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Cawnpore. Der Aufstand von 1857. Indische Julitage. Nena Sahib. Lucknow. Die Theilung der Arbeit unter den Dienern. Das Dorf der todten Menschen. Agra. Ein Besuch des Taschmahal. Sekundra mit Akbar's Grabmal.
Die Eisenbahn zwischen Allahabad und Cawnpore ist vollendet, und ich erhob mich am 15. Januar Morgens zeitig von meinem Lager, um die Abfahrt des Zuges nicht zu versäumen. Da ich mich in Betreff meiner Zeiteintheilung und der Fortsetzung meiner Reise nach dem Schiffskalender von Calcutta, d. h. nach dem Abgange der Dampfer richten muß, bin ich zu militärischer Pünktlichkeit gezwungen. Die hiesige Race hat freilich nicht einmal ein Organ, um den europäischen Satz: Zeit ist Geld, zu begreifen. Ich mußte die Dienerschaft des Hauses selber wecken, um nur einige Hülfe zu haben, und trat dann meine Wanderung nach dem Bahnhofe an, auf der mich ein zahmer Hirsch begleitete. Die Schonung, welche der Hindu nach den Vorschriften seiner Religion allen Thieren angedeihen läßt, flößt, wie ich zu bemerken glaube, selbst ursprünglich scheuen Thieren Vertrauen ein. Noch an demselben Vormittag sah ich einen Schakal, der, während der Zug anhielt, ruhig auf dem 179 Bahnkörper stand und furchtlos die Schienen beschnüffelte. Auch die Vögel scheinen ihre Furcht verloren zu haben. Wir kamen an vielen kleinen Bäumen vorbei, an deren Zweigen die geflügelten Baumeister ihre seltsam geformten Nester so unbekümmert aufgehängt hatten, daß jedes Kind im Stande gewesen wäre, sie abzunehmen. Die Spuren der Nachwehen des letzten großen Aufstandes treten hier schon deutlicher hervor. Die Seapoys, denen wir begegnen, sind fast alle mit Schmarren und tiefen Narben bezeichnet, die ihren finstern Gesichtern einen noch drohenderen Ausdruck verleihen. Der unversöhnliche Haß der Eingeborenen mag selbst das englische Geblüt etwas umgänglicher stimmen. Ein Passagier von »Halbkaste«. d. h. der Sohn eines englischen Vaters und einer indischen Mutter, ließ sich herbei, sein Frühstück mit mir zu theilen. Da er sich wieder mit einer Hindostanerin verheirathet hatte, waren seine fünf Kinder, obgleich sonst sehr wohlgebildet, doch fast schwarz. Er brachte sie in eine benachbarte Erziehungsanstalt, ein »Kloster«, wie er sagte. Die Gegend, durch welche wir fahren, ist flach und erhält nur durch Mangobäume und Rhicinusgebüsche einige Abwechselung. Dieses Pflanzenöl findet in Indien eine ungleich ausgedehntere Anwendung, als in Europa. Eine Kruke mit Rhicinusöl gehört zum Inventarium jedes besser eingerichteten Zimmers. Bei der geringsten Unpäßlichkeit nimmt man dazu seine Zuflucht. Es gilt für ein stopfendes und auflösendes Mittel, und man beanstandet nicht, den Salat damit zuzubereiten. Mit Vögeln sind beide Flanken der Bahn reich bevölkert. Die Mehrzahl derselben besteht aus Flamingos und großen grünen Papageien, auch unsere heimischen Störche waren 180 durch etwa 50 Exemplare vertreten. Um halb 12 Uhr Mittags langten wir in Cawnpore an; die Temperatur glich der eines Dampfbades. Im Hochsommer soll man glauben, auf glühenden Kohlen zu gehen. Ich stieg in dem Gouvernements-Bungalow ab, einem von der Regierung etablirten Hotel, deren man überall in den weniger vom Handel berührten Gegenden Indiens findet, kann ihm aber keinen Comfort nachrühmen. Mein Diner, ein Gouvernements-Beafsteak, mußte mit 12 Annas (25 Sgr.) honorirt werden, am andern Morgen forderte man mir sogar eine halbe Rupie für »Stallung«, und drei Viertel Rupie für »Trinkgeld« ab, obgleich ich selber nicht einmal im Stande gewesen war, meinen eigenen Durst zu löschen, denn das Ale war ausgegangen und das Wasser unerträglich warm. Wie groß die Hitze in Cawnpore sein muß, erhellt aus den über jedem Bette angebrachten Fächern (Punkas). Wer hier länger verweilt, miethet einen Boy, um die Punka in Bewegung zu setzen. Dem jungen Manne wird ein quer über einen Wasserzuber gelegtes schmales Brett neben dem Bette als Sitz angewiesen. Entschlummert er, so plumpt er in das Wasser. Empfindlichere oder menschenfreundlichere Reisende miethen daher zwei Boys, die abwechselnd alle zwei Stunden den Fächerposten beziehen.
