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Auf der Rhede von Madras. Die Brandung der Küste. Affen auf allen Dächern. Der Meerbusen von Bengalen. Die Indigo-Wittwe. Ein russischer Pensionär als Master Champansky. Die Mündung des Hugly. Ankunft in Calcutta.
Bei der Annäherung des Festlandes bemächtigt sich aller Seefahrer eine leicht erklärliche Aufregung. Mein Cabinengenosse, der verliebte Capitän, hat an der Schiffswand einen Taschenspiegel befestigt, und arbeitet den Tag über an der Renovirung seines Gesichts. Er hat die Linie passirt oder das vierzigste Jahr zurückgelegt; es giebt mithin schon mancherlei auszubessern. Sobald er seine Zähne (mit einer meiner ausrangirten Zahnbürsten) geputzt hat, glättet er seine widerspänstigen Haare, und schließt mit einer Operation, die darin besteht, daß mehrere starre rothe Borsten, die aus einer Warze aus seiner Nase emporschießen, der Reihe nach mit einer Pincette ausgezogen werden. Ich vermag nicht zu errathen, ob die Seufzer, welche er dabei ausstößt, ihm durch seine Sehnsucht nach der Ersatzbraut, oder die mit dem Ausrupfen verbundenen Schmerzen ausgepreßt werden. Die auffallende, mit den Nationalsitten ganz in Widerspruch stehende Annäherung eines anderen 125 gleichfalls nach Calcutta reisenden Seeoffiziers war mir anfangs räthselhaft, als er an mich aber die Frage richtete, ob ich auch Portraits male, hatte ich ihn verstanden. Durch meine verneinende Antwort war mir mit ihm ein Freund verloren gegangen. Fortan sprach er nicht mehr mit mir. Die Anfertigung seines Conterfei's wäre aber selbst für einen kundigen Portraitmaler überaus schwierig gewesen, denn die Brandynase war von einer Röthe und anomalen Form, daß der Künstler durch ihre naturgetreue Nachbildung sich am menschlichen Geschlechte zu versündigen fürchten mußte. Der unheimliche Kaffee-Plantagenbesitzer wird mit jedem Tag in sich gekehrter und packt seine Effecten; es mag ihm daran gelegen sein, zu Madras so rasch als thulich im Innern des Landes zu verschwinden. So sieht ein Mann aus, der etwas auf der Zeche hat, ein interessantes Object für psychologisches Studium, aber nur nicht als Schlafbursche und Stubengenosse.
Unsere Fahrt verlangsamt sich mit jeder Stunde, der Nebel wird immer dichter, und auf der obersten Raa des Vordermastes müssen zwei Matrosen nach der Annäherung des Landes ausschauen. Das gräuliche Wetter hat drei Tage hindurch jede Beobachtung der Sonne verhindert, der Capitän und die Offiziere können nicht mit Bestimmtheit angeben, wo der Bengal sich befindet. Schiffstrümmer, denen wir von Zeit zu Zeit begegnen, dienen nicht zu unserer Ermunterung; in den Frühstunden des 26. December schwimmt eine zerbrochene Schaluppe vorüber. Um 9 Uhr ist endlich Land in Sicht und anderthalb Stunden später werfen wir dicht vor Madras Anker.
