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Der Maler

In den Jahren der geknebelten Pressefreiheit mußte Daumier die journalistische Tagesarbeit oft als Kraftvergeudung ansehen. Das französische Volk wurde in einen Abgrund gedrängt, und er mußte schweigen. Also zog ihn die Malerei wieder an, mehr als früher, und es kam für ihn die Zeit, wo er versuchte, sich völlig von der Karikatur zurückzuziehen.

Noch eins hatte dazu beigetragen, ihm die Freude an der Arbeit für die Presse zu nehmen. Das war die Wandlung, die sich im Reproduktionsverfahren vollzogen hatte. Das zweite Kaiserreich verdarb den Charakter der Lithographie. Der Parvenü gab den Ton an; ihm genügte die einfache Sprache des Holzschnitts und der Lithographie nicht mehr. Die farbige Illustration kam auf. Sie war noch sehr primitiv.

Das Zinkklischee verdrängte die bisherigen Reproduktionsmittel mehr und mehr. Es war billiger, schneller zu drucken und bequem in den Schriftsatz einzufügen. Ihm gehörte die Zukunft, aber damals war die Chemigraphie noch so in den stümperhaften Anfängen, daß kaum geahnt werden konnte, wie gerade dieses Verfahren geeignet ist, eine Zeichnung mit allen ihren Feinheiten originalgetreu wiederzugeben.

Unter solchen Umständen mußte der Konflikt zwischen dem Maler Daumier und dem Karikaturisten Daumier erneut und heftiger ausbrechen. Als es sich zum Überfluß noch ereignete, daß die Menge anfing, seiner sozialkritischen Karikaturen überdrüssig zu werden, da hatte die Staffelei über den Lithographentisch gewonnen. Wenigstens vorübergehend.

Ja, so weit war es gekommen! Die Menge fand plötzlich, daß Daumier die Menschen nicht schön genug darstelle. Sie hatte sich über seine Angriffe auf die führenden Persönlichkeiten amüsiert. In den aufgeregten Jahren hatten sich vor den Auslagen der von Daumier belieferten Zeitschriften dichte Menschenhaufen versammelt. Jetzt, in den »ruhigen Zeiten«, fand sich der Bürger unnötig belästigt. Die Redaktionen, für die Daumier arbeitete, bekamen Briefe von ihren Abonnenten, die mit Abbestellung drohten, falls die Zeitung nicht aufhören würde, »so häßliche Zeichnungen« zu bringen. Sogar der »Charivari«, für den Daumier und der für ihn nahezu alles bedeutete, gab dem wachsenden Druck nach und ließ den Vertrag mit Daumier ablaufen, ohne ihn zu erneuern. Diese Krise fällt zeitlich mit dem Ende Philipons zusammen.

Lange konnte die Karikatur freilich Daumier nicht entbehren. Ende Dezember 1863 erneuerte der »Charivari« seinen Vertrag. Kurz darauf wurde auch das Pressegesetz gelockert, und Daumier konnte wieder zur politischen Karikatur übergehen.

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Seine Zeichnung war in den letzten Jahren Schwarz-Weiß-Malerei geworden. Auch die Zeichnungen für den Holzschnitt waren malerischer geworden, bewegter. Die Gestalten seiner Blätter bekamen immer mehr monumentale Größe, blieben aber dabei voll nervösem Leben und Temperament. Was für das graphische Schaffen Daumiers charakteristisch war, das galt auch für seine Malerei. Er liebte es, den dramatischen Kampf von Licht und Schatten und die lebhafte Bewegung wuchtiger Körper zu malen.

Eine Anekdote erzählt, daß ein französischer Landschaftsmaler, ein Zeitgenosse Daumiers, beim Betreten der von Michelangelo ausgemalten Sixtinischen Kapelle in Rom ausgerufen habe: »Das ist wie von Daumier!« Wenn diese Anekdote erfunden ist, dann ist sie gut erfunden. In der Tat, die Malerei Michelangelos lebte in der Malerei Daumiers wieder auf: die dramatischen Bewegungen, die Plastik der Figuren, das Gewühl von Licht und Schatten, das Pathos der Leidenschaft.

