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»Ich werde ohne Barmherzigkeit sein!«

Die Entscheidung von Sedan beendete die abenteuerliche Laufbahn Napoleons. Seine Nation hatte dem ersten Träger dieses Namens gekündigt, als er seine Armee verloren hatte. Mit der völligen Unterwerfung von Sedan hatte auch Napoleon III. aufgehört, Kaiser zu sein. Die gesetzgebende Körperschaft stieß ihn und seine Familie vom Thron. Unter dem Druck der Massen wurde am 4. September 1870 die Republik ausgerufen. Eine provisorische Regierung übernahm die Geschäfte unter dem Stichwort: Nationale Verteidigung!

Ein entscheidender Augenblick für das Proletariat Frankreichs. Da waren sie wieder, die schwankenden Gestalten, die Thiers und Favres, die monarchistischen Republikaner und republikanischen Monarchisten, und setzten sich auf die leer gewordenen Ministersessel. Niemand verwehrte es ihnen, die besten Männer des arbeitenden Volkes saßen noch in den kaiserlichen Gefängnissen. Die neue Republik und der Charakter dieser provisorischen Regierung wurden sofort durchschaut. Am 9. September veröffentlichte der Generalrat der Internationalen Arbeiterassoziation eine ausführliche Adresse, in der es über die vor fünf Tagen ausgerufene Republik heißt: »Diese Republik hat nicht den Thron umgeworfen, sondern nur seinen leeren Platz eingenommen. Sie ist nicht als eine soziale Errungenschaft proklamiert worden, sondern als eine nationale Verteidigungsmaßregel. Sie ist in den Händen einer provisorischen Regierung, zusammengesetzt teils aus notorischen Orleanisten, teils aus Bourgeois-Republikanern; und unter diesen sind einige, denen die Juni-Insurrektion von 1848 ihr unauslöschliches Brandmal hinterlassen hat. Einige ihrer ersten Handlungen beweisen ziemlich deutlich, daß sie vom Kaiserreich nicht nur einen Haufen Ruinen geerbt haben, sondern auch seine Furcht vor der Arbeiterklasse. Wenn jetzt in maßlosen Ausdrücken unmögliche Dinge im Namen der Republik versprochen werden, geschieht das nicht etwa, um den Ruf nach einer »möglichen« Regierung hervorzulocken? Sollte nicht etwa die Republik in den Augen der Bourgeois, die gerne ihre Leichenbestatter würden, nur als Übergang dienen zu einer orleanistischen Restauration?«

Erraten! Es war tatsächlich eine Regierung gegen die Republik und für eine neue Monarchie! Aber einen Satz weiter heißt es in der Adresse: »Jeder Versuch, die neue Regierung zu stürzen, wo der Feind fast schon an die Tore von Paris pocht, wäre eine verzweifelte Torheit.«

Mit der Phrase von der nationalen Verteidigung hatten Thiers und seine Hintermänner ihren sonst längst verfallenen Anspruch auf die Führung der Nation begründet. Diese Phrase sollte ihnen zum Verhängnis werden. Die Deutschen rückten auf Paris vor, keine Armee war da, sie aufzuhalten, Paris mußte sich selbst verteidigen. Aber die Männer der nationalen Verteidigung wußten sehr wohl, daß ein bewaffnetes Paris die bewaffnete Revolution bedeutete, und der Stratege der Verteidigung, der General Trochu, plauderte es später aus, daß er bereits am 4. September die Verteidigung von Paris als »eine heroische Torheit« bezeichnet habe. Trotzdem ließ die Regierung Manifeste los: »Trochu, der Gouverneur von Paris, wird nie kapitulieren!« Oder: »Jules Favre, der auswärtige Minister, wird nicht ein Zollbreit unseres Gebietes und nicht einen Stein unserer Festung abtreten.« In Wirklichkeit verhandelte Thiers bereits mit den Höfen Europas und ersuchte sie, zu vermitteln. Als Dank versprach er die Abschaffung der Republik. In Wirklichkeit verrieten die Männer der nationalen Verteidigung das Volk von Paris an Bismarck, sie spielten Kriegstheater, bei dem sich das Volk nur verbluten konnte, weil es der Führung gar nicht ernst um die Verteidigung war, wie aus später gefundenen Akten hervorging. Die Helden der nationalen Verteidigung bereiteten vom ersten Tage an nichts anderes als die Kapitulation vor.

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Das Angebot

Thiers erhob sich jetzt in Lebensgröße. Frankreich sollte ihn kennenlernen!

Oh, er stellte sich nicht etwa vor die Front seiner Klasse, er blickte dem verhaßten Proletariat nicht offen ins Antlitz, er blieb, der er war: der Souffleur der Politik.

