Während Anna und Karl Artur ihre Umhüllungen abnahmen und sie in dem schmalen Flur aufhängten, erzählte Frau Sundler, irgend etwas habe ihr kundgetan, daß die Neuvermählten an diesem Abend ankommen würden. Es habe ihr nur gerade noch gereicht, den Kaffeekessel unter den Arm zu nehmen, in das kleine Schwalbennest, wie sie in Gedanken Karl Arturs Heim nenne, zu eilen und den Kaffeetisch zu decken, als sie es auch schon auf dem Hügel habe klingeln hören. Sie könne gar nicht sagen, wie sie sich freue, daß sie noch zeitig genug angelangt sei, um die Eheleute zu empfangen, sonst hätten sie ja ein ganz leeres Heim angetroffen.

Aber nicht gerade das, was Frau Sundler sagte, gab Anna Svärd soviel zu denken, sondern es war die große Veränderung, die bei Karl Artur in dem Augenblick, wo Frau Sundler sich zeigte, eingetreten war. Nun war er nicht mehr froh und sorglos wie vorher auf der Reise, sondern er zeigte sich ängstlich eifrig, Frau Sundler zu gefallen.

Die junge Frau bildete sich ein, er habe sich über das Zusammentreffen mit Frau Sundler, gerade als sie ihr neues Heim in Besitz nehmen wollten, nicht so recht gefreut, habe aber dann wohl an all ihre Verdienste gedacht und sei von Reue erfaßt worden.

Und wieder erzählte er seiner Frau, wie Thea, welchen Namen er immer wiederholte, ihm bei allem geholfen habe. Sie hatte hier im Gang die Haken eingeschlagen, damit man doch irgendwo die Kleider aufhängen könne. Ja, denk dir, das hat sie getan!

Dann öffnete er die Tür auf der rechten Seite des Flurs und bat seine Frau, einzutreten. Wenn sie es nicht besser gewußt hätte, würde sie nicht geglaubt haben, daß dies die Küche sei, worin sie leben und regieren sollte. Er schien sie ja nur hineinzuführen, damit sie alles bewundere, was Frau Sundler angeordnet hatte.

Die Küche nahm die ganze eine Hälfte des Häuschens ein, und Anna dachte, sie sei doch viel größer, als sie erwartet hatte. Sie war dreimal so groß wie die Stallkammer auf dem Jobshofe. Die Wände rochen nach Leim und Kalk, wie es gewöhnlich in neuen Wohnungen der Fall ist, und dieser Geruch war wohl schuld daran, daß man sich nicht behaglich in dem Raum fühlte. Auch sah die Küche recht leer aus; es war nicht ganz so, wie Anna sich's vorgestellt hatte. Sie hatte an den Saal auf dem Ris-Hof gedacht, wo es große braun und blau bemalte Wandschränke, eine hohe Mora-Standuhr mit Rosen auf dem Uhrkasten sowie eine Säulenbettstelle mit selbstgewebten Vorhängen gab. Und sie hatte sich wohl auch an der Wand zwischen dem Schrank und dem Bett ebenfalls einen Joseph in einer herrlich goldenen Kutsche gewünscht, sowie eine Jungfrau Maria, die sich vor einem goldstrotzenden Engel über dem Fenster verneigte. Aber so etwas zu begehren, war ja reine Eitelkeit. Sie mußte sich mit dem, was da war, zufriedengeben.

Es war allerdings genug, und alles miteinander war von Frau Sundler angeschafft worden. Den Tisch, der dort vor dem Fenster stand, die Stühle davor, den Wassereimer an der Tür sowie auch die Holzkiste neben dem Herd, alles hatte Frau Sundler zusammengelesen. Wenn man Karl Artur hörte, hätte man meinen können, Frau Sundler wäre der erste Mensch, der begriffen hätte, daß in eine Küche Pfannen und Töpfe, Schaumschläger und Kochlöffel, Kessel und Kübel, Löffel und Messer gehören. Und wenn es auch Frau Sundler nicht selbst gewesen war, die eine kleine Ecke vermittelst einer Bretterwand zu einer Speisekammer eingerichtet und ein Schlüsselbrett an der Wand angebracht hatte, so war das Vorhandensein dieser Speisekammer doch immerhin ihr Verdienst.