Diese Wesenszüge sind bereits auf den frühen Ölbildern Daumiers zu finden. Das Gemälde »Der Wasserträger« ist ein ganzer – Michelangelo, nur in ein kleineres Format übersetzt.

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Federzeichnung

Ein mit allen Zeichen der Anstrengung tragender und ausschreitender Mann füllt das Bild mit seinen kraftvoll gespreizten Beinen und der Schwingung des linken Armes, der die tragende Senkrechte des Armes mit dem Eimer ausbalanciert. Alles Naturalistische ist bis auf einige körperliche Andeutungen fortgelassen. Fast silhouettenhaft steht die Gestalt im Bilde, zur Hälfte im Schatten, zur Hälfte in einer hellen Fläche, deren unterer Rand in herrlicher Kurve verläuft und der Linie der ins Licht gerückten rechten Schulter des Mannes entspricht. Die hellbeleuchtete hochgezogene rechte Schulter des Mannes ist das Zentrum des Bildes und des Bildinhalts, sie betont das Tragen.

Daumier hat als Maler wiederholt der Vorliebe seiner Zeit für antike Szenen ein Opfer gebracht. Aber wie entfernte er sich in der Malweise und im Ausdruck von seinen Zeitgenossen! Die Figuren dieser Bilder gehören durchaus seiner Zeit an. Es sind nackte Plebejer, als Silen und Bacchantinnen entkleidete Männer und Frauen des dritten Standes, aus Lust am nackten Körper und am durcheinander geworfenen Körperhaufen gemalte Bäuche und Muskelbündel mit einigen antiken Zutaten.

In seinen Lithographien von badenden Bürgern hat er das Gegenstück zu der gemalten Nacktheit der antiken Legende geschaffen. Aber es reizte ihn noch oft, den entblößten Körper, der in allen Zeitaltern und in jeder Stilepoche das Kernstück des künstlerischen Interesses bildete, in seiner ganzen Kraft und natürlichen Schönheit zu malen. Ein nackter Männerkörper auf einem galoppierenden Pferde regte ihn wiederholt zu Bildern an, und wie jeder Maler seiner Tage malte auch Daumier nackte Frauen am Strand. Da er nicht nach der Natur und nicht nach Modellen malte, entlud sich in diesen Bildern seine ganze Begeisterung an muskulösen Rundungen, an den Polstern der sinnlichen Leidenschaft, und sein Pinsel buchtete und höhlte aus, schmetterte die erregte Kurve entfesselter Körper hin und duldete keine beruhigte Fläche.

Eine starke Neigung zog Daumier zu dem Don-Quichotte-Thema hin. Die unvergängliche Figur aus dem Meisterroman des Cervantes liebte er. Sein Sinn für das Groteske, für das Tragikomische, für die Karikatur mußte sich an dieser Figur berauschen. Der arme Ritter von der traurigen Gestalt, der sich in eine Zeit verspätet, in der kein Platz mehr ist für romantische Gefühle, wurde von Daumier begriffen nicht nur als Narr, der einem Phantom nachjagt, sondern als die Verkörperung der Narrheit, als das Fragezeichen hinter jeder Tatsache.

Oft hat er ihn gemalt, den seltsamen Don, spindeldürr auf seinem abgearbeiteten Klepper, mit Rüstung und Lanze und lächerlichem Helm; hinter sich, auf dem Esel, Sancho Pansa, seinen treuen Begleiter, die Verkörperung des Freßsacks, des realpolitisch denkenden Teils der Menschheit, der doch sein ganzes Leben lang an den Schwanz des Gauls gebunden ist, auf dessen Rücken die traurig-lächerliche Figur des romantischen Idealismus durch die Weltgeschichte schaukelt.

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Eines der bekanntesten Bilder Daumiers ist »Das Drama«, von dem es auch eine Lithographie gibt, und dieses Bild enthält alles, was der Begriff Theater umfassen kann: den erregenden Ausschnitt der Bühne, den auf eine Stunde konzentrierten Inhalt eines Menschenlebens, einer ganzen Generation, und dazu die tolle Herrschaft der Illusion über das Publikum. Dieses Bild ist genial in jeder Beziehung. Das Publikum erhebt sich wie eine aufgewühlte See, wächst am linken Bildrand hoch, will nach der Bühne zu. Dort, in dem hellen Ausschnitt, bricht eine losstürmende Frau in den gellenden Schrei aus, der auf allen Lippen liegt; und von den beiden Männern, die um sie kämpften, liegt einer tot am Boden, während der Sieger zu einer Ekstase des Triumphs wird.

