Ernst Kossak
Prof. Eduard Hildebrandt's Reise um die Erde
Ernst Kossak

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XXI.

Der schwarze Prinz. Afrikanische Grazie. Mad. Klimpermann. Mr. Meichel. Im Grog ertrunken. Mr. Abraham. Ein Meteor. Die Küste von Portorico. Der Sarg. Keine Milch. Im Hafen von St. Thomas. Der Dampfer »Seine«. Von St. Thomas nach Reinerz. Der verliebte Peruaner. Mein Schlafkamerad und sein Schwimmgürtel. Ein Kuppelpelz. Deutsche Stewards.

Zu den Passagieren, die gezwungen an Bord der »Solent« bleiben und uns nach St. Thomas begleiten müssen, gehört auch mein neuer Gönner, dessen Protection ich seit kurzer Zeit genieße. Bei meinem angeborenen Abscheu vor unbescheidenen Fragen muß ich dahingestellt sein lassen, ob die beiden jungen Damen, in deren Gesellschaft sich mein Patron bewegt, seine Schwestern oder nur Gespielinnen sind, wie sie sich alle lebenslustigen Jünglinge unter den tropischen Himmelsstrichen heranzubilden streben. Der Cavalier sowohl, als auch seine Begleiterinnen, wetteifern an Schwärze mit polirtem Ebenholz, sind im Uebrigen jedoch wahre afrikanische Schönheiten. Auch die Formenbildung der Negerinnen ist einer plastischen Verklärung fähig, die das europäische Auge nur in carrarischem Marmor oder in der seltenen Verwirklichung des Lebens zu finden erwartet; 289 selbst der Farbenwechsel in der Physiognomie der schwarzen Schönheiten ist von einem unbeschreiblichen Zauber, obschon er bei der Zartheit seiner Nüancen der oberflächlichen Beobachtung entgeht. Zu meinem tiefen Bedauern sehe ich mich durch die mustergiltig salonfähige Toilette der beiden Damen verhindert, meine Sculptur- und Malerstudien weiter auszudehnen, als auf Hände, Arme, Hals und Schulter; ich vermag nicht die Augen abzuwenden, wenn die Schönen die weißen Glaceehandschuhe ablegen, und nun Händchen zum Vorschein kommen, welche, in Gips modellirt, für die Glieder griechischer Statuen aus der Blüthezeit antiker Bildnerei gehalten werden würden. Den holden Afrikanerinnen bereitet mein Entzücken großes Vergnügen; sie coquettiren mit einem Talent, das jeder Actrice des Gymnase oder Vaudeville zur Ehre gereichen würde. Der Cavalier aber sieht mit einer Bonhommie drein, die mich wieder an dem Argwohn irre macht, er sei den Grazien durch andere, als verwandtschaftliche Bande vereint. Die Passagiere nennen ihn schlechtweg den schwarzen Prinzen und halten ihn für einen natürlichen Sohn des Exkaisers Solouque; in einer vertraulichen Unterredung mit dem jungen Manne sollte ich bald hinter die Wahrheit kommen. Er war der älteste Sohn eines Senators aus Hayti und hatte, gleich den jungen Damen, die nothwendige Ausbildung in allen gesellschaftlichen Kenntnissen und Fertigkeiten in einem Pariser Pensionat genossen. Das elegante Französisch, dessen sich die liebenswürdige Trias bediente, strafte diese Angabe nicht Lügen. Einige Manila-Cigarren, die ich dem angehenden Senator abgetreten, unterhielten das gute Einvernehmen, er revanchirte sich nach der Landessitte durch 290 Champagner und bat mich inständig, ihn zu begleiten: in dem Palaste seines Vaters solle es mir an nichts fehlen, und ich wie ein Kind der Familie behandelt werden. Es wurde mir unsäglich schwer, nein zu sagen und zugleich in die köstlichen Gazellenaugen der Afrikanerinnen zu blicken, aber mein Reisecalcül war geordnet und ich durfte keinen Tag mehr drein geben. Unter den in Peru ansässigen Landsleuten mache ich gleichfalls Bekanntschaften. Welche Gründe Madame Klimpermann gehabt haben mochte, ihre Heimath zu verlassen, da doch eine Hebeamme nach den tröstlichen Angaben der Statistiker in Norddeutschland niemals in Verlegenheit gerathen kann, durch Mißwachs auf dem Felde ihrer Thätigkeit eine Schmälerung des Einkommens zu erleiden, vermag ich nicht anzugeben, doch hatte sie nicht nur den Aufenthaltsort, sondern auch die Religion gewechselt. Um ihrem Geschäfte keine Hindernisse in den Weg zu legen und für vorkommende Fälle der Nothtaufe von der alleinseligmachenden Kirche autorisirt zu sein, war Madame Klimpermann in Peru von dem lutherischen zum katholischen Bekenntniß übergetreten und hatte sich nach ihren vertraulichen Mittheilungen dabei wohl befunden. Nur unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit will ich erwähnen, daß die würdige Wehemutter, die ein ansehnliches Vermögen erübrigt, mit dem Plane umging, nach ihrer abermaligen Niederlassung in Europa sich einem dritten Wechsel, und zwar dem ihres Namens zu unterziehen. Ueber Mangel an Bewerbern um ihre Hand, meinte sie, werde unter deutschen Hungerleidern keine Klage zu führen sein. Madame Klimpermann war ein menschliches Gewächs, das auf den Guanobeeten der südamerikanischen Gesellschaft zum üppigsten 291 Gedeihen gelangt war. Herr Michael hat Jahre lang in Schnittwaaren gemacht und gleichfalls durch eine rechtzeitige Uebersetzung ins Katholische sein Schäfchen ins Trockene gebracht. Bis auf Weiteres coursirt Herr Michael als Engländer, nennt sich »Mr. Meichel« und gedenkt in der Umgegend von Lyon Landbesitz zu erwerben. M. Meichel hat einen etwas genirten Blick und flößt mir nur geringes Vertrauen ein.

