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Sylvesterabend und Weihnachtsmarkt. Der Habaneiro. Nach den Lagunen. Bettelmönche als Millionäre. Consul Herrmann. Das Hemde auf Manila. Tropische Regengüsse. Hahnenkämpfe. Die Platanen von St. Anna. Spanisches Prügelsystem. Der Vetter der Dolores. Ein Campo santo.
Die Wiederkehr von Festtagen, die in der Heimath im Kreise der Familie und Hausfreunde fröhlich begangen werden, ruft in dem Reisenden ähnliche schwermüthige Empfindungen hervor, wie das an sich den Schönheitssinn entzückende Scheiden des Tagesgestirns und der damit verbundene Farben- und Lichtwechsel des Dunstkreises.
Die Stunde war es, wo mit stillem Weinen
Der Schiffer an die ferne Heimath denkt,
ruft Dante in seinem Purgatorio, als der Abend über den Chor der trauernden Seelen hereinbricht und mit der Erinnerung an glücklichere Tage des Lebens die Sehnsucht nach einem besseren Zustande weckt. In einer ähnlichen Stimmung verließ ich am Sylvesterabende mein Zimmer und verlor mich in den Straßen Manila's; ich suchte einen Ort, der meinem trüben Humor entsprach. Mein Weg führte mich auf den erleuchteten Weihnachtsmarkt, der 32 norddeutschen Einrichtungen näher kam, als ich erwartet hatte. Er bestand aus Reihen von Buden, in denen Obst, Kinderspielzeug, aber auch Getränke feilgeboten wurden. Hätten mich nicht betrunkene Engländer und ihre Boxversuche gegen die harmlosen Eingeborenen, wie die schwüle Temperatur eines Besseren belehrt, ich würde für Augenblicke geglaubt haben, in meine Vaterstadt versetzt zu sein. Nach einer Viertelstunde entfloh ich den Trunkenbolden und dem Getümmel der mißhandelten Tagalen in die nahe gelegene Kirche Santa Cruz: sie war mit betenden Frauen erfüllt. Da Niemand mich beachtete, nahm ich in einem Beichtstuhle Platz und prägte das eigenthümliche Schauspiel meiner Einbildungskraft ein. Das Gewölbe der Kirche war durch das Erdbeben eingestürzt; die Wände hatten ihm Widerstand geleistet. Die Umgebung des Hochaltars erleuchteten zahllose Lampen, aber durch die zertrümmerten, ruinenhaft gezackten Wölbungen der Decke blickten freundlich die Gestirne. Wenn man die offene Decke scharf in's Auge faßte, glaubte man die drohenden Mauerfragmente schwanken und sich über die um den Altar gruppirende Schaar der verschleierten Frauen neigen zu sehen. Es war nur eine Sinnestäuschung, aber der Gedanke: ein Erdstoß könne sie bewahrheiten und uns Alle unter den Ueberresten des Gotteshauses begraben, trieb mich wieder in's Freie. Ich ließ mir nicht einmal so viel Zeit, die malerischen Trümmer mit der Bleifeder zu skizziren.
In dem amerikanischen Hotel wurde der Sylvesterabend durch Souper und Ball gefeiert, zu denen auch ich geladen war. Der Damenflor bestand aus dreißig bis vierzig Spanierinnen und Mestizen, die, wenn nicht sämmtlich 33 schön, doch durchweg höchst graziös waren und ihr Nationalkostüm, aufgesteift durch einen Anflug von Crinoline, mit vieler Koketterie trugen. Sagten die guten Landsleute nicht die Unwahrheit, so befanden wir uns inmitten der Demimonde-Elite von Manila. Die leichtfüßigen Schönen tanzten den Schnellwalzer mit einer tropischen Lebhaftigkeit, die mich in Erstaunen versetzte; aber noch mehr Vergnügen schien ihnen ein Nationaltanz, der Habaneiro, zu verursachen. Der sich bald in langsam majestätischem, bald in beschleunigtem Tempo bewegende Tanz wurde von vier Paaren ausgeführt und mehrmals im Laufe des Abends wiederholt. Nach meinem Dafürhalten würde der Habaneiro, als Kern eines Ballabile, unter europäischen Balletfreunden Furore erregen. Weder die Herren noch die Damen ließen während des Tanzes die Cigarren ausgehen, und mehrmals widerfuhr mir die Ehre, in den kurzen Pausen von den Tänzerinnen mit spanischer Grandezza um »Feuer« gebeten zu werden. Das Souper, wie die Kapelle waren tadelfrei. Letztere bestand aus einigen zwanzig indischen Musikern und wurde von einem schwarzbraunen Kapellmeister dirigirt.