Die Ankunft eines Dampfers ist für die Städte des 126 Orients ein gleich wichtiges Ereigniß, wie für unsere kleinstädtischen Stationen die Vorüberfahrt und Rast des Courierzuges. Der Bengal bleibt nur bis 5 Uhr Nachmittags auf der Rhede von Madras, das wissen die Eingeborenen und suchen daher die wenigen Stunden des Aufenthaltes der Passagiere nach Kräften auszubeuten. Der Dampfer ist von einem Getümmel von Böten umgeben, deren Ruderer und Steuermänner mit thierischen Stimmen nach dem Verdeck hinausbrüllen. So karg uns die Zeit des Urlaubs zugemessen war, wollte ich doch einen Blick in die Stadt werfen, und sah mich nach einem Boote zur Ueberfahrt um. Die Beschaffenheit der Küste und die dadurch bedingte furchtbare Brandung, nach Angabe der Seeleute die gefährlichste Asiens, macht eigenthümliche Einrichtungen nothwendig. Die Boote haben kein Gerippe, sondern bestehen nur aus zusammengenähten leichten und geschmeidigen Planken ohne hölzerne oder eiserne Nägel; dennoch sind sie im Stande, bis 30 Mann aufzunehmen. Die unaufhörlichen Schwankungen des Dampfers und des unförmlichen Bootes, das fortwährend gegen die Schiffswand prallt, ohne bei der Nachgiebigkeit des Materials Schaden zu leiden, gebieten einen kühnen Entschluß. Ein Sprung, und der Passagier befindet sich im Boote, nur sitzt er bis an die Ellenbogen im Seewasser. Unter heillosem Geschrei oder Gesang sucht die Mannschaft den Strand zu erreichen; hinten auf der höchsten Stelle steht der braune Steuermann, nur mit einer alten rothen Soldatenjacke, dem Zeichen seiner Würde, bekleidet. Von einer näheren Schilderung der Reize dieser Fahrt muß ich abstehen, doch habe ich auf ihr eine Vorstellung von der 127 Existenz der Krickente und ähnlicher rühriger Schwimmvögel gewonnen; nur über die eigentliche Landung zu schweigen, wäre unbillig. Das Finale der Brandung bilden dicht am Strande drei riesige Wogen, die aus unbekannten Gründen sich immer wieder erneuern. Die erste ging erbarmungslos über unsere Köpfe weg, die zweite warf das Boot um, die dritte endlich rollte uns Alle, Bootsmannschaft, Passagiere und Gepäck in den weißen Seesand hinauf. Ueber diesen Beförderungsprozeß kann ich mir heute keine Rechenschaft ablegen, da ich in einem Zustande vollständiger Betäubung ans Festland gelangte, ich erwähne nur der Vollständigkeit wegen das Factum. Hätte ich die Kosten der Ueberfahrt: vierzehn Schillinge (4 Thlr. 20 Sgr.) gespart, es wäre kein Unglück gewesen. An Madras ist nicht viel zu sehen. Eine Menge Opiumspeicher drücken der schlechtgebauten Stadt ein Brandmal auf, daneben stehen elende Matrosenkneipen und an kleinen englischen Kirchen ist kein Mangel. Befremdend war für mich der Anblick zahlloser Affen, die, auf den Dächern der Häuser ansässig, in die offenen Fenster stiegen und ungehindert das Inventarium des Innern untersuchten. Die schönsten öffentlichen Gebäude stehen an der Bai, doch befand sich nichts Erquickliches für ein Malerauge darunter. An einem Ausfluge in das Viertel der Engländer verhinderte mich die entsetzliche Hitze und die Nässe meiner Kleidungsstücke. In Betracht der nahen Rückkehr an Bord, hielt ich es nicht einmal der Mühe für werth, Rock und Leibwäsche zu trocknen, ich ließ mich in dem Gastzimmer des nächsten Hotels nieder und erquickte mich mit dem guten Wasser, womit Madras reichlich versehen sein soll. Durch das Fenster blickte ich auf 128 die Rhede, wo einige zwanzig Schiffe vor Anker lagen. Fünf derselben waren bei dem letzten Orcan entmastet worden. Mein Tischnachbar, ein englischer Seecapitän, schilderte mir Madras als einen der ungünstigsten Orte für Schifffahrt und Handel. In den Monaten October, November und December sei kein nach europäischer Bauart construirtes Boot im Stande, die Brandung zu passiren. Nach meinen eben gemachten Erfahrungen hatte ich keinen Grund, die Angaben des Capitäns zu bezweifeln. Er behauptete, zuweilen Wochen lang auf der Rhede von Madras vor Anker gelegen zu haben, ohne andere Verbindung mit der Stadt, als durch eine merkwürdige Sorte von Lazzaroni zu Wasser. Die Unmöglichkeit für den Einzelnen, in dem Ungestüm der tobenden Gewässer ein Boot zu lenken, und die Einträglichkeit des Erwerbes für kühne Schiffer, welche sich dazu hergeben, die Correspondenz zwischen Madras und den Postdampfern zu unterhalten, hat die Eingeborenen erfinderisch gemacht. Aus drei fest zusammengebundenen Ballen zimmern sie ein etwa zwölf Fuß langes Floß, auf dem der Schiffer mit einem Ruder in der Hand reitet. An den Handhaben aus biegsamem Geflecht hält er sich fest, wenn die Brandung das Unterste zu Oberst kehrt. Gegen die Sonne und das Sturzwasser wird sein Kopf durch einen spitzen Strohhut geschützt; die Briefe steckt er in eine um seinen Leib gebundene wasserdichte Strohtasche. So trotzen diese Seedienstmänner Wind und Wetter, ohne zu Schaden zu kommen, wiewohl die Gewässer von Madras von Hayfischen überfüllt sein sollen.