Am Morgen des 27. Mai wurde unserer Frühstücksgesellschaft eine sehr unangenehme Ueberraschung bereitet. Einer der Passagiere, ein Däne, war todt in seiner Koje gefunden worden. Ueber die Ursachen dieses plötzlichen Ablebens konnte Niemand im Unklaren schweben, der Abends Zeuge jener wissenschaftlichen Versuche gewesen war, welche der Däne angestellt, um zu ergründen, inwieweit bei Anfertigung des Grogs die übliche Wasserzuthat verringert werden könne, ohne die physische Bekömmlichkeit des Getränks zu beeinträchtigen. Zwei Tage vorher hatte ich ihm zur Abkürzung des Verfahrens vorgeschlagen, einen Theekessel voll siedenden Rums aus der Küche heraufbringen zu lassen und das zu der Mischung erforderliche Wasser in einem Riechfläschchen in der Tasche vorräthig zu halten. Es war ihm nicht beschieden, bis zu diesem ungewöhnlichen Verhältnisse beider Flüssigkeiten zu gelangen. Seine Lebensflamme erlosch, so eifrig er sie durch unausgesetzte Zuthaten von Rum unterhalten hatte. Nach meiner Meinung wäre die Vorsicht, den entseelten Körper sogleich nach dem Vordercastell zu schaffen und in einer Hängematte am Bugspriet zu befestigen, nicht nöthig gewesen, zumal der Verewigte nichts unterlassen hatte, seinen Leib schon bei Lebzeiten durch 292 alkoholhaltige Getränke gegen die Fäulniß zu schützen, die Schiffsregeln statuiren jedoch keine Ausnahmen. Mit einer englischen Flagge als Todtenhemd bekleidet und einer Kanonenkugel als Ballast an den Füßen, wurde der Leichnam Mittags zwölf Uhr, unter den einfachen Ceremonien einer Bestattung auf hoher See, in die Tiefe versenkt. In jenem Elemente, das er sein Leben lang ängstlich gemieden, sollte er die ewige Ruhe finden. Mr. Abraham, einer meiner Reisegefährten, ist durch den Todesfall tief erschüttert, ich bedarf des Aufwandes meiner gesammten Beredtsamkeit im Departement der Moral, um den gedachten Grossisten in Jamaica-Rum und Farbehölzern wieder aufzurichten. Als Kaufmann in dem mörderischen Artikel, der Dänemark zu Grunde gerichtet, fühlt er sich nicht ganz frei von Gewissensbissen und zittert vor der Rache der unsichtbaren Mächte. Der theure Landsmann verzehrt sich in stiller Sehnsucht nach Deutschland, dem er einen längeren Besuch zugedacht hat. Die Verhältnisse gestatten ihm erst, sich nach drei Jahren ganz vom Geschäfte zurückzuziehen, doch scheint Mr. Abraham schon jetzt etwas vor sich gebracht zu haben. Die Schwere und Dicke seiner goldenen Uhrkette würde erlauben, daran ein Panzerschiff vor Anker zu legen. Mr. Abraham schwärmt nebenbei für »deutsche Einheit« und »Tafeldo.« (Table d'hote)

