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Die sociale Frage. Von der Kanzel zum Hackmesser. Eiserne Häuser. Knüppeldämme. Die Droschkentour drei Thaler. Im Lotter-Viertel. Nur bei Nacht. Criminalistische Charakterköpfe. Milchsuppe mit Austern. Milch statt Wein. Fixen und Smart. Am Waschfaß. Yankee-Höflichkeit. Die Lagerbier-Mamsellen von San Francisco.
Wohl schon so Manchem ist in Stunden einsamen Nachdenkens die ernste Frage durch den Kopf gegangen, inwiefern die gesellschaftliche Entwickelung des menschlichen Geschlechts den ihm angeborenen natürlichen Eigenschaften angemessen, und ob nicht eine Reformation, wie sie die großen Socialisten der Vergangenheit geträumt haben, billig und möglich sei. Unzweifelhaft ist, daß diese Umgestaltung der irdischen Klassenordnung nicht mit gewaltsamer Hand bewerkstelligt werden darf, daß sie vielmehr den im Dunkeln arbeitenden lebendigen Kräften der Menschheit anheimzustellen sein möchte. An verschiedenen, weit auseinander gelegenen Punkten des Erdballs habe ich durchaus von den unsrigen abweichende Bedingungen des socialen Organismus zu bemerken geglaubt, und halte daher eine Neubildung auch der diesseitigen Gesellschaft auf historischem Wege nicht 184 für unmöglich. Gewiß ist, daß in San Francisco, diesem Krystallisations-Centrum eines Staates der Zukunft, Spuren der beginnenden Reorganisation und Umkehr der socialen Pole vorhanden sind. Das Urtheil der Geschichte wird zunächst an ausgeschiedenen Atomen der alten Gesellschaft vollstreckt. Die in Europa für Staub gehaltenen Samenkörner keimen hier in dem Acker der freien Arbeit von Neuem und treiben frische, fröhliche Blüthen. Männer, welche auf unserem kleinen Continent mit der Gesetzgebung, sei es durch Uebertretung politischer oder unpolitischer Bestimmungen, in Conflict gerathen sind, lassen sich die Mühe nicht verdrießen, in Zisco von vorn anzufangen und anderweitigen Spielraum für ihre Talente zu suchen. So mancher Baron oder Graf, bis dahin auf unverzeihliche Weise verkannt, erfüllt erst hier seinen Lebensberuf als Omnibus- oder Droschkenkutscher, Billardkellner, Packträger oder Hausknecht. Aufgewachsen in den Satzungen der alten Welt, an das stolze Selbstvertrauen der bevorzugten Stände gewöhnt, verliere ich hier alle Sicherheit im bürgerlichen Verkehr. Fortwährend bin ich darauf gefaßt, in dem Kutscher, der mir den Wagenschlag, dem Eisenbahnbeamten, der die Thür des Coupés öffnet, dem Kellner, welcher die Whistkarten bringt, einen pseudonym auftretenden Cavalier wiederzuerkennen. Diese unablässige Erinnerung an die Wandelbarkeit des Schicksals martert den Europäer und wird nur durch die Erwägung erträglich, daß das Loos dieser Schößlinge auf dem Stamm der transatlantischen Genossenschaft ungleich angenehmer ist, als in ihrer übervölkerten Heimath. Jeder von ihnen erarbeitet täglich wenigstens ein Pfund Sterling, eine Summe, von der er 185 in Europa oft, wenn er sie überhaupt besaß, die Bedürfnisse einer Woche bestreiten mußte. Dem entsprechend, erreicht der Lohn der weiblichen Dienstboten, außer Kost und Wohnung, die Höhe von fünfzig Dollars monatlich. Selbst als Steinklopfer verdient man in der neuen Welt mehr, als jenseits des Oceans im Schulfache und Predigeramt. Man zeigt mir u. a. zwei desertirte Officiere, die unter einem Strohdach vor dem Steinhaufen neben der Chaussee saßen und den Hammer schwangen. Ihr Tagelohn betrug angeblich drei bis vier Thaler. Ein Candidat der Theologie, welcher in Stuttgart mehrmals mit Erfolg gepredigt, hat sich hier auf die Wurstfabrikation gelegt, und fabricirt gleichzeitig einen magenstärkenden Bitt'ren. »Was haben mir alle Reden geholfen?« sagte der junge Gottesgelehrte, »meine guten Lehren hat Niemand befolgt, meine guten Würste gehen reißend ab, und mein Schnaps bessert, wenn auch nicht das Herz, so doch den Magen.« Dabei strich er wohlgefällig sein rundes Bäuchlein, das ihm im Dienste Baals erwachsen war. Ein Berliner Jurist genießt als italienischer Sänger und nebenbei als Trompeter in einem Orchester eine anständige Jahres-Einnahme. Dr. Curl, früher Archäologe, hatte als Minengräber kein Glück und eröffnete einen Barbierladen. Bei einer erklecklichen Uebung, seine Kunden im Manuscriptenhandel über den Löffel zu barbieren, gelang es ihm rasch, sich die gleiche Fertigkeit im Gebrauch des Scheermessers zu erwerben. Der ehemalige Alterthumsforscher schröpft, schneidet Haare und Hühneraugen, und setzt in seinem Lokal Blutegel. Viele Personen, die Studirens halber auf deutschen Universitäten gewesen sind, handthieren hier als Korbflechter, 186 Faßbinder und Pfropfenschneider, und andererseits haben sich Gevatter Schneider und Handschuhmacher in Geburtshelfer, Wundärzte und Quecksilberdoctoren verwandelt. Ein merkwürdiges Symptom des gegenseitigen Vertrauens ist der Gebrauch, daß Jedermann die von ihm beanspruchte Lieferung oder Leistung eines Anderen pränumerando bezahlen muß.