Die Wasser- und Champagnerflaschen waren geleert, 129 der Capitän zog das Chronometer aus der Tasche und sagte: »Wenn Sie rechtzeitig an Bord kommen wollen, wird es Zeit sein, abzufahren!« Wirklich hatte die Mannschaft des Bootes schon auf mich gewartet. Vier übelriechende baumstarke Gesellen packten mich bei den Armen und Beinen, trugen mich wie einen Koffer ins Boot, die drei Sturzwellen gingen wie bei der Ankunft über uns weg, und in einer halben Stunde hatten wir die Schiffstreppe des Bengal erreicht. Um unberufene Eindringlinge fernzuhalten, standen an beiden Seiten derselben zwei Matrosen, die mit Nilpferdkantschuhen auf jedes nicht zum Dampfer gehörige Individuum losschlugen, aber, wie ich später vernahm, sich gelegentlicher Personalverwechselungen schuldig machten.
Fünf Uhr Morgens am 27. December stachen wir wieder in See und steuerten in nordnordöstlicher Richtung in den bengalischen Meerbusen. Die zahllosen Möven und Seeadler, die uns anfangs begleitet hatten, kehrten bald auf die Rhede von Madras zurück und eine Stunde später setzte unser Dampfer seinen Weg in ungestörter Einsamkeit fort. Die alte Ordnung der Dinge und das unleidliche Benehmen der Damen kehrt wieder. Vormittags protestiren sie, wo sie einem rauchenden Herrn begegnen, gegen das abscheuliche Laster. Arrangiren wir aber Nachmittags auf unserem Rauchplatze, wohin kein weibliches Wesen gehört, Gesellschaftsspiele, so finden sie sich vollzählig ein und erheben nicht die geringste Einwendung gegen Cigarre und Pfeife. Aus Verzweiflung über die langweilige Gesellschaft legte ich mich zeitig zu Bett, nachdem ich vorher ein paar Neger unserer Schiffsmannschaft skizzirt, die nur aus 130 einem Oberkörper und sehr langen Armen bestanden, die Beine glichen an Kürze denen des Orangutangs. Am 28. December verbesserte sich das Wetter, die Sonne durchbrach die Wolken und die Passagiere beider Geschlechter versammelten sich unter dem Sonnenzelt. Ihr Aussehen ist in Folge der anhaltenden feuchten Hitze und der verdorbenen Luft der Cabinen, in welchen die Mehrzahl den ganzen Tag zubringt, äußerst verkommen, doch gewährt es meinem menschenfreundlichen Herzen einigen Trost, daß wir alle noch reputirlicher aussehen, als das Geflügel, welches auf unseren Tisch kommt und eines natürlichen Todes an Leberkrankheiten verblichen scheint. Die verdächtige Größe dieser Organe hält unsere Damen jedoch nicht ab, sich ihrer ohne Ausnahme zu bemächtigen. Die unangenehme Seefahrt verschlechtert selbst die Sitten. Mir fiel heute auf, daß mehrere Gentlemen zwar in elegantester Toilette und mit weißen Halsbinden, aber doch in Pantoffeln bei Tisch erschienen, und sich nicht entblödeten, in Anwesenheit der feinsten Damen laut und zudem falsch – zu pfeifen. Dieselben Gentlemen erheben sich erst von ihren Sesseln, wenn sie bis zum höchsten Pegelstande mit Madeira, Port, Brandy, Porter oder Ale angefüllt sind und kaum noch das Gleichgewicht behaupten können. Mein Schlafbursche hat mich in der letzten Nacht zweimal geweckt und mir die Photographie seiner Braut gezeigt. Er kam wiederholt auf ihr Embonpoint zurück, und versprach sich davon »Dauerhaftigkeit für die Tropen«. Nur ein abermaliger Ausbruch der Dysenterie verkürzte diese naturwissenschaftliche Abhandlung. Ein junges Ehepaar aus Hamburg, das sich an Bord befinden soll, habe ich noch 131 nicht zu entdecken vermocht. Hier affectirt Jedermann: Engländer von Geburt zu sein. Man kann nicht den ganzen Tag über in die Tiefe des Oceans und gen Himmel blicken, ich widme mich in der Verzweiflung der Langenweile dem Studium der vierfüßigen Reisegefährten. An Bord befinden sich nämlich ein aus dem himmlischen Reiche gebürtiger Köter und eine aus Bengalen stammende Katze. Ihre Unverträglichkeit zwingt den Steward, sie fortwährend getrennt zu halten, und jedem einen besonderen freien Tag zu gestatten. Heute am 29. December ist er zum Sitzen verurtheilt und in schlechter bissiger Laune; gestern saß Miesmies. Freigelassen begiebt er sich sogleich zum Koch und bettelt wedelnd um kalte Küche; sie befleißigt sich an ihren freien Tagen der Rattenjagd. Ueber meinen zoologischen Beobachtungen ist mir entgangen, daß der Capitän sich wieder mit meinem Handtuch abgetrocknet hat. Ich bitte den Steward um ein reines Exemplar und beschließe, es von jetzt an stets in der Rocktasche bei mir zu tragen.
