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Kaufmannshafen

Köbenhavn = Kopenhagen.

Das Fischerdorf, wo Germund sich niedergelassen hatte, wurde von alters her nach dem guten Ankerplatz zwischen der Küste und einigen vorgelagerten Holmen an der Mündung des Baches Hafen genannt.

Hier blieb Germund liegen, und aus dem bewaffneten Frieden, den er dem Fischerdorf sicherte, aus dem Fischmarkt und Bruder Parvus' Tätigkeit, entwickelte sich mit der Zeit eine Stadt. Das Verdienst der Fischermädchen darf auch nicht vergessen werden, ihnen verdankt der Kern der Stadtbevölkerung seinen Ursprung.

Als der Herbstmarkt vorbei war und das Fischerdorf wieder ruhig dalag, während von dem wimmelnden Menschengedränge keine anderen Spuren nachgeblieben waren als die leeren Buden oder die Plätze, wo sie gestanden hatten, wodurch ganze öde Straßen bezeichnet wurden, gab Germund sich Betrachtungen hin, die von Gesprächen mit Bruder Parvus genährt wurden, und schließlich ging er zum Dorfkönig und verschaffte sich ohne Schwierigkeiten das Fischerdorf und die vorgelagerten Holme als Lehn. Selbigen Winters noch baute er sich einen befestigten Hof im Dorf als Aufenthaltsort und zum Schutz für seine Schiffe.

Germund hätte im Normannenheer bleiben und sich ausländische Besitztümer verschaffen können; er hätte auch kriegerisch gegen die seeländischen Bauern vorgehen und sich ein Reich in Ostseeland gründen können, mit oder ohne Erlaubnis des Dorfkönigs, aber es war nicht nach seinem Geschmack, an dem Recht der Bauern zu rühren, war er doch selbst einer von ihnen; was sie besaßen, sollte ihr eigen bleiben. Außerdem hatte Germund sich ein neues Gefühl für das Land hier in der Gegend, für den Wald und die Küste angeeignet, das noch unklar, aber doch stark genug war, um seine Handlungen zu bestimmen, ein Gefühl, das seinen Ursprung in Gevn hatte und ihn lehrte, daß man seine heimatliche Erde auch besitzen könne, ohne daß sie einem just gehörte. Darum wählte er das Fischerdorf mit allem, was er davon in Zukunft erhoffte, als denjenigen Ort, der ihm die größte Unabhängigkeit zu bieten schien.

Er hatte mit angesehen, wie sich hier die Elemente zu einer Stadt versammelten und wieder zerstreuten; von seinen Reisen im Süden wußte er, was eine Stadt bedeutete, und jetzt begann er davon zu träumen, eine hier im Hafen erstehen zu sehen, eine Ostseestadt, eine Schifferstadt, eine Stadt vorläufig auf dem Wasser, aber sie würde schon werden! Wo er draußen auf den Holmen zwischen dem Weidengebüsch Spuren von jungen Paaren fand, dachte er sich häusliche Herde; landeinwärts, wo Sumpf und Gehölz in dichten alten Wald übergingen, mit Seen in seiner Mitte, aus denen der Bach kam, der den Hasen bildete, stellte er sich Mauerzinnen und Türme vor! Masten aus aller Welt im Hafen!

Er sah, daß Bedingungen, um die Einwohnerschaft zu einer Stadt zu sammeln, durch die Verhältnisse in den Harden bereits gegeben seien. Die Harden hatten sich selbst überlebt, es gab keine Möglichkeit zum Wachstum mehr, die Erneuerung mußte von außerhalb des Bestehenden kommen. Das Bestehende aber waren die Freien, die Bauern und ihre Untergebenen, die ihnen gehörten, daran war nicht zu rütteln!