Als Souffleur der Politik hat Daumier ihn gezeichnet, ihn, seinen Gegner. Er hockt in seiner Souffleurkiste, das Rampenlicht der Bühne, auf der die Weltgeschichte gemacht wird, beleuchtet sein Gesicht. Und dieses Gesicht ist eine scheußliche Mischung von infernalischer Bosheit und gemeiner Niedertracht, von Zynismus und all den bösen Instinkten, die in den Ausgeburten der Menschheit schlummern. Alle schlimmen Eigenschaften einer entarteten Klasse sind in diesem Gesicht vereinigt.

Der Haß Daumiers gegen diesen Menschen, der einer der größten politischen Schurken seines Jahrhunderts war, ist derselbe Haß, der aus der Charakteristik Thiers' spricht, die wir in der Adresse des Generalrats über den Bürgerkrieg in Frankreich finden, in einer Adresse, die am 30. Mai 1871 herausgegeben wurde und an deren Ende die unterzeichneten Namen der Vertreter des internationalen Proletariats stehen, darunter Karl Marx und Friedrich Engels. Diese Adresse widmet Thiers einen ganzen Abschnitt, denn Thiers ist nicht nur eine Person, er ist die Bourgeoisie:

»Thiers, diese Zwergmißgeburt, hat die französische Bourgeoisie mehr als ein halbes Jahrhundert lang bezaubert, weil er der vollendetste geistige Ausdruck ihrer eigenen Klassenverderbtheit ist. Ehe er Staatsmann wurde, hatte er schon seine Stärke im Lügen als Geschichtsschreiber dargetan. Die Chronik seines öffentlichen Lebens ist die Geschichte der Unglücke Frankreichs ... Unter Louis Philipp erhaschte er eine Ministerstelle, indem er seinen Protektor Laffitte verriet. Beim König schmeichelte er sich ein durch die Anhetzung von Pöbelexzessen gegen die Geistlichkeit ... Sein Werk war die Niedermetzelung der Republikaner in der Rue Transnonaine, sein Werk die darauffolgenden infamen September-Gesetze gegen Presse und Assoziationsrecht ... Wenige Tage vor der Februarrevolution erklärte er: ich gehöre zur Partei der Revolution. Nach der Junimetzelei wurde er der leitende Kopf der Ordnungspartei ... Trotz seines persönlichen Ärgers gegen Louis Bonaparte hatte er seine Hand in allen Infamien des zweiten Kaiserreichs ... Ein Meister kleiner Staatsschufterei, ein Virtuose des Meineids und des Verrats, ausgelernt in allen den niedrigen Kriegslisten, heimtückischen Kniffen und gemeinen Treulosigkeiten des parlamentarischen Parteikampfs; stets bereit, wenn vom Amte verdrängt, eine Revolution anzufachen, und sie im Blute zu ersticken, sobald er am Staatsruder; mit Klassenvorurteilen an Stelle von Ideen; mit Eitelkeit an Stelle eines Herzens; sein Privatleben so infam, wie sein öffentliches Leben niederträchtig ...«

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Geschäftsabschluß bei der Kupplerin

Dieser Thiers lieferte der Welt ein Beispiel dafür, daß die nationale Ehre ein Quatsch ist, gerade gut genug, aus Pöbel Kanonenfutter zu machen. Thiers, der Patriot, verschob Paris an die Preußen. Er glaubte, die Kapitulation von Paris müsse die Kapitulation der bewaffneten Republik nach sich ziehen.

Nichts konnte der jungen Republik schlechter bekommen als eine von ihm zusammengetrommelte Nationalversammlung.

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Also nahm Thiers die Bedingung in die Kapitulation auf, daß innerhalb acht Tagen eine Nationalversammlung zu wählen sei. Er reiste im Lande umher und organisierte die Gegenrevolution. Er machte den Anhängern einer legitimen Monarchie Hoffnungen, er hetzte die Landjunker gegen Paris, er verlegte die Nationalversammlung nach Versailles, dem Hauptquartier des preußischen Siegers, er setzte auf die wichtigsten Posten der Republik die wütendsten Reaktionäre, und schließlich erneuerte er den Belagerungszustand.

