Karl Kraus
Glossen bis 1924
Karl Kraus

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Mit den Negern kann man machen, was man will

Aus einer Zuschrift:

In einem Gespräch mit einem jungen Mann, der seit einiger Zeit im kaufmännischen Beruf tätig ist und demnächst nach Westafrika gehen wird, um dort zu arbeiten, stellte ich die Frage, aus welchem Grunde er die dortigen Lebensbedingungen für besser halte als die hiesigen; ich bekam die folgende Antwort: »Hier ist man der Übervorteilung durch andere sehr ausgesetzt, aber wenn mir dort in Afrika etwas nicht recht ist, dann hau' ich dem betreffenden Neger eine Watschen herunter oder knall ihn nieder; keine Katz schert sich dann um ihn; mit den Negern kann man dort machen, was man will. Wissen Sie übrigens, die bekommen zwei Zigaretten Taglohn und müssen schinden von der Früh bis auf d' Nacht.«

Die Worte aus Ihrem Aufsatz »Der Neger«, angefangen von »Geh hörst'rr schau drr den schwoazen Murl an!« bis »Tepataa –!« »Stinkataa –!« haben mir, seit ich sie kenne, die Art der Wiener, alles was ihnen fremd ist, eben nur einzig und allein aus dem Grund, weil es ihnen fremd ist, auf diese Weise zu beurteilen und ihre verletzte Gemütlichkeit so zu bekunden, am treffendsten charakterisiert; auch hierin ist schon die Grausamkeit, daß man einem Schwarzen alles antun kann, enthalten; weil er als Schwarzer geboren wurde, hat er alle Konsequenzen zu tragen, auch die, von jedem Wiener Pülcher, falls er erwischt wird, durchgehaut zu werden. Ob so bald jemand, der nicht in Wien bodenständig ist, gefunden werden könnte, der eine Bemerkung, die ähnliche Roheit verrät, machen würde, ist sehr zu bezweifeln.

Sicherlich ist, wiewohl ja die Schwarzen moralisch turmhoch über ihren weißen Peinigern jeder Landsmannschaft stehen, derlei nur in der Gegend möglich, die von Gott ein Patent auf Gemütlichkeit bekommen hat. Aber er hat es, weiß Gott, doch schlecht eingerichtet, wenn man sich vorstellen soll, daß in Westafrika ein nichtsahnender Neger sich heute noch der Sonne freut, der zu Weihnachten schon erschlagen sein wird, weil er etwas getan hat, was dem feschen Wögerer Pepi, dem soeben die Freunderln auf dem Bahnhof Abschied zuwinken, »nicht recht ist«.


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