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Vom Feldherrnstab zum Regenschirm

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»Dank und Preis dem allmächtigen Gotte! Europas Freiheit, die Ruhe der Welt ist gesichert.« Zar Alexander im Namen aller verbündeten Mächte. Maueranschlag in Paris am 31. März 1814.

Die Ära Napoleons I., diese kriegerische Ouvertüre des kapitalistischen Zeitalters, war zu Ende. Das Zwischenspiel, das mit der Rückkehr des Franzosenkaisers von Elba begann und mit dem Zusammenbruch von Waterloo endete, bestätigte nur die Tatsache, daß die herrschende Klasse in Frankreich willens war, eine andere als die Politik des Säbels zu machen. Diese Klasse war eben dabei, die große Wandlung zu vollziehen, der sich jede vorher revolutionäre Klasse nach der Vollendung ihrer geschichtlichen Mission unterwerfen muß. Der »Citoyen«, der revolutionäre Bürger von 1789, hatte kaum ein Vierteljahrhundert gebraucht, um ein »Bourgeois« zu werden, ein Profitmacher.

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Napoleon und der Genadier

Solange die Kriegszüge Napoleons I. dazu beitrugen, Zollschranken wegzuräumen, zünftlerische Prellböcke umzuwerfen, Bollwerke des Feudalismus zu sprengen, Straßen- und Kanalbau und die Entwicklung der kontinentalen Industrie zu fördern, solange hielten die Patrioten Frankreichs ihre Börsen offen und den Rekrutennachschub in Ordnung. Sie wußten, daß diese Kriege notwendig waren, zuerst als Abwehr der Angriffe des unter dem Vorsitz des Russenzaren vereinigten und von den englischen Kapitalisten finanzierten feudalistischen Europa, dann als Befestigung der eroberten ökonomischen Positionen. Als aber der Kaiser zweimal als Geschlagener heimkehrte und aus dem Land neue Rekruten und neue Kriegskosten herauspressen wollte, da versagten seine devoten Lakaien von gestern ihm die Gefolgschaft. Sie hatten erkannt, daß ihre Geschäfte besser florierten ohne einen Soldatenkaiser, der es wagen konnte, außer all den Generationen, die er in den Rachen des Krieges warf, auch noch das Vermögen der Nation zu verschleudern.

Bei Leipzig und Waterloo haben nicht etwa die alliierten Truppen Napoleon besiegt, sondern er ist gescheitert, weil die Klasse, die ihm ihren Triumph verdankte, sich stark genug fühlte, seine militärische Niederlage als Haben-Posten in ihr Hauptbuch einzutragen.

Das von dem Zaren im Namen der verbündeten Mächte unterzeichnete Plakat, das den Parisern am 31. März 1814 versicherte, die goldene Zeit der europäischen Freiheit und der beruhigten Welt habe begonnen, mutet nicht wie die Drohung eines in die Hauptstadt einrückenden Siegers an, sondern wie das frohe Manifest eines lange erwarteten Verbündeten:

»Daß die Friedensbedingungen nun, da Frankreich selbst durch seine Rückkehr zu einer weisen Regierung die Ruhe sichern wird, viel vorteilhafter werden müssen; daß sie die Unverletzbarkeit des alten Frankreich, so wie es unter seinen gesetzmäßigen Königen bestand, achten; ja, sie können selbst noch mehr als dieses tun, weil sie stets von dem Grundsatze geleitet werden, daß Frankreich für Europas Glück groß und stark bleiben müsse ...«

Wie ganz anders war die Tonart des Ultimatums gewesen, das der von Louis XVI. ins Land gerufene Herzog von Braunschweig im Namen des Kaisers von Österreich und des Königs von Preußen im Jahre 1792 den Parisern geschickt hatte. Er drohte ihnen mit einer »exemplarischen, auf ewige Zeiten unvergeßlichen Rache« und mit einer gänzlichen Zerstörung der Stadt, falls sie den König nicht in seine alten Rechte einsetzen und um Verzeihung bitten würden.

Damals hatte sich Paris erhoben, Louis XVI. verlor seinen Kopf, and die Trikolore begann ihren Vormarsch. Das Paris aber, an das sich die huldvolle Kundgebung des Zaren richtete, jubelte den an der Spitze ihrer Paradesoldaten – die Feldtruppen mußten den Schmutz ihrer siegreichen Strapazen in einem Biwak vor der Stadt verbergen! – einziehenden Königen zu. Zar und Preußenkönig waren die Gäste der Bourgeoisie, und der Bruder des hingerichteten Ludwig bezog die Tuilerien.

