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Ein ehemaliger Laufbursche

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»Der wird der Maler sein, der wahre Maler, der dem jetzigen Leben seine epische Seite zu entreißen versteht, der uns, mit Farbe oder Zeichnung, wird sehen und begreifen lassen, wie sehr groß und poetisch wir in unseren Krawatten und Lackstiefeln sind.« Baudelaire in einer Studie, enthalten in den »Ästhetischen Kuriositäten«.

Lackstiefel und Krawatten lassen sich nur schwer mit der Heldenrolle in Einklang bringen, in der sich der Bürger sehen will. Die Zeit der pathetischen Pose ist seit dem Ende der revolutionären Epoche dahin. Die Männer des Konvents hatten sich die Haltung römischer Volkstribunen gegeben. Desmoulins, Saint Just und Danton hatten das heroische Pathos eines Gracchus und zeigten noch im Angesicht des Todes die kühle Ruhe eines Brutus. Ihre theatralische Haltung, das klassische Pathos ihrer Sprache war alles andere als lächerlich, denn es stimmte überein mit ihrer Aufgabe und mit ihrem Leben. Ihr Klassizismus war edel wie der Marmor, der ihr Vorbild war. Und die bildende Kunst log nicht, wenn sie die Führer der großen Revolution und den ersten Konsul der Republik in antiker Größe darstellte: erfüllt von ihrer Mission, eine Welt zu zerstückeln und wieder aufzubauen, Marmorbilder, vom Hauch der Ewigkeit umflattert. Nachdem ihre Rollen ausgespielt waren, nachdem sich die bürgerliche Gesellschaft einrichtete mit den Anfängen industrieller Produktion und mit der freien Konkurrenz, war kein Platz mehr für verspätetes Römertum. Ein Brutus, der über Prozente redet, ist ebenso unmöglich wie ein liberaler Bankier, der sich im Kostüm einer antiken Statue auf die Tribüne des Parlaments stellt, um die Notwendigkeit zu begründen, die Pressefreiheit abzuschaffen.

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Die Sehnsucht, im Gedächtnis der Menschheit als Achilles fortzuleben, hat freilich noch ein Jahrhundert lang manchen backenbärtigen Monarchen veranlaßt, sich in antiker Nacktheit und Haltung hoch zu Roß auf den Schloßplatz stellen zu lassen, einem Bauernjungen ähnlich, der an einem heißen Sommertag sein Pferd in die Schwemme reitet. Es ist dieselbe verzeihliche Sünde, die bei nahezu allen Porträtaufträgen auch heute noch Maler und Photographen zwingt, aus dem Darzustellenden einen Halbgott an Schönheit und Geist zu machen. Das wird wohl auch immer so bleiben. Und es wird immer eine Kunst geben, die sich von dieser Schwäche ernährt.

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Um das Jahr 1830 betete die Malerei eine seltsame Dreieinigkeit an: das klassische Vorbild, den romantischen Aufputz und das spießbürgerliche Genre. Die »epische Seite« des bürgerlichen Daseins aber, die »große und poetische Erhabenheit« des honetten Bürgers in Lackstiefeln und Krawatte konnte kein Maler und kein Bildhauer verewigen – sie war nicht vorhanden. Die Bourgeoisie hatte ihren epischen Charakter an die neue revolutionäre Klasse abgetreten, an die Arbeiter. Bald sollte diese neue Klasse Gelegenheit haben, zu zeigen, daß sie der Erbe der revolutionären Tugenden war. Sie zeigte es, aber sie verzichtete dabei auf die Kopie der Pose.

An Stelle der »epischen Seite« entdeckten die Künstler im Antlitz der Bourgeoisie ihr genaues Gegenteil. Sie fanden, daß dem Bourgeois nur eine Aufgabe in der Kunst zukäme: für den Spott zu sorgen. So entstand das bürgerliche Sittenbild.

