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Hinter dem Schrei nach einer »Regierung der Köpfe« verbirgt sich immer der Wunsch nach einer Regierung der Bäuche, des Eigennutzes, das Verlangen nach einer rücksichtslosen Vertretung der Interessen einer herrschenden Klasse oder einer nach der Herrschaft greifenden Klassenschicht.
Unter, dem Bürgerkönigtum regierten die Finanzaristokraten, die Börsenleute, die Besitzer der Eisenbahnen und Gruben, und sie regierten nicht nur gegen die Handwerker, Arbeiter und Bauern, sie ließen auch die industrielle Bourgeoisie nicht an das Ruder. Die Finanzaristokratie regierte mit dem Defizit. Die Finanznöte des Staates waren die Voraussetzungen der Macht des Finanzkapitals. Der Minister Guizot sprach ein großes Wort gelassen aus: »Bereichert euch!« Und wann kann sich eine Minderheit auf Kosten der Volksmajorität am besten bereichern? Im Stadium der Krisen. Die Politik der Finanzkapitalisten glich von jeher dem Geschäft der Taschendiebe: sie profitieren bei der Verwirrung. Die Panik gehört zu ihrer Regierungspraxis.
Das Volk von Frankreich lernte diese Halsabschneider hassen. Es griff nach den Manifestationen dieses Hasses: nach den Karikaturen von Daumier. Der fünfundzwanzigjährige Daumier zeichnete mit dem Haß einer ganzen Klasse. Das gab seinen Bildern die kolossale Wucht und Eindringlichkeit. Das Genie Daumier ist nicht denkbar ohne die politische Leidenschaft von Millionen.
Er griff mit unerhörter Heftigkeit an. Etwa hundert Karikaturen im Jahre schleuderte er heraus. Die wöchentlich erscheinende »Caricature« mit der als Sonderdruck beigelegten Karikatur genügte ihm nicht. Der täglich erscheinende »Charivari«, der die Karikaturen im Text brachte, genügte ihm ebensowenig. Sein Verleger gab noch die »Association mensuelle« heraus, im Format doppelt so groß wie die »Caricature«, und das traf sich mit den Wünschen Daumiers.
Die »Association mensuelle« erschien jeden Monat als einmalige Karikatur im Folioformat. Philipon wollte eine neue Einnahmequelle schaffen, um die hohen Geldstrafen, die über die »Caricature« verhängt wurden, decken zu können. Die Daumiersche Serie »Célebrités de la caricature«, in der er die Parlamentarier, die Minister, Staatsanwälte, die Richter, die gesamte regierende Schicht mit rasender Kühnheit angriff, hatte er fortgesetzt in der noch schärferen Folge »Improstitués«. Die von ihm Demaskierten verlangten nach dem Pressegesetz. Daumier antwortete ihnen mit Hohn und Kampfansage. »Rührt ihn nicht an!« nannte er das Blatt, auf dem er als Verteidiger der Pressefreiheit einen Plebejer aufgepflanzt hatte, einen Kerl wie ein Fleischhauer, auf Säulen von Füßen, mit Muskeln und Fäusten! Und um ihn herum das reaktionäre Gelichter, backzähnespuckend und angstverstört. Seine Majestät der Bürgerkönig ist auch dabei und schwenkt den Regenschirm.
Aber die Pressefreiheit wurde trotzdem geschändet. Der »gesetzgebende Bauch« hatte keine Neigung, als Zielscheibe stillzuhalten für das von Daumier veranstaltete Scharfschießen. Daumier hatte sich nicht damit begnügt, heute diesen, morgen jenen Prachtkerl aus der Menagerie Thiers' herauszugreifen und dem Volke von Paris vorzuführen. Er versammelte die ganze Sippe zu einem »Gruppenbild« von infernalischer Größe: auf vier Reihen Regierungsbänken die gesamte gesetzgebende Körperschaft. Vier Reihen Schurken: den Presseknebler Persil, den Profitmacher Guizot, den Obergauner Thiers, fünfunddreißig Bäuche mit Grimassen drauf, in denen sich alle Züge eines Verbrecheralbums ein Rendezvous geben. Die ewig gültige Porträtgalerie der Korruption und der Reaktion.
