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Gentleman und Nigger. Herr Meyer aus dem Innern von Posen. Von Panama den Rhein hinauf nach Schrimm. Der Sohn des Compagnons. Ein Pudel verlaufen. Liqueur- und Kartenkästen. Falscher Feuerlärm und Löschmanöver. Das warnende Placat. Eismarken. Herr Rosenthal aus Baltimore. Eine neue Secte. Cap St. Lucas. Der Barbier als Vorschneider bei Tisch. Privateier. Spanisches Fächerspiel. Die Bucht von Acapulco. Noch einmal unter Palmen.
Mein Verkehr mit den Passagieren zweiter Klasse erregt unter meinen Gespielen und Tischnachbaren im Glassalon einigen Anstoß; ich ziehe mich daher nothgedrungen wieder zurück. Die Neigung zu Kastenunterschieden ist keineswegs eine alleinige Schwäche der Angehörigen monarchischer Staaten, sondern ein Grundzug der menschlichen Natur. Grade unter diesen Republikanern herrscht ein auf Mehrbesitz gegründeter Hochmuth, der zuweilen in die tollsten Extravaganzen ausartet. Ein zweiter Klasse reisender Passagier wird überhaupt nicht mehr als Gentleman angesehen und schon dem Nigger gleich geachtet. Meine beiden Schlafburschen theilen mir in schlaflosen Stunden der Nacht mancherlei dahin einschlagende Anekdoten mit, dennoch erregt es bei Beiden weiter keinen Anstoß, wenn die Schwarzen, 236 welche uns bei Tisch bedient haben, sobald wir aufgestanden sind, auf unsern Sesseln Platz nehmen und sich derselben, rasch gereinigten Tafelgeschirre, Löffel, Messer, Gabeln und Gläser bei ihrer Mahlzeit bedienen. Den armen Burschen soll dadurch die angebliche Gleichstellung mit ihren ehemaligen Herren über Leben und Tod bewiesen werden.
Unter den heimkehrenden Reisenden theilen nur die wenigsten das klägliche Schicksal meines Schweizerpaars; die Mehrzahl hat ihr Schäfchen in's Trockne gebracht. Einem alttestamentarischen Glaubensgenossen aus dem Innern von Posen hat das Glück besonders gelächelt. Nach vielen vergeblichen Versuchen, in Neuseeland, China, Japan und Indien, ein kleines Vermögen zu erwerben, warf er sich in San Francisco auf den Import von Käse. Die Speculation schlug ein; Herr Meyer wird auf eine Viertelmillion Dollars veranschlagt. Mit diesem Profit zufrieden, hat er sein Geschäft verkauft und kehrt nach Deutschland zurück. Dem Viertelmillionär ist auf seinen Weltfahrten der Gebrauch seiner Muttersprache, deren er sich wahrscheinlich niemals correct bedient hat, abhanden gekommen; er spricht das aus englischen und deutschen Wörtern gebildete Kauderwälsch der Einwanderer in der wunderlichsten Uebertreibung. Auf meine Frage nach seiner Reiseroute auf dem europäischen Continente entgegnete er: »Ich will dem Rhein herauftravellen (reisen) und aftervards (später) nach Schrimm, meine elende Vaterstadt anlooken (sehen).« Er gedenkt seinen ehrsamen Verwandten zu beweisen, daß der liebe Gott einen rechtschaffenen Mann niemals im Stich läßt. Nach einer anderen Lesart hätte Herr Meyer sein Vermögen durch Lieferungsgeschäfte von Käse und 237 Dauerbutter für die Armee der Nordstaaten gewonnen. Er trägt an jedem Finger einen Diamantring und um den Hals eine goldene Uhrkette, deren Schwere ihn fast zu Boden zieht. Habe ich keine bessere Gesellschaft, so plaudere ich gern mit ihm; in der Art, sich geschäftsmäßig prompt auszudrücken, kann man viel von ihm lernen. Neulich fragte er mich, ob ich, in Europa angelangt, meine Aquarellen gleich realisiren würde?
