Karl Kraus
Glossen bis 1924
Karl Kraus

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Spiel der Wellen

Die Saison ist da, in welcher – man achte genau darauf und melde mir diesbezügliche Wahrnehmungen – am Strand der Nordsee lagernd Kammergerichtsanwalt Wolf Krotoschiner II zu Kommerzienrat Katzenellenbogen, wenn sie sich entschließen, ins Wasser zu gehen, diesen Entschluß wie folgt mit einem Beispiel angewandter Kunst äußern wird: »Auf in den Kampf Torrero!«, worauf der Mitkämpfer, keineswegs verlegen, erwidern dürfte. »Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp'?«, was wieder der andere mit dem beherzten Ausruf parieren wird: »Mut zeiget auch der Mameluk!«, welchen Gedanken er gelegentlich noch, scherzando, mit der kleinen Abweichung verzieren könnte: »Mut zeiget auch der lahme Muck!« Liegt Frau Krotoschiner (Marga) daneben, so dürfte der Gatte, nicht abhold dem Unternehmen mit ihr zu baden, die Worte sprechen: »Erhebe dich, Genossin meiner Schmach!« Wobei aber festzustellen ist, daß inzwischen bereits Rechtsanwalt Sally Seligsohn I Anlaß hatte, ihr die Worte zuzuflüstern: »O Königin, das Leben ist doch schön!« (Hier wäre ein Kapitel von der erotischen Scherzhaftigkeit der besitzenden Klasse einzuschalten. Ihre Gedanken, soweit sie nicht vom geschäftlichen Leben abgelenkt sind, kreisen um den Ehebruch und wo sie ihn nicht begehen, treiben sie doch Spott mit ihm, drohen einander, oft gleichzeitig, mit dem Finger: »Das ist einer [eine], aber ich werde ihn [sie] schon erwischen!«; und immer behauptet sie [er], daß er [sie] es dick hinter den Ohren habe, aber sie [er] glaubts natürlich nicht, auch wenn es der Fall ist. Das Strohwitwertum ist ein Motiv tollster Ausgelassenheit: »Bitt Sie, geben Sie mir acht auf meinen Mann, letzten Sommer – also man weiß schon!«, »No ja, wenn man einen so feschen Mann hat – ich würde da nicht auf die Länder gehen!«; und es schwirrt nur so von Göttergatten. Der Unterschied zwischen Berlin und Wien besteht darin, daß sie dort ganze Sätze sprechen, Fertigware, die auch exportfähig ist, ohne die grauslichen Voraussetzungen einer spezifischen Operettenkultur. Es sind Präzisionsapparate der Banalität, man ist rasch bedient und sie schaffen dem nüchternen Leben gern Ersatz durch eine gewisse, natürlich nicht ernst gemeinte Pathetik, über die sie vermöge der Bildung jederzeit verfügen, so daß sie auch in der Lage sind, sich auf des Meeres und der Liebe Wellen mit Zitaten höherer Ordnung zu bewerfen.) Krotoschiner II und Katzenellenbogen haben es also inzwischen gewagt, wobei unentschieden bleiben mag, wer der Rittersmann und wer der Knapp' ist. Im Wasser wird ein lebhaftes Gespritze durch die Rettung auf ein Felsenstück beendet werden und den darauf abzielenden Plan wird jeweils jener, der als der erste hinaufgelangt, in die Worte fassen: »Auf dieser Bank von Stein will ich mich setzen«, während man sich dem Gegner, der sich trotzdem annähert, mit der Erwartung entgegenstellt: »Durch diese hohle Gasse muß er kommen«. Gelingt es diesem, hinterrücks zum Schlage auszuholen, so kann nur geantwortet werden: »Was wolltest du mit dem Dolche sprich«, worauf wieder prompt der Bescheid erfolgen dürfte: »Ja siehste, es gibt im Menschenleben Augenblicke«. Sally Seligsohn aber, als Eigenbrödler bekannt, hält sich von dem Treiben der Welt fern, hat nur Sinn für Marga, der Lose, und erteilt auf die Frage des Gatten, warum er sich zurückziehe, die im Allgemeinen zutreffende Auskunft: »Der Starke ist mit am mächtigsten allein«. Denn er ist auch nicht auf den Mund gefallen. Entsteht am Strand Bewegung, weil das B. T. angekommen ist, so erschallt unisono die Frage: »Was rennt das Volk, was wälzt sich dort?« Dies Getändel freut den Nereus, der fünfzig Nereiden zu versorgen hat und deshalb auf die Berliner Familien Wert legt, und es geht fort, bis die B. Z. eintrifft und die Sonne untergeht, die schließlich ein Einsehen hat. Im Hintergrund aber sieht man Hans Müller einer Gruppe, die sich bildet, von okkulten Phänomenen erzählen, während Lippowitz im Strandcafé sitzt, damit beschäftigt, einem Stoß reichsdeutscher Blätter das Weltbild zu entnehmen, für eben jene Leser, die das Spiel der Wellen, das sie aufführen, noch auf eine aparte Art zu beleben wissen. In französischen Nordseebädern, wo auf tausend Badende höchstens ein Molière-Zitat entfällt, dürften solche Wahrnehmungen nur dort zu machen sein, wo Deutsche hinkommen, die den Wiederaufbau der Kultur besorgen. Man hört sie dort auch gelegentlich ausrufen: »Nich in die Lamäng!«, was zwar französisch ist, aber nicht von Molière.


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