Allmälig lerne ich auch die an Bord befindliche Gesellschaft genauer kennen. Wir nähern uns Bengalen, dem Indigolande, und die Väter und Gatten der an Bord befindlichen Damen machen hauptsächlich in diesem einträglichen Artikel. An der Spitze steht eine heirathslustige steinreiche Indigo-Wittwe; ein bis auf das Skelett zusammengetrockneter Vater führt zwei blonde Indigo-Töchter nach Calcutta auf die Heirath. Schätzte ich die Freiheit nicht höher, als Reichthümer, ich könnte mein Glück machen, allein in diesem Klima habe ich auch den letzten Rest von Heirathslust eingebüßt. Unter den wenigen Deckpassagieren 132 ist es mir gelungen, eine höchst anziehende Bekanntschaft zu machen. So viel ich bei der Schwierigkeit, uns unter einander zu verständigen, herausbekommen habe, ist der alte Herr ein pensionirter russischer Hauptmann und hat sich eine Zeit lang in Sibirien dem Zobelfange gewidmet. Gewissensregungen ließen ihm dort keine Ruhe, er machte sich vor einem Jahre auf den Weg und pilgerte von Sibirien zu Fuß nach Jerusalem. Dort hat er am heiligen Grabe gebetet und zwar die Unruhe seiner armen Seele, aber nicht seine Reiselust verloren. Nachdem er fast meine bisherige Route zurückgelegt, beabsichtigt er, zu Fuß in seine russische Heimath zurückzukehren. Der originelle Tourist führt einen kleinen tragbaren Kochofen mit sich, dessen Schornstein nach dem Winde gedreht werden kann, und bereitet seine Speisen eigenhändig, wobei er gewöhnlich des Rauches wegen mit seinen Reisegefährten in Streit geräth. Er ist mit gesalzenem und gedörrtem Fleisch und Fischen versehen, die er in einem Blechnapfe mit Reis und Knoblauch gar kocht. Derselbe Napf wird gleich darauf, ohne vorher gereinigt zu sein, zur Anwendung einer grogartigen Flüssigkeit benutzt, die der Hauptmann »Champansky« nennt. Die englischen Passagiere haben auch ihn deshalb »Master Champansky« getauft. An großbritannischen Seitenstücken zu dem ehemaligen Zobeljäger fehlt es nicht an Bord des Bengal. Der Wäschevorrath eines jungen Weltumseglers besteht notorisch nur aus zwei bunten wollenen Hemden und zwei Bündeln weißer papierener Halskragen.
Der Himmel erheitert sich, bei einer sanften Nordwestbrise ist die Temperatur nicht wärmer, als an einem 133 schönen Junitage in Deutschland, und nach langen Leiden erwacht wieder unsere Lebenslust. Mein Cabinengefährte geht mit der Photographie der Braut auf Deck umher und zeigt sie Jedermann, sämmtliche Albums werden ausgepackt, die Koffer der Damen hervorgeholt und die Galakleider besichtigt, der Capitän zieht schließlich das für seine Braut bestimmte goldene Armband hervor und berichtet zur Schilderung seiner lebhaften Neigung, daß er 26 Pfd. Sterling dafür bezahlt habe. In Erwartung des nahen Landes geht der Capitän des Bengal überaus bedachtsam zu Werke. Die Company hat im letzten Jahre drei ihrer besten Dampfer verloren, und allen Befehlshabern sind deshalb die äußersten Vorsichtsmaßregeln eingeschärft. Die ganze Nacht hindurch ist »gelothet« worden. Endlich am 30. December, 8 Uhr Morgens, bekommen wir die hier stationirte Brigg in Sicht, die jedem anlangenden Schiffe einen Lootsen zusendet. Der Jubel nimmt kein Ende, der Lootse erscheint mit weißen Glacéhandschuhen geschmückt, im schwarzen Frack auf Deck des Bengal und empfängt die Glückwünsche unserer Damen. Der Befehlshaber der Brigg mochte zwar den nüchternsten der unter seinem Commando befindlichen Lootsen ausgesucht haben, doch schien mir der Mann nicht ganz fest in seinen Schuhen zu stehen. Da er indessen mit sicherer Hand das Steuer ergreift, unterdrücke ich alle Besorgnisse und begebe mich auf das Vorderdeck, um die auftauchende Küste Bengalens und der Gangesmündungen zu beobachten. Das Delta des heiligen Stromes besteht bis zu einer Tiefe von drei- bis vierhundert Fuß aus angeschwemmter 134 schwarzer Dammerde, das Festland taucht daher nur nach und nach aus den Meereswogen auf, und gleicht Anfangs noch einem zähen Schlamme, der sich erst später verdichtet und mit einer, halb aus Seetang, halb aus grünen Pflanzen bestehenden Vegetation bedeckt.