Der Biertrinker erhält sein halbes Maß erst, wenn das »Bit« (die kleinste Münze, 5 Sgr.) in der Tasche des Wirthes erklingt, aber auch die Wehemutter geht nicht eher ans Werk, als bis das Eintrittsgeld für den erwarteten Californier bis auf den letzten Heller erlegt ist.
Meine Promenaden durch die Straßen der Stadt sind auch hier eine unerschöpfliche Quelle der Belehrung. Bei den schlechten Löschanstalten sind die von Newyork eingeführten eisernen Häuser stark in Aufnahme gekommen, sie gewähren, so unscheinbar ihr Aussehen ist, noch die meiste Sicherheit und trotzen auch den Erderschütterungen besser, als mehrstöckige steinerne Gebäude. In den letzten Jahren will man eine Vermehrung der vulcanischen Phänomene beobachtet haben. Das Straßenpflaster hat sich noch nicht über die ersten Anfänge erhoben. Nur wenige Straßen sind theilweise, und dann auch nur mangelhaft gepflastert. Der Bürgersteig in anderen ist mit Bohlen belegt, die aber zum geringeren Theile unversehrt sind und unausgesetzte Aufmerksamkeit des Fußgängers verlangen, wenn er nicht Hals und Beine brechen will. Gewöhnlich ist man genöthigt, langsam durch tiefen Sand zu waten und sich nur vor heimtückischen Löchern zu hüten, die absichtlich mitten im Wege gegraben zu sein scheinen. An einzelnen 187 Stellen habe ich Knüppeldämme gefunden, wie sie in den Dörfern der preußischen Niederungen üblich sind. Die hohen Forderungen der Fiaker von San Francisco werden durch die Unwegsamkeit der Straßen einigermaßen entschuldigt. Man muß für die einzelne Tour, und dauerte sie nicht länger als fünf Minuten, drei Thaler erlegen, ich habe daher stets vorgezogen, wenn ich für meine Malerstudien mich eines Wagens zu weiteren Ausflügen bedienen wollte, denselben gleich für den ganzen Tag zu miethen. Der Preis betrug dann nur sieben und einen halben Thaler. Das herrliche Klima erleichtert jedoch auch die anstrengendsten Fußwanderungen. Täglich von zehn bis vier Uhr weht eine kräftige Brise, die allerdings zeitweilig in der Stadt den Staub thurmhoch aufwirbelt, zugleich aber die Atmosphäre gründlich reinigt. Von vier Uhr Nachmittags an legt sich der Wind, und man glaubt nur die sanften Athemzüge des entschlummernden stillen Oceans zu spüren. Diese aromatische Seeluft einzuathmen, ist einer der höchsten irdischen Genüsse. Von allen Amerikanern, die ich darüber befragt, werden die Städte San Francisco und Valparaiso für die gesundesten Orte des ganzen Welttheils gehalten.