Cawnpore ist jene indische Stadt, in welcher im Jahre 1857 am 15. und 16. Juli durch die Aufständischen jene furchtbaren Gräuel verübt worden sind, welche die Engländer zu einer nicht minder entsetzlichen Rache anreizten. Mehrere hundert englische Frauen und Kinder wurden theils als blutige Leichen, theils lebendig in einen tiefen Brunnen gestürzt, nachdem alle Schandthaten der Bestialität an ihnen 181 verübt worden waren. Die Häuser, in denen man die Unglücklichen niedergemetzelt, sind sämmtlich dem Erdboden gleich gemacht und in Gärten und Kirchhöfe umgewandelt. Um den verhängnißvollen Brunnen errichtet die Regierung ein großartiges Denkmal in gothischem Style. Während meiner Anwesenheit wurde noch eifrig daran gearbeitet. Gegen Abend machte ich einen Spaziergang nach dem entgegengesetzten Theile der Stadt und besah die Gebäude, in denen Nena Sahib, der Hauptanstifter der Metzelei, gehaust hatte. Das Ungeheuer ist der verdienten Strafe noch immer entgangen, nur seinen Neffen und Helfershelfer hatte die Rache einige Monate vor meiner Ankunft ereilt. Er war in Bombay erkannt und ergriffen worden, dann hatte man ihn nach Allahabad geschafft und dort mitten unter der fanatischen Bevölkerung gehängt. Man wird sich aus den Schilderungen Macaulay's in seinem Essay »Lord Clive« erinnern, daß der Tod am Galgen die äußerste Schmach ist, die über einen indischen Edlen verhängt werden kann. Nena Sahib selber hat sich allen Nachforschungen der englischen Polizei zu entziehen gewußt, doch ist mir wiederholt versichert worden, daß er sich in tiefster Verborgenheit, unter dem Schutz der Brahminen, in Benares aufhalte.
Am 16. Januar früh Morgens wollte ich einen Abstecher nach dem zehn Stunden in nordwestlicher Richtung entfernten Lucknow machen, mußte jedoch länger als eine Stunde auf die schläfrige Dienerschaft, den Thee und den Wagen warten. Erst um acht Uhr stand das mit zwei Büffeln bespannte Fuhrwerk vor der Thür. Nachdem wir die Schiffbrücke über den Ganges passirt und das malerische 182 Treiben angestaunt, fuhren wir in tiefem Sande landein. Nach einer Stunde wurde umgespannt, das elende Pferd vermochte den leichten Karren kaum weiterzuschleppen. Wir kamen erst an einer ziemlich großen Stadt, dann an einem fast ganz in Trümmer geschossenen Flecken vorbei und fuhren durch eine Sumpfgegend mit mehreren kleinen Seen. In einer Stadt, die wir Mittags passirten, war keines der armseligen Häuser höher, als sieben Fuß. Nachmittags begegnete uns eine kleine Abtheilung Seapoys. Sie versperrten dem Wagen den Weg und machten allerlei Manöver mit ihren Gewehren, so daß ich mich der Besorgniß nicht erwehren konnte, sie wollten mir zu Leibe gehen. Indessen endeten sie damit, das Gewehr zu präsentiren; sie hatten mich muthmaßlich für einen englischen Militair in Civil gehalten. Schon um 4 Uhr kamen wir in Lucknow, der Hauptstadt des ehemaligen Königreiches Oude, an. In dem ungemüthlichen Gouvernements-Bungalow erfuhr ich von dem alten stotternden Inspector, daß noch ein Gasthaus, das Victoria-Hotel, vorhanden sei, dessen Wirth aus Bagdad stamme. Auch hier wurde nicht Englisch gesprochen, doch hörte ich von zwei englischen Damen aus Agra, daß ein junger deutscher Kaufmann in Lucknow lebe, der mir wohl Obdach gewähren werde. Nach einer Stunde hatte ich ihn aufgefunden und wurde als Landsmann mit offenen Armen empfangen. Herr Sondermann, ein liebenswürdiger Hamburger, bot mir sogleich eine Wohnung in seinem Hause an, und man wird sich bei meiner Sehnsucht nach Landsleuten und der theuren Muttersprache denken können, wie gern ich sein freundliches Anerbieten annahm. Sondermanns Haushaltung war nach indischem Maßstabe sehr 183 großartig und comfortabel eingerichtet; ich zählte nicht weniger als zwanzig Diener. Da der junge Mann sich aber nächstens zu verheirathen und gleichzeitig Pferde und Wagen anzuschaffen gedenkt, wird noch ein Dutzend hinzugefügt werden müssen. Hier that ich zuerst einen tieferen Blick in das wirthschaftliche Treiben und die Gebräuche Indiens. Die Theilung der Arbeit ist selbst in der deutschen Büreaukratie und unter den Lakaien in russischen Palästen nicht so weit getrieben, als unter der hiesigen Dienerschaft.