Die Nordamerikaner sind leidenschaftliche Zeitungsleser, und mehrere Herren haben von San Francisco ganze Stöße alter Blätter mitgenommen, die immer wieder von Neuem durchgelesen werden. Sie sehen es gern, wenn ich mich an ihrer Lectüre betheilige, und ich notire zum Zeitvertreib die landläufigen Curiositäten, an denen besonders die Inserate reich sind. In San Francisco hat jeder Geschäftsmann einen imaginären oder wirklichen Compagnon und fügt demgemäß seiner Namensunterschrift »& Comp.« hinzu. So stand denn auch unter einer Entbindungsanzeige: »Gestern Abend 7 Uhr beschenkte mich meine liebe Frau mit einem derben Knaben C. W. Nash & Comp.« Auf dem freien Platze vor unserm Speisesalon im ersten Zwischendeck werden täglich Bekanntmachungen angeklebt und verlorene Sachen angezeigt. Der Ober-Steward meldet z. B. den Passagieren, daß er wieder Bäder à ein Dollar verabreiche. Diese Annonce involvirt zugleich eine Preisherabsetzung: für das Bad waren früher zwei Dollars verlangt worden. Sehr zweckmäßig ist die täglich um zwölf Uhr stattfindende Proclamation: unter welchem Längen- und Breitengrade die »Constitution« sich befindet. Dicht daneben hängt die Liste der verlorenen Gegenstände. Gestern ist ein grün lackirter 238 Damen-Pantoffel auf dem Wege vom Staatszimmer nach dem Vordercastell »in Verlust gerathen«. Die Anzeige des halb geschorenen schwarzen Pudels Bayard, der sich verlaufen haben sollte, hielt ich nur für einen schlechten Witz. So groß und tief die »Constitution« sein mag, eine Hundsnase findet noch immer in den Zwischendecken ihren Herrn heraus. Schließlich bemerkt, habe ich noch auf keinem Dampfer erlebt, daß verlorene Gegenstände von Werth wiedergefunden und abgeliefert worden wären. Die Besitzerin eines schweren goldenen, reich mit Smaragden besetzten Armbandes, das sie bei Tisch verloren haben will, bietet dafür wohl vergeblich dem »ehrlichen Finder« eine Belohnung von zwanzig Dollars an.
Außer seinem Liqueurkasten führt jeder Yankee eine kleine Schatulle mit sich, in welcher er eine Anzahl Kartenspiele, Whist- und Bostonmarken aufbewahrt. Abends wird davon regelmäßig Gebrauch gemacht, so lange nach dem Reglement des Dampfers Beleuchtung gestattet ist. Am 8. Mai Abends 9 Uhr saß ich gemüthlich am Platze des Strohmanns einer Whistpartie, deren Theilnehmer im Rufe hoher Virtuosität stehen, als wir plötzlich auf furchtbare Weise aufgeschreckt wurden. Auf Deck schrieen Hunderte von Stimmen »Feuer! Feuer!«, und zugleich erklangen die beiden Nothsignalpfeifen der Maschinen mit einer Kraft, um Todte aus ihren Gräbern aufzuschrecken. An allen Gliedern zitternd, eilten wir aus dem Staatssalon die Treppe hinauf und fanden nicht nur die Feuerwehr, sondern die gesammte Mannschaft der »Constitution« mit den Löschvorkehrungen beschäftigt. Zu unserer Beruhigung erfuhren wir sehr bald, daß es sich nur um falschen Feuerlärm und ein Exercitium der Mannschaft 239 handle, deren Wachsamkeit auf