Hatte er übertrieben, als er diese Lithographie schuf? Lassen wir die Ereignisse antworten:
Die Krisenmacher hatten Frankreich an den Rand des Verderbens gebracht. Die industrielle Bourgeoisie fühlte sich bereits stark genug, gegen die egoistische Politik der Finanziers zu opponieren. Aber die Arbeiter, auf denen die ganze Last der Krise lag, konnten nicht auf eine parlamentarische Lösung warten. Aufstände brachen aus. Republikanische Bünde, sozialistische Gruppen bereiteten den Schlag vor. Doch die grauenhafte Not des Volkes entlud sich in plötzlichen Explosionen. Die Reaktion hatte diesen Putschen gegenüber leichtes Spiel. Sie warf die Aufstände in Lyon und Paris mit größter Grausamkeit nieder. Thiers gab die Parole: »Schont vor allem die junge Brut nicht, damit uns später keine Rächer erstehen!«
Diese Parole wurde befolgt. Ganze Arbeiterviertel wurden abgeriegelt und die Bewohner im Schlafe überfallen und niedergemacht. Männer, Frauen, Kinder. »Damit uns später keine Rächer erstehen.«
Aber der Rächer reckte bereits seine drohende Faust empor: Daumier zeichnete das Blatt »Rue Transnonain«, eine Lithographie, vor der es weder kunstästhetische noch kunsthistorische Fragen gibt, sondern nur eines: das erschütterte Schweigen, das Grauen, aus dem die Empörung und der Haß wachsen, ein Haß, der sich fortpflanzt in den Generationen aller, die geknechtet werden, der nicht schlafen darf, solange der politische Mord zu den Mitteln des Klassenkampfes gehört.
Die Rue Transnonain wurde am 15. April 1834 überfallen und »gesäubert«. In der Nacht, mitten im Schlafe, wurden die Bewohner abgeschlachtet. Im Namen der Ordnung! Daumier brauchte nur zu zeichnen, was er sah: aus ihren Betten gezerrte Menschen, ermordet, ehe sie erwachen konnten, halbnackt hingestreckt auf den blutbefleckten Boden. Die Wirklichkeit ohne Zutat, ohne Steigerung, denn hier gab es nur Bericht, Dokument, Zeugenschaft.
Im Anschluß an die mißlungenen Aprilaufstände der verzweifelten Arbeiter errichtete die Regierung unter Louis Philipp ein neues System des Schreckens. Sie blieb nicht bei den bestialischen Überfällen auf die Bewohner proletarischer Viertel stehen, sie ließ eine Armee von Spürhunden auf die Arbeiter los, und eine Denunziation genügte, um verhaftet zu werden. Die Spitzelwirtschaft kostete dem Staat über eine Million Francs. Allein im Frühjahr 1835 wurden in Frankreich 1300 Personen als politisch verdächtig verhaftet. Die Justiz feierte ihre Orgien.
Daumier ließ sich nicht einschüchtern. Er zeichnete eine Karikatur »Die Ruhe Frankreichs«: Louis Philipp dick und zusammengedrückt wie ein geplatzter Sack auf dem Thron, ein angstgepeinigter Koloß, neben jedem Schemelbein ein Kanonenrohr. Aber noch stärker als dieses Symbol wirkten die Daumierschen Porträts der »Aprilrichter«. Es gelang Daumier, diese Karikaturen so realistisch, so ohne jede Übertreibung zu formulieren, daß man kaum von Karikaturen sprechen kann. Und gerade das mußte furchtbare Wirkungen haben. Die Pourtalis, Bassano, Mentlosier und Siméon, die Rousseau, Verhuel, Dumas, Jaquinet Godart und Barbé Marbois, alle die Justizmörder, alle die Koryphäen der Klassenjustiz packte Daumier und gab sie dem wütenden Gelächter der Menge preis. Er zeigte ihre Hinterlist und Gemeinheit, die sie selbst nur selten hinter einer objektiven Maske verbargen, die Niedertracht in diesen dicken Kerlen, die über ihren feisten Bäuchen die Hände falten und mit den Daumen spielen, während sie über unschuldige Menschen jahrzehntelange Gefängnisstrafen verhängen, denen in der Pause des Gerichts das Essen schmeckt, das sie sich in ihren vollgefressenen Wanst stopfen, und denen man ansieht, daß ihnen auch bei der Mahlzeit das Urteil vorschwebt, das sie für das nächste Opfer bereit haben. Nur in wenigen Fällen hat Daumier diese Porträts mit den Mitteln der Karikatur gesteigert. Einmal gab er einer solchen Visage einen Ausdruck von symbolischer Kraft: das Antlitz des Gerichtspräsidenten Jaquinet Godart wurde unter seiner Hand zum Antlitz der Klassenjustiz aller Zeiten. Daumier ließ hier die gemeine Rachsucht durch die aufgesetzte Larve des unparteiischen Richters hervortreten.