Außer diesen beiden Grundklassen aber hatte sich schon seit langem eine Menge loses Volk in den Harden herumgetrieben, keine Freigeborenen, aber auch keine eigentlich Abhängigen, kleine Leute, Fischer, Salzsieder, Handwerker und Häusler, Trapper und Wandersleute, bis zu Bettlern hinunter; alle diese hatten sich mit der Zeit so vermehrt, daß sie die eigentlichen Grundbesitzer an Anzahl weit übertrafen, obgleich man überhaupt gar nicht mit ihnen rechnete. Solange die Fischmärkte dauerten, ließen sie sich in den Dörfern längs der Küste nieder, wo sie sich eine Zeitlang durch die verschiedenen Gewerbe, auf die sie sich verstanden und für die hier Absatz war, ihr Brot verdienten; wenn die Märkte zu Ende waren, fielen sie wieder in ihren Mangel zurück. Wenn man diese sammeln und ihnen eine Freistatt und Gelegenheit zum festen Wohnsitz im Hafen geben könnte, dann wäre die Grundlage zu einer Stadt da! Die Überschüssigen, die Waldkinder, die sonst zu Wikingen wurden und auswanderten, konnten sich hier zu einem Gemeinwesen sammeln, ohne den Alten zu nah zu treten und ohne abhängig zu sein. Das war Germunds Gedanke. Er fand tiefes Verständnis bei Bruder Parvus.

Die erste Grundlage war schon durch Germunds Übereinkunft mit der Bevölkerung und den Kaufleuten, wozu er die Einwilligung des Königs hatte, gegeben. Schon im ersten Winter, als bekannt wurde, daß Germund blieb und der Platz also gegen Überfälle von der See her geschützt sei, war viel Volk zum Fischerdorf geströmt. Bruder Parvus' Gemeinde wuchs von Tag zu Tag.

Wie Germund vorausgesehen hatte, leisteten die Bauern keinen bewußten Widerstand gegen das, was er und Bruder Parvus im Hafen vorhatten; für sie gab es überhaupt keine andere Lebensform als ihre eigene, sie sahen gar nicht, daß etwas anderes vorging. So hielten sie zum Beispiel Handwerk als Beruf für etwas Verächtliches; von ihren Vätern hatten sie gelernt, daß es zur Beschäftigung jedes freien Mannes, ja, zu seiner Freiheit gehöre, alles, was er brauchte, selbst zu verfertigen; daß es Leute gab, die sich herabließen, Schuhzeug für andere Füße als ihre eigenen zu machen, und daß jemand sich entschließen konnte, es zu tragen, das betrachteten sie ganz einfach als neumodische Narretei. Daß Handwerker einen ganz neuen Stand und eine neue Erwerbsquelle bilden konnten, leuchtete ihnen nicht ein. Sogar für den Handel hatten sie nur insofern Interesse, als er ihren eigenen Betrieb anging. Ließ man sie nur ungeschoren bei ihrer Jagd, ihrem Spiel und Nachtschlaf, während die Sklaven das bißchen Arbeit verrichteten, das auf dem Hof getan wurde, dann konnte der Rest der Menschheit sich ihrethalben gern wie Ameisen in den Städten zusammenrotten. Sie standen still, während man im Hafen vorwärtszuschreiten begann.

 

Für Germund und Bruder Parvus kamen jetzt geschäftige Jahre. Obgleich Germund es nicht der Mühe wert hielt, über die neue Lehre zu grübeln, die Bruder Parvus verbreitete, so beugte er sich doch vor seiner Menschenliebe und sah wohl ein, daß seine Verkündigung ein vorzügliches Bindeglied zwischen verschieden gearteten Menschen sei und sie von gegenseitiger Vernichtung zurückhielt.

Darum stand er Bruder Parvus auf alle Weise bei und war fast ebenso froh wie dieser, als sie an Stelle der ersten kleinen Marktkapelle eine ordentliche Kirche bauen konnten. Sie wurde St. Nikolaj, dem Heiligen der Seefahrer, geweiht. Mit Njord war es für immer vorbei. Im selben Jahr bekam Bruder Parvus das Pallium, er war kein gewöhnlicher Mönch, und von da an schickte er jedes Jahr eine nicht unbedeutende Summe als Papstgeld nach Rom. Germund sorgte dafür, daß sie sicher ankäme.

Die Kirche war noch weit davon entfernt, solch ein vollendetes Bauwerk zu sein wie die großen Gotteshäuser im Süden, von denen Germund verschiedene gesehen hatte, meistens allerdings im Licht der Feuersbrunst, die sie zerstörte. Das war damals. Jetzt beteiligte er sich selbst daran, eine Kirche im Hafen zu errichten. Noch war sie nicht grundgemauert, sondern nur aus Holz, aber hübsch gezimmert und so hoch wie der größte Balken reichte.

Das Muster zum oberen Teil hatte Germund sich selbst ausgedacht, hier waren die Balken zu Bogen zusammengebunden und verankert, eine Erfahrung aus der Schiffbaukunst, so daß eine lange Wölbung aus Holz entstand, ganz wie die Spanten eines Schiffes, das auf dem Kopf stand.