Am Vormittage des ersten Januar unternahm ich mit einem Landsmann, Herrn Behr, eine Wasserparthie auf dem Pasig, in der Richtung der berüchtigten Lagunen, denn die heiteren Morgenstunden schienen einen klaren Tag zu versprechen. Nachdem wir uns mit Zeichenmaterialien, kalter Küche und geladenen Revolvern bewaffnet, stiegen wir in einen ausgehöhlten Baumstamm und wurden von sechs schwarzen Süßwasserpiraten mit kurzen und breiten Rudern auffallend rasch stromauf geschaufelt. Von meinem gut 34 unterrichteten Begleiter erfuhr ich während unserer Fahrt endlich Näheres über das für Manila so verhängnißvolle Erdbeben. Es hatte am 4. Juni, Abends sieben Uhr, begonnen und mit mehreren Intervallen bis halb acht Uhr gedauert. Die Mehrzahl der Einwohner wurde davon auf der Promenade betroffen und entging somit dem Verderben; die in den Kirchen verweilenden oder dorthin flüchtenden Unglücklichen kamen sämmtlich um's Leben. Der landschaftlich anmuthige Charakter der Flußufer verscheuchte bald unsere Grillen und brachte uns auf minder trübselige Gegenstände des Gespräches: die hiesige Freiheit der Sitten und die Wachsamkeit der spanischen Eheherren, die ihre aus Europa importirten Gemahlinnen mit der Eifersucht des Bartolo unter Schloß und Riegel halten.
Nach einer zweistündigen Fahrt zwischen flachen grünen Ufern, die von einer ferne verblauenden Bergkette begrenzt und von Zeit zu Zeit durch graue Wolkenstreifen verdunkelt wurden, bogen wir zur Linken in einen Nebenfluß des Pasig und vertieften uns bald in ein Dickicht von Bambus-, Mango- und Palmen-Vegetation. Vor Kurzem hatte der Blitz in das riesig aufstrebende Bambusrohr geschlagen und grausige Verwüstungen angerichtet. Man glaubte sich auf einem Spielplatz von Gigantenkindern zu befinden, die muthwillig unter den balkenähnlichen Rohrstämmen gehaust und sie in toller Laune übereinander geschichtet. Hier und da bildeten die gebrochenen Bambusstäbe ein schwankendes Dach über dem schmalen Fluß, und wir duckten bange die Köpfe, wenn wir rasch darunter wegruderten, und die Rohrbrücke sich ächzend über uns wiegte. Das Wasser selbst war mit einer gelbgrünen, schleimigen Materie angefüllt 35 und hauchte abscheuliche Miasmen aus. Etwas höher hinauf waren die Ufer dicht mit Hütten bebaut, die Eingeborenen saßen in ihren Einbäumen (Klotzkähnen) und angelten, an seichteren Stellen lagen Haufen von Büffeln im Wasser und erhoben kaum ihre dummen Häupter, als wir vorüberfuhren. Erst als uns bis tief in das Wasser, von Teck- und Mangrovenbäumen herabhangende Schling- und Schmarotzer-Pflanzen den Weg versperrten, kehrten wir um. Der lebhafte Stromlauf des Pasig beschleunigte unsere Fahrt, und um sechs Uhr Abends waren wir zu Hause.