Wem diese Physiognomien noch nicht die Augen öffneten, der mußte den Charakter dieser Justiz begreifen, als Daumier das Blatt herausbrachte, das Geltung behält, solange die Justiz eine Hure der herrschenden Klasse ist, das Blatt: »Der Angeklagte hat das Wort!« Die Situation ist erfaßt, wie das noch keiner wieder gekonnt hat. Drei Banditen in der Robe des Richters fallen über den Angeklagten her, knebeln ihn, drehen ihm die Arme nach hinten, machen ihm den Hals frei für das Beil des Henkers, der, ebenfalls in der geheiligten Robe des Richters, im Hintergrund steht, das Henkerbeil in der massiven Rechten, während die Linke den Ärmel hochkrempelt. Die Verteidigungsschrift des Angeklagten liegt zerrissen am Boden vor dem Platz des Gerichtspräsidenten, der mit zynischem Lachen und einladender Handbewegung dem geknebelten und vergewaltigten Angeklagten das Wort gibt: Bitte, warum reden Sie nicht, man soll nicht sagen können, ich hätte Ihnen das Wort abgeschnitten ...
Diesem Blatt an Bedeutung gleich ist ein anderes aus derselben Epoche: Ein sterbender Gefangener liegt auf seiner Pritsche, die Kette noch an den Gelenken. Der Fettwanst Louis Philipp steht mit einem der Aprilrichter an der Lagerstatt des verendenden Republikaners, greift nach dem Puls des Opfers, überzeugt sich, daß der Mann in spätestens zwei Minuten tot ist, und spricht: »Den da kann man ruhig freilassen, der ist nicht mehr gefährlich.«
Die Getroffenen brüllten erbittert auf. Ein Attentat auf den König, der aber verschont blieb, gab der Reaktion den letzten Anlaß, den Rest revolutionärer Freiheiten zu beseitigen. Versammlungs- und Pressefreiheit wurden abgeschafft. »Vorhang herunter, die Komödie ist aus!« konstatierte Daumier und zeichnete Louis Philipp als grinsenden Bajazzo, der den Vorhang über der parlamentarischen Komödie fallen läßt. Die Zeitschrift »La Caricature« ging ein und »Le Charivari« mußte sich darauf beschränken, unpolitische Witze zumachen.
Schon während seiner Gefängniszeit von 1832 hatte sich Daumier mit satirischen Darstellungen »allgemein-menschlicher« Zustände beschäftigt. Da er in der Zelle nicht auf Stein zeichnen konnte (Umdruckpapier gab es noch nicht), mußten seine Zeichnungen von anderen auf den Stein übertragen werden und dabei natürlich den Charakter einer Arbeit Daumiers verlieren. Jetzt, im Stadium der allmächtigen Reaktion, ging Daumier zur sozialen Satire über. Freilich, auch da konnte er noch ungemütlich werden, und die Zensur schritt wiederholt gegen seine »unpolitischen« Karikaturen ein.
Die Witze über Hauswirte, Straßenbummler, Theaterhelden und betrogene Ehemänner konnten seine Zeit ausfüllen, aber Befriedigung fand er nicht bei diesen Arbeiten. Eines Tages erfand er zusammen mit seinem Verleger Philipon die Figur des Robert Macaire. In dieser Figur vereinigten sich alle Eigenschaften einer skrupellosen Klasse, deren Oberschicht an der Futterkrippe saß und fast das ganze Volk mit ihrer Tollwut ansteckte, reich zu werden auf jeden Fall, durch jedes Mittel, ohne Arbeit, immer auf Kosten anderer.
Von den Männern der Regierung und des Parlaments war die Parole gegeben worden. Unter dem Schlachtruf Guizots »Bereichert euch!« gingen alle moralischen Bedenken über Bord. Der Minister des Innern wurde später öffentlich beschuldigt, hunderttausend Francs für die Erteilung einer Theaterkonzession erhalten zu haben. Sein Ankläger, der Redakteur Girardin, saß selbst mit an den Fleischtöpfen Ägyptens, denn die Regierungstreue der Zeitungen wurde aus dem Säckel der allgemeinen Steuermittel erkauft. Der frühere Kriegsminister Cubières kaufte den Arbeitsminister für hunderttausend Francs, und dieser bewilligte eine Konzession für das Steinsalzbergwerk dieses ehemaligen Generals. Der Bankier Laffitte ließ sich seinen Waldbesitz doppelt bezahlen und dazu 1 200 000 Francs schenken. Ebenso käuflich, und zwar für je zweihunderttausend Francs, waren die Republikaner Puyraveau und Constant. Korrupt bis ins Mark war das ganze System. Die Kosten bezahlte die Arbeiterklasse.