Unten saß die Gemeinde wie auf den Ruderbänken eines Schiffes und segelte in gutem Glauben auf der Stelle, während die Orgel wild über ihren Köpfen stürmte und der Weihrauch wie ein Traum von schönen, fernen Reichen durch ihre Seele zog.

Die Bauern grinsten, ach ja ja, wenn sie von dieser andächtigen Fahrt drinnen in der Stadt hörten. Wenn sie sich aber von der vielen Gleichheit für alle erzählen ließen, die zwischen den Dummen im Hafen im Schwange war, dann grinsten sie noch mehr, und die Geringschätzung leuchtete ihnen aus dem ganzen Gesicht. Was sie betraf, so blieben sie bei dem Methorn, das war entschieden das Bequemste, wenn man sich Seligkeit wünschte, und was Gleichheit und Gemeinschaft anbetraf, so zogen sie ihre üppigen Opferfeste den kleinen bescheidenen Mahlzeiten vor, mit denen Bischof Parvus seine Anhänger abspeiste.

Die Kobolde saßen in der Dämmerung auf den Dolmen um Kaufmannshafen herum und lachten – bis die große neue Glocke von St. Nikolaj zu läuten anfing, da fühlten sie ein ungeheures Kitzeln im Ohr, husteten verlegen und schossen kopfüber in die Erde. Die Zeit der rohen Urbauern war vorbei.

Der größte Teil eines ganzen Wäldchens ging als Zimmerholz für die Kirche drauf, aber es hätte auf alle Fälle als Baugrund für die Stadt gefällt werden sollen. Die Vögel wurden heimatlos und suchten andere Gegenden auf. Nur die Schwalbe fand sich auch in der Kirche zurecht, wo sie ihr Nest oben unter den Dachsparren baute und im Weihrauchnebel mit zartem, nichtsahnendem Kwiwit hin und her flog, während Bischof Parvus Messe hielt. Denn die Schwalbe führt ihr kleines Himmelreich bei sich, wo sie auch wohnt, sie ist selbst Paradies.

Der Bau der Kirche hatte weitreichende Folgen, indem er auf Jahre Handwerker jeder Art beschäftigte, die wiederum Scharen von Handelnden nach sich zogen. Die fremden Künstler, die Bischof Parvus zum Bau der Kirche verschreiben mußte, brachten Fertigkeiten mit, die bisher im Norden ganz unbekannt gewesen waren. So bekam die neue Kirche Fenster aus Glas; Leuten, die an die urzeitdüsteren Bauernhütten gewöhnt waren, erschien dies wie der klare überbaute Tag!

Mit der Zeit sah man viele dunkelfarbige hübsche Menschen in den Straßen von Hafen. Jedes neue und ferne Ding kam zur Stadt, bald gab es keine ausländischen Gegenstände und Luxuswaren mehr, die man dort nicht kaufen konnte, von spanischem Salz bis zu schönen saffianledernen Hosen. Den Sklavinnenmarkt hatte Bischof Parvus dagegen verboten, und die gefangenen Frauen, die in der Stadt waren, mußten von den Besitzern freigegeben werden; zum Teil siedelten sie sich später in den Gassen um die Kirche von St. Nikolaj an, deren Vorliebe für Seefahrende sie teilten, und wo sie ein sehr hohes Alter erreichten, einige wurden sogar über tausend Jahre alt.

Fortschritt und neue Dinge wälzten sich über die Stadt herein, eine Woge nach der andern. Es war ein Gerenne auf den Straßen, Leute gingen aneinander vorbei, als ob sie Luft seien, kannten sich nicht, standen nicht still, um zu gucken, das war geradezu unmenschlich. Die Bauern hielten sich lange zurück, schließlich erlagen sie aber der Versuchung vor den Krämerläden in der Stadt und bequemten sich nun auch ihrerseits zu einem Handel, so daß Hafen, nachdem es schon lange eine Weltstadt geworden war, schließlich auch von seiner nächsten Umgebung als daseinsberechtigt anerkannt wurde.

Seefahrt, Handel und Gewerbe blühten in Hafen. Es hatte eine Grenzlinie um sich herumgezogen, die später zu Festungswerken werden sollte; bis dorthin ging das Recht der Bürger nach der Landseite, nach der Seeseite aber ging es bis ans Ende der Welt. Die Straßen in Hafen, die früher nur der Marktzeit angehört hatten, fingen an beständig zu werden, die Buden wurden von Häusern abgelöst, die reisenden Kaufleute wurden seßhaft, die Bevölkerung aller Ostseeküsten kam und ging durch Hafen wie durch ein Tor, die Welt war nach Hafen gekommen.