Zuerst ist da ein Kellermeister (Butler, Kansumah), der die höheren Functionen des Haushalts versieht, Einkäufe macht, Vorräthe überwacht und verwaltet, auch seinen Herrn bei Galavisiten begleitet, aber ihm steht noch ein »Under Butler« zur Seite. Der »Valet« (Kammerdiener) servirt den Kaffee, besorgt das Bad, geht bei der Toilette zur Hand und leistet Dienste bei Promenaden, Land- und Wasserfahrten. Der Koch (Bawarche) disponirt, um sich nicht zu überarbeiten, über einen Unterkoch (Under Cook). Der »Bearer« (Träger, Chief Hamall) polirt die Möbel mit Oel und Wachs, arrangirt die Blumenvasen, servirt die Tafel und unterzieht sich verschiedenen ähnlichen Verrichtungen. Er würde jedoch dabei ohne mehrere »Under Hamalls« elendiglich zu Grunde gehen. Häusliche Vedettendienste verrichtet der »Door Keeper« (Thürhüter, Darban), aber außerdem giebt es noch einen »Private Watchman«, dem die Bewachung des Hauses zur Nachtzeit obliegt. Der »Bihiste« oder Wasserträger besorgt die täglich nöthige Quantität, der »Dhobi« (Washerman) wäscht das gröbere Leinenzeug, 184 in einem größeren Haushalte muß es außerdem noch einen Waschmann für Leibwäsche und alle feinen Stoffe geben. Hält man sich Hunde, so darf auch ein Hundewärter und Wäscher nicht fehlen. Selbstverständlich sind Gärtner, Kutscher, Stallbediente, Bootsleute und Palanquinträger. Bei einer ausgezeichneten Gesundheit und fünfundzwanzig Jahren braucht Mr. Sondermann glücklicher Weise keinen »Medicinträger!« Die Kosten eines solchen Haufens von Tagedieben belaufen sich monatlich auf drittehalb hundert Rupien oder fünfundzwanzig Pfund Sterling. Demgemäß müssen natürlich nun auch die Räumlichkeiten des Hauses eingetheilt sein. Ich komme vielleicht noch ausführlicher auf diesen socialen Punkt zurück.
Lucknow ist, wie das englische Viertel von Calcutta, eine Stadt indischer Paläste. Der Anblick dieser Größe, dieses Reichthums ist imposant, nur sind die Prachtgebäude Lucknow's in den Kämpfen des Jahres 1857 überaus hart mitgenommen.