Zu dem Zyklus der Theaterbilder gehören etliche Darstellungen von Zuschauergruppen, wie Daumier sie auch oft gezeichnet hat, ferner Bilder von Bühnenszenen, charakteristisch für das Stück, für das ganze Theater. Szenen aus den Komödien von Molière hat Daumier gern gemalt, so den »Eingebildeten Kranken«, der entsetzt stöhnend auf dem Marterbett seiner gar nicht existierenden Krankheit liegt und auf den Schicksalsspruch des Arztes wartet.

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Das Drama

Seine gemalten Gerichtsszenen aber gehören zum Besten, was Daumier geschaffen hat. Zahlreiche Ölbilder, Aquarelle und Tuschzeichnungen füllte er mit dem Gelächter über Richter und Advokaten, über ihr greuliches Gewerbe.

»Der Verteidiger« heißt eines der tollsten Bilder dieser Serie. Im Hintergrund, im Dämmerlicht des Gerichtssaals, hocken die Reihen der Zuschauer. In der Mitte des Vordergrunds steht der Verteidiger hinter seiner Schranke. Wie er loslegt! Er ist von seiner eigenen Rede so hingerissen, daß er über sich selbst hinauswächst, ein Gott der beleidigten Gerechtigkeit, dem die Tränen über die Wangen laufen, so überzeugt ist er von der Unschuld seiner Klientin, die links von ihm sitzt und die es kaum verbergen kann, wie sie sich über das von ihr soeben entworfene Engelsbild amüsiert. Sie hat übrigens selbst etwas zu ihrer Verteidigung unternommen, ohne sich so zu plagen wie ihr aufgeregter Lohengrin: sie poussiert die Richter mit den Augen.

Unter den etwa fünfhundert Gemälden, Aquarellen und Tuschzeichnungen Daumiers nehmen die Darstellungen von Volksszenen einen bedeutenden Platz ein. Er hat die in den Wagenklassen der Eisenbahn zum Ausdruck kommende Klasseneinteilung der Gesellschaft im Bilde festgehalten, er hat Straßenszenen gemalt, Proletarier der Manege, Gaukler, Seiltänzer, Ringer, Bummler, Trinker, Arbeiter und Arbeiterinnen. Eines seiner beliebtesten Motive war die Wäscherin, die von ihrem Waschplatz an der Seine hochsteigt, einen Packen unterm Arm, ihr Kind an der anderen Hand. Es gibt etliche Fassungen, weil der Maler nach dem besonders deutlichen Ausdruck suchte; er wollte das harte Dasein zeigen, die schwere Arbeit, und die Mutter, die kaum noch Zeit für ihr Kind hat, die krumm ist vom vielen Bücken und früh altert von der ungesunden Beschäftigung.

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Die Trinker

In einem Bild hat Daumier das Bekenntnis abgelegt, wie er an das Volk glaubte. »Der Aufruhr« heißt das Gemälde. Die gebückte und dahinschlendernde Menge ist plötzlich wie von einem Orkan gepackt. Aus dem Gewimmel leuchten einige Gesichter auf, alles andere ist Masse, Unzahl. Diagonal durch das Bild jagt ein greller Blitz: eine Frauengestalt, visionär gesehen, die Flamme des Aufruhrs, der helle Schrei der Empörung. Eine große Bildfläche, und nichts darauf als eine einzige Bewegung.

Es gibt wenige Bilder in der Kunst aller Zeiten, die mit solcher Kühnheit gemalt sind. Andere haben das Visionäre zur Fratze entstellt, hier ist es klarster Ausdruck geworden, hier ist es ein Temperamentsausbruch, eine um alle Gesetze der Malerei unbekümmerte Offenbarung, ein ganzer Daumier.

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Die Wäscherin


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