Eine Stunde vor der Bestattung des dänischen Trunkenboldes hatte sich das Wetter aufgeklärt und unsere schnell genesene, bis dahin seekranke Damengesellschaft die Gelegenheit wahrgenommen, sich als Leidtragende einzufinden und mit schmachtenden Mienen der Trauerfeierlichkeit beizuwohnen. Spät Abends zwischen zehn und elf Uhr ging 293 bei vollkommener Klarheit des Himmels dicht hinter unserm Dampfer in der Richtung von Norden nach Süden ein prachtvolles Meteor vorüber. Man glaubte, das langsam dahinschwebende Pseudogestirn mit den Händen haschen zu können. Die heitere Witterung hielt auch am 28. Mai an, und unsere Vorüberfahrt an der Nordküste von Portorico glich einem jener amerikanischen Pleoramen, die in unseren kleinen Theatern zur Schau gestellt werden; nur die gewöhnliche Begleitung eines verstimmten Claviers fehlte. Um zehn Uhr dampften wir dicht an einigen kleinen Inseln vorüber, deren eine täuschende Aehnlichkeit mit einem Sargdeckel hat, und demgemäß auch »der Sarg« genannt wird. Alle diese Eilande sind überreich bewaldet, doch gelang es mir nicht, selbst mit bewaffnetem Auge, Einwohner zu entdecken. Das herrliche Wetter und die stille See haben Alles an den Tag gebracht, was sich bei Sturm und Regen in Kajüten und Kojen verbarg. Das ganze Verdeck ist mit Bonnen, Ammen und Kindermädchen übersäet, die, mit den ausrangirten Kleidern der Herrschaft ausstaffirt, ihre kleinen Pflegebefohlenen lüften. Die starke Vertretung der Letzteren wird uns bei gutem Wetter schon während des Frühstücks durch das Verschwinden der Milch fühlbar gemacht. Mr. Abraham, am Bord der »Solent« ein sehr einflußreicher Mann, hat mich zwar unter seine Fittige genommen, und weiß mir gewöhnlich einige Theelöffel dieses kostbaren Fluidums zu verschaffen; heute war alle seine Mühe vergebens.

