Karl Kraus
Glossen bis 1924
Karl Kraus

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Verspielt und vertan

In einer und derselben Stunde bin ich dieser beiden Briefe ansichtig geworden:

– – Bei dieser Gelegenheit will ich etwas nachtragen, was ich aus Zeitmangel damals versäumt habe, nämlich Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche zu Ihrem 50. Geburtstag und zum Jubiläum des 25jährigen Bestehens der ›Fackel‹ auszusprechen. Was Sie während dieser Jahre als Dichter und Kritiker der Zeit für die deutsche Sprache und Schaffung einer wahrhaft reinen Atmosphäre, ferner als Sprecher Ihres eigenen Wortes und des Wortes anderer geleistet haben – nie werde ich den Eindruck Ihrer Vorlesung der »Weber« vergessen –, ist ganz ungeheuer und einzigartig; dazu kommt Ihr Verständnis und Ihre Liebe zum echten Theater, das Ihnen wie so vieles andere von den Sudlern der Presse streitig gemacht wird; je mehr ich im Laufe der Zeit Ihre Größe erkannte, desto unerklärlicher wurde mir die Stellungnahme der Umwelt zu Ihnen; wie kann man, frage ich mich immer wieder, an diesen Werten stumm vorbeigehen, nur damit der eigene Unwert bestehen bleibt? Aber nicht genug, daß in den »Weltblättern« und anderen Zeitungen von Kinostücken mehr die Rede ist als von Ihnen, nein, es wird oft versucht, die vorhandenen Werte einfach abzuleugnen und sie ins Gegenteil zu verwandeln; aber durch nichts ist die ganze Schmach der Journalistik und ihre völlige Unkompetenz in der Anerkennung geistigen Werte schlagender bewiesen als durch eben diese Art, Sie totzuschweigen und Ihnen das abzusprechen, was Sie sind.

Die Leute, denen das Geld der Inbegriff des Lebens geworden ist, tun nur das, was ihnen wieder Geld einbringt, und ihre ganze Denkungsweise ist so eingestellt, daß die Gesinnung irgend eines Menschen, nach ihrer Meinung nie um ihrer selbst willen vorhanden ist, sondern irgend einen Grund haben muß; also wenn man gegen irgend eine Person auftritt, weil man sie für einen Schädling hält, so ist natürlich in Wahrheit der Grund der, daß man diesen Menschen aus persönlichen Motiven haßt, wahrscheinlich deshalb, weil er einem früher einmal etwas angetan hat; das Empörende daran ist nicht, daß sie selbst so denken, sondern jemandem, der anders ist, es einfach ableugnen, und, wenn seine Gesinnung noch so rein ist, sie werden niemals verlegen, wenn es darauf ankommt, einen »natürlicheren« Erklärungsgrund zu finden. Und diese Leute, also die sogenannten Stützen der Gesellschaft, glauben steif und fest, daß Ihr Haß und Ihre »Wut« gegen die Presse sich nur daraus erklären läßt, daß Sie von ihr nicht anerkannt werden; »ich bitt' Sie, was kann sonst der Grund sein«, bekommt man immer wieder zu hören.

Ich weiß, daß ich mit diesen Worten auch nicht im entferntesten Ihrer Bedeutung und Ihrer Kunst gerecht geworden bin; doch dazu reicht meine Fähigkeit, das auszudrücken, was ich weiß und fühle, nicht aus; was ich aber erreicht zu haben hoffe, ist, daß Sie an die Ehrlichkeit eines Menschen glauben werden, der sich aus dieser gottverlassenen Welt zu retten sucht.

Nehmen Sie das Schweigen der Umwelt als die Unterzeichnung des von Ihnen über sie verhängten Todesurteils an!

