Karl Kraus
Glossen bis 1924
Karl Kraus

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Der Praeceptor Germaniae

Berlin, 29. Jan. (Wolff) In einer Ansprache, die der Chef des Hauses Krupp, Dr. Krupp von Bohlen und Halbach, zur Feier des Geburtstages des Kaisers an seine Beamten und Arbeiter hielt, sagte er u. a.:

»Nach der schnöden Abweisung unseres, in der Sicherheit des vollsten Kraftgefühls abgegebenen Friedensangebotes wußte das deutsche Volk zu Anfang des vorigen Jahres, daß das Schwert doppelt geschliffen und die Büchse doppelt geladen werden mußte. Das ist 1917 geschehen. Allerorten regte es sich in deutschen Landen, wie es noch nie vorher gesehen worden war. Gewaltige Bauten schossen wie Pilze aus dem Boden. Sie haben ja hier in Essen unsere gewaltigen Hindenburgwerkstätten vor Augen, die an Ausdehnung alle bisherigen bei weitem überragen. Die Schätze der Erde wurden gehoben, und wo unserer Gegner schadenfrohes Grinsen Mängel und Fehler zu wittern glaubte, häuften sich Lager und Bestände. So wurde aus millionenfachern Zusammenarbeiten Großes erreicht, das den Größten unseres Volkes als Pflicht und Ziel erschienen war – die Erfüllung des Hindenburgprogramms. Damit ist die Sicherung unserer kämpfenden Brüder durch Schild und Waffe selbst den Erzeugnissen der ganzen Welt gegenüber gewährleistet.«

Ganz abgesehen davon, daß der Deutsche beim Wort »Essen« Vorstellungen hat, die ihm der Gedanke an den Herrn Krupp doch nur sehr unvollständig befriedigt, und lieber schon sehen würde, daß aus dem deutschen Boden Pilze wie gewaltige Bauten schießen statt umgekehrt, wobei es aber anerkennenswert ist, daß ein geistiger Führer des Deutschtums, wenn er vergleichsweise sagt, daß etwas aus dem Boden schießt, doch noch an die Pilze denkt statt an die Maschinengewehre, die er erzeugt – ganz abgesehen davon muß man zugeben, daß dieser Cheff des Hauses Krupp wirklich das romantische Bedürfnis der deutschen Seele tadellos effektuiert. Daß er selbst der Erzeuger des doppelt geschliffenen Schwertes und der doppelt geladenen Büchse und somit an der schnöden Abweisung von Friedensangeboten einigermaßen interessiert ist, hindert ihn nicht nur nicht daran, den Feind zu verunglimpfen, sondern auch die Konkurrenz schlecht zu machen. Aber es geschieht immerhin in der Sprache, die der Auseinandersetzung moderner Mordindustrien den Charakter des Turniers wenigstens auf deutscher Seite sichert, wo man mit Schwert und Büchse, Schild und Waffe, also rechtschaffenen mittelalterlichen Erzeugnissen, ernst aber zuversichtlich den feindlichen Flammenwerfern, Gasgranaten und so Waren gegenübersteht und dennoch leistungsfähig bleibt.

Lionardo da Vinci

ist der Erfinder des Unterseeboots. Er schrieb:

»– wie und warum ich nicht meine Art schreibe, unter dem Wasser zu bleiben, solang' ich bleiben kann ... ; und dies veröffentliche ich nicht oder erkläre es wegen der bösen Natur der Menschen, welche Art sie zu Ermordungen auf dem Grund des Meeres anwenden würden, indem sie den Boden der Schiffe brächen und selbige mitsamt den Menschen versenkten, die drinnen sind – »