jeder Seereise mehrmals derartig auf den Zahn gefühlt werde. Das Manöver bot ein imposantes, obgleich furchtbares Schauspiel. Schon der Ton der Pfeifen, durch welche die Maschinen von tausend Pferdekraft ihren Dampf bliesen, zerriß das Nervensystem. Es kann kein entsetzlicheres Duo von zwei Blase-Instrumenten: Discant und Baß, geben. Alle Hände arbeiteten auf Deck, alle Militär- und Civilbeamte waren in dem Kostüm des Augenblicks erschienen. Die Matrosen, welche, zur Nachtwache beordert, pränumerando schliefen, waren mit bloßen Füßen und im Hemde aus den Hängematten gesprungen, diese arbeiteten an den Spritzen und Pumpen, jene machten die Rettungsböte klar. Betäubend war das Jammergeschrei der weiblichen Passagiere, Kindsmägde und Kleinen. In der Eile konnte ihnen nicht gleich begreiflich gemacht werden, daß die Mannschaft nur auf die Probe gestellt werde, und noch lange nachher erschallte aus den, der Hitze wegen immer offenstehenden Kabinen das Wimmern und Schluchzen der geängstigten Kinder, das schrille Geschrei der nervösen Damen, zu deren Beruhigung jetzt Ehegatten, Cicisbeo's und was sonst von touristischer Mannschaft disponibel war, aufgeboten werden mußte. Die systematische Ordnung, die während des Manövers unter der Besatzung des Dampfers herrschte, hatte mich in Erstaunen versetzt und zugleich beruhigt. Man ersah daraus, daß die Möglichkeit eines Brandunglücks vom Commando fortwährend scharf im Auge behalten wurde. Der größte Uebelstand des Manövers war außer dem panischen Schrecken der Passagiere die Ueberschwemmung des Verdecks gewesen. Die Mannschaft hatte gute Miene zum bösen Spiele 240 gemacht, und sich, da kein Feuer zu löschen war, an dem warmen Maiabende der Spritzen wenigstens zur gegenseitigen Erfrischung bedient. Wir flüchteten vor der hereinbrechenden Sündfluth spornstreichs in unsere Kabinen. Am anderen Morgen ergab sich, daß der Befehlshaber der »Constitution« seine Passagiere durch den falschen Feuerlärm keinesweges habe überraschen wollen. Auf dem schon erwähnten Platze der Anzeigen war am gestrigen Nachmittag ein kleines Plakat befestigt worden, durch das die Touristen erster Klasse auf eine Alarmirung der Mannschaft vorbereitet wurden. Bei seiner, vielleicht absichtlich engen und undeutlichen Schrift war es unserer Aufmerksamkeit entgangen. Von jetzt an machte ich mir zum Gesetz, keine Anzeige ungelesen zu lassen, und begann mit dem, in jeder Kabine ausgehängten Schiffsreglement. Viel Trost war darin nicht zu finden, die Compagnie hatte alles zu ihrem eigenen Vortheil eingerichtet: den Passagieren waren nur Pflichten auferlegt. Befremdend lautete u. A. ein Paragraph, in dem ihnen ihr Benehmen bei Unglücksfällen vorgeschrieben war. Sie hatten sich in vollkommener Passivität allen Anordnungen des Capitäns zu fügen. Dieser war sogar autorisirt, jeden Reisenden, der widersprach oder selbstständig Anstalt zu seiner Rettung traf, auf der Stelle niederzuschießen!