Am zweiten Tage des Jahres regnete es so heftig, daß Niemand das Hotel zu verlassen wagte. Selbst einem Bettelmönch, der früh Morgens den Vicewirth um eine Gabe angesprochen hatte, mußte Obdach gewährt werden. Der fromme Mann machte es sich im Eßsaale bequem und rauchte unter erbaulichem Lächeln eine ihm gespendete Cigarre; er sah in seiner schmutzigen Kutte wie das Bild der Entsagung aus. Anderer Meinung schien der Herr des Hauses, der bayerische Landsmann, zu sein; er begegnete dem Klosterbruder mit unverholener Abneigung. Auf meine Frage nach dem Grunde derselben erfuhr ich: die Brüderschaft sei eine der reichsten Genossenschaften auf der Insel Luzon und besitze ein Vermögen von ungefähr vier Millionen Dollars.
Ein erheblicher Theil dieser Capitalien sei in China untergebracht und verzinse sich mit sieben Procent, doch machten die Mönche auch auf der Insel und in Manila umfangreiche Geldgeschäfte. »Und trotzdem wird immer ruhig fortgebettelt!« brummte der Bayer in den Bart 36 und warf dem nothleidenden und bußfertigen Raucher einen wüthenden Blick zu. Der Mönch ließ sich dadurch nicht bewegen, das Hotel zu verlassen. Er nahm an dem Mittagsmahl Theil und später als Zuschauer neben einem Whisttische Platz, wo er sich durch eine geistreiche Kritik der Mitspieler nützlich zu machen suchte und guten Rath ertheilte. Waren die Theilnehmer der Partie nicht bei Kasse, oder herrschen hier andere Gebräuche, als in Europa; nach Beendigung des Spieles wurden die Gewinne nicht baar bezahlt, sondern in Form von Schuldverschreibungen ausgehändigt. So viel ich von einem Seitentisch aus vernahm, handelte es sich um eine ziemlich hohe Summe. Nach der Versicherung des Wirthes fände die gegenseitige Verrechnung monatlich statt.
So gute Geschäftsleute die in Manila ansässigen Europäer sein mögen, der Verkehr mit den geselligen Spaniern verhindert sie, nach Art der Engländer in den chinesischen Städten ganz und gar in der Comptoir-Sclaverei unterzugehen. Die Conversation ist hier freilich auf einen engen Ideenkreis angewiesen, doch gewähren die Liebeshändel den reichhaltigsten Stoff. Hidalgo's und Commis, Advokaten und Doctoren, verstehen sich auf die Zither; keine Nacht ohne ein Ständchen in der Nachbarschaft. Der musicirende Verehrer der Dame beruhigt sich nicht eher, als bis die Angebetete im Nachtgewande auf dem Balkon erscheint und ihren Dank ausspricht. Wie man wissen will, soll es in vielen Fällen nicht dabei bleiben.