»Schon dreimal«, sagte er, um mir mindestens seinen guten Willen zu zeigen, »habe ich umsonst vor die Milch geruft.«

294 Mein neuer Bekannter ist ein Freund socialer Demonstrationen. So ruft er, wenn der Steward ihn bei Tisch fragt: was er trinken werde? mit Stentorstimme: »Champagner werd' ich trinken, was fragen Sie noch, vom besten werd' ich trinken, die Flasche zu vier Dollars!« und fügt dann mit halber Stimme hinzu: »Haben Sie keinen billigeren? bringen Sie mir einen Schoppen von der wohlfeilsten Sorte!«

Portorico, wie schon der Name andeutet, ist überreich mit Naturproducten jeder Art gesegnet, aber bei der Fülle der tropischen Vegetation findet das Auge des Landschaftsmalers nirgends einen hervorragenden Punkt, auf dem es auszuruhen vermag. Ich schwelgte den Tag über in dem Farbenspiel des Wandelbildes, an dem wir dahinflogen; irgend eine Vedute herauszugreifen und zu Papier zu bringen, wollte mir nicht glücken. Nur die Silhouette der Insel »Sarg« habe ich auf dem Rande meines Tagebuchs flüchtig umrissen. Bei Sonnenuntergang liefen wir St. Thomas an; ich dachte der Worte des Dichters: »rosig und golden ziehen die Wolken drüber hin.« Mein Herz wird mit jedem Tage schwerer, der mich aus diesen Regionen des strahlenden Lichtes und der Farbenpracht weiter entfernt. Die kleine Stadt erinnert lebhaft an Macao oder Amoy und liegt malerisch an drei Bergabhängen. Ich war in den märchenhaften Anblick der landschaftlichen Scenerie so versunken, daß ich fast erschrocken auffuhr, als sich »der schwarze Prinz« mir näherte und den Wunsch aussprach, sich nebst seinen Schwestern von mir zu verabschieden. Mein Herz war von einem schmerzlichen Druck erleichtert, ich stattete den reizenden Afrikanerinnen im Stillen 295 eine Ehrenerklärung ab und blickte ihnen noch lange nach, als sie mit Gefolge und Dienerschaft das Schiff verließen und zwischen den Gebäuden des Gestades verschwanden. So schwer es mir wird, setze ich den Fuß doch nicht an Land, ich habe mich von den Negerinnen und zugleich von diesem phantastischen Himmelsstrich verabschiedet und muß ernstlich daran denken, mich für Europa vorzubereiten. Uns erwartet hier der für Southampton bestimmte Dampfer »Seine« und die in St. Thomas bleibenden Passagiere haben sich kaum entfernt, als auch schon die Herüberschaffung der Waaren und des Gepäcks beginnt und die ganze Nacht hindurch fortdauert. Der Heidenlärm der Matrosen und Arbeiter ließ mich nicht viel schlafen, und noch im Dunkeln packte ich meine in der Koje befindlichen Habseligkeiten zusammen und benutzte einen glücklichen Moment, um ohne Verlust an Bord der »Seine« überzusiedeln. Es war am 29. Mai, 11 Uhr Vormittags, als ein Kanonenschuß erschallte, und der Dampfer in See stach. Nichts erschwerte mir die Trennung von Amerika, ein dichtes Regengewölk war heraufgezogen, die Stadt St. Thomas verschwand in einem grauen Schleier, und da die Beschädigung der »Seine«, als wir die enge Bay verließen und an dem Bug der »Solent« nur eines unserer Rettungsböte zerquetschten und ein Stück des Räderkastens einstießen, mäßig zu nennen war, konnten wir leichten Herzens in die offene See hinausfahren. Freund Abraham hatte der Stadt St. Thomas am Abende vorher einen Besuch abgestattet; ich suchte also aus seinen vertraulichen Mittheilungen mein Tagebuch zu vervollständigen. Er wußte nicht viel Bemerkenswerthes zu verlautbaren. Belustigend fand 296 ich die sittliche Entrüstung des Wirthes, bei dem Mr. Abraham soupirt. St. Thomas ist eine dänische Besitzung, und der Besitzer des Hotels, der in Mr. Abraham einen Preußen zu errathen glaubte, machte ihm die bittersten Vorwürfe über den damals geführten Krieg Preußens und Oesterreichs gegen sein kleines Vaterland. Einige, den aufgetragenen Hammel-Coteletten ertheilte Lobsprüche kühlten jedoch seine Wuth, und er schloß mit