Kein großes Gebäude, das nicht über und über mit Kugelspuren bedeckt wäre, selbst die prachtvollen Tempel sind zerschossen, doch ist man damit beschäftigt, die zertrümmerten Baulichkeiten wieder herzustellen. Ein ganzer Tag reichte kaum hin, die Herrlichkeiten Lucknow's genauer in Augenschein zu nehmen. An den alten Grabmälern der Könige zählte ich allein achtzig mit gediegenen Goldplatten bedeckte Kuppeln. In einem der Paläste befindet sich eine große silberne Treppe. Nach dem Aufstande haben die Engländer die Bewachung dieser merkwürdigen Kostbarkeiten übernommen; überall begegnet man ihren Wachtposten. Der Anblick einer so unerhörten Pracht, die in ihrer Gestaltung 185 von Allem abwich, was ich bis dahin gesehen, setzte mich ganz in Verwirrung, ich ging unter diesen Monumenten, Palästen, Triumphbögen und Tempeln wie ein Traumwandler umher. Hier konnte ich auch mein Verlangen, Elephanten zu sehen, ohne Schwierigkeiten befriedigen und nach Belieben auf ihnen spazieren reiten. Man sieht ihrer den Tag über fast so viele, wie Pferde in unseren Städten, meistens kohlschwarze Kolosse. Ein guter, wohldressirter Elephant wird in Lucknow nur mit 1000 Rupien bezahlt. Die Ausgabe ist nicht hoch, wenn man bedenkt, daß einzelne dieser Geschöpfe schon seit dem vorigen Jahrhunderte ihren Eigenthümern Dienste leisten. Ich benutze die günstige Gelegenheit, einen Elephanten zu miethen und als Sonntagsreiter einen Abstecher nach dem Affenwalde zu machen. Den Nachkommen Hanuman ist in Lucknow nicht, wie in Benares, ein eigener Tempel errichtet; sie müssen die ihnen gewidmeten Huldigungen im Freien entgegen nehmen, doch werden sie auf öffentliche Kosten gefüttert. Man mag über diesen Cultus denken, wie man wolle, immer wird er gebildeten Personen mehr zusagen, als ein unter den hiesigen Engländern üblicher Sport, zu dem man auch mich aufgefordert hatte. Der Gastgeber ließ von einigen Hindus der untersten Kaste ein Dutzend Schakale in seinen Hof bringen und alle Pforten verschließen. Dann postirte er mit seinen Freunden sich an den Fenstern und schoß nach den unglücklichen Bestien mit Pfeilen. Wenn sie alle getroffen worden sind, ruft man die indischen Eigenthümer, diese reißen ihnen die Pfeile aus dem Leibe und lassen sie laufen. Ein Schakal zu dergleichen Schießübungen steht hier zu Lande immer zur Verfügung.
186 Ich lasse das herrliche Wetter und die Elephanten nicht unbenutzt. Am 20. Januar machte ich einen Ausflug nach dem »Dorfe der todten Menschen«. Ich habe schon berichtet, daß die Hindus ihre schwer erkrankten aufgegebenen Angehörigen an das Ufer des Ganges zu tragen und, nachdem sie ihnen Mund und Nase mit heiligem Schlamm gefüllt, dem Spiel der Wellen zu überlassen pflegen. Nun ereignet es sich zuweilen, daß der Patient durch die Frische des Wassers und die Kühle der Nacht wieder zu sich kommt, oder von einem menschenfreundlichen Europäer, der Spuren des Lebens an dem schwimmenden Körper entdeckt, an's Ufer oder an Bord gezogen, gepflegt und gerettet wird. Für seine ehemaligen Verwandten ist er nichtsdestoweniger aus dem irdischen Leben geschieden. Es bleibt ihm nichts übrig, als einen Zufluchtsort in einem dieser »Dörfer der todten Menschen« zu suchen, die man in einiger Entfernung von allen großen Mittelpunkten indischen Lebens antrifft. Einer näheren Beschreibung dieser Stätten des äußersten Elends enthalte ich mich; man wird sich ausmalen können, auf welche klägliche Weise diese meistens hochbejahrten schwachen Wesen ihr Leben zu fristen suchen. Als ich nach Hause zurückkehrte, überraschte ich mehrere zierliche Eichhörnchen, die in meinem Zimmer ihr Wesen trieben und sich durch meinen Eintritt gar nicht einschüchtern ließen. Eine Einladung zu dem Balle, der Abends zu Ehren eines Generals gegeben werden sollte, lehnte ich, theils aus Besorgnissen vor Auftritten, wie ich sie auf Ceylon erlebt, theils meiner Rückreise nach Cawnpore wegen, höflich ab, setzte mich um 8 Uhr Abends in den Wagen und fuhr davon, reich beladen mit malerischer Ausbeute. Die Nacht 187 war stockfinster, voller Nebel und kalt; die Situation war höchst unbehaglich. Die Umgegend von Lucknow ist durch die Unthaten der Thugs (Würger) berüchtigt, und wenn der englische Galgen auch furchtbar unter ihnen aufgeräumt hat, sollen ihrer doch noch genug vorhanden sein. Mehrmals in der Nacht wurde der Wagen von schwarzen Kerlen angehalten, die heftig in mich hineinsprachen, ohne daß ich ihnen hätte antworten können; etwa um 1 Uhr wurde ich durch ein schrilles Pfeifen erschreckt. Es ist in Cawnpore und Lucknow noch immer nicht recht geheuer. Vierzehn Tage vor meiner Ankunft hatte einer der Diener des Herrn Sondermann rebellirt und gesagt: »Heute bin ich Ihr Diener, in einer Woche können Sie mein Diener sein!« Die Engländer sind auf Alles gefaßt und stehen fortwährend unter Gewehr. Am unbehaglichsten war das unaufhörliche Gebrüll der wilden Thiere auf meiner Nachtfahrt. Einige Tage vorher war der Fuhrmann eines Frachtwagens durch einen Tiger vom Bock gerissen worden, die Gefährten hatten das Unglück erst auf dem nächsten Halteplatze aus den Blutspuren errathen, so lautlos war die Bestie verfahren. Wir kamen glücklich um sieben Uhr Morgens in Cawnpore an, und schon um halb ein Uhr Mittags saß ich wieder im Coupé, um auf der Eisenbahn nach Agra zu fahren.