Sobald ich den aristokratischen Theil der Stadt kennen gelernt, war ich darauf bedacht, mich nun auch in dem Lotter-Viertel, den Quartieren der Gauner und Lumpen zu orientiren. Der geeignetste Cicerone auf einer solchen Wanderung schien mir ein Schiffs-Capitän zu sein; ich bat daher meinen Tischnachbar, der eine ungewöhnliche Bekanntschaft mit hiesigen Zuständen verrieth, um seine Führerschaft. Der würdige Seemann war dazu bereit, doch drang 188 er in mich, den Einbruch der Nacht abzuwarten. Nur um diese Zeit habe er die großen Handelsstädte durchwandert. Er wolle mich im Stockfinstern in London so gut, wie in Calcutta, Rio de Janeiro, Swinemünde, Jeddo, Bombay oder New-York umherführen; bei Tage wisse er nirgends Bescheid. In Betracht der Lebensweise bewährter Seemänner fand ich diese Beschränkung seiner Wissenschaft begreiflich, wollte mich jedoch, da die Nacht keines Menschen Freund ist, grade in dieser übelbeleumundeten Weltstadt seiner Führerschaft nicht anvertrauen. Ich trug daher meine Bitte zwei jungen nordamerikanischen Seeofficieren vor und wurde erhört. Nach dem Tiffin des nächsten Tages traten wir unsere culturhistorische Wanderung an. So sehr ich bedauere, Angehörigen christlicher Volksstämme eine üble Nachrede zu machen, darf ich doch nicht verschweigen, daß die Hefe von San Francisco Alles hinter sich zurückläßt, was mir dahin von dem Auswurf der verschiedenen Racen auf Erden vorgekommen war. Ist doch der Reisende nicht berechtigt, von barbarischen Nationen Züge der Humanität und feineren Gesittung zu erwarten. Wenn er aber in ein ganzes Stadtviertel geräth, dessen Insassen durchweg hinter die Schule und Kirche gegangen zu sein scheinen, wird man ihm einige menschliche Verzagtheit nachsehen. Um den bezeichnenden Namen dieses merkwürdigen Gesindels bin ich wahrlich in Verlegenheit. San Francisco ist die ultima Thule der europäischen Vagabondage, der Inbegriff alles dessen, was durch die Gährung des civilisatorischen Prozesses ausgeschieden, aber, dem strafenden Gesetz entgangen, sich an dieser fernen Küste abgelagert hat. Die Natur behauptet selbst in den untersten Klassen 189 der Gattung »Mensch« noch immer eine gewisse Würde und Reinheit des Gesichtsausdrucks; Physiognomien, wie ich sie hier erblickte, sind nur Exantheme einer überreizten Civilisation. Drei- bis viermal fuhr ich entsetzt zurück, wenn aus den kleinen Fenstern der Hütten Kerle, criminalistische »Charakterköpfe«, steckten, wie sie mir noch nie zu Gesichte gekommen waren.
Häufig wurden wir von diesen Bassermannschen Schreckensgestalten angebettelt, aber meine militärischen Begleiter warnten mich ernstlich, die Börse zu ziehen, wenn ich mich nicht den größten Unannehmlichkeiten aussetzen wolle. »Viele dieser Kerle«, sagte Lieutenant Phillips, »könnten Ihnen nöthigenfalls eine Banknote von zehn Pfund Sterling wechseln.« Die Mehrzahl hatte, nach den Behauptungen der Officiere, Anwartschaft auf den Galgen, die minder bescholtene Minorität auf fünfundzwanzig Jahre Zuchthaus. Ein ordentliches Polizei- und Gerichtsverfahren besteht in San Francisco erst seit verhältnißmäßig kurzer Zeit, und man sollte meinen, ein Beisammensein von Menschen sei vorher überhaupt unmöglich gewesen; dennoch hatte sich das Volk zu helfen gewußt. Ohne viel Federlesen zu machen, wurden Straßenräuber und Mörder, aus frischer That ertappt, gleich an den nächsten Laternenpfahl oder hervorspringenden Balken gehängt. In den Minenbezirken ist dieses Verfahren noch heute an der Tagesordnung. Nach kurzer Zeit hatten wir genug gesehen und kehrten um, froh, uns wieder unter ehrlichen Gesichtern zu befinden. Wir rasteten in einem Kaffeehause, das den stattlichen Namen »Künstlerhalle« führte, denselben jedoch durch nichts weiter, als die Anwesenheit des »Kladderadatsch« 190 und die Zeichnungen meines Freundes Wilhelm Scholz rechtfertigte. Wahrscheinlich hat noch niemals ein Leser das lustige Blatt mit ähnlichen Empfindungen in die Hand genommen. Zwischen mir und den liebenswürdigen Mitarbeitern lagen gen Osten oder Westen zwei Welttheile – zwei Oceane – das Weinen war mir näher als das Lachen. Ich hielt das Blatt noch in der Hand, als ein fliegender Händler eintrat. Er trug an einem breiten Riemen einen Kasten vor sich her. Anfangs glaubte ich, derselbe sei mit wohlriechenden Essenzen, Seifen, Räucherkerzen, Nadeln und Zahnstochern gefüllt; der Kasten enthielt indessen nichts weiter als allerlei Sand-, Stein- und Geröll-Proben aus den Minen, und sein Träger war der Agent von Landbesitzern in dem Bezirk der Goldgräberei. Meine Herren Begleiter versicherten, daß dergleichen Proben oft mit großer Kunst angefertigt würden, um bemittelte Neugierige hinter das Licht zu führen und ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Selbst meiner Unerfahrenheit schien es höchst verdächtig, daß an jedem Stück das gediegene Gold stets an einer sich vortheilhaft präsentirenden Stelle zu Tage trat.