– Ich habe immer mit großem Vergnügen Ihre Schriften und Ihre »Fackel« gelesen und immer Ihr Ethos und Ihre Intelligenz anerkannt, ganz abgesehen von den hervortretenden Eigentümlichkeiten Ihrer Rasse, so da sind: Überheblichkeit, gesteigerter Eigendünkel und eine große Dosis Unbelehrbarkeit und geistiges Beckmessertum. – – Ja glauben Sie denn, daß böse Menschen, daß menschliches Wollen ausreichend wäre, ja, es überhaupt vermöchte, diese Erscheinungen, welche Sie bekämpfen, zu erzeugen? Krieg, Presse, Korruption sind soziologische Erscheinungsformen – –

Was wird bleiben von Ihnen? Eine literarische Erscheinung etwa wie Lichtenberg, ohne Einwirkung auf das Geistesleben der Zeit, gebannt in einen kleinen Kreis jüdischer Schmöcke und etlicher begeisterter Idealisten, welche nie an die Krippe kommen werden, weil sie zu anständig sind. Erscheint Ihnen etwa Herr Seitz als Ihr idealer Zuhörer, oder Herr Renner und andere der k. k. Republikanischen Genossen? Sie sind und bleiben steril, weil Sie nicht im Leben wurzeln, weil Ihr Werk Literatur ist, ein Teil der von Ihnen so verachteten Literatur, weil Sie doch am Buchstaben kleben und weil Ihr alttestamentarischer Haß Sie das volle , brausende Leben übersehen und hochmütig geringschätzen läßt. Haben Sie nicht Ihr Pfund vergraben, hätten Sie nicht der Nation vorangehen können, wenn das tragende Element Ihres Wirkens die Liebe gewesen wäre und nicht der Haß, jener tödliche, ätzende Haß, der zutiefst doch im Judentume wurzelt, das Sie so sehr verachten, weil Sie von ihm innerlich nie und nimmer loskommen werden. Und auch Ihr Haß, hatte er je großen Zug, war er vorauseilend, stellte er sich kühn in den Weg, wagte er es, ein Flammenzeichen zu sein wie das Werk Beaumarchais? Sie kamen immer hinterher, nachher, aus einer relativen Sicherheit, war Ihr Verhalten im Kriege nicht zumindest zweideutig und sehr vorsichtig, denken Sie an England, an seine Bekenner im Kriege, welche Menschen und Charaktere waren. Erachten Sie es als eine Heldentat, diesem Schöpsen von Friedrich einen Fußtritt zu geben und Wilhelm eine Grabrede zu halten? Wo waren Sie damals, als es noch kühn war, eine freie Rede zu führen? Brachte Sie Ihr Ästhetizismus, Ihre Sucht, ein Eigener, ein Besonderer zu sein, nicht in die Nähe der Konservativen, der Reaktionäre? Wie bekämpften Sie die Presse, klebten Sie vorerst nicht an den Druckfehlern und an den armseligen Redewendungen armer, schlecht bezahlter Teufel, die um ihr Brot zitterten. Mußten Sie es jemals, der Sie immer unabhängig waren und dem die Unabhängigkeit die Möglichkeit zu Ihrer spezifischen Betätigung gab. Ich, der Ihnen dies schreibt, ich bin kein Jude, ich bin kein Journalist, ich bin ein Arier, kein Wiener, bin aus dem Alpenlande. Ich erkenne es aus dem tiefsten Instinkte, daß Sie eine gebrochene Existenz, ein antisemitischer Jude und zutiefst ein betrogener Betrüger sind. Sie zittern nach der Anerkennung, mag auch Ihre Rede sich hochmütig davor verschließen, mögen Sie auch den Gleichgültigen spielen. Ihre Eitelkeit schlägt oft komische Kapriolen und verrät die Wunden Ihres Herzens.

Ziehen Sie die Schlußsumme Ihres Lebens, Sie haben es verspielt und vertan, was übrig bleibt, einige Zeilen in den Literaturgeschichten, einige Gedichte, die Erkenntnis, daß Ihr Ethos vergeudet, nutzlos, daß Sie nicht mit dem Leben gingen, nicht voranstürmten, sondern aus dem Hinterhalte kleine Pfeile schossen, seitenlang mit Leuten, wie Großmann etc. polemisierten, Benedikt bekämpften und dabei ganz vergaßen, für das Leben zu kämpfen, für die Freiheit, für die Menschenrechte, nicht für Druckfehler und gegen armselige Teufel von Soldschmierern. – – Ewig unfruchtbar ist der Haß, wirken, beleben, über die Jahrhunderte dauern kann nur die Liebe. Armer, kleiner Swift, auch Ihre Werke werden zu Kinderbüchern werden!

