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Nach der Einnahme von Luna stachen die Lodbrogsöhne wieder in See, keineswegs mutlos, weil ihre Hoffnung diesmal fehlgeschlagen war; jetzt kannten sie eben aus Erfahrung einen Ort mehr, wo die glücklichen Inseln nicht gesucht werden mußten; sie hielten ihre Sache durchaus nicht für verloren. Auf Grund der Erfahrungen aber, die sie gesammelt hatten, glaubten sie, daß die Inseln anstatt östlich, eher in einer anderen Gegend des Weltmeers jenseit der Straße von Gibraltar, westlich oder südlich von Mauretanien gesucht werden müßten.
Es kann indessen nicht geleugnet werden, daß die Sehnsucht der jungen Wikinge eine Veränderung erlitten hatte, sie war weniger frisch. Der Aufenthalt im Süden war nicht spurlos an ihnen vorübergegangen. Die Wärme, nach der sie so heftig verlangt hatten, wurde ihnen nach und nach zu einer Bürde, besonders die Augen fingen an darunter zu leiden, sogar die Jüngsten hatten Runzeln bekommen, weil man die Augen bei der starken Sonne beständig zukneifen mußte. Dem entsprach auch ein gewisser innerer Mangel an Spannung, der weit von dem unersättlichen Weltappetit entfernt war, der sie seinerzeit aus der Heimat fortgetrieben hatte. Ohne e6 zu wissen waren sie am Ziel ihrer Träume gewesen und kehrten jetzt von dort zurück. Die Hoffnung war geblieben, aber sie hatten sie ihres Inhalts entleert.
Durch eine beginnende Haltlosigkeit im Heer kam dies Verblühen zum Ausdruck. An Stelle des überzeugten Zielbewußtseins der Träume, das jedem einzelnen Haltung gegeben und sie in schwellender Einheit verbunden hatte, war Selbstbewußtsein im kleinen getreten, jeder einzelne trachtete nach seinem privaten Himmelreich, das recht bescheiden war: er wollte sein bißchen Willen durchsetzen. Der Geist auf den Schiffen war im Begriff zu verfallen. Ein Teil ergab sich dem Trunk, was bekanntlich der naheliegendste Richtweg zum Himmelreich ist, die Mehrzahl lehnte sich gegen den Zusammenhang an Bord auf. Reibungen und Zweikämpfe um Beute, hauptsächlich bei Verteilung der weiblichen Gefangenen, waren an der Tagesordnung. Man gab sich nicht mehr damit zufrieden, seinen Anteil wie sonst durchs Los zu bekommen, man wollte selbst nehmen, es gab keinen noch so jungen Fant an Bord, der sich nicht übers Schiffsgesetz erhaben fühlte, ein fürstliches Gefühl natürlich, das indessen zur Folge hatte, daß das Heer geschwächt wurde und vorm Feind nicht mehr viel wert war.
Die vorzügliche persönliche Form, die die Krieger von Haus aus gehabt hatten, war auch im Begriff, sich aufzulösen; einige waren von ungesunden Strapazen abgemagert, andere von Fett, in dem kein Halt war, aufgedunsen. Statt der groben nordischen Kleider, die dem Zweck, den Körper gegen das Wetter zu schützen, entsprachen, überluden sie sich mit Seide und Scharlach, salbten sich sogar wie die Orientalen mit Moschus und Myrrha, so daß sie nach ganz anderen Tieren rochen, als sie in Wirklichkeit waren. Die Todesverachtung war just nicht im Abnehmen, wohl aber die Sieggewißheit, mehr und mehr fielen in den Schlachten, nicht weil es ihr Schicksal gewesen, sondern weil die Unsterblichkeit im buchstäblichen Sinn in ihnen gebrochen war. Die Mannschaft auf der Flotte schmolz bedenklich zusammen.
Da kam der große Schiffbruch. Es war in der Nähe der Straße von Gibraltar, wo über die Hälfte der Flotte mit einem ungeheuren Verlust an Menschenleben, Gefangenen und Gut unterging. Als dies geschah, war man noch nicht auf dem Heimweg, hatte die Reise nach den glücklichen Inseln noch nicht aufgegeben, nach dem Unglück aber wollten die, die es überlebt hatten, nach Hause. Unbedingt.
Bitter war der Tag, als sie, in einem Orkan, der sie durch die Straße von Gibraltar trieb, während ein rasender Strom ihnen entgegenkam und am Herauskommen verhindern wollte, zusehen mußten, wie ein Schiff nach dem andern den Kampf hoffnungslos aufgab und in den Wogen verschwand.