Der Zug bestand aus einer starken Truppenabtheilung, da ein Militair-Stationswechsel stattfand. Das Abschiednehmen, die Umarmungen, die letzten Gläser wollten gar kein Ende erreichen. Am stärksten waren die armen Soldatenweiber im Gedränge. Nur der hundertste Mann (Gemeiner) darf seine Frau aus Europa mitbringen, es 188 ist mithin begreiflich, wenn zuletzt Zweifel über das Eigenthumsrecht entstehen. Die jungen Lieutenants waren selbst unter der indischen Sonne eben so angelegentlich mit der fortwährenden Retouche ihrer Außenseite beschäftigt, wie in der nordischen Zone. Taschenspiegel, Taschenbürsten, Taschenkämme; der militärisch-kosmetische Apparat bleibt immer derselbe. Abends acht Uhr waren wir in Agra; aber noch in den letzten Secunden vor Sonnenuntergang hatten wir uns sorgfältig gestriegelt. Der Zustand der Truppe war in Folge der genossenen Spirituosa ein höchst aufgeregter; ich warf mich in einen Wagen und fuhr unter Regen, Blitz und Donner über die Schiffbrücke des Dschamna (Jumna) nach dem eine Stunde weit von der Station entfernten Bungalow. Das Gewitter hielt die Nacht über an, verstummte der Donner, so hörte man den vom Himmel strömenden Regen und das Geräusch der schweren Tropfen, welche durch das Dach und die Decke des Zimmers drangen, doch war meine Besorgniß: das Gebäude könne einstürzen, unbegründet. Der Tag brach an und ungeachtet des anhaltenden Unwetters fuhr ich, um den Zweck meiner diesmaligen Excursion zu erfüllen, nach dem Taschmahal, einem der herrlichsten Denkmäler Indiens, indeß gelang es mir erst am nächsten klaren Morgen, dem 23. Januar, eine Zeichnung des weltberühmten Gebäudes zu entwerfen.
Den Historikern muß überlassen bleiben, alle jene Sagen kritisch zu sichten, mit welchen die Volkspoesie dieses Mausoleum umgeben hat; ich habe mich als Künstler auf die Beschreibung zu beschränken. Das Denkmal stammt aus den Zeiten der mahomedanischen Herrscher und ist etwa 200 Jahre alt. Schah Dschihan hat es zur Erinnerung 189 seiner Gemahlin Nur-Dschihan (Nurjehan) errichtet und ihre Ueberreste darin beigesetzt, selbst der Entwurf des Planes soll von der eigenen Hand des Kaisers herrühren. Aeltere Chronisten nennen einen Italiener als Baumeister und geben die Zahl der Bauhandwerker auf 20,000 an, die zweiundzwanzig Jahre hindurch thätig gewesen sein sollen. Das dunkle Gerücht, der Schöpfer des Wunderwerks sei nach Vollendung desselben hingerichtet worden, um nichts Aehnliches mehr zu vollenden, gehört zu jenen Ausschmückungen, denen wir überall wieder begegnen. Das Grundstück, welches das Taschmahal umschließt, liegt hart am Dschamna und ist von einer rothen Sandsteinmauer umgeben, über die sich an den beiden Ecken der West-Wasserseite zwei Moscheen erheben Auf der Südseite gelangt man durch ein gigantisches Thor mit Metallthürflügeln und Kuppeln in einen wahrhaft paradiesischen Garten, dem ungeachtet seines Blumenflors und der köstlichsten Fruchtbäume, die Menge der Cypressen einen schwermüthigen Anstrich verleiht. Durch eine lange Cypressen-Allee gelangt man zu einer Marmortreppe, auf der man zu der Terrasse emporsteigt, welche die Basis des Mausoleums bildet. Dieser Morgenspaziergang im Schatten des erhabenen Nadelholzes, im Duft der Blumen, der Frische einer durch das sechsunddreißigstündige Gewitter abgekühlten Atmosphäre, mit dem Blick auf das phantastische Bauwerk, wird nie aus meinem Gedächtniß