der Versicherung, ihre Fehde möge unausgefochten bleiben, da die Insel St. Thomas für neutrales Terrain erklärt worden sei. In seinem Hause solle jeder Fremde, wenn er sonst Geld habe, die freundlichste Aufnahme finden. Die Annäherung eines durchweg civilisirten Welttheiles und der Wohlthaten einer nie rastenden Concurrenz machen sich schon hier in der beginnenden Herabsetzung der Preise auf den Tarifen bemerklich. Mein Passagierbillet von Aspinwall bis Southampton, incl. der beiden Fahrten auf der »Solent« und »Seine«, hat nur vierundvierzig Pfund Sterling, also halb so viel, als eine ähnliche Strecke in den indischen oder chinesischen Gewässern, gekostet. Die Größe und Zahl der Postdampfer genügt aber, vornehmlich während der jetzigen Reisesaison, noch immer nicht dem steigenden Verkehr zwischen Amerika und Europa: die »Seine« ist demgemäß überfüllt. St. Thomas verdanken wir einen ansehnlichen Nachschub von Passagieren. Im Ganzen beläuft sich die Zahl derselben auf dreihundert, und doch vermag der Speisesaal nur zweihundert Personen zu fassen. Ein Drittel speist daher im zweiten Aufgebot. Der kleine Hafen von St. Thomas ist als Poststation ein Sammelplatz für die Bewohner der westindischen Inseln und der Provinzen 297 des benachbarten Festlandes; die Composition der Gesellschaft wird immer bunter, und ich gerathe beinahe in Versuchung, meiner Reisebeschreibung einen anthropologischen Nachtrag hinzuzufügen. Nicht allein aus der Begegnung verschiedenartiger Chemicalien entstehen unerwartete Zersetzungen und Conflicte; gleich in den ersten Tagen kam es zu den wunderlichsten socialen Zerwürfnissen. Auf St. Thomas hat sich eine amerikanische Dame mit ihrer Tochter uns angeschlossen, deren hinreißende Schönheit allen Mannspersonen die Köpfe verdreht. Leider ist das junge Wesen an einem Brustleiden erkrankt und wird von den Aerzten nach Reinerz geschickt. Dieser traurige Umstand hält die Dandys an Bord nicht ab, der Schönen den Hof zu machen und ihr auf alle erdenkliche Weise beschwerlich zu fallen. Am weitesten hatte sich der Privat-Courier des spanischen Gesandten, ein junger hübscher Peruaner, der sehr gut Englisch sprach, durch seine poetischen Empfindungen fortreißen lassen. Außer Stande, sich den Damen, welche von vornherein nothgedrungen eine starke Defensivstellung angenommen haben, so weit zu nähern, um seinem gepreßten Herzen mündlich Luft machen zu können, hatte er dasselbe in einem Schreibebrief ausgeschüttet, welcher natürlich die höchste Entrüstung der amerikanischen Damen erregte und sogleich in die Hände des Chefs des verliebten Beamten überging. Die sofortige Dienstentlassung des Peruaners war die Folge seiner Unbesonnenheit: da er jedoch nicht zur Strafe seiner Sünden zugleich den Haifischen vorgeworfen werden konnte, mußten die beleidigten Damen seiner Anwesenheit auf Deck dulden, und Ritter Toggenburg aus Peru hat die hartherzige Schöne bis zu 298 unserer Ankunft in Southampton auf Pistolenschußweite unermüdlich angestarrt. Mr. Isidor C., Consul eines kleinen deutschen Raubstaates, kehrt nach fünfzehn an der Mosquitoküste durchschwitzten Jahren dennoch nicht aus Gesundheitsrücksichten in die Heimath zurück, sondern nur in der stillen Hoffnung, von seinem Landesherrn durch eine Decoration ausgezeichnet zu werden. Der Keim der Sehnsucht nach einem bunten Bändchen, den er in die Ferne mitgenommen, ist selbst unter der glühenden Tropensonne nicht verdorrt. Ein anderer Ansiedler von der Mosquitoküste, ein Engländer, kehrt in die Heimath zurück, um sein tornisterblondes Kind an den Mann zu bringen. Er knüpft keine Unterhaltung bei Tisch an, ohne, da die Schönheit der Tochter eben nicht rühmenswerth ist, von ihrem guten Herzen und seinem großen Vermögen zu sprechen. Seinen Betheuerungen wird jedoch keine sonderliche Aufmerksamkeit geschenkt.

