Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Kürzlich, heimkehrend, fand ich der Auswanderungsgründe die Fülle. Pallawatsch, Morast, Verspätung, Windregen, graues Elend, Wiener Werkstätte mit Dreck gefüllt, mit einem Wort: Salzburger Bahnhof. Endlich ein freier Tisch – ich belege ihn mit den Handschuhn, auf den Sessel den Hut, was wohl genügen wird, inzwischen wird noch der von Furien gepeitschte Kellner eine Suppe hinwerfen, ich eile zum Schalter, wo es nach einem alten Bahnhofbrauch, aus dem Gehorsam vor dem Wort »Zugluft«, enorm zieht. Da ich zurückkomme, sitzt dort, wo der Hut gesessen hatte, ein Mensch und daneben noch einer; zwei, die auf den ersten Blick geradezu wie zwei Deutschösterreicher aussehen, Überbleibsel eines Volksstammes, wie sie dereinst in der Berliner Passage zu sehen sein werden, die letzten Azteken und so mexikanische Völker, die sich für die Nibelungenuntreue gewinnen ließen. Die zwei essen schon. Der Hut liegt irgendwo, ganz zerquetscht. Der eine ist ein geistlicher Herr, der andere ein profaner. Ich gebe meinem Erstaunen über diese Okkupation Ausdruck und frage den vorbeigepeitschten Kellner nach der Suppe. Die eben ist requiriert und wird bereits ausgelöffelt. Der Esser ruft mir zu: »Wären S' net außigangen!« und »Wie kann denn i wissen, daß dös Ihnare Suppen is?« Auf meine Frage, wie er denn gewußt habe, daß es die seine ist, treffen mich, unter Schlürfen, haßerfüllte Blicke. Ob ihm nicht der Zusammenhang zwischen dem Hut und der Suppe aufgefallen sei, frage ich Theoretiker. »So tiaf wia Sö denk i net!« ruft mir der Mann der Tat mit dem Recht des Eroberers zu. Ich wende mich einem Tisch zu, den soeben zwei mit dem Kellner hadernde Frauen verlassen, und denke über das Problem der Weltkriegsursache nach. Wieder bestätigt es sich mir, daß nichts was nachher geschah, das furchtbarste nicht, was sie taten oder wozu sie ihren Segen gaben, an das was vorher geschah, hinanreicht, an die kleinen Lebensäußerungen, die einer unausrottbaren Gemütsart entstammten, auch jenen in der weiten Welt spürbar, denen sie kein Opfer der Bequemlichkeit auferlegt haben. Der Nebenmensch, der den andern für den Nebenmenschen hält, in den christlichen Gegenden dort am häufigsten, wo er den geraden deutschen Weg zu seinem Vorteil geht – der Geruch der Eigenschaften, die ihn ausmachen, transzendiert besser als der Ruhm.
daß die Kriegsberichterstatterin Fräulein Alice Schalek das goldene Verdienstkreuz mit der Krone am Bande der Tapferkeitsmedaille bekommen hat.
... Als Ursache des Selbstmordversuches wurde erhoben, daß das Mädchen wie ihre übrigen fünf Geschwister von ihrem Vater, dem in der Felberstraße 82 wohnhaften Fleischhauergehilfen Josef Pichl, auf grausame Weise mißhandelt wurde und daß alle sechs Kinder hungern mußten und kaum etwas anzuziehen hatten, obwohl der Vater viel verdiente und auch die zwei ältesten Kinder ihren Verdienst den Eltern nach Hause brachten. Laut einer dem Polizeikommissariat Schmelz erstatteten Anzeige hatte Josef Pichl, der alle sechs Kinder durch Schläge mit einem Ochsenziemer und durch Fußtritte auf barbarische Weise mißhandelte, für eines der unglücklichen Kinder, die 13jährige Anna, eine förmliche Folter erfunden, indem er dem Mädchen einen Riemen um den Hals schlang, sie an demselben in die Höhe zog und sie baumeln ließ ... Die Kinder hatten immer Flecken im Gesicht, die von Schlägen herrührten. Auch das Kind, das er mit dem Riemen um den Hals aufzog und baumeln ließ, hatte er in dieser Situation noch geprügelt und es am Schlusse noch mit den Füßen getreten. Es kam auch zu Tage, daß die beiden ältesten Mädchen den Entschluß gefaßt hatten, sich zu vergiften, um ihrer Qual ein Ende zu machen.
... Die unglückliche Anna habe oft am Riemen baumeln müssen, an dem sie der Vater emporgezogen habe, indem er gleichzeitig ihren Rücken mit einem Ochsenziemer bearbeitete ...
Bezirksrichter Dr. Mihatsch verurteilte den Angeklagten zu vierzehn Tagen verschärften Arrests ... Die mitangeklagte Gattin wurde freigesprochen.
Ist dies nicht von allen Schlachtberichten der ärgste? Jener hatte das »häusliche Züchtigungsrecht« zwar angewandt, jedoch »überschritten«. Die Menschheit, die es liest, geht am Abend ins Theater. Hätte das Elternpaar seinerzeit sechsfach am keimenden Leben sich vergriffen, es säße heute noch im Zuchthaus. In dieser Wildnis leben wir und nennen sie Gesetzlichkeit. Die berufen sind, dies Unmaß abzuschwächen, opfern sich für die böhmische Kreiseinteilung. Es gab aber auch, ehe das Urteil niederfiel, eine Aussprache zwischen dem Ankläger und diesem sechsfachen Vater Mattern:
Da der Angeklagte in der Anklage als Trinker bezeichnet wird, stellte der staatsanwaltschaftliche Funktionär an ihn die Frage, wie viel er trinke. – Angekl.: Es sind höchstens sechs Krügeln im Tag. – Staatsanwaltschaftlicher Funktionär: So viel Bier bekommt man jetzt gar nicht. – Angekl.: Wenn ich nur zwei Krügeln Bier krieg', kauf' ich mir noch vier Viertel Wein dazu. – Staatsanwaltschaftlicher Funktionär: Bei den jetzigen Weinpreisen macht das eine hübsche Summe aus. Damit hätten Sie den Hunger ihrer Kinder stillen können.
Daß der Riemen bei den heutigen Lederpreisen übel angewandt war, ist in diesem Gespräch gar nicht berührt worden. Es macht die Bluttat zur Gemütlichkeit und wahrlich, das ist sie auch im Vergleich zu dem!