Sein Meister ist Gavarni. Er fing als Autodidakt an, entwickelte sich vom Arbeiter zum Feinmechaniker, zum Maschinenzeichner und dann zum freien Künstler. Zum vogelfreien Künstler, der genauso ausgebeutet wird wie der Lohnarbeiter. So hungerte er sich durch das Leben, bis ein Kunstfreund ihm weiterhalf. Dann wurde er berühmt, und Paris schätzte seine Sittenbilder, elegante Witze besonders auf die bürgerliche Form der Liebe. Als er trotz seiner Erfolge in Schulden geriet und das Elend in den sozialen Niederungen kennenlernte, zeichnete er auch diese Gefährten seines Jammers, die Bettler, die Enteigneten und Verkommenen. Die Politik übersah er. Das Leben schob ihn beiseite. Gavarni wurde ein Name in der Kunstgeschichte, Rubrik: ein Zeitgenosse Daumiers ...

Das Sittenbild war in Mode gekommen, weil die Umschichtung ökonomischer Verhältnisse in den gesellschaftlichen Institutionen Krisen hervorgerufen hatte, die zur Diskussion aufforderten, und weil die Lithographie der Reproduktion und der großen Auflage entgegenkam. Die Lithographie, die von Senefelder Ausgang des 18. Jahrhunderts erfunden worden war, sollte das Ausdrucksmittel der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts werden. Es war kein Zufall, daß der Erfinder nach Paris übersiedelte. In Paris sollte die Lithographie ihren Daseinszweck und ihren Meister finden.

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Der gute Bürger außerhalb der guten Stube

Zuerst war die Lithographie nicht viel mehr als eine Reproduktion von Gemälden. Nur sehr langsam entdeckten die Künstler die Möglichkeiten, die ihnen von dem neuen Verfahren geboten wurden. Sie mißhandelten den Stein und die Chancen, die er ihnen gab, indem sie die Technik des Holz- und Kupferstichs auf ihn übertragen wollten. Aber die aufgeregte Zeit des Umsturzes und der napoleonischen Kriege schrie nach dem Flugblatt, und so kam Tempo in die Sache. Die Entwicklung der Lithographie hatte bereits das technische Niveau erreicht, auf dem die Triumphe dieses Reproduktionsverfahrens wachsen sollten. Es brauchte bloß noch der Mann zu kommen, der zu der Technik das Genie mitbrachte, der aus dem seichten Planschbecken des Sittenbildes in die stürmische See der politischen Kämpfe hinausschwamm, der den Schritt machte vom Witzblatt zum revolutionären Pamphlet.

Dieser Mann trat 1830 in die Öffentlichkeit. Er war noch nicht 22 Jahre alt. Vorher hatte er Zeichnungen unter einem Pseudonym herausgebracht. Nichts Bedeutendes. Deshalb setzte er wahrscheinlich seinen Namen auch nicht unter die Arbeiten. Man spürte, wie andere, wie Vorbilder ihm die Hand geführt hatten. Mit seinem Namen Honoré Daumier signierte er erst, was ihm gut genug erschien, als ein Anfang zu gelten. Er wußte, was er wollte. Er wußte und er fühlte es.

Bis zu seinem achtzehnten Jahre war er Laufbursche gewesen. Später hat er ein nachträgliches Selbstbildnis des »Rinnsteinhopsers« Daumier gemalt, für den »Charivari«. Unterschrift unter dem Bild: »Der Laufbursche ißt wenig, läuft viel, strolcht noch mehr herum und kommt immer zu spät in die Klasse, deren Schmerzenskind er ist.« Ein schmales Kerlchen, grotesk gekleidet, ein Kind mit Zylinderhut, etwas elend und etwas durchtrieben. – Daumier war Laufbursche eines Anwalts. So lernte er frühzeitig die Justiz und alles, was mit ihr zusammenhing, verachten.