Die gewählteste Gesellschaft habe ich in dem Hause des preußischen Consuls, Herrn Herrmann, getroffen. Die Freuden der geselligen Unterhaltung, die der gebildete 37 Hausherr, wenn er sich leidlich wohl befand, selbst zu leiten pflegte, wurden nur durch sein körperliches Leiden getrübt. Vor Jahr und Tag war ihm auf dem Geburtstagsfeste eines Freundes durch die Ungeschicklichkeit eines Dieners ein Schwärmer in das rechte Auge geworfen, und dieses unheilbar beschädigt worden. Die Sehkraft war nicht allein vollkommen verloren gegangen, sondern er litt auch periodisch heftige Schmerzen und das linke Auge gerieth während derselben in so starke Mitleidenschaft, daß die deutschen Aerzte in Manila auch seinen Verlust befürchteten und Herrn Herrmann riethen, nach Europa zu reisen und sich in Berlin der Behandlung unseres berühmten Graefe anzuvertrauen. Der Consul stand eben im Begriff, ihrem Rathe zu folgen. Er gedachte, in der ersten Hälfte des Januarmonats abzureisen, und die Herren von der Kaufmannschaft, unter denen er großes Ansehen genoß, überreichten ihm unter einer feierlichen Anrede, welche die Hoffnung der Genesung und des frohen Wiedersehens aussprach, einen prächtigen silbernen Pokal. Ich hatte später die Freude, in Berlin mit dem verehrten Gastfreunde zusammenzutreffen. Das beschädigte Auge war nach einem längeren Verbleib in Graefe's Klinik exstirpirt worden, und Herr Herrmann kehrte, von Dank gegen den großen Augenarzt erfüllt, in seinen früheren Wirkungskreis zurück.
So oft es die Witterung erlaubt, tummle ich mich in der Stadt und unter den gutartigen Insulanern, den Tagalen, umher. Ich sympathisire schon deshalb mit ihnen, weil sie, eine Ausnahme von allen asiatischen Völkern, ein Hemde nach europäischem Schnitt tragen und hinsichtlich der sonstigen Toilette einigen Anstand beobachten. Das 38 genannte Kleidungsstück gehört indessen hier zu Lande nicht zur Leibwäsche, sondern wird als Sommerpaletot über den Pantalons getragen. Auch verfertigt man es nicht aus Leinwand, sondern aus grellgefärbtem Baumwollenstoff. Als Galatracht fügt der Tagale eine großgewürfelte rothe, blaue oder gelbe Hose hinzu, über welche das Hemde hinabhängt. Die wohlhabendere Halbkaste treibt darin großen Luxus. Das weibliche Geschlecht, die weißen Frauen nicht ausgenommen, bedient sich nur der Pantoffeln. Man begegnet allen Sorten, von den mit Gold, Silber und Perlen gestickten Pantoffeln an bis auf Stroh- und Filz-Pariser. Bei längerem Aufenthalt würde auch ich zur Fahne des Pantoffels schwören, denn ein Paar lackirte Stiefeln, die ich bei einem hiesigen Schuster gekauft, fiel mir nach dem ersten mehrstündigen Spaziergange in Fetzen von den Füßen. Ich bediene mich seitdem ungescheut, sogar auf der Promenade, eines Paares alter Wasserstiefeln und fahre damit bei den häufigen Regengüssen sehr wohl. Von der Heftigkeit tropischer Platzregen wird man sich eine Vorstellung machen, wenn ich sage, daß die nackten Feldarbeiter in der Nähe des Flusses bei einem plötzlichen Schauer lieber in's Wasser springen, ehe sie sich der nassen Auspeitschung aussetzen. Die Tropfen sind so groß und schwer, und fallen so dicht herab, daß sie auf der bloßen Haut brennende Schmerzen verursachen. Ich spreche aus eigener Erfahrung, denn ich wurde bei einem Flußbade im Pasig mit Herrn Behr von einem dieser monströsen Regengüsse überrascht und mußte im Wasser bleiben, wiewohl der Pasig stark mit Krokodilen bevölkert ist. Herr Behr suchte mich zu 39 beruhigen. »Bewegen Sie sich nur lebhaft mit Armen und Beinen, dann beißt das Krokodil so leicht nicht an!«