schwinden. Solche seltenen Stunden prägen sich wie Inschriften der Seele ein, und ihr Bild enthüllt sich vielleicht noch einmal im letzten Moment des schwindenden Lebens und erquickt das innere Auge des leidenden Menschen durch einen tröstenden Schimmer. Die 190 Ecken der Terrasse sind durch vier 100 Fuß hohe Minarets bezeichnet; das Mausoleum, ein unregelmäßiges Achteck, liegt in der Mitte und ist von einer 190 Fuß hohen, mit dem goldenen Halbmonde geschmückten Kuppel überragt. Das Baumaterial besteht aus polirtem weißen Marmor, der von Ornamenten aus kostbaren Steinen starrt. Noch reicher ist das Innere bis in die Kuppel hinauf mit Mosaiken verziert. Diese bestehen durchweg aus Halbedelsteinen, Carneol, Achat, Chalcedon, Jaspis, Lapis Lazuli u. a. Einzelne Blumen sind oft aus hundert polirten Steinfragmenten zusammengesetzt. Zwar haben die englischen Truppen Vieles ruinirt und die anscheinend werthvollsten Steine mit Degenspitzen und Bajonnetten herausgebrochen, der englischen Regierung gereicht es aber zur Ehre, daß sie die schadhaften Stellen wieder zu erneuern sucht. Alle diese Mosaiken sind angeblich von den besten römischen Meistern angefertigt und werden auf sechstehalb Millionen Thaler veranschlagt. Die beiden, mit Sprüchen aus dem Koran, Blumen und Arabesken bedeckten Sarkophage sind von einer elfenbeinartig geschnitzten Marmorwand umgeben und stehen grade unter der Hauptkuppel. Nach dem ursprünglichen Plane des Schah Dschihan hatte ihm am andern Ufer des Dschamna ein ähnliches Mausoleum errichtet und durch eine Marmorbrücke mit dem seiner Gemahlin verbunden werden sollen, allein durch seinen Sohn Aureng-Zeb entthront, starb der Schah in Einsamkeit, man setzte seine sterblichen Ueberreste an die Seite der Gattin, der Nachfolger belegte die angewiesenen Summen mit Beschlag und die schon begonnenen Bauten sanken in Trümmer. An dem Ostufer des Dschamna liegt auch der »Garten der 191 Liebe«, ein wahres Elysium voller Weinstöcke, Citronen- und Orangenbäume, Fontainen und Marmorkiosks und daneben das Grabmal des Vaters der Nurmahal.
Gern hätte ich meine Ausflüge noch bis nach dem verfallenen Weiler Sekundra und dem dortigen Grabmale des großen Mongolen-Kaisers Akbar ausgedehnt, allein die Zeit drängte, ich durfte mein Budget nicht überschreiten, und so trat ich mit blutendem Herzen in Begleitung eines Brahminen, Schuldirectors zu Agra, die Rückreise nach Benares an. Mein Reisegefährte war nach den Begriffen seiner Heimath ein gebildeter Mann und sprach sehr gut englisch; wir unterhielten uns vielfach über indische und europäische Zustände. Auf meinen Rath, Europa zu besuchen, antwortete er, daß er schon häufig daran gedacht habe, nur der mit einer Reise verbundene Verlust seiner Kaste halte ihn davon ab. Er zog eine Schnur mit zwei Knoten unter dem Shawl hervor und betrachtete sie nachdenklich, dann verbarg er das Abzeichen der Kaste, blickte argwöhnisch um sich und sagte: »Es ist dummes Zeug, aber ich kann es nicht ändern.« Trotz seiner Gelehrsamkeit war meinem Schuldirector der Name Alexander von Humboldt's doch ganz unbekannt.
Am 25. Januar, 11 Uhr Vormittags, erreichten wir nach einer überaus anstrengenden Fahrt Benares, wo ich mich noch zwei Tage aufzuhalten und einige Sehenswürdigkeiten zu betrachten gedachte, die bei meiner ersten Anwesenheit des Fremdenandranges halber nicht leicht zugänglich gewesen waren. 192