Sobald Anna Svärd in die Küche getreten war, bemerkte sie eine schmale Schlafbank, die, in die äußerste Ecke des Raumes geschoben, aussah, als schäme sie sich, daß sie überhaupt da war. Das hölzerne Sitzbrett war nach der Wand hochgeschlagen und das Bett zurechtgemacht. Alles sah sauber und ordentlich aus; aber das Bett selbst war so schmal wie ein Sarg, und Anna Svärd sah sogleich, daß die Bank nicht zum Ausziehen war und also nicht breiter gemacht werden konnte. Wenn man sich glücklich hineingezwängt hatte, mußte man sicherlich die ganze Nacht voller Angst sein, man sei darin festgeklemmt und könne am Morgen nicht mehr herauskommen.

Diese Bank nahm Annas Gedanken ganz in Anspruch. Sie versuchte zwar, dem Bericht ihres Mannes über all das, was Thea für sie getan hatte, zu folgen. Thea war für sie auf Auktionen gegangen und hatte Möbel und Hausrat zu ungeheuer billigem Preis erstanden. Aber teils hatte Karl Artur schon auf der Reise von dem allem gesprochen, teils mußte Anna Svärd immerfort an die Schlafbank denken. Da das Bett gerichtet war, sollte wohl eines von ihnen darin schlafen, und es waren ja nicht viele da, unter denen man wählen konnte.

Frau Thea wartete nicht allein mit Kaffee und Backwerk auf, sondern auch mit Butter und Weißbrot, Käse und Eiern. Anna Svärd konnte nicht leugnen, daß es gut schmeckte; aber bei ihrem Manne war es, als habe er kein ordentliches Essen mehr gekostet, seit er zum letztenmal bei Frau Sundler zu Gast gewesen war. Die Frau Schultheiß in Medstuby war eigentlich wegen ihrer Kochkunst berühmt; aber Karl Artur hatte jetzt alles andere auf der Welt vergessen und seine Frau dazu, nur um sich bei Frau Sundler wohl dranzumachen. Es war, als habe er sich auf irgendeine Weise gegen sie versündigt und wolle nun wieder auf guten Fuß mit ihr kommen.

Nachdem Karl Artur von allem, was Frau Sundler aufgetischt, gekostet und es genügend gelobt und bewundert hatte, stand er vom Tisch auf, um sich in das andere Zimmer zu begeben. Er ging dicht an der Schlafbank vorüber, und Anna Svärd fragte sich, ob er nicht auch diese loben würde, aber er ließ kein Wort darüber verlauten.

Sie gingen quer durch den schmalen Flur und kamen in ein Zimmer, das nicht ganz so groß wie die Küche, aber doch recht geräumig war. Als Anna Svärd hineinschaute, wäre sie am liebsten auf und davon gegangen, denn dies war ja das Gemach einer vornehmen Herrschaft. Wenn es in der Küche leer war, so fand sich hier alles im Überfluß: Schreibtisch, Bücherspind, Sofa mit dem Tisch davor, Kommode, Bett und noch vieles andere. Das waren also die Möbel, die Karl Artur von seiner Tante geerbt hatte. Sie waren aus dunklem und hellem Holz, die Stühle und das Sofa mit Seidenstoff bezogen. Wohin Anna sah, überall glänzte es von Beschlägen und schönen eingelegten Verzierungen.

In diesem Zimmer waren die Wände mit Tapeten bekleidet, an den Fenstern hingen lange Vorhänge, und statt der offenen Feuerstelle stand ein Ofen in der Ecke. Ein großer Spiegel in goldenem Rahmen hing über dem Sofa, an der Decke ein Kronleuchter, und auf dem Tisch standen silberne Leuchter. Das Zimmer hätte gut in das Ekenstedtsche Haus in Karlstadt gepaßt. Das Bett war, wie das in der Küche, auch zum Schlafen hergerichtet. Es war ein einschläfriges Bett, und auch dieses war nicht besonders breit.