Und dazu sollte Daumier schweigen?
Er sah, wie die Fäulnis den Volkskörper ansteckte, wie auch die unteren Schichten vom Taumel der Profitmachern erfaßt, wie der gemeine Betrug und die Gaunerei als Mittel zum Zweck geheiligt wurden. Mit der Figur des Robert Macaire stellte er das gesamte korrupte System an den Pranger. Da er gezwungen war, die großen Gauner persönlich zu schonen, prügelte er ihren Generalvertreter. Er packte diesen Robert Macaire so an, daß bald jeder wußte, die Prügel, die diese Figur bekommt, gelten auch den großen und größten Gaunern.
»Robert Macaire, der unsterbliche Betrüger«, so heißt es in einer kleinen satirischen Schrift von James Rousseau, die mit Holzschnitten Daumiers illustriert wurde, »Robert Macaire wäre in einer anderen Zeit undenkbar. Er ist in jeder Beziehung ein Kind dieses Jahrhunderts; er ist die Verkörperung unserer selbstsüchtigen, geizigen, lügnerischen, prahlerischen und – sagen wir nur ruhig auf »Schwindel« eingestellten Zeit.
Robert Macaire bläst allenthalben auf dem Marktplatz die große Posaune, um seine eigenen Verdienste, seine Person und seine Waren ins rechte Licht zu setzen. Die Erfinder, die Gewerbetreibenden, die Autoren, die Kaufleute, selbst die Gelehrten – was tun die alle denn im Grunde anders? Ist nicht der Inseratenteil der Zeitungen recht eigentlich ihre Börse? Und ist für die Abgeordneten und Staatsmänner das Rednerpult nicht der öffentliche Platz, wo unaufhörlich die Worte Uneigennützigkeit und Strenge laut werden? Und haben nicht die Mächtigen ihre eigenen Zeitungen, wo sie tagtäglich aufs neue ihre Tugenden, Talente und ihren Mut rühmen? Traurige Existenzen vom Schlage Robert Macaires, all diese Männer, die alle Lächerlichkeiten, alle Fehler, alle Laster ihres Vorbildes haben, ohne gleichzeitig seinen Geist und seine Originalität zu besitzen!
Ich sagte es Ihnen bereits: er hat Pferd und Wagen, ein Landhaus. Oh, er führt ein großzügiges Leben. Die Armen machen ihre Sache gut. –
Seien Sie unbesorgt, der Macaire wird alles erfinden, was Sie nur wollen. Er wird Beefsteaks aus Dreck machen und Stiefelsohlen aus Erbsenpüree.«
Der Mann kommt uns bekannt vor, wie? So bekannt wie der einflußreiche Beamte, der sich durch Vergebung von Konzessionen einen bescheidenen Nebenverdienst von etlichen tausend Mark im Jahre verschaffen muß, weil er sonst in die bittere Notlage versetzt wäre, mit einem Gehalt auszukommen, von dem sich dreißig Arbeiterfamilien ernähren könnten. Der Macaire erinnert uns auch an die Inhaber von Namen, die monatelang zum festen Bestand der Schlagzeilen am Kopf unserer großen Zeitungen gehörten und diesen Vorzug höchstens dem Wort »Skandal« streitig machten. Daß die soziale Moral, die sich derart in Schlagzeilen Luft machte, wiederum ein profitables Unternehmen moderner Macaires war, dürfte für das Organisationstalent dieser Mehrwert heckenden Zeitgenossen ein trefflich Zeugnis ablegen.