 

Noch immer reiste Germund viel, war fast jeden Sommer auf weiten Seefahrten. Er hätte sich zu Hause genug betätigen können, aber im Frühling, wenn die blauen Waken im Sund barsten und zu wogen und hüpfen begannen, als wären sie ein Stück Himmel, das heruntergefallen sei und sich buchtete und wölbte, als wolle es wieder himmelwärts, dann konnte er nicht mehr stillsitzen. Und hatte er erst Befehl gegeben, Teer zu kochen, und war durch den lieblichen Waldgeruch das frühzeitige Verlangen nach Sommer in ihm geweckt worden, dann kam auch die Meersehnsucht über ihn, fremde Küsten riefen, die Schiffe schaukelten im Strom, und eh man es sich versah, war Germund auf und davon!

Doch zog er jetzt friedliche Kaufmannsreisen den Wikingerfahrten vor, obgleich er immer gerüstet war. Der Rabe, den er in früheren Zeiten mit Vorliebe betrachtet hatte, wenn er von einem getöteten Feind zum andern wackelte und sich an dem ersten Bissen, den kaum gebrochenen Augen der Gefallenen, gütlich tat, war ihm ein einförmiger Vogel geworden; Totschlägen war auf die Dauer ein langweiliges Einerlei; Germund hatte eigentlich nie Sinn dafür gehabt, außer in der Schlacht, wenn man von Odin besessen war, und das war jetzt vorbei, Odin war nicht mehr in seinen Adern. Statt des ewigen Mordens, für das ja außerdem jeder Talent haben konnte, sagte es ihm als reifem Mann besser zu, sich etwas auszudenken, was zwischen Menschen sonderte und für ihr Schicksal folgenreicher war, als das Totschlagen einzelner.

Er und Bischof Parvus hatten die Köpfe zusammengesteckt und etwas ausgeklügelt, was ihrer Meinung nach bis in späte Geschlechter Früchte tragen würde, während nach einer Schlacht nichts anderes übrigblieb als Gräber: einen Wechselbetrieb mit den christlichen Ländern im Süden. Diese brachten viel und billiges Salz hervor und verbrauchten eine Menge Fische in der Fastenzeit, man brauchte also nur mit Öresund-Heringen hinunterzufahren und das Salz, mit dem sie zubereitet wurden, zurückzufrachten; auf diese Weise wurde beiden Teilen geholfen, Hafen aber wurde durch die Vorteile dieses Austausches eine ansehnliche Stadt. So kann man sich durch das Fasten anderer Leute nähren. Und so drang Germund dennoch zu dem Wert der Diamantberge durch, die er mit den Märchenaugen seiner Jugend in Spanien gesehen und die ihn damals so enttäuscht hatten, weil sie nur aus Salz waren.

Viele Jahre beschäftigte Germund sich mit den Verbesserungen seiner Schiffe und brachte es nach und nach weit in der Kunst des Kreuzens, wodurch man nicht auf günstigen Wind zu warten oder seine Mannschaft an den Riemen zu überanstrengen brauchte, sondern mit Segeln auch gegen den Wind vorwärtskommen konnte, wenn man sie nur danach stellte und sich entschloß, die gerade Linie zum Ziel aufzugeben.

 

Während Germund auf See war, stand Gevn dem heimatlichen Betrieb vor. Einmal schlug sie in seiner Abwesenheit eine Bande fremder Wikinge zurück, die für verschiedene Waren in Hafens Speichern Verwendung zu haben meinten. Jedes Jahr verkürzte sie die Wartezeit bis zu Germunds Rückkehr damit, daß sie Schanzen und Palisaden um die Stadt baute, bis sie schließlich ringsherum befestigt war. Sie verwaltete die großen Güter, die zum Lehen gehörten. Sie konnte gut rechnen. Schon als Fischermädchen hatte sie eine Vertrauensstellung unter ihren Arbeitsgenossinnen im Dorf eingenommen, weil sie zählen und ihre kleinen Abrechnungen in Ordnung halten konnte.