Nach einem Wort Victor Hugos läßt sich die Folge der Ereignisse so zusammenfassen: Die kapitalistische Bourgeoisie hat die erste Post ihrer revolutionären Laufbahn mit Mirabeau, dem ersten Wortführer der französischen Revolution, bespannt; die zweite mit Robespierre, die dritte mit Napoleon; nun war sie am Ziel und wollte sich ins Bett legen. –

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Aber sie hatte sich ein schlechtes Bett gemacht. Nicht nur, daß die schmähliche Flucht des neugebackenen Ludwig XVIII. nach dem Wiederauftauchen des verbannten Korsen geeignet war, das Ansehen der Nation zu beleidigen – um solche Mängel sorgt sich ein bourgeoises Regime keine Minute lang –, die mit Gottes und der Alliierten Hilfe zweimal auf den rechtmäßigen Thron gesetzten Bourbonen gingen sofort daran, die vorrevolutionären Zustände wieder herzustellen. Die Gleichgültigkeit des Volkes, das durch die mörderischen Walzen der napoleonischen Kriege gepreßt worden war und nach all den Aderlässen und Enttäuschungen eine Erholungspause brauchte, verführte die Vertreter des feudalen Absolutismus dazu, den Zeiger der Weltgeschichte um mehr als zwei Jahrzehnte zurückzudrehen. Unter dem Schutz der alliierten Bajonette wollte der Mann, den die Bourgeoisie auf den Thron gehoben hatte, weil sie sich nicht fähig fühlte, die von ihr eroberte Macht zu repräsentieren, derselben Bourgeoisie die Fundamente ihrer Existenz entziehen.

Mehr noch als die Klasse der wohlsituierten Bürger wurden die »kleinen Leute« und die Bauern betroffen. Das höfische Gesindel, das sich bei den ersten Donnerschlägen der Revolution verkrochen, das in den Bataillonen der konterrevolutionären Armeen gegen Frankreich gekämpft und an den Höfen der Despoten gegen Frankreich intrigiert hatte, diese landesverräterische Sippschaft streckte jetzt ihre Hände nach dem Grund und Boden aus, den die Revolution verteilt hatte. Die alte Günstlingswirtschaft paarte sich mit dem Schrecken einer brutalen Rache an allen, die den Ideen der Republik oder der Erinnerung an den Kaiser treu blieben. Die Korruption vermählte sich mit einer haßerfüllten Kirche. Alle Mächte der Finsternis waren losgelassen.

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Das Phantom (der Marschall Ney)

Oh, wie hatte die »gesamte zivilisierte Welt« aufgeschrien über die Schreckensherrschaft der Jakobiner, über die Blutorgien der Guillotine! Aber was jetzt geschah, war noch greuelvoller. Als die Revolution die Guillotine errichtete, hatte sie nur eine Wahl: zu sterben oder sterben zu lassen. Sie kämpfte um ihr Leben. Was aber zwang die Reaktion, zum Henker zu werden? Niemand griff sie an, sie stand gefestigt von Moskau bis Madrid. Aber sie mordete. Sie erschoß die Napoleonisten, darunter den alten Marschall Ney, einen Mann, der den Ruhm an die Fahnen Frankreichs geheftet hatte, sie griff nach den Wortführern der längst erloschenen Revolution, sie würgte entsetzlich unter den Anhängern der protestantischen Kirche. So entsetzlich, daß ganz Europa erschauerte. Sogar im englischen Parlament, das sich wirklich nicht so leicht erschüttern läßt, mußte eine beruhigende Erklärung abgegeben werden: in Nimes seien nicht mehr als dreihundert, in den Departements nicht mehr als tausend Menschen ermordet worden. Wahrlich, die Heilige Allianz, der aus der Angst vor der Revolution entstandene Bund aller europäischen Reaktionäre von Gottes Gnaden, sah jetzt die Früchte reifen. Die Heilige Allianz, die den Völkern Friede und Freiheit versprochen hatte, als es galt, die Armeen Napoleons zu schlagen, zerriß bereits im sechsten Jahre nach der Schlacht von Leipzig alle heiligen Versprechen.

Das französische Volk antwortete, indem es bei den Wahlen oppositionelle Abgeordnete auf die Tribüne stellte. Nicht nur das »gemeine Volk«, auch die Bourgeoisie wurde wieder revolutionär.

Als Ludwig XVIII. starb und sein Bruder Karl X. den Thron bestieg, spitzte sich der Konflikt zu. Dieser frühere Graf von Artois verkörperte das alte System in der schärfsten Form. Er mußte, fanatisch konservativ wie er war, seine historische Aufgabe erfüllen und die Vorbedingungen für eine zweite Revolution schaffen. Mit dem Starrsinn eines Menschen, der nicht über den Dünkel seiner erhabenen Geburt hinaussehen kann, begriff er nichts, so laut das wieder oppositionell gewordene Bürgertum auch gegen seine Maßnahmen protestierte. Er war von der Sorte, die nur durch die Guillotine belehrt werden kann. Er verschlechterte das Wahlrecht und erklärte das letzte Wahlergebnis für null und nichtig. Auch die Pressefreiheit knebelte er zu Tode.

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Er bewies damit, daß er verloren war. »Die Angst der Regierungen vor der Pressefreiheit«, sagt Görres, der in Deutschland die gleichen Studien machen konnte, »ist der Haß der öffentlichen Dirnen gegen die Straßenbeleuchtung.«

Ende Juli 1830 war Frankreich für die zweite Revolution reif. Diesmal wurden die Bourbonen für immer vertrieben. Mit Karl X. stürzten sie für alle Zeiten in die Versenkung der Geschichte.