Um zehn Uhr haben wir den westlichen Arm des Ganges, den Hugly erreicht, und fahren stromaufwärts, ohne gleichzeitig die Ufer an beiden Seiten erblicken zu können. Mit jeder Minute entwickelt sich mehr Leben, wir kommen zunächst an einem Feuerschiff vorüber, große und kleine Dampfer schwimmen uns entgegen, der Spiegel des Hugly wimmelt von Fischerböten, die alle großen Beutestücke im Hintertheile der Böte aushängen und dadurch ungemein zur Belebung des Flußbildes beitragen, zur Rechten macht ein roth und weiß bemalter Leuchtthurm einen prachtvollen Farbeneffect, die Insel, auf der er errichtet ist, trägt den einladenden Namen der »Tigerinsel«, doch soll selbige auch eben so reichlich mit Alligatoren versehen sein. Tausend Schritte weiter sehe ich mich mit einiger Bangigkeit nach dem Lootsen um; der Bengal rauscht an einem gesunkenen Dreimaster vorbei, nur noch die Spitzen der Masten ragen aus der Strömung des Hugly hervor.
Die schönen Reisegefährtinnen kümmern sich nicht um die Landschaft und die Marine, die Toilette für die Ankunft in Calcutta wird ausgesucht, und für die Herren ist unter dem Sonnenzelte kaum noch ein Plätzchen aufzutreiben. Das elende Diner wird heute nicht mehr sonderlich bekrittelt, auf den fabelhaften Sonnenuntergang, dessen Gluth mich für meine Vorräthe an »Cadmium« 135 besorgt macht, zumal das »Neapelgelb« nicht ausreicht, achtet ja nur ein Landschafter von Profession. Obgleich es erst 5¼ Uhr Nachmittags ist, werfen wir doch die Anker und die Eingeborenen erklettern die Seitenwände des Bengal, um uns die Früchte des Landes und Strohhüte anzubieten. Langsam treibt ein Leichnam vorüber, er schwimmt auf dem Rücken, und Brust und Unterleib des braunen Körpers, die aus dem Wasser um einige Zoll hervorragen, sind von der Sonne Indiens weiß gebleicht. Auf der Brust des Todten sitzt ein großer Asgeier und läßt sich seine Abendmahlzeit schmecken. Das ist die hiesige wohlfeile Methode, die Verstorbenen zu bestatten.
Erst am Nachmittag des 31. Decembers sollten wir Calcutta selber erreichen, nachdem wir die letzte Nacht im sogenannten Diamantenhafen zugebracht. Von der Mündung des Hugly bis zu dem Gartenrevier Calcuttas sind nur 14 deutsche Meilen, aber das Tempo der Fahrt muß der häufigen Begegnung mit stromabwärts segelnden und dampfenden Schiffen halber verzögert werden. Die Schönheit der Vegetation an den fruchtbaren Ufern entschädigt den Touristen für den Aufenthalt. Die Gipfel der Talipot-, Cocos- und Dattelpalmen schwanken überall im Winde. Die Zollbeamten haben sich schon seit gestern an Bord eingefunden und unsere Gepäckstücke durchgeschnüffelt. Schwerlich wird man an den Grenzen Rußlands unmanierlicher behandelt. Mittags war die Toilette der Damen vollendet, der Verschluß der Koffer fällt ihren unglücklichen Männern und Vätern zur Last, und jede Schöne, gleichviel ob jung oder alt, will die erste 136 am Lande sein. Ich zählte über sechszig zusammen, dazu eine unbegrenzte Anzahl ungezogener, lärmender Kinder, und eine förmlich aus Koffern errichtete Citadelle. Es bleibt uns Männern nichts übrig, als den Damen den Vortritt zu lassen; ich ziehe mich weislich nach dem Steuerrade zurück und fülle die Zeit mit einer Skizze der Umgegend aus. 137