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Das Wesen der »Schule der Weisheit« in Darmstadt dürfte sich darin ausdrücken, daß es sehr schwer ist zu erfahren, welche dort gelehrt wird, noch schwerer vielleicht, als das Wesen der Anthroposophie nebst Dreigliederung zu erfassen. Als ein bahnbrechender Propagator dieser Schwierigkeit wirkt jener Prinz Rohan, der dem Umstand, daß er ein Prinz ist, einen großen literarischen Anhang verdankt, und durch den Umstand, daß er diesen hat, als Prinz auffällt. In den Kreisen der Kultur hat ihm seine gesellschaftliche Herkunft mindestens so große Beachtung verschafft wie in den Kreisen des Jockeiklubs der Entschluß, sich statt diesem einem Kulturbund zuzuwenden. Er verbreitet nun die Lehre Keyserlings und ich glaube schon klar gemacht zu haben, daß er deren Bedeutung vor allem in einer »Einstellung« erkennt, die, wenn man auch nicht erfährt, worauf man sich einzustellen habe, doch grundlegend sein muß, und in einer »Auswirkung«, die, wenn man einmal auf sie eingestellt ist, sich von selbst ergibt, wozu freilich auch ein »Impuls« gehört, der sehr heftig sein muß, wenn man auch nicht weiß, worauf er gerichtet ist. Näheres teilt jetzt der Prinz Rohan im Neuen Wiener Journal mit, das sich überhaupt vieler hocharistokratischen Originalmitarbeiter erfreut, während die bürgerlichen Beiträge, mit Ausnahme von Bahrs Tagebüchern, ausgeschnitten werden. Rohan erläutert:
Als ich vor zwei Jahren zum erstenmal zu Keyserling kam, fragte ich aus der Einstellung des Gymnasiums und der Hochschule heraus nach der Definition von »Sinn«. – »Denken Sie darüber nach, Sie müssen es selbst finden, ich darf es Ihnen nicht sagen.« – Darauf gab es nur ein Kreditgewähren und diesem Anrufe gehorchen oder den ganzen Keyserling als lächerliche Erscheinung abtun.
Er zog jenes vor.
Heute weiß ich, daß dieses »Nichtdefinierendürfen« tatsächlich aus bewußtem, höchstem kosmischen Ethos kommt, das sein Wesen überall dort beherrscht, wo er ex kathedra als Berufener wirkt.
Was ist das nun für ein Ethos? Ein kosmisches, kein komisches also:
Jede wirkliche Größe hat irgendwo eine lächerliche Seite, nur Mittelmäßigkeit ist »seriös«, ihr fehlt auch der überlegene Humor, mit dem Größe ihre Lächerlichkeit bejaht. Im heutigen Europa gibt es keine Erscheinung, die von außen gesehen in so hohem Grade lächerlich wäre, wie die Schule der Weisheit.
Der Schein trügt, nicht die Schule der Weisheit.
Wer aber zentral von ihrem Impulse getroffen wird, der weiß, daß höchster sittlicher Ernst, stärkste Verantwortlichkeit und äußerster Heroismus notwendig sind, um sich zu tiefst aufrichtig ohne Selbstbelügung als ganzer Mensch zu Darmstadt bekennen zu dürfen. Denn Darmstadt spannt zum Äußersten und fordert von jedem das Höchste – und das ist unbequem.
Ich bin bereit. Also was ist das für ein Impuls?
Mit welchem Impetus der Impuls wirkt, konnte man am Einleitungsvortrag Keyserlings feststellen. Er sagte meritorisch das gleiche wie zum Schlusse der vorjährigen Tagung.
Was sagte er damals?
Damals vor einem Jahre schlug ein Blitz in uns ein und wir erschauerten vor der Neuigkeit der Perspektive. Diesmal war uns dasselbe selbstverständlich geworden, eben weil wir in die Perspektive bereits hineingewachsen waren.
Bitt, ich möcht auch! Was für eine Perspektive ist das also?
Was in den zehn Vorträgen der Tagung gesagt wurde, soll unerwähnt bleiben, denn im Sinne der Schule der Weisheit ist Sachliches nur Mittel und nicht Zweck, denn nach Keyserling »komme es keineswegs auf das Weltalphabet, sondern nur auf den Sinn an, den jener ausdrückt«.
Wer? Welchen Sinn?