Bürger und Arbeiter hatten gemeinsam den Schlag geführt. Aber die Situation war eine andere, als sie es 1789 gewesen war. In den seither vergangenen vierzig Jahren hatte sich der Kapitalismus in Frankreich entwickelt und eine neue soziale Schicht aus dem Boden gestampft: die Arbeiterklasse. Nach der Niederwerfung des Feudalismus konnte keine revolutionäre Bewegung mehr die Szene betreten, ohne daß die Proletarier aus dem Hintergrund der Zeitbühne hervorrückten und ohne Rücksicht auf den Souffleur und den Regisseur dazwischenriefen.

Die französische Bourgeoisie hatte jetzt einen Mann, der nicht nur ihr Wortführer wurde, sondern auch der Sammelausdruck aller ihrer Eigenschaften. Er hatte weder den Mut und die kolossale Wucht eines Mirabeau noch die heroische Konsequenz eines Robespierre. Nein, diesen Wortführern der französischen Bourgeoisie in ihrem revolutionären Stadium glich er nicht. Und noch viel weniger hatte er Ähnlichkeit mit dem ersten Konsul der Republik. Adolphe Thiers, so hieß der Mann, hatte alle Eigenschaften dieser Klasse im Stadium ihrer Erkaltung, im Stadium der Konterrevolution. Ja, diese Bourgeoisie konnte am Nachmittag konterrevolutionär sein, wenn sie am Vormittag revolutionär war! Sie konnte es, wenn der Bruder Arbeiter neben ihr auf der Barrikade nicht nur »für die gerechte Sache« bluten, sondern auch nach dem gemeinsamen Siege Anteil an den Früchten haben wollte.

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Thiers hatte die Eigenschaft, die den Arbeitern damals in dieser Schärfe fehlte (sie ist heute noch nicht voll entwickelt!), nämlich: die Klassengegensätze zu sehen, ihre Konsequenzen vorauszuwissen und rücksichtslos im Interesse seiner Klasse nach dieser Erkenntnis zu handeln. Kaum war Karl X. gestürzt, erließ Thiers einen Aufruf:

»Karl X. kann nicht mehr nach Paris zurückkehren, er hat das Blut des Volkes fließen lassen.« (Hört es und erinnert euch dieser ehrlich entrüsteten Worte, wenn ihr erfahrt, wie Thiers das Blut des Volkes fließen läßt! Der Aufruf fährt fort:) »Die Republik würde uns schrecklichen Stürmen aussetzen, sie würde uns mit Europa entzweien. Der Herzog von Orleans ...« Und hier kommt der Pferdefuß unter der tränenbenetzten Toga des Volksfreundes zum Vorschein: Der Herzog von Orleans! Der Graf von Artois war gestürzt, es lebe der Herzog von Orleans! Diesmal keiner aus dem Hause Bourbon. Die Sorte war zu sehr belastet. Der von Herrn Adolphe Thiers proklamierte neue König der Franzosen, Louis Philipp, war der Sohn des sogenannten Jakobinerherzogs Egalité, der Sohn eines Ehrenmannes, der sich in den Stürmen der Revolution die zweite Phrase der Parole »Liberté, Egalité, Fraternité« an den Hut gesteckt hatte, die »Gleichheit«. Freilich, die Revolution verstand die Geste falsch und übte die »Egalité« in ihrer äußersten Konsequenz aus: sie warf ihn zusammen mit den Girondisten aufs Schafott.

Der Sohn eines geköpften Herzogs als Erbe der zweiten Revolution! Thiers muß ein Mann von köstlicher Ironie gewesen sein. Er machte Louis Philipp von Orleans zum König der Franzosen, ehe die Pariser Zeit hatten, über diese Wendung durch Gottes Fügung erstaunt zu sein. Sie hatten wieder einen König. Aber einen ausgesprochen bürgerlichen König, der es liebte, in Zivil zu gehen und an Stelle des Feldherrnstabes einen Regenschirm zu tragen. Um das Maß der Täuschung vollzumachen, wurde die Flagge der Revolution gehißt, die Trikolore, die ruhmbedeckte Flagge der revolutionären Armee.

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Die gemarterte Menschheit

So glaubte Herr Thiers drei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: die Revolutionäre, die Bonapartisten, die guten Bürger. Der Betrug sollte bald entlarvt werden. Es zeigte sich, daß man auch mit dem Regenschirm Menschen umbringen kann.

Louis Philipp, der Bürgerkönig, war von einem Bankier in das Stadthaus geführt worden, nachdem es gelungen war, ihn zur Annahme der Krone Frankreichs »zu überreden«. Dieser Bankier hieß Laffitte, und es war kein Zufall, daß er die neue Majestät in das Regierungsgebäude führte. Louis Philipp war König von Bankiers Gnaden. Die Finanzaristokratie hielt das unsichtbare Zepter. Frankreich sollte es bald zu spüren bekommen.

1830 ist das Antrittsjahr Louis Philipps, hat das System Thiers sein Debüt.

1830 erscheint die erste Kampfansage des großen Gegenspielers Thiers', die erste politische Karikatur von Honoré Daumier.


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