Wir kamen rechtzeitig zum Diner in unser Hotel und brachten, Dank der unvergleichlichen Seeluft, einen tadellosen Appetit dazu mit. An zwei in der Längenrichtung des Saales gedeckten Tafeln saßen: rechts die Damen, links vom Eingange die Herren. Nach der Landessitte von einander getrennt, haben Erstere das Vorrecht, begünstigte Gentlemen zur Tafel ziehen, d. h. an ihren Tisch einladen zu können. Seitwärts von jeder dieser Tafeln ist noch ein Eingang, der von außen durch Inschriften 191 »für Herren«, »für Damen« bezeichnet wird. Herrschte die Sitte anderer Völker, das Mahl durch lebhafte Unterhaltung zu würzen, auch bei den Nordamerikanern, so müßte man sich über die grundsätzliche Trennung der Geschlechter beklagen; die Hast, mit der man hier zu Lande die Mittagskost verschlingt, fast sollte ich sagen: hinabwürgt, denn so Mancher erübrigt kaum so viel Zeit, die Speisen zu kauen, läßt den Gebrauch gleichgiltig erscheinen. So weit meine Beobachtungen reichen, übereilen sich alle jene Geschöpfe, welche der Mensch zur Arbeit sich dienstbar gemacht hat, nicht bei ihrer Mahlzeit. Wird das Pferd, der Ochse dabei nicht gestört, so brauchen beide reichlich anderthalb Stunden; in Zisco genügen zehn Minuten. Während des Diners herrscht eine nahezu unheimliche Stille. Sie wird höchstens durch einen Yankee, der die neusilberne Gabel, einen Novizen von Kellner, der eine Assiette Nieren à la Washington zu Boden fallen läßt, unterbrochen. Den befremdlichen Eindruck der Abfütterungsscene erhöht ein magisches Dämmerlicht, denn die langen dunkelblauen Gardinen werden vor Beginn des Mahles dicht zugezogen. Zwei Gäste bedient immer ein gentlemännisch gekleideter Kellner im schwarzen Frack, mit weißer Cravatte. Die ausgezeichnete Kost und die Vielseitigkeit des Koches habe ich schon gerühmt; Fleisch, Fische und Gemüse sind ihrer Qualität nach gleich ausgezeichnet. Wir schreiben den 27. April, und doch kommen täglich riesige Spargel und sogenannte Humboldt-Kartoffeln, grüne Erbsen, Erdbeeren und Himbeeren auf den Tisch. Neben den Finessen der französischen Küche erscheinen auch Nationalgerichte, die wohl verdienten, in Europa acclimatisirt zu werden. Zu den größten Delikatessen gehört eine Milchsuppe mit Austern, doch wollte es mir nicht gelingen, den Koch zur Mittheilung seines Receptes zu bewegen. Zum täglichen Dessert gehörten: kalte Bratäpfel mit Sahne. Am meisten wundert sich der Norddeutsche über die Enthaltsamkeit der Nordamerikaner von geistigen Getränken bei Tisch. Unter zwei- bis dreihundert Personen trinken nur einige Wenige eine halbe Flasche Medoc, die Uebrigen stillen ihren Durst mit Milch. Zwischen zwei Personen steht außer der unvermeidlichen Schale mit Syrup eine zierliche Kanne, gefüllt mit dem ersten Getränk unserer Jugend. Es wird ungemischt oder »halb und halb« mit Eiswasser getrunken. Auf meine Frage nach dem Grunde dieser Entsagung antwortete man mir, daß die Gentlemen schon im Laufe des Vormittags des Guten so viel zu thun pflegten, daß ihnen nichts mehr übrig bliebe. Dessenungeachtet habe ich nie einen betrunkenen Yankee gesehen, freilich aber auch keinen, der vollkommen nüchtern gewesen wäre. Nach aufgehobener Tafel ziehen sich die Damen in ihre Gemächer zurück, ein schmerzlicher Verlust für die Herren; der Nordamerikaner verträgt ihn leichter, als man vermuthen sollte. »Zeit ist Geld«, und ein kluger Eingeborener braucht jede Minute, um sie zu versilbern, oder zu vergolden. Fortwährend giebt es, um den beliebtesten Nationalausdruck anzuwenden, etwas zu fixen. Der Maler fixt (fixed) ein Bild, der Baumeister ein Haus, der Koch ein Gericht, der