Also da muß ich schon sagen, daß in Bezug auf der Parteien Gunst und Haß und das infolge dieser Verwirrung eintretende Schwanken des Charakterbildes in der Geschichte der Wallenstein ein Hascherl gegen mich war. Indes verschmähe ich auf der wilden Jagd, in der es nun einmal keinen Halt bis zu der mir bevorstehenden schwarzen Riesenfaust gibt, des Rechten Warnen und lass' vom Linken mich umgarnen. Wer der Reiter rechts war, »ich ahnt' es wohl, doch weiß ich's nicht«, und glaub' ihm aufs Wort, daß er ein Arier und aus dem Alpenlande ist. Er hofft sich dadurch ein Bildl bei mir einzulegen, er hält mich für einen Antisemiten, aber er weiß offenbar noch nicht, daß ich die Juden zum Fressen gern habe, wenn ich an die Bewohner des Alpenlandes denke, und gut jüdische Worte fallen mir sogar ein, wenn ich sehen muß, wie sich so ein armer Bodenständling im Schweiße seines Angesichts etc. mit mir abplagt. Also daß ich als Lichtenberg enden werde – man soll sich nur vorstellen: ein Lichtenberg, ohne Einwirkung auf das Geistesleben, gebannt in einen kleinen Kreis jüdischer Schmöcke –: das wird mein Soff sein! Ein verpfuschtes Leben, unter dem Auswurf begeisterter Idealisten, welche nie an die Krippe kommen, weil sie zu anständig sind – o wie oft verdrießt es mich, daß ich nicht als Trottel auf die Welt gekommen bin, Minister könnt' ich heut sein! (Oder voranstürmen!) Wenn ich die Schlußsumme meines Lebens ziehen soll – was aber nur auf Verlangen geschieht –: Verspielt und vertan ... Und wenn ich dann gar als ein armer Teufel von einem Swift übrigbleibe, dessen Werke zu Kinderbüchern werden, da wird sich keiner, der nicht geradezu aus dem Alpenlande ist, des Ausrufs enthalten können: Weit gebracht! Aber ein Verblendeter wie ich bin, kann ich wahrscheinlich diesen miserablen Ausgang gar nicht erwarten und wünsche womöglich, daß schon bei meinen Lebzeiten die »Letzten Tage der Menschheit« als Kinderbuch erscheinen, damit die kleinen Arier, wenn sie heranwachsen, nicht wieder so große Arier werden, um Gusto auf Weltkrieg zu haben. Aber da ließe sich ja nichts machen, weil er doch nur eine soziologische Erscheinungsform ist (wie die Presse, die ich kolossal bekämpfen könnte, wenn ich nicht an den Druckfehlern klebte). Und ist es nicht heute leicht, von den »Letzten Tagen der Menschheit« zu sprechen, nachdem mein Verhalten im Kriege, wo ich sie vorgelesen habe anstatt voranzustürmen und für das Leben zu kämpfen, zumindest zweideutig und sehr vorsichtig war? Wo war ich damals, als es noch kühn war, eine freie Rede zu führen? Im Jahre 1917 in Berlin Wilhelm eine Grabrede zu halten, dazu gehört freilich weniger Mut als für einen Arier, 1924 einen anonymen Brief zu schreiben, nachdem er schon immer mein Ethos anerkannt hat. Was er vor mir voraus hat, ist die Liebe, ist der Blick für das volle, brausende Leben (Fußball, Radio) und ein Gefühl für Menschenrechte, die ich dem Alpenländler gern bestreite. Was er vor mir voraus hat, ist auch, daß ich mir zwar Renner als idealen Zuhörer denke, aber nicht an Beaumarchais hinanreiche, wiewohl ich eigentlich ganz froh bin, nicht »Figaros Hochzeit« geschrieben zu haben, bei deren Lektüre ich erst kürzlich eingeschlafen bin. Also nix als bisserl Swift und Lichtenberg, eine gebrochene Existenz. Freilich mit einer unerhörten Eitelkeit, der das Bewußtsein, unter Trotteln zu leben, täglich noch Nahrung gibt, aber auch mit der verzehrenden Gier, von diesen sowie von der Presse endlich anerkannt zu sein.


 << zurück weiter >>