Ja, eins war ja nun ganz klar. Hier sollte er wohnen und sich aufhalten, hier sollte er schlafen, sie aber sollte in der Küche bleiben und auch dort schlafen. Er sollte es wie ein vornehmer Herr haben, sie sollte als sein Dienstmädchen gehalten werden.

Karl Artur lobte immer weiter. Als er zur Hochzeit reiste, war der Ofen in diesem Zimmer noch nicht ganz fertig gewesen, und die Möbel hatten noch nicht aufgestellt werden können. Thea Sundler hatte während seiner Abwesenheit alles in Ordnung gebracht. Und wie schön, wie geschmackvoll hatte sie das Zimmer hergerichtet! Sollte man es glauben, daß man sich in einer kleinen Hütte befand! Gab es wohl ein eleganteres Zimmer im ganzen Kirchspiel?

Karl Artur wollte auch sie, seine Frau, dazu bringen, Frau Sundler zu loben; Anna aber hatte ihre eigenen Gedanken und sagte nichts.

Die beiden waren so eifrig beschäftigt, die verschiedenen Schiebkästen und Klappen des Schreibtisches zu untersuchen, und so merkten sie gar nicht, daß Anna hinausschlich und wieder in die Küche ging. Hier nahm sie ein Licht vom Tisch und leuchtete auf den Flur hinaus, um ihren Pelzmantel und ihre Haube zu finden. Sie war ganz ruhig, es herrschte kein solcher Aufruhr in ihr wie an ihrem Hochzeitsabend. Sie wollte sich nichts Böses antun, nur fort wollte sie, hin zu Leuten im Dorfe, die sie im vorigen Sommer beherbergt hatten, als sie im Kirchspiel hausieren gegangen war und da übernachten mußte. Sie konnte nicht anders, sie mußte irgend etwas unternehmen, um ihm da drinnen, sowie seiner Thea, zu zeigen, daß sie den Platz einer Hausfrau und nicht den einer Dienerin beanspruche.

Während sie nach ihrem Mantel suchte, entdeckte sie in dem Flur noch eine weitere Tür. Der Schlüssel war zwar abgezogen, aber eine solche Kleinigkeit machte Anna Svärd nicht ratlos. Sie zog den Schlüssel aus der Küchentür, steckte ihn vorsichtig in das Schloß und siehe – er schloß auf. Als die Tür aufging, sah Anna ein kleines Zimmer vor sich, nein, es war eigentlich kaum mehr als ein Kämmerchen. Ein kleines Fenster befand sich in der einen Wand, aber ein Ofen war nicht da. Immerhin schien es nicht kalt in dem Raum zu sein, weil sich in der einen Ecke die Ofenmauer von dem Zimmer ihres Mannes hereinschob. Die Wände waren weiß getüncht und kahl, nur hoch oben waren ein paar Kleiderriegel angebracht. Dieser Raum war wohl als Abstellkammer gedacht.

Aber ganz drinnen sah Anna etwas, das ihre höchste Verwunderung erregte: ein ganzes Paradebett. Dort stand es mit einem schönen roten Umhang, mit schwellenden Daunenkissen, mit breiten Spitzen am Bettuch, kurz, mit allem, was sie sich nur wünschen konnte.

Als die junge Frau dieses Wunderwerk ein Weilchen betrachtet hatte, nahm sie ihre Haube wieder ab, zog den Mantel aus, steckte den Schlüssel wieder an seinen richtigen Platz und setzte sich in die Küche.

Eine Weile blieb sie da noch allein; aber dann mußten die beiden andern ihre Abwesenheit doch bemerkt haben, denn sie kamen hastig herein.

»Wo bleibst du denn?« fragte Karl Artur. »Bist du müde von der Reise? Willst du vielleicht zu Bett gehen?«

»Ich wollt' hier 's Bett probieren, in dem ich schlafen soll. Wirst begreifen, daß ich Angst hatt', ich hätt' kein' Platz drin.«

Sie sah ein wenig ärgerlich aus, lachte aber dabei.