Nur die Nationalgarde bedeutete jetzt noch eine Gefahr für Thiers. Die Arbeiter hatten sich in der Stunde der Not zu den Waffen gedrängt. Sie mußten jetzt entwaffnet werden. Am 18. März machte Thiers den Versuch, die Artillerie der Nationalgarde stehlen zu lassen. Paris antwortete mit einem Aufschrei des Mißtrauens, die proletarische Revolution begann. »Es lebe die Kommune!«

Im Gegensatz zur Reaktion, die bei allen ihren Siegen blutige Rache an den Unterlegenen genommen hatte, befleckte sich die proletarische Revolution nicht. Sie rächte sich nicht für die Metzeleien der vergangenen fünfzig Jahre. War das Schwäche? Ihre Gegner glaubten es. Am 22. und 24. März griffen die Mamelucken Thiers' an, aber die Nationalgarde warf sie zurück. Ja, die proletarische Revolution gefährdete sogar ihre eigene Existenz, sie ließ wählen, sie lieferte sich der Wahlurne aus. Am 26. März entschied sich Paris für die Revolution, für die Kommune.

Setzen wir den Schauermärchen über die Pariser Kommune einen einzigen Absatz aus der bereits zitierten »Adresse des Generalrats« entgegen:

»Wunderbar in der Tat war die Verwandlung, die die Kommune an Paris vollzogen hatte! Keine Spur mehr von dem buhlerischen Paris des zweiten Kaisertums. Paris war nicht länger der Sammelplatz von britischen Grundbesitzern, irischen Absenters, amerikanischen Ex-Sklavenhaltern und Emporkömmlingen, russischen Ex-Leibeigenenbesitzern und walachischen Bojaren ...

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Unwetter über Paris

Die Kokotten hatten die Fährte ihrer Beschützer wiedergefunden – der flüchtigen Männer der Familie, der Religion und vor allem des Eigentums. An ihrer Stelle kamen die wirklichen Weiber von Paris wieder an die Oberfläche – heroisch, hochherzig und aufopfernd wie die Weiber des Altertums. Paris, arbeitend, denkend, kämpfend, blutend, über seiner Vorbereitung einer neuen Gesellschaft fast vergessend der Kannibalen vor seinen Toren, strahlend in der Begeisterung seiner geschichtlichen Initiative ... Die Pfaffen wurden in die Stille des Privatlebens zurückgesandt, um dort, nach dem Bilde ihrer Vorgänger, der Apostel, sich von den Almosen der Gläubigen zu nähren. Sämtliche Unterrichtsanstalten wurden dem Volke unentgeltlich geöffnet und gleichzeitig von aller Einmischung des Staates und der Kirche gereinigt.«

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Der katholische Dichter

Die Kommune war eine Regierung der Arbeiterklasse. In dieser Arbeiterregierung konnte man nicht Millionär werden wie Herr Thiers unter Louis Philipp, denn die Kommune bezahlte keine Gehälter von »Würdenträgern«, sondern nur Arbeiterlöhne. Ein Grund mehr für Thiers und seinesgleichen, dieser Arbeiterregierung den Krieg zu erklären.

Das ganze reaktionäre Gesindel war nach Versailles entflohen. Aber die Banden, die Thiers gegen Paris schicken konnte, genügten nicht. Er sah ein, daß er die von Metz und Sedan keimkehrende Armee brauchte, und er kaufte sie von Bismarck durch die beschleunigte Zahlung der Kriegsentschädigung los. Er hatte geschworen, nie eine Armee gegen Paris führen zu wollen. Als Mac Mahon mit seinen Vorbereitungen fertig war, aus seinen vor Metz und Sedan geschlagenen Truppen die Angriffsbataillone gegen die Pariser Arbeiter zu machen, ließ Thiers seine Verkleidung fallen. Er stand jetzt in seiner ganzen Schamlosigkeit da: »Ich werde ohne Barmherzigkeit sein.«

Mit einem Bombardement von Paris begann der Feldzug gegen die Arbeiter. Sein Ende ist bekannt. Die Ordnung siegte. Die Zivilisation triumphierte. Acht Tage währte die Schlächterei. Die Arbeiter kämpften um ihr Leben und um die Zukunft ihrer Klasse. Aber die Übermacht erdrückte sie.

Dem Gefecht folgte der Mord. Die Gefangenen zu füsilieren, hätte zu lange aufgehalten, man nahm Mitrailleusen zu Hilfe. Die Sieger hatten es eilig, ihre Lorbeeren in den Armen ihrer Kokotten zu ernten.

Schließlich lagen so viele tausend Leichen in Paris, daß der Fahrverkehr gestört war. »Das Ziel ist erreicht!« konstatierte Thiers. Die Bourgeoisie klatschte ihm Beifall. Ihm und der Armee. »Nur dem französischen Soldaten ist es gegeben, sich so schnell und so vollständig wieder zu erheben«, sagte der »Figaro«. Und das »Journal des Débats« fügte hinzu: »Unsere Armee hat ihr Mißgeschick durch einen unschätzbaren Sieg gerächt.«

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