Ebenso wie Keyserling die Welt nicht definiert, sondern schaut, ebenso wie er Menschen nicht erkennt, sondern intuiert, ebenso erklügelt er seine Tagungen nicht, sondern komponiert sie. Aus dem Kosmos holt er mit halsbrecherischem Wagemut – trotz aller scheinbaren Dämonie stets Prometheus und nicht Luzifer – den großen zeitlosen Aspekt, schleudert ihn im ersten Vortrage in die Geschichte, läßt ihn von seinem Orchesterpolyphon variieren und reißt Orchester und Zuhörer in seinem Schlußwort wieder aus der kausalen Zeitlichkeit in die freie Ewigkeit des Unendlichen empor. Er kann es, weil seine Philosophie Komposition in Welttönen ist, er kann es, weil er nicht nur Komponist, sondern auch Dirigent, sein Konzert bewußt magisch zum Zusammenklang hin abtönt und er kann es, weil er von sich das Höchste verlangend die höchste Anforderung an seine Vortragenden stellt und dadurch höchste Leistung erzwingt.
Mit einem Wort, als ob er Gustav Mahler wäre. Aber wie macht er das? Man erinnert sich, Rohan hat uns schon einmal Wunderdinge von dem »Geistesdirigenten« erzählt und als kontrapunktische Höchstleistung die Zusammenstellung eines Majors und eines Rabbiners, also die Paarung des Strengen und des Zartesten was es gibt, gepriesen. Diesmal stellte man sich in Darmstadt auf einen mohammedanischen Indier ein, hinter dem, wie Rohan sagt, »der heiße Atem der Wüste stand«, und außerdem gab es ein Duett zwischen einem Pastor und einem Katholiken:
In dieser scharfen Antithese, zwischen Protestantismus und Katholizismus kam am schärfsten der Winkel zum Ausdruck, den Keyserling allein in seinen Tagungen meint, der allein das Symbol für die Schule der Weisheit ist, jener offene Winkel, der Dogmenbildung a priori ausschließt, hingegen jene Einstellung gibt, aus der allein bewußt betonte Einseitigkeit des empirischen Ichs zu ökumenischer Weltweite finden kann.
Rohan ist ein Denker. »Ökumenisch« macht sich hier sehr gut, zumal wenn »empirisch« a priori steht. Aber die Leser des Neuen Wiener Journals, die von Husserl verwöhnt sind – nicht von dem Philosophen, sondern von dem gleichnamigen Schlafwagenkondukteur, dessen Erinnerungen an Klarheit nichts zu wünschen übrig lassen –, möchten sich endlich in dem offenen Darmstädter Winkel zurechtfinden. Da, endlich, das »dritte Ereignis«: Artur Zickler, und in dem ist
die gesamte Sehnsucht der heraufkommenden europäischen Jungführer verkörpert, die dem Geiste nach Faszisten sind. ... Ohne rationalistisch zu Ende definiertes Programm, ebenso wie der italienische Faszismus wissen sie genau, worauf es ankommt, sie glauben an den Geist, zu dem sie sich bekennen, und glauben daher, daß sie zu jedem Problem das rechte Wort finden werden, wenn die Zeit es von ihnen fordert. ... Zickler war wohl für die meisten, die den Mut »zum Heute« haben und an der Gestaltung der Welt von morgen mitschaffen wollen, das tiefste Erlebnis der Tagung. Hinter ihm stand die Welt, wie wir sie sehen, in ihm lebten alle großen Probleme auf, an denen wir leiden. Er ist der erste deutsche Faszist, den ich gesehen, er ist Führernatur durch und durch und hat Fähigkeit, Mut und Wille, die Dinge in seinem Sinn zu gestalten. Möge das Deutschtum ihn bald als einen der ganz wenigen großen Führernaturen erkennen, die es heute besitzt.
Und Hitler ist ein Hund? Rohan schließt:
Voriges Jahr konnte ich aus tiefstem Gewissen sagen, daß die Schule der Weisheit durch keinen Spott mehr verwundbar feststehe. Heute kann mehr gesagt werden: sie erfüllt ihre wesentliche Aufgabe so intensiv und ganz, daß sie sie bald vollendet. ...
Also welche?
Ist ein kosmischer Impuls richtig gesetzt, so finden sich die paar Menschen, auf die es ankommt und die nunmehr den Impuls in der Wirklichkeit auswirken. Sie müssen sich aber dem Anruf des Ewigen stellen
Das ist die Bedingung.
– und deshalb fordert Darmstadt höchste Verantwortlichkeit, tiefsten sittlichen Ernst und äußersten Heroismus.
So, jetzt wissen wir's.