Es war ein harter Schlag für seine Eltern, als er Lust zeigte, die Karriere, die sich ihm so verlockend als Anwaltslaufjunge und Buchhandlungsgehilfe eröffnet hatte, zu verscherzen. In der Familie Daumier war die Not zu Hause, seit der Vater, ein poetisch veranlagter Glasermeister, im Jahre 1816 mit Sack und Pack von Marseille nach Paris gezogen war, in der Hoffnung, seine Gedichte könnten Paris erobern. Dem Vater Jean Baptiste Daumier brachte die Übersiedlung eine Enttäuschung; ein schmales Bändchen Gedichte kam zwar bei einem Pariser Verleger heraus, aber der Ruhm blieb aus. Für den Sohn Honoré wurde der Sprung nach Paris die große Chance. Seine ersten Zeichenversuche wurden dem Gründer des Museums französischer Monumente, Alexandre Lenoir, vorgelegt. Dieser bejahte die Möglichkeit des Vorhandenseins von Talent und übernahm die ersten Versuche, das Genie Daumiers – mit Studien nach Gipsmodellen zu verkrüppeln. Aber Daumier entlief ihm, die Straße zog ihn an. Von Ramelet, einem Zeichner, guckte er die Handgriffe der lithographischen Technik ab, illustrierte Bücher, zeichnete die ersten Karikaturen. Charles Philipon wurde auf ihn aufmerksam. Charles Philipon war der Herausgeber der Zeitschriften »Le Charivari« und »La Caricature«, eine Kampfnatur, der Christophorus der politischen Karikatur. Er hatte in Daumier den Mann gefunden, der nicht ohne ihn, ohne den er nicht erreichen konnte, was ihm vorschwebte.

Bis zu diesem Moment war die politische Karikatur herzlich unbedeutend gewesen, Fratzenmalerei, verzeichnete Gesichter und Gestalten. Das Charakteristikum der Karikatur liegt aber nicht in der Fratze und nicht in der Verzeichnung, es liegt in der schonungslosen Erfassung und Unterstreichung der wesentlichen Züge einer Figur und eines Vorgangs. Die Entstehung dieser Karikatur fällt zeitlich zusammen mit der Entstehung des naturalistischen Stils.

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Der Laufbursche

Der junge Daumier bewies es, daß der Karikaturist nur scharf zu sehen und nur schonungslos zu zeichnen braucht, was die Wirklichkeit ihm bietet, und die schärfste Karikatur ist fertig. Daumier porträtierte auf diese schonungslose Weise. Aber er zeichnete nicht nach der Natur, nicht nach dem Modell, er zeichnete seine Karikaturen nach dem Gedächtnis. Dabei vereinigte sich die Schärfe seines Auges mit der Schärfe seines politischen Hasses. Nur wer haßt, sieht so die Blößen des Gegners. Und Daumier haßte mit der ganzen Kraft seiner Seele. Die politische Leidenschaft des revolutionären Citoyen gegen den Bourgeois riß den Künstler in ihm mit fort. Sie beschleunigte seinen Werdegang. Mit 25 Jahren bereits war Daumier der Meister der Karikatur. Seine Zeichnungen hatten eine neue Ära begonnen. Das »Witzblatt« war in den Hintergrund gedrängt, das politische Pamphlet begann seine lithographische Offensive.

Mit einem Schlage hatte die Erfindung Senefelders einen Sinn bekommen. Der Steindruck machte dem revolutionären Chanson den Rang streitig, er übertraf das agitatorische Flugblatt, er war wirksamer als das gesprochene Wort. Die lithographierte Karikatur wurde zur Waffe in der Hand eines Barrikadiers.

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Der Schwärmer

Daumier war noch kein Jahr Mitarbeiter an der Zeitschrift »La Caricature«, der angriffslustigsten Zeitschrift Philipons, und schon zog er sich eine Strafe von sechs Monaten Gefängnis zu. Wegen Majestätsbeleidigung. Der Citoyen hatte den König der Bourgeois als Nimmersatt dargestellt, als Repräsentant der Schicht, die nie genug bekommt. Am 30. August 1832 trat Daumier seine Strafe an.

Es gibt Zeiten, in denen es zur Legitimation eines anständigen Menschen gehört, mindestens einmal wegen politischer Vergehen eingesperrt gewesen zu sein.


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