Karl Kraus
Glossen bis 1924
Karl Kraus

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Die Zauberlehrlinge

äußern sich:

»– Noch merkwürdiger erscheint das Vorgehen der Behörde, wenn man bedenkt, daß das Kurpfuscherwesen auch auf dem Gebiete der Psychoanalyse überhandzunehmen droht.

Wo denn sonst?

– Ich habe erst kürzlich anläßlich eines Vortrages ... auf die Gefahren der Analyse hingewiesen.

Mit Recht.

– Wie immer die Einzelheiten dieses Falles sind, er hat gezeigt, daß sich der Analytiker selbst oft in sehr großen Gefahren befindet,

ah so

auf die ich meine Schüler wiederholt aufmerksam gemacht habe, da sich Impulshandlungen unter Umständen auch gegen den Arzt selbst richten können.

Warum nicht, wenn sich Intelligenzhandlungen gegen den Patienten richten?

– Wie in anderen Ländern droht nun auch bei uns die Analyse zu einer förmlichen Seuche zu werden,

wem sagen Sie das

indem Menschen, die keinen festen eigentlichen Beruf haben, oder halbgeheilte Neurotiker plötzlich die Mission in sich fühlen, durch ihre analytische Betätigung die Menschen glücklich zu machen.

Mit einem Wort, Psychoanalytiker.

In vielen Fällen haben Leute, die sich ihnen anvertraut haben, die schwerste Schädigung ihres Organismus und ihres Seelenlebens erlitten.«

Auch ihrer Vermögensverhältnisse.

»– Die Psychoanalyse ist geradezu zur Seuche geworden. Nicht nur in Wien, sondern in allen Kulturzentren der Welt. Zahlreiche verkrachte Existenzen drängen sich zur Analyse, weil das Publikum danach verlangt und dorthin geht, wo sie eben angeboten wird. Wir kennen ausgesprochene Verbrechernaturen, die wir analysiert haben, die wir jedoch wegen ihrer unangreifbaren moral insanity zu keinem guten Ende führen konnten, und waren aufs Unangenehmste betroffen, als wir Annoncen dieser Leute in den Tageszeitungen antrafen.«

Das ist alles buchstäblich wahr, besonders das mit der moral insanity; ich kann ein Lied davon singen und habe den Text. Aber wie kommt das alles nur? Es wird wohl so sein wie mit dem Hauptmann von Köpenick, dem die Menschheit für die Entlarvung eines Berufs dankbar sein sollte, der sie noch länger fetischhaft fasziniert hat und dessen Idolatrie gleichfalls eine psychische Lücke ausfüllte. Die falschen Militärpatrouillen, denen der Bürger hereinfiel, haben ihn gelehrt, sich vor den echten in Acht zu nehmen. Die falsche Psychoanalyse hat ein Verdienst, das die echte vorläufig nicht hat: von der Falschheit der echten zu überzeugen. Es gibt echte Psychoanalytiker, bei denen man zum mindesten nicht weiß, ob sie Arzt oder Patient sind, und es gehört zum Wesen der Krankheit und ihrer Therapie, daß die Krankheit die Therapie hat und die Therapie die Krankheit, daß die Gesunden als Patienten aus der Ordination hervorgehen und die Patienten als Ärzte. Da herrscht ewige Verwechslung und so auch zwischen echten und falschen Psychoanalytikern. Es ist ein Zauber, der Neurose wie weiland der Montur, und die Menschheit soll eben trachten, sich auch gegen den Reiz abzuhärten, der vom Reglement der Hemmungen ausgeht. Es ist aber ein Zauber, der keinen Meister hat und nur fortzeugend Lehrlinge muß gebären. Die Berufe haben's in sich, nämlich das, was die falschen Psychoanalytiker so gut erkennen lassen wie die falschen Militärs. Sie machen sich um die Menschheit verdient. Wenn die Psychoanalyse eine Seuche geworden ist, die sie ja eigentlich immer und schon beim ersten beobachteten Fall war, so ist das insofern gesund, als man sich hüten wird, Ausnahmen gelten zu lassen, weil sie befugt seien, die Cholera zu haben.

1924


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