Die Hauptliebhaberei der Tagalen und Mestizen ist nächst der Cigarre der Hahnenkampf. Eingeborene und Halbblütige sind ohne den Hahn undenkbar. Der Handwerker, wenn er eine Bestellung entgegennimmt, trägt seinen Hahn unter dem Arme; der ärmste Bauer oder Gärtner, wenn er mit Obst und Gemüse zur Stadt fährt, trennt sich nicht von seinem Hahn, der gewöhnlich oben auf dem Korbe sitzt und altklug umherschaut; der Gastwirth sitzt vor der Hausthür und neben ihm der Lieblingshahn, bereit, in jedem Augenblick mit seinem Gegner anzubinden. Müßiggänger tragen auf ihren Spaziergängen, wie alte Damen die Schooßhündchen, ihre Hähne umher. Ein tapferer Kämpfer ist der Stolz der Landeskinder. In jedem Stadtbezirk befindet sich eine Arena, wo die Streitigkeiten des zanksüchtigen Geschlechts ausgefochten werden. Vor Beginn des Zweikampfes wird an einem Fuß des Hahnes ein scharfer stählerner Sporn befestigt, den jedoch vorläufig eine Lederscheide bedeckt. Um den natürlichen Ingrimm der Beherrscher des Hühnerhofes zu steigern, beugt der Besitzer den Kopf seines Hahnes zu Boden und läßt den Gegner mehrmals auf die Halskrause desselben lospicken; dann muß sich dieser eine gleiche Mißhandlung gefallen lassen. Ist der Ingrimm der armen verblendeten Vögel auf's Aeußerste entbrannt, so werden die Scheiden der Sporen entfernt und die Kämpfer freigegeben. Unaufhaltsam stürzen sie über einander her und versetzen sich mit den tückischen Waffen blutige Stöße, so lange ihre Kräfte ausreichen. Sie werden nicht eher getrennt, bis einer, zu 40 fernerem Wiederstande unfähig, zu Boden sinkt. Der Besitzer des Siegers steckt die Einsätze in die Tasche, die Zuschauer gleichen ihre Wetten aus und suchen einen neuen Schauplatz auf; die Kämpfer aber werden chirurgisch genau untersucht und sorgfältig verbunden. Ist die Verwundung des besiegten Hahnes tödtlich, so trägt sein grausamer Herr weiter kein Bedenken, ohne auf frühere Liebe und Freundschaft Rücksicht zu nehmen, ihn, oft noch bei lebendigem Leibe, zu rupfen und auf den Markt zu tragen, wo er für eine Kleinigkeit an arme Leute verkauft wird. Häufig veranstaltet man, wie in England zu Wettrennen und Boxerkämpfen, Ausflüge in die Nachbarschaft.
Mein ärztlicher Freund, Dr. Kaufmann, veranlaßte mich zu einer derartigen Excursion nach dem Dorfe St. Anna, wo nach altem Brauche Hahnenkämpfe in Masse abgehalten werden sollten. Wenngleich ich mir von dem widerwärtigen Schauspiele nur geringes Vergnügen versprach, lehnte ich die Einladung nicht ab; ich wurde anderweitig entschädigt. St. Anna, ein Dorf, das man schon einen Marktflecken nennen könnte, liegt malerisch schön zwischen Cocospalmen und Platanen gebettet, wie ich sie in ähnlicher üppiger Entwickelung noch in keinem Lande angetroffen hatte. Unter ihnen zerstreut befanden sich einige gleich großartige Exemplare des Brotfruchtbaumes. Es wurde mir wirklich schwer, mich von diesen Wundern zu trennen und in das Hahnenkampf-Theater zu treten, aus dessen Pforten uns schon ein dichter Tabacksrauch entgegenquoll. Die Arena ist ein in Circusform aus Bambusstämmen und Matten erbautes Theater, in dessen Mitte sich eine mit Sand bestreute Rotunde befindet. Etwa sechs Fuß über dem 41 Erdboden erhaben, sitzen in amphitheatralisch ansteigenden Logen die Zuschauer, jeder in Begleitung seines Hahnes. Das Entrée war gering und betrug nach unserer Münze nur 5 Sgr. Kaum eingetreten, war ich nahe daran, wieder umzukehren. Im