Der erste Sonntag an Bord fiel auf den achten Mai, und wir fanden Morgens alle Tische mit Bibeln und Gebetbüchern bedeckt, welche der Ober-Steward auf Befehl des Capitäns schon vor Tagesanbruch ausgelegt hatte. Zwischen elf und zwölf Uhr predigte ein Engländer, seines Zeichens ein Vicar, vor den Passagieren zweiter und dritter 241 Klasse; der aristokratische Gottesdienst fand mit großer Gala im Salon statt. Gleichzeitig wurden zur Feier des Tages bei der steigenden Wärme »ice tickets« (Eisscheine), fünf und dreißig à fünf Dollars angeboten. Für jede dieser Marken erhält der Käufer bei Tisch eine Quantität Eis zur Kühlung seines Getränks. Als Wohlthäterin hatte sich unterzeichnet: »Die Schiffswein-Commission«. Das Wetter ist unvergleichlich schön, wir überschreiten den nördlichen Wendekreis, spiegelglatt liegt die unermeßliche Fläche des Oceans vor uns, und die Damenwelt entfaltet auf der Promenade der »Constitution« die ganze Pracht der modernen Moden. Seit länger als anderthalb Jahren bin ich mit meinen Kenntnissen in diesem wissenschaftlichen Gebiete in's alte Register gerathen und genöthigt, alle mir ertheilte Auskunft auf Treu und Glauben hinzunehmen. Sämmtliche Damen gehen à la Balmoral einher, eine Tracht, die sich eher für einen Lorettenball, als für die strenge Sabbathfeier schickt, aber immer noch besser zu der leuchtenden Physiognomie eines Vormittags in den Tropen paßt, als die Armsünder-Gesichter der frommen Engländer, die doch wieder nicht Selbstüberwindung genug besitzen, um dem weltlichen Vergnügen der Promenade ganz zu entsagen. Begehe ich keinen Irrthum in der Angabe der Namen, so wurde mir von Herrn Meyer heute Herr Rosenthal vorgestellt, gleichfalls ein Eingeborener aus Posen, der in seine Heimath zurückkehrt. Herr Rosenthal hat sein Geschäft in Baltimore gemacht und in den Mußestunden theologischen Studien obgelegen. Von einer neuen Secte wußte mein neuer Bekannter viel zu erzählen. Des berühmten Satzes eingedenk: die Wissenschaft müsse umkehren, lassen die 242 Anhänger jener Secte die Theologie, als die einflußreichste der Schwestern, den Anfang machen. Nach Rosenthal's Bericht gingen sie bis über den Sündenfall zurück und wollten ihre Auffassung des ursprünglichen menschlichen Zustandes, als eines fehlerfreien und schuldlosen, auch durch die Wiedereinführung jener Tracht, wenn sie noch diesen Namen verdient, darthun, welche der Benutzung der paradiesischen Feigenblätter als Kleidungsstück unmittelbar voranging. Der Gott der Secte ist nur ein Gott der Vergebung. Wir wurden durch das auf der Promenade herrschende Gedränge getrennt, noch ehe mir Herr Rosenthal nähere Auskunft ertheilen konnte, ob die Bekenner der Secte, wie manche Pietisten auf dem europäischen Continent, nur in ihren religiösen Conventikeln sich jeder irdischen Hülle entledigen oder auch öffentlich, wie das erste Menschenpaar vor dem Sündenfalle, erschienen.
Nachmittags setzte ich unbemerkt meine Pirschgänge auf den Gefilden der zweiten und dritten Klasse fort, wurde jedoch bald durch allerlei Warnungstafeln und Inschriften: »Verbotener Eingang« zurückgeschreckt. Das Besteigen der colossalen Räderkasten ist selbstverständlich den Passagieren ohne Ausnahme untersagt. Dem herrlichen Tage entsprechend, versank die Sonne unter einem Farbenspiele, das keine menschliche Kunst nachzuahmen vermag, aber fast noch wunderbarer war der Glanz der schmalen Mondsichel, die, erst vollkommen unsichtbar, mit einer Schnelligkeit, von welcher der Bewohner nördlicherer Breiten keine Ahnung hat. aus der jählings hereinbrechenden Finsterniß des Nachthimmels hervortrat. Grade um Sonnenuntergang hatten wir das Cap St. Lucas, die Südspitze der californischen Halbinsel 243 passirt, ein formloses, reich bewaldetes Vorgebirge von ansehnlichen Dimensionen; nicht lange darauf begann das Barometer rasch zu fallen. Der Vorsicht wegen wurden allerlei Sicherheitsmaßregeln getroffen, doch kam es zu keinem Unwetter. Aus der langgestreckten Bai zwischen der Halbinsel und dem mexikanischen Festlande bläst immer ein starker Wind, mit dem sich ein hoher Seegang verbindet; etwa um elf Uhr Abends gerieth die »Constitution« in die gefürchteten hohen Wellen. Wenn ein Koloß, wie unser Steamer, einmal zu »rollen« beginnt, so erhält diese Bewegung einen überaus bedrohlichen Anschein, und eine junge siebenzehnjährige Amerikanerin, welche ihre erste Seefahrt machte, fragte todtenbleich in allem Ernste, ob nicht der jüngste Tag anbräche? Ihre Eltern gaben sich große Mühe, das zarte Mägdlein zu beruhigen, aber erst als ich ihr auseinandersetzte, der jüngste Tag könne doch unmöglich in der Nacht anfangen, legten sich ihre Besorgnisse, und vertrauensvoll folgte sie ihrer Mutter in die Kabine.