Hausknecht fixt die Kleider; das handliche Verbum umschließt den Begriff aller erdenklichen menschlichen Thätigkeiten. Ein gleich tiefsinniges Adjectivum ist das Wort »smart«. Es bezeichnet den annähernd 193 höchsten Grad der Vollendung im Handels-Sport. »Smart« ist, wer ein schlechtes Pferd oder ein invalides Schiff für schweres Geld mit guter Manier an den Mann zu bringen weiß, unter Umständen wird aber der Staatsmann und Feldherr gleichfalls »smart« genannt. Louis Napoleon hat nach dem Austrage der mexikanischen Angelegenheit unzweifelhaft dieses schmeichelhafte Epitheton in Amerika eingebüßt. Der Yankee bedarf nicht nur ausgezeichneter Geisteskräfte, sondern auch unausgesetzter Thätigkeit, wenn er die zahllosen Verpflichtungen eines Hausherrn und Familienvaters erfüllen will. Nordamerika ist das Paradies der Frauen; ob es die Hölle der Männer ist, mögen Andere entscheiden. Viele wirthschaftliche Functionen, denen sich kein Europäer unterziehen würde, wenn er nicht die kostspieligen weiblichen Dienstboten zu bezahlen vermag, liegen dem Manne ob; die Frau Gemahlin krümmt, auf die großstädtische Sitte gestützt, keinen Finger. Der Ehegatte wäscht und kleidet Morgens die Kinder, er geht oder reitet mit dem Korbe auf den Markt und kocht Kaffee, besorgt den Tag über sein Geschäft und verdient Geld; Abends führt er die Kinder oder Mistreß' Schooßhund spazieren. Ob er für die Ausbesserung und Reinigung der Wäsche Zeit übrig behält, vermag ich nicht anzugeben. Die Kosten der Wäsche, wenn man sie außer dem Hause säubern läßt, sind beinahe unerschwinglich. Für Taschentücher, Hemden, Strümpfe, Leibbinden und Halskragen zahlt man Stück für Stück zwei bis drei Bits, das heißt zehn bis fünfzehn Silbergroschen. Noch vor wenigen Jahren standen die Waschpreise so hoch, daß man eben so 194 weit kam, wenn man ein schmutzig getragenes Hemde auf die Straße warf und ein neues kaufte, als wenn man es reinigen ließ. Damals machte mancher »smarte« Yankee ein gutes Geschäft mit dem Einsammeln der weggeworfenen Shirtinghemden. Er sandte sie nach China, ließ sie dort für den sechsten Theil dessen, was in San Francisco dafür gefordert wurde, reinigen und verkaufte sie später als neu. Die Wäscher ließen sich damals für jedes Hemde einen Dollar bezahlen. Die Preise sind zwar beträchtlich gesunken, doch schicken große Haushaltungen ihre schmutzige Wäsche noch immer nach Panama, Acapulco und den Sandwichinseln.
Der Höflichkeit der Bewohner von San Francisco vermag ich kein Lob zu ertheilen. Der Verstoß gegen die gute Sitte sei noch so groß; Niemand bittet um Entschuldigung. Ob der Yankee dem Vorübergehenden auf den Fuß tritt oder ihm mit der Spitze des Regenschirms ein Auge ausstößt, er rennt lautlos weiter. Niemals habe ich einen von ihnen lachen gesehen. Desto heiterer und lebenslustiger sind die Frauen und Mädchen, nur bleiben die gewählteren Kreise der Hauptstadt begreiflicher Weise dem Fremden, wenn er nicht die besten Empfehlungen mitbringt, unzugänglich, und ein wenig tiefer hinabzusteigen und Bekanntschaften anzuknüpfen, wird Niemandem gelüsten. Die Zudringlichkeit der weiblichen Bedienung hat mich sogar aus mehreren Bierhallen vertrieben. Die Lagerbier-Mamsells wissen sich immer zu einem Glase Wein oder Limonade zu verhelfen, dessen Kosten der Gast zu tragen hat. Es ist selbst unmöglich, an öffentlichen Orten, wie in 195 Conditoreien und Speise-Salons, sich anständigen Frauen zu nähern und eine flüchtige Unterhaltung anzuknüpfen. Ueberall sind ihnen besondere Eingänge mit der Ueberschrift »für Damen« eingeräumt, die für uns hermetisch abgesperrt bleiben. 196