»Nun, wie ging's denn?« fragte Karl Artur, und er lachte auch.

»'s ging, als ob man 'ne Kuh in den Verschlag fürs Kalb stellen wollt! Der reicht weder in der Läng' noch in der Breit'. Vielleicht ging's, wenn ich mich auf d' Seit' legt', aber 's wär' doch woll beschwerlich; denn was meinst, sooft ich mich umdrehen wollt', müßt' ich die Deck' z'rückschlagen und auf den Boden 'raussteig'n.«

Anna sprach noch ohne Zorn, und ihr Mann lachte auch noch, war aber doch ein wenig verlegen, das merkte Anna wohl, nur damit sie das nicht merken sollte, lachte er weiter.

»Ja, Mann, du lachst, aber was meinst, jetzt hab' ich drei Tag' lang im Schlitten g'sessen, da bin ich steif und krumm.«

Karl Artur trat an die Schlafbank und betrachtete sie. »Geh und leg dich in das Bett in meinem Zimmer«, sagte er dann; »ich werde versuchen, ob ich nicht Platz in dieser Truhe habe.«

»Ach, Unsinn! Meinst, du hätt'st jetzt 'ne Frau, daß du 'ne ganze Nacht auf der Kant liegen und d' Fuß' unten zum Bett 'raushängen müßt! Nein, lieber will ich probieren, ob ich auf'm Boden liegen kann. 's wär nit 's erstemal; aber ich hab' doch 'n bissel Angst davor. In der Nacht wird's kalt, wenn's Feuer im Herd aus ist. Ich soll mich doch woll nit auf den Tod erkälten, wenn ich grad eben in mein eigens Haus kommen bin.«

Der Ehemann schien ganz ratlos zu sein. Er warf einen prüfenden Blick auf Frau Sundler; aber die gute Freundin trommelte nur mit den Fingern auf die Tischplatte und tat, als wollte sie nicht zuhören, wenn Mann und Frau über ihre eigenen Angelegenheiten miteinander redeten.

»Man müßt' über sich und unter sich Fell hab'n«, fuhr Anna Svärd fort, »wenn's nötig ist, in so 'ner kalten Winternacht auf 'm Boden zu schlafen. Wenn wir aber bloß eins haben – was meinst, Mann, könnt' ich nit zu Leut' hier im Kirchspiel geh'n und frag'n, ob sie mich für 'ne Nacht aufnehmen täten? Du kannst ja Frau Sundler frag'n, die doch sonst alles so gut für uns eing'richtet hat, ob's nit 's Gescheitest' wär?«

Darauf wendeten sich die beiden Eheleute an Frau Sundler, um einen guten Rat von ihr zu bekommen, aber sie schwieg. Offenbar schien dies etwas zu sein, in das sie sich durchaus nicht hineinmischen wollte.

Nun reichte Anna Svärd ihrem Manne die Hand und sagte: »Also, gut' Nacht!«

Karl Artur war das Blut in die Wangen gestiegen, und der Blick, den er Frau Sundler zuwarf, war nicht allzu freundlich.

»Nein, das ist ja ganz unmöglich«, sagte er. »Kannst du denn nicht irgendeinen Ausweg finden, Thea? Könnte ich denn nicht auf dem Sofa in meinem Zimmer schlafen, das ginge doch wohl? Früher hab' ich oft darauf geschlafen, wenn ich bei Dompropsts zu Besuch war. Und Anna kann dann wohl in dem Bett schlafen. Wir müssen uns eben nach den Verhältnissen richten. Die Schlafstelle hier, die du für Anna hergerichtet hast, ist wirklich ungenügend. Komm, wir tragen die Bettstücke hinüber!«

Frau Sundler rückte ein wenig unruhig auf ihrem Stuhl hin und her, als Karl Artur sie in so heftigem Ton anredete; aber sie gab keinen Laut von sich. Anna Svärd dagegen war nicht faul, zu antworten.