Als Gevn ihr erstes Kind bekam, offenbarte ihre Mutter ihr, daß sie eine Tochter von Regner Lodbrog sei. Gevns Mutter, die Zeit ihres Lebens Fischermädchen gewesen war, hatte es bis dahin verschwiegen, weil sie es für eine Schande hielt, jetzt aber war sie alt genug geworden, um es an den Tag kommen zu lassen. Die Geschichte stammte von damals, als König Regner in der Gegend zu Besuch gewesen war. König Regners Vorliebe für Fischermädchen war allgemein bekannt, Gevns Mutter gab ihr aber außerdem als Erkennungszeichen noch eine lange Haarlocke, die sie im Dunkeln vom Kopf ihres Geliebten geschnitten hatte, um ihn später wiederzuerkennen; sie erfuhr nämlich erst hinterher, daß es der König gewesen sei. Die Locke war zart und seidenfein, solch schönes Haar hatte kein anderer als König Regner. Und jetzt begriff Germund, woher Gevn die scharfen Augen hatte, die mit den Wimpern und den hellen Brauen eins zu sein schienen, und es wurde ihm klar, weshalb er König Regner damals im Normannenheer vom ersten Augenblick an geliebt hatte.

 

So lebten sie ihr Leben in Dänemark, das Leben der Jahreszeiten, für Germund ein rastloses Hin und Her in dem Rhythmus, den Schiff und Woge und das menschliche Herz haben, für Gevn die gesunde Ruhe, wo das Heranwachsen der Kinder die Zeit ausmißt. Gevn blühte und breitete sich wie ein Rosenbusch.

Im Winter blieb Germund zu Hause. Die langen Winter in der Stadt waren jetzt nicht mehr so unmenschlich lang wie seinerzeit in den eingeschneiten, rauchgefüllten Hütten, die die Bauern noch benutzten und wo sie wie Dachse im Winterschlaf lagen. Germund ging während der strengen Winterabende zur Schule, saß mit seinen Jungen zusammen und schrieb große schiefe Buchstaben, um klüger zu werden. Er fand, daß A einem gewappneten Krieger glich, O dagegen einer Frau, ihrem heidnischen Merkzeichen, dem Frejazeichen; diese beiden Buchstaben schienen ihm am häufigsten in allen Büchern wiederzukehren.

Bischof Parvus hat ihn nie von seinem Glauben überzeugen können, obgleich Germund ihm durch Handlungen recht gab; der alte Wiking hatte eine zu irdische Sehnsucht, um sich an Vorstellungen eines anderen Daseins als das, das er kannte, zu verlieren. An das Himmelreich glaubte er bis zu seinem Tode als an eine handgreifliche Welt. Das Land der Jugend fand er in seinen Kindern. Dieses und die Insel der Seligen überlieferte er seinem Geschlecht von Glied zu Glied als ein Geschenk der Phantasie und Entwicklung. Wie er sich nie zu den heidnischen Göttern bekannt hatte, so wurde er auch nie Christ. Sonst aber bestand eine unveränderliche Freundschaft zwischen den beiden Grundlegern, solange sie lebten.

Von Bischof, später Erzbischof Parvus, ist zu berichten, daß er ebenso wie sein Vorgänger Ansgar zu seinem Leidwesen nicht dazu kam, sein Leben durch eine Märtyrerkrone abzurunden; kein Nordländer, und war er noch so heidnisch, verfiel darauf, dem kleinen wohlwollenden und klugen Mann ein Haar zu krümmen.

Germund schätzte ihn seiner Sanftmut und Menschenliebe wegen höher als irgendeinen anderen. Selbst seine Schwächen, die er nicht übersehen konnte, waren ihm lieb. Die Furchtsamkeit, die er selbst als hoher Prälat bewahrte und nicht verbarg, flößte Germund eine Art Bewunderung ein. Der Erzbischof war sehr ängstlich bei Gewitter, er, der doch auf dem Markt eine übernatürliche Kraft bewiesen hatte, indem er glühendes Eisen in seinen Händen trug. Germund, der nicht mehr an Thor glaubte, stand inmitten der Blitze mit dem ruhigen Gefühl, daß er im nächsten Augenblick tot sein könne, einem Gefühl, das ihm nicht fremd war; aber während der Regen strömte, konnte er den Erzbischof wie ein elendes Menschenkind, das von der Natur zu Boden gedrückt wird, in vollständiger Vergessenheit seines Gottes auf der Erde kriechen sehen; und es schwebte ihm eine bewundernde Ahnung der Größe dessen vor, daß ein Mensch er selbst zu sein wagt.


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