Als Kojen-Kameraden hat mir der Zufall ein Original zugeführt, einen alten Franzosen, dem die Furcht vor dem Ocean und der Möglichkeit eines Schiffbruches Tag und Nacht keine Ruhe gönnt. Von seinem Schwimmgürtel trennt er sich niemals. Trägt er ihn bei Tage in der Tasche, so ist Abends, wenn er damit zu Bette geht, sein erstes Geschäft, den Schwimmgürtel hervorzuholen und sich damit zu umgürten. Da der besorgte Greis in der, unter meinem Lager befindlichen Commode schlummert, entgeht mir kein von ihm hervorgebrachtes nächtliches Geräusch. Zuweilen schrecken ihn entsetzliche Träume, Bilder von Seestürmen und Strandungen, sein banges Stöhnen dauert mehrere Minuten lang, dann löst er den Schwimmgürtel, 299 preßt die eingeschlossene Luft aus und bläst ihn von Neuem auf, um sich doch aller möglichen Garantieen für seine Rettung zu versichern. Zu näheren Erörterungen kann ich mich nicht entschließen; aber mein guter Alter entwickelt eine seltene Vielseitigkeit in der Hervorbringung der heterogensten Kunst- und Naturlaute. Zum ersten Male auf meiner Weltreise gerathe ich durch diesen angejahrten Champion in die curiose Lage, einen Kuppelpelz verdienen zu können. Wir haben eine Zucker- und Campecheholz-Wittwe aus St. Thomas an Bord, die sich zur Ruhe gesetzt, ihre Ländereien verkauft hat und, wenn ich ihren Eifer nicht überschätze, »umgehend« heirathen möchte. Mein Stubenbursche entblödete sich heute nicht, mir zuzumuthen, für ihn die Rolle des Freiwerbers bei der heirathslustigen Dame zu übernehmen. Die sechsziger Jahre pflegen freilich die liebenswürdigsten im Leben der Franzosen zu sein, ich hielt es indessen für meine Pflicht, ehe ich das mir angetragene Ehekommissariat übernahm, dem Heirathscandidaten rund und nett die Frage zu stellen, ob er auch durch seine sonstigen Qualitäten den unzweifelhaft gesteigerten Anforderungen der Campecheholz-Wittwe Genüge zu leisten hoffe, und lehnte, als ich eine unzureichende Antwort erhielt, den mir angebotenen Ehrenposten ab.

Fast sämmtliche Stewards am Bord der »Seine« sind Deutsche. Das Zusammentreffen so vieler Nationalitäten auf dieser Weltstraße legt der Dienerschaft die Verpflichtung auf, sich in der englischen, französischen, spanischen, italienischen und deutschen Sprache fertig ausdrücken zu können, und von allen Völkerstämmen scheinen nur unsere jungen Landsleute so viel Talent und Fleiß zu besitzen, um sich 300 den Anstrengungen, neben der Muttersprache vier fremde Idiome zu erlernen, mit Erfolg zu unterziehen. Es macht mir täglich bei Tisch unbeschreibliche Freude, diese gewandten hübschen Bursche jeden Gast in seiner Landessprache geläufig und so elegant abfertigen zu hören, daß Mancher derselben später ein vertrauliches Gespräch anzuknüpfen und allerlei Erkundigungen einzuziehen sucht. Unter englischen Stewards habe ich auf meinen Reisen nie eine ähnliche Versatilität gefunden. 301


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