Innern herrschte die drückendste Hitze bei einer mephitischen Atmosphäre, die ich nur durch die Einwirkungen der heftigsten dramatischen Spannung auf die leidenschaftlichen Gemüther der Zuschauer zu erklären vermochte. Besäße ich die seltsame Gabe des Rabelais, dergleichen Scenen zu veranschaulichen, ich wäre im Stande, ein höchst belustigendes Bild zu liefern; als ein durch unser sittiges Ceremoniell im Zaume gehaltener Schriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts muß ich mir Schweigen auferlegen. Wir verweilten nur kurze Zeit in der entsetzlichen Bude, denn außer dem pestilenzialischen Gestank wurde uns der Aufenthalt durch das wilde Geheul der Menge und das unablässige Krähen von etwa fünfhundert Hähnen verleidet, die ihre Begier, am Kampf theilzunehmen, dadurch an den Tag zu legen suchten. Ich trat den Rückzug an, als eben ein herrlicher goldbrauner Hahn von seinem Gegner, einem Vogel, stark und schwarz wie der Satan, unter dem betäubenden Johlen des Publikums niedergerannt worden war. Der Sporn des Gegners hatte dem schönen Thiere beim ersten Anlauf den halben Kopf weggerissen, und das Blut strömte aus den geöffneten Halsadern wie ein Bächlein in den Sand. Verstimmt über die unsinnige Grausamkeit des Volkes, verließen wir den Circus und verweilten noch ein Stündchen im Schatten der unvergleichlichen Bäume des Ortes.
Kann man sich indessen über die Gedanken- und Lieblosigkeit des halbwilden Volkes verwundern, wenn man das barbarische Verfahren der europäischen Gouvernements damit vergleicht? Schon auf der Ueberfahrt von Hongkong nach Manila habe ich der Prügelmanie an Bord des Steamers gedacht; in den Straßen der Stadt erlebe ich die Fortsetzung. Nur in dem sächsischen Zuchthause zu Waldheim wird mit ähnlicher Energie auf die Sträflinge losgedroschen, wie in den spanischen Colonien. Aus meiner Kindheit erinnere ich mich des Ordinarius der Quarta unserer Bürgerschule, der aus angeborenem Wohlgefallen an großartigen Züchtigungsachen über die Vergehen der Woche gewissenhaft Buch führte, die Straffälligen an jedem Sonnabend, Mittags 12 Uhr, zur Rechenschaft zog, alsdann eine ganze Stunde seines gelehrten Daseins opferte und die armen Kleinen für Dintenkleckse und vergessene Vocabeln mit einem Lederkantschu in stiller Wollust systematisch durchhieb. Das System der spanischen Polizeibehörde rief die Ungerechtigkeit des Schulwütherichs in mein Gedächtniß zurück. Der Sonnabend ist auch in Manila der Tag der officiellen öffentlichen Abholzung. Mit großem Raffinement wird dazu eine pittoreske Straßenecke ausersehen, und die Zahl der Straffälle Vormittags bekannt gemacht. Die Eingeborenen theilen scheinbar nicht die Abneigung des Europäers gegen solche schamlose Demonstrationen der Rechtspflege. Als ich am letzten Sonnabend im Hause eines Hamburger Kaufmanns dinirte, näherte sich nach der Suppe die Kammerzofe der jungen Frau mit strahlendem Gesicht und bat um Urlaub für den ganzen Nachmittag. Auf die Frage der Dame, weshalb Dolores so lange fortbleiben wolle, berichtete die kleine Zofe, ihr Cousin erhalte heute Nachmittag 43 seine Tracht Staatsprügel, und sie habe sich mit allen ihren Verwandten verabredet, zugegen zu sein. Leider wüßte sie nicht, wenn an ihn die Reihe käme, und müßte deshalb den ganzen Nachmittag auf dem Holzplatze zubringen. Trägt man nur das Herz auf dem rechten Fleck, so kann man aus jeder Blume des Lebens Vergnügen saugen. Nebenbei bemerkt, wird die Strafe mit zolldicken Bambusstäben vollstreckt.
