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Frau Lucy Weidt war in Rom, sie hat den Papst geschaut, »ganz in blendendem Weiß«, sie hat den Kardinal gesehen, »ganz in Rot«, sie hat den ungarischen Gesandten Grafen Somssich besucht, ganz in Weiß, und auch der österreichische Gesandte Kwiatkowski war anwesend, ganz in Schwarzgelb. Der Clou von allem aber: sie war bei Mussolini, der unt'risch ganz in Schwarz war, aber außen »eine Art Jagdkostüm von brauner Farbe mit hohen Ledergamaschen trug«. Er geht ihr mit vollendeter Höflichkeit entgegen, was umso wohltuender ist, als sich ja der Faszismus noch nicht völlig konsolidiert hat und an manchen Orten Italiens auch Frauen an ihn glauben müssen. Noch überraschender ist, daß Mussolini deutsch spricht. Er beherrscht es, denn er beherrscht alles. Selbst der Priester, der die neuvermählte Prinzessin gesegnet hat, unterließ es ja nicht, ihn als »den Mann mit den eisernen Muskeln und dem eisernen Willen« zu feiern, worauf sich Mussolini dankend verbeugte. Er ist aber nicht nur stark, sondern auch gerecht wie Breitbart, denn er belobt Polizisten, die ihn wegen Schnellfahrens aufschreiben, und die italienische Fibel ist seines Ruhmes voll wie nur ehedem die österreichische vom Ruhm des angestammten Herrscherhauses. Um aber auf Frau Weidt, die Gnade vor seinen Augen gefunden hatte, zurückzukommen. Sie erzählt, in Italien blühe es überall, nämlich in der Natur. Da kann es sich der Interviewer nicht versagen, auch seinerseits ein Scherflein von einer Blüte beizutragen:
Duftige Rezensionsexemplare hat die erfolgreiche Interpretin Richard Wagners in Italien und im lateinischen Südamerika in das kühle Wien mitgebracht.
Natürlich aus Italien, nicht aus dem lateinischen Südamerika. Sie versucht aber auch selbst eine Schilderung zu geben.
Bitte, urteilen Sie nicht zu streng über meine journalistische Leistung.
Schalkin, er wird schon nicht. Was hat also Mussolini zu ihr gesagt, der das Deutsche beherrscht? Wie verlief die Unterredung? Man stellt sich das mit einem Holofernes so vor, daß wenn das erste Herzklopfen vorbei ist, er die Frage stellt: »Was verschafft mir aber eigentlich das Vergnügen?«, und sie antwortet: »Man sagte mir, Menschenleben schonen Sie nie, Sie sind eine kleine Bosheit, Sie. Man sagte auch – ich kann's nicht glaub'n von so einem Herrn – daß Sie ein Judenfresser wär'n.« »Es ist nicht so arg, ich hab' nur die Gewohnheit, alles zu vernichten. Setz dich und speis mit mir.« Nicht doch, in einem Satz hat er alles, was zu sagen war, gesagt:
Ich kenne Wien und bin entzückt von dieser Stadt. Ich habe auch einer Aufführung von Schnitzlers »Reigen« beigewohnt.
Wien kennen und nicht von dieser Stadt entzückt sein, das ist für den, der das Italienische beherrscht, soviel wie Neapel sehn und nicht sterben. Was nun Schnitzlers »Reigen« betrifft, so bedeutet er zwar keinen Eindruck, der vom Gesamtbild Wiens geradezu untrennbar wäre, aber wahrscheinlich hat Herrn Mussolini die Intervention der Wiener Faszisten bei der Aufführung angeheimelt. Auf die Frage, ob er sich nicht auch »Tristan und Isolde« einmal ansehen wolle, antwortete er – italienisch –: »Leider bin ich an diesen Tisch gefesselt.« Aber da er eiserne Muskeln hat, so würde er auch als Ausbrecherkönig seinen Mann stellen.
Zwanzig Minuten dauerte mein Besuch. Ebenso liebenswürdig wie der Empfang gestaltete sich die Verabschiedung.
In Sperrdruck; wahrscheinlich, weil einen ja bei einem Mann mit eisernen Muskeln schon gar nichts wundernehmen würde. Er ist aber ganz anders. Oh, der frißt aus der Hand:
Frau Weidt läßt auf dem Tische des Ministerpräsidenten die Veilchen des italienischen Osterfrühlings, die sie mitgebracht hat.
Das heißt, natürlich keins von den Rezensionsexemplaren, die sie in das kühle Wien mitgebracht hat, sondern solche, die sie eigens für Mussolini mitgebracht hat. Und was sagte er? Also da soll man sehn! Nein, er ist nicht so, er ist ganz anders:
»Blumen«, sagte Mussolini galant beim Abschied, »sind das Entzückendste auf der Welt.«
Das ist von außerordentlicher Schlichtheit und wie viel steckt doch darin. Er frißt aus der Hand. Ingomar war ein unbezähmbarer Sohn der Wildnis dagegen. Freilich gelingt das nicht jeder Parthenia; aber der wär's sogar mit Horthy gelungen. Auch er hätte sich nicht anders verabschiedet, wenn ihm Frau Weidt Veilchen geboten hätte. Da könnte traun selbst Hitler Menschliches nicht zurückdrängen. Wenn sich so mancher österreichischen Brust, der der schleichende Bolschewismus schwer auflag, der Seufzer entrang. Einen Horthy braucheten wir halt, oder einen Rinaldini, oder irgendeinen andern der Stars mit eisernen Muskeln und Hersteller der Ordnung, die die Schlamperei nicht leiden können, wenn die Toten herumliegen – so sieht man jetzt, daß unter solchem Regime auch das Wiener Herz nicht zu kurz käme.