»Ach, Unsinn!« sagte sie aufs neue. »Meinst, du dürfst auf dem kostbaren Seidenbezug lieg'n? In der Schlafbank, da ist bloß Stroh unterm Bettuch, und das kannst doch nit in die feine Stub' 'neintrag'n, die d' Frau Sundler so prächtig für dich eing'richtet hat. Nein, ich denk', 's ist 's best', ich geh' meiner Weg'.«

Noch einmal streckte sie die Hand aus, um gute Nacht zu sagen. Karl Artur wehrte abermals heftig ab, zugleich aber zeigte sich eine große Verlegenheit und eine solche Unsicherheit bei ihm, daß er Anna allmählich leid tat.

»'s ist ja lieb von dir, daß ich bei dir drin schlafen soll«, sagte sie in freundlicherem Ton. »Aber das begreifst woll, daß es durchaus nit geht. Daheim in Medstuby und in den Gasthäusern unterwegs, da hat's nix g'macht, wenn wir in einer Stub' g'schlafen hab'n. Aber hier in Korskyrka wissen's ja alle Leut', wie vornehm du mir gegenüber bist, hier muß ich allein in der Küch' schlaf'n, wie sich's für d' Magd gehört.«

»Aber Anna!« rief Karl Artur, und abermals wehrte er ihre Hand ab, die sie ihm entgegenstreckte. Etwas anderes brachte er nicht heraus.

Anna wäre es lieber gewesen, er hätte sie gehen lassen. Aber sie wollte ihn nicht zum Äußersten treiben. All dies ärgerte sie auch gar nicht so sehr, wie es wohl sonst der Fall gewesen wäre, denn sie wußte ja, daß sie den besten Trumpf in der Hand hatte, und so wäre sie am liebsten in helles Lachen ausgebrochen.

Nun trat sie zu Frau Sundler. »'s war woll komisch, wenn ich ging' und du bliebst da«, sagte sie. »Und in so 'nem Kirchspiel gibt's immer Leut', die genau aufpass'n, was vorgeht, 's war' jetzt vielleicht 's best', du tätst mit der Affenkomödie Schluß mach'n.«

Jetzt endlich kam Leben in Frau Sundler. »Was meinen Sie, Frau Ekenstedt?« fragte sie.

»Jetzt hätt' ich aber doch nit glaubt, daß das gleich wahr werden würd', was der Ohm daheim von den Leut' hier südwärts g'sagt hat, daß sie nämlich so grausig lustig und spaßhaft sind«, antwortete Anna Svärd. »Da stehst und hörst, wie ich und mein Mann fast in Streit g'raten, weil's kein Schlafplatz für mich gibt. Und weißt doch die ganz' Zeit, daß im Haus 'n Himmelbett steht, ganz g'füllt mit Kissen und Flaumdecken, 's best', was zu hab'n ist. So was heiß ich recht spaßhaft.«

Karl Artur machte große Augen. Er wendete sich an Frau Sundler, um eine Erklärung zu bekommen, aber sie wußte sich zu helfen.

»Ach, ich habe hier einen überaus schweren Kampf mit mir gekämpft«, begann sie. »Gestern abend ist ein Bett hierhergebracht worden, ein Hochzeitsgeschenk aus der Propstei. Aber ich glaubte, die Frau Propst wolle es selbst übergeben, und so hielt ich es für's richtigste, es einzuschließen. Aber da Frau Ekenstedt es nun schon gesehen hat …«

Sie zog einen Schlüssel aus ihrer Rocktasche und übergab ihn Anna Svärd.

Tief in der Nacht erwachte Anna Svärd mit dem Gefühl, irgend etwas Wichtiges vergessen zu haben. Und so war es auch. Nun fiel es ihr ein. Ja, ja, sie und ihr Mann hatten vergessen, Gott um seinen Segen für ihr Haus zu bitten.

Ach, der liebe Gott wird's verzeihen, dachte sie. Frau Sundler war schuld dran.

Damit drehte sie sich im Bett um und schlief von neuem ein.


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