Ein heller Tag gestattete einen abermaligen Ausflug nach St. Anna, doch galt er nicht den Hahnenkämpfen, sondern einer Aquarelle der Baumgruppen des lieblichen Ortes. Das Wetter ließ während der Arbeit nichts zu wünschen übrig, und umgaukelt von prachtvollen Schmetterlingen und buntfarbigen Vögeln, vollendete ich das Blatt. Auf dem Rückwege stattete ich dem großen Kirchhofe der Gemeinde von Manila einen Besuch ab. Die Särge werden in der kreisförmigen, sieben Fuß dicken, zwölf Fuß hohen Mauer, wie in einem Campo santo, beigesetzt. Hat die Nische den Todten aufgenommen, so wird sie wieder vermauert.
Der Familienname und die Nummer des Grabes werden draußen auf die Wandfläche geschrieben. So lange die Hinterbliebenen die Pachtsumme entrichten, bleibt die Ruhe des Todten ungestört; werden die Zahlungen eingestellt, so öffnet man die Nische, vergräbt die Asche und stellt den Raum einer anderen Familie zur Verfügung. In der Mitte steht, in einer Umgebung von Blumenbeeten, eine ansehnliche Kapelle, in der fünf Leichen bis zur Beerdigung bei Kerzenschein ausgestellt waren; am Altar wurden Seelenmessen gelesen. Ein armer Mestize, der sich bei einem der 44 größeren Chorknaben nach dem Preise derselben erkundigte, erhielt zur Antwort: er könne sie von einem Dollar bis zu fünfzehn Dollars haben, doch sei die Messe zu einem Dollar nicht empfehlenswerth! Mit dem Begräbniß der Todten beeilt man sich hier auf bedenkliche Weise. Das am Vormittage gestorbene Kind eines Bekannten wurde schon am Nachmittage beigesetzt.
Auf meinen Rundfahrten überzeuge ich mich, wie Recht Swift hat, wenn er behauptet, die Spanier hätten sich in fremden Welttheilen mit Kirchen, die Franzosen mit Festungen, die Engländer mit – Brantweinsläden eingeführt. So viel ist gewiß, die Mehrzahl der hiesigen Schankwirthe besteht aus invaliden englischen Matrosen. – Die Augustiner genießen seit dem Erdbeben hohes Ansehen unter der bigotten Bevölkerung. Ihre Kirche ist unversehrt geblieben, und die Mitglieder des Ordens rühmen sich daher besonderer Gottgefälligkeit. Dergleichen Notizen sammle ich als Begleiter des Dr. Kaufmann, den ich bei schlechtem Wetter auf seiner Praxis begleite. Er stellt mich jetzt als »Collegen« vor, und ich folge ihm an die Krankenbetten. Wir werden in den Häusern der reichen Insulaner sehr zuvorkommend empfangen und stets mit Speise, Trank und Cigarren bewirthet. Es gehört zum guten Ton und den Pflichten des Hausarztes, das Angebot nicht ganz abzulehnen; er nimmt einen Bissen Brot oder zündet eine Cigarre an. Im Hause einer wahnsinnigen indischen Rentiere verweilten wir längere Zeit. Sie befand sich auf dem Wege der Besserung, und die Angehörigen überhäuften den Arzt mit den zärtlichsten Liebkosungen, von denen ein Theil auch für mich abfiel. Die hiesige Praxis muß, wenn 45 das Honorar der Zahl der Besuche entspricht, sehr einträglich sein. Schon ein Schnupfen giebt Veranlassung, zum Doctor zu schicken, und bei dem häufigen Wechsel von Hitze, Regen und Wind niest und hustet ganz Manila. Dr. Kaufmann ist an solchen Tagen vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne unterweges. 46