Aber der Robert-Macaire-Typ ist auch unter den »kleineren Leuten« anzutreffen. Wir erkennen ihn wieder in der Person des unsterblichen Salben-Wundermannes: »Jetzt, meine Damen und Herren, zeige ich Ihnen weniger außergewöhnliche Salben, die aber trotzdem nicht weniger nützliche sind. Hier die berühmte Pomade, die das Wachstum der Haare fördert ... Ich bin der einzige, der sie derart vervollkommnet hat. Ich habe die Wüsten durchquert, ich habe wilde Tiere bezwungen, ich habe ihr Mark gewonnen, ich habe es mit Vegetabilien und Mineralien gemischt, und so ist es mir gelungen, in einem Monat auf dem Haupte des kahlsten Menschen einen Haarwald sprießen zu lassen, in dessen Schatten zwei Kürassiere mit ihren Frauen sich vor Sonnenstrahlen schützen könnten. – Da, mein Herr, schauen Sie! ... Das ist ein Töpfchen mit Pomade ... da, sehen Sie die Haare auf dem Pergament, das es bedeckt! ... Richtige Haare! ... Das Töpfchen wird nicht hermetisch verschlossen sein; die Ausdünstung meiner Pomade ist nach außen gedrungen, und ihr Aroma hat genügt, um auf dem Stück Pergament Haare wachsen zu lassen ... Wenn ich meine Pomade zusammenbraue, bin ich gezwungen, mir das Gesicht mit einer Gasmaske zu bedecken, andernfalls würden die Ausdünstungen Haare auf meinen Wangen hervorzaubern ...«
Von der Salbe zur Homöopathie ist nur ein Schritt: »Homöopathie! ... Schon der bloße Name tut Wunder; niemand wird es verstehen ... Und dann nichts einfacher als dieses ... Gleiches durch Gleiches ... Similia similibus. Das ist die ganze Wissenschaft. Die menschliche Rasse ist im allgemeinen äußerst stupide ... Wir werden sie auf stupide Art behandeln ... Gleiches durch Gleiches.«
Wenn alle Stränge reißen, kann sogar der Emigrant ein erstrebenswerter Beruf sein. Das Paris vor hundert Jahren wimmelte genau so von »verfolgten Polen« wie das heutige von »verfolgten Russen«, nur daß es heute Ausreißer zaristischer Couleur sind, während es damals Opfer des Zarismus waren. Frankreich war, bis es von Preußen-Deutschland in das andere Lager gedrängt wurde, ausgesprochen russenfeindlich, und es hatte Grund dazu. Mit um so größerem Interesse verfolgte es die Befreiungsversuche der Polen. Im Stadium der Reaktion im eigenen Lande mußte diese Polenschwärmerei albern und verlogen wirken. Und es war nicht anders als recht und billig, wenn Robert Macaire sich den Parisern als polnischer Revolutionsheld vorstellte:
»Er trägt Talmiketten, hat einen schrecklichen Hut und stolziert in hohen Stiefeln einher. Er hat einen ans Wunderbare grenzenden Instinkt im Aufspüren jener seltsamen Patrioten, die von einem warmen Mitgefühl für die Leiden aller Länder (außer ihrem eigenen) erfüllt sind; die für ein Unglück in Paris keinen Sou hergeben würden, aber ihr letztes Hemd verkaufen, um einem Wilden vom Orinoko oder einem Angehörigen vom Stamme der Papusen zu Hilfe zu kommen.«
Macaire findet das Geld in den verstecktesten Winkeln. Er ist ein Wohltäter. Wenn du ihn brauchst, etwa als Rechtsbeistand, und du hast nichts mehr als ein Hemd auf dem Leibe und ein Paar noch leidlich ganze Stiefeln an den Beinen, Macaire ist mit deinem letzten Hemd und mit den Stiefeln zufrieden. Gehe barfuß, das ist gesund.
Macaire dort, Macaire hier. Macaire ist auch Minister. Was für eine hübsche Glosse das geworden wäre! Aber an ihrer Stelle finden wir in dem Macaire-Büchlein von Rousseau nur die folgende Stelle: Vignette von der Zensur verboten.
»Unser Drucker, der zufällig von diesem Kapitel Kenntnis erhielt, weigert sich, es in Satz zu geben. Wir sind also leider gezwungen, diesen glänzenden Abschnitt ausfallen zulassen!
Dieser Mißbrauch der Zensur ist ungeheuerlich! Wir verlangen Gerechtigkeit! Und deshalb wenden wir uns auch nicht an die Regierung.«
Macaire ist der Typ des Profitmachers. Also wird er existieren, solange der Profit die menschliche Gesellschaft regiert. Er ist nicht umzubringen, solange die bürgerliche Weltordnung besteht. Er gehört zu ihr wie der Zuhälter zur öffentlichen Dirne.