Ei-Ersatz Dottofix

wenn er uns nichts gebracht hätte, der Krieg, als das und außerdem »Hausmacher-Eiernudeln« – so war er nicht zu führen! Ja, hätte doch ein Antidämon am 31. Juli 1914 (oder schon etwas früher) dem Grafen Berchtold und dem Bethmann-Hollweg zugeflüstert: Ei-Ersatz Dottofix! Sie hätten's nicht getan, bei Gott, sie hätten's nicht getan. Und gar mancher wäre auch durch die rechtzeitige Warnung »Tor, was beginnst du, du wirst zwar Prestige, aber keine Colgate-Rasiercreme haben einst!« dazu gebracht worden, es lieber mit einer Entspannung zu versuchen. Jetzt haben sie nur zwischen Ei-Ersatz Dottofix und Eier-Ersatz aus Schlemmkreide mit Backpulver die Wahl und wenn sie jenem nicht trauen und Zahnpulver-Ersatz nicht essen wollen, so bleiben ihnen nur die Hausmacher-Eiernudeln. Und darum Räuber und Mörder! Das Blut von zehn Millionen Toten – das konnte sich keiner vorstellen. Aber vielleicht hätte es genügt, das Zauberwort auszusprechen: Die Schuhbandeln werden ausgehen! »Ja was hat denn der Schlachtenruhm mit Schuhbandeln zu tun?« Also die Zündhölzchen werden alle sein! »Nicht doch: was haben denn Zündhölzchen mit unserer artilleristischen Überlegenheit zu schaffen?« So hätte denn gesagt werden müssen, was wir haben werden. Ach, die losgelassene Maschinenbestie wäre still gestanden, wenn einer Phantasie und Mut besessen hätte, vom Belt bis Banjaluka einen Ruf wie Donnerhall brausen zu lassen: Ei-ersatz Dottofix!

Was es gibt

Über eine entsetzliche Lehrlingsmißhandlung hatte gestern das Bezirksgericht Döbling zu urteilen. Der Schmiedemeister Anton Ecker war da der Angeklagte. Im Dezember vorigen Jahres fiel der schwächliche und geistig zurückgebliebene Lehrling Johann M. bei der Arbeit vor Erschöpfung zusammen. »Du bist ein Faulenzer und simulierst!« schrie ihn darauf der Meister an und versetzte ihm solche Faustschläge, daß dem Jungen das Blut aus Nase und Mund quoll. In der Verhandlung gab der Lehrling an, daß acht Tage vor den letzten Weihnachten, als er einige Eisenstücke nicht gleich finden konnte, ihn der Meister mit einem glühenden Eisenstück, das er gerade in der Hand hatte, in den Bauch stieß. – Bezirksrichter Dr. Dörr: Das kann doch nicht wahr sein, das wäre ja entsetzlich ! – Statt aller Antwort entblößte der Junge seinen Bauch und zeigte dem Richter eine handgroße schlecht verheilte Brandwunde auf der linken Bauchhälfte. – Richter (zum Angeklagten): Was sagen Sie zu dieser Roheit? – Angekl.: Na, wenn man an' Zorn hat, tut man gar viel. Ich bin ihm halt unvorsichtigerweise angekommen. – Der Richter ließ einen Amtsarzt rufen. Dieser untersuchte den Lehrling und gab an, daß die Wunde äußerst schmerzhaft gewesen sein und mindestens eine achttägige Heilungsdauer in Anspruch genommen haben muß. Der Richter verurteilte den Lehrlingsschinder zu einer Woche Arrest und außerdem zur Zahlung von hundert Kronen Schmerzensgeld an den Lehrling.

Daß eine Zivilisation, die mit glühenden Eisenstücken nicht nur die Erwachsenen über 17 bedroht, sondern sie schon Kindern in den Bauch treibt, einer Justiz begegnet, die dafür eine Woche Arrest zu vergeben hat, ist wohl in Ordnung. Der achttägigen Heilungsdauer entspricht eine Woche Arrest. Der Richter, der es sah und entsetzlich fand, gab dafür eine Woche Arrest. In demselben Staat könnte ich dafür, daß ich den Herrn Hans Müller durch die Meinung, sein Empfang durch den deutschen Kaiser sei unglaublich – »Das kann doch nicht wahr sein, das wäre ja entsetzlich!« sagte ich, aber kein Richter würde es wiederholen –, »der Lüge beschuldigt«, also gekränkt habe, von Gesetzwegen sechs Monate bis zu einem Jahr bekommen. Wir sterben an den Kontrasten. Aber daß sich die Tollheit noch in Normen und Formen auslebt, das macht uns tragisch. Ich werde da wirklich nicht mehr lange mitmachen können.


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