Die Einigkeit unserer, aus Bewohnern der Nord- und Südstaaten ziemlich gleichmäßig zusammengesetzten Gesellschaft ist bis jetzt noch nicht gestört worden, wenn nicht einige nach New-York gehende politische Agenten, die über die unbedingte Gleichstellung der Weißen und Schwarzen Reden halten, an Bord Unfrieden stiften. Ich gehe den Agitatoren grundsätzlich aus dem Wege und höre nur nachträglich, daß sie mit ihren Declamationen von den Zuhörern ausgelacht worden seien. An den einmal erworbenen Rechten hält hier Jeder mit eiserner Consequenz fest und macht dem Nebenmenschen nicht das geringste Zugeständniß. Als ich z. B. beim heutigen Tiffin nach einer unweit von meinem 244 Couvert stehenden Schale mit Eiern langte, um eines derselben habhaft zu werden, intervenirte sofort der Steward unter dem Vorwande: die Eier seien Privatbesitz. Der angebliche Eigenthümer sandte mir während dieser Auseinandersetzung ein Paar Blicke zu, die einige Aehnlichkeit mit abgefeuerten Spitzkugeln zeigten. Heute machte ich auch eine Entdeckung, die mein Vertrauen auf die durch langjährige Uebung erworbene Fertigkeit im Selbstrasiren erhöht; der Barbier der »Constitution« ist gleichzeitig Vorschneider bei Tisch. Wenn er mit dem Rasirmesser in den Gesichtern seiner Kunden so genial umherfuchtelt, wie mit dem Bratenmesser in den Hammelrücken und Roastbeefs, kann ich mich glücklich preisen, seinen Händen nicht verfallen zu sein. Wir befinden uns wieder in der Region der Sandwichsinseln, und von Neuem regt sich mein Bedauern, sie nicht kennen zu lernen. Zwei stattliche Vögel von der Größe junger Gänse mit weißem Gefieder, massiven Schnäbeln und langen rothen Schwänzen, die aus jener Gegend anlangten und unser Schiff umkreisten, machten mir noch einmal das Herz schwer. Das Wetter bleibt anhaltend schön, und allnächtlich leuchtet das Meer so entzückend, daß ich immer eines heroischen Entschlusses bedarf, um das Hintercastell zu verlassen und endlich mein Lager aufzusuchen. Unsere Ankunft in Acapulco ist für den 11. Mai angesagt, und schon am 10. Mai kommt das ferne Festland in Sicht, kraterähnliche Gipfel, von der untergehenden Sonne mild angeleuchtet; rings um unseren Steamer wimmelt das Meer von abentheuerlichen Gebilden, Polypen und Fischen. Die zunehmende Wärme bringt auch das Fächerspiel unter unseren Damen in Aufnahme, aber die Schönen von 245 spanischem Geblüt behaupten darin unbedingt den Vorrang. Die neueste Mode wird »Pacificfächer« (Stiller Ocean-Fächer) genannt. Wir näherten uns am 11. Mai dem Continent, fuhren ein sandiges flaches Vorland entlang, in respectabler Entfernung, mit der tobenden Brandung parallel, und ich beeilte mich, eine Zeichnung des Hinterlandes, das aus einer Kette hoher ausgebrannter Vulcane bestand, die nur noch dünne Rauchwölkchen ausstießen, rasch auf das Papier zu werfen. Je mehr wir uns Acapulco nähern, desto schöner und üppiger entfaltet sich die Tropennatur; endlich kommt der Hafen in Sicht. Die Stadt liegt in einer von malerisch geschwungenen Berg- und Hügelreihen, über welche der Weg nach Mexiko führt, umgebenen Bucht, unmittelbar am Strande des Oceans, gebettet in die reiche Vegetation der heißen Zone. Dicht vor dem Hafen fahren wir an einer Insel vorbei, auf der sich ein optischer Telegraph erhebt, darunter haben drei französische Dampffregatten Anker geworfen. Auf ein gegebenes Signal legt die »Constitution« bei und sechs Seeoffiziere in großer Gala erscheinen an Bord und stellen mit uns ein ausführliches Examen an, das durch die Umstände geboten sein mag, aber einen höchst unerquicklichen Eindruck hervorbringt. Die Gesichtsfarbe der Franzosen ist entsetzlich fahl und erinnert an den Teint der Leberleidenden in Indien. Einer der Herren gestand mir, daß sie sämmtlich mit hartnäckigen Fieberanfällen zu kämpfen hätten und von Sehnsucht nach ihrem schönen Vaterlande verzehrt würden. Die Erlaubniß, an Land und in die Stadt zu gehen, wird, nach Ausweis der politischen Unbescholtenheit, bereitwillig ertheilt, die »Constitution« dampft weiter, an einem kleinen, verfallenen Fort 246 vorüber, stoppt alsdann und geht unmittelbar vor dem armseligen Städtchen vor Anker. Sofort ist auch das Schiff von zahllosen, aus einem Baumstamme gezimmerten Böten umgeben, deren Insassen uns ihre Landesproducte und Dienste anbieten. Unter der herkömmlichen Melange von farbigen Menschen fallen mir einige junge, bildschöne Mexikanerinnen auf und mehrere Frauen von exceptioneller Körperfülle, die sie obenein durch gigantische Culs de Paris erhöht haben, deren sich ihre kleinen Kinder als Sitze oder Postamente bedienen. Die Toilette aller dieser Damen bestand nur in einem leichten Aequatorial-Negligé. Unsere Wirthschaftsbeamten trafen ihre Auswahl unter den zum Verkauf angebotenen Ananas, Kokosnüssen, Orangen, Citronen, Gurken und Eiern; ein Trupp Passagiere ging an's Land. Vor anderthalb Jahrhunderten soll Acapulco eine reiche Stadt gewesen sein, gegenwärtig sinkt sie sammt ihren drei Kirchen in Trümmer. Die bergigen Straßen sind ungepflastert, und die Mehrzahl der Wohnungen ähnelt den Strohhäusern von Manila. In der kleinen Bai, die an Hitze einer Schmorpfanne nahe kommt, liegen einige winzige Guano-Inseln, die aber Niemand auszubeuten scheint. Das Festland hinter der Stadt steigt, wie die nähere Besichtigung ergiebt, rasch und steil bergan, die Vegetation von Mangobäumen und Kokospalmen reicht durch die Straßen Acapulcos bis an den Meeresstrand. Die Freude des Spazierganges auf festem Grund und Boden war nur kurz, ohnehin lud sonst nichts zu längerem Bleiben ein, und gegen Abend stach die »Constitution« wieder in See.
Als die Dunkelheit hereinbrach, leuchtete von den Berghöhen ein Waldbrand, den wir bei Tage nicht bemerkt 247 hatten, weit in den Ocean hinein, und noch lange begleitete uns der Schein des Feuers, dessen trüber Qualm selbst das Licht der Gestirne verdunkelte. Ich war vollkommen zufrieden, wieder einige Stunden unter Palmen verlebt und mich an dem lieblichen Spiel ihrer Blätter, an dem anmuthigen Schwanken ihrer Stämme erfreut zu haben; vor meinen inneren Augen tauchen die Weiden und Pappeln, die dünnen Kiefern und Telegraphenstangen der Berliner Umgegend auf, und erst das unaufhörliche Wetterleuchten, das uns in die offene See hinaus begleitete, verscheuchte diese Hallucinationen einer überreizten Einbildungskraft. New-York und New-Orleans waren schon zu Bette gegangen und schnarchten und stöhnten nach gewohnter Weise um die Wette. Ich ermunterte zuerst Beide, um meinerseits ungestört einschlafen zu können und ging dann selber zur Ruhe. 248