Schwer war es, später an die erhobenen, sinkenden Arme der Freunde in dem schäumenden Meer zu denken. Dort ertrank über die Hälfte der Normannen. Diesen Unwettertag bei der Klippe von Nörvasund, die im Meerrauch verschwand, überlebte niemand, ohne freundlos zu werden.
Einen unersetzlichen Schaden erlitten die Wikinge durch den Verlust all der Reichtümer, die sie durch monatelange Lebensgefahren und Kriege erworben hatten, unersetzliche Kostbarkeiten, südländische Kleider und Schmucksachen von herrlichster Arbeit, wunderbare spanische Waffen, Räuchergefäße, Meßgewänder mit Kreuzen von echtem Goldbrokat, schöne karfunkelbesetzte Altarbücher, mauritanische Stoffe und Lederarbeiten, Zaumzeug und Steigbügel mit Silber eingelegt, Klosterkleinodien aus Südfrankreich, Kruzifixe, gestickte Altardecken, Leuchter, Monstranzen, gegossene und geschnitzte Bilder, Heiligenschreine, Kelche aus Gold und Silber, außerdem bares Geld in Scheffeln; für viele hörte beim Gedanken an all die Schätze, die jetzt auf dem Meeresgrund lagen, das Tageslicht zu scheinen auf.
Die Muspelsöhne bekamen an jenem Tag schmale Lippen; hätten sie Tränen im Kopf gehabt, würden sie sie mit Blut als Zugabe vergossen haben. Denn sie waren große Sammler, die tätigsten auf der Flotte. Zu Anfang der Seefahrt, als sie noch grün waren, hatten sie gierig alles mögliche rostige Gut auf die Schiffe geschleppt, hatten Nägel aus den Häusern gebrochen und mitgenommen, bis die Schiffe am Sinken waren; dann entdeckten sie, daß Silber besser sei, und warfen all ihr Eisen über Bord, luden jetzt ausschließlich Silber ein und füllten die Schiffe damit. Natürlich lernten sie bald, daß Gold, Kleider und Gefangene noch besser seien; sie waren nach und nach die Reichsten auf der ganzen Flotte geworden. Und jetzt mußten sie mit eigner Hand ihre Schätze über Bord werfen, um die Schiffe zu entlasten, und noch dazu froh sein, daß sie das nackte Leben retteten. Mit leeren Händen waren sie ausgereist, mit leeren Händen kamen sie zurück, nachdem alle Reichtümer der Welt durch ihre Finger gegangen waren.
Keiner vergaß so leicht den jammervollen Anblick, als die Gefangenen auf den überfüllten Schiffen die gefesselten Hände in die Höhe reckten und um ihr Leben miauten, bis die Wogen ihnen auf den Mund schlugen und sich über ihren gebeugten Köpfen schlossen. Das Todesgebrüll des Viehs im Sturm! Die schönen arabischen Pferde, die vor ihrem engen Spilltau, das quer durch die Schiffe ging, stumm mit hocherhobenen Köpfen vor den Wogen standen, die Nüstern gebläht, mit blutunterlaufenen Augen, bis sie sich im Wahnwitz losrissen und geradeswegs in das nasse Grab sprangen! Es war nicht, als ob einige Tiere umkamen, sondern als ob das Pferd selbst, das letzte Pferd der Welt, seinen Tod in den Wogen fände.
Das unerbittliche Meer nahm natürlich vor allem die Schiffe, die am schwersten geladen waren – doch mit einer Ausnahme: König Haasteins Schiff, das schwerste von allen, bis an die Reling mit Raub und Kostbarkeiten geladen, das hielt stand!
Warf er ein einziges Lot edles Metall über Bord, opferte er irgendeiner ihm bekannten oder unbekannten Macht, der oben oder in der Unterwelt, einen Pfennig, um dem Sturm standzuhalten? Keineswegs. Als er aber am härtesten bedrängt war und Rettung unmöglich schien, erinnerte er sich des Geschmacks hier in den Mittelmeerländern, der fetten Mundwinkel der Eingebornen, und spendierte dem Meer ein Faß Öl. Und allsogleich legten sich die Wogen! Sieh, sieh, die Götter des Meeres liebten also wirklich wie alle Südländer das Öl, es war ihnen gern gegönnt, auf noch ein Faß sollte es ihm nicht ankommen. So fand Haastein sich mit dem Meer im Süden ab und brachte sein Schiff, das selbst bei ruhigem Wetter dem Versinken nah war, glücklich durch das Unwetter.
Der Sturm aber war ein Reinigungsbad für die Normannen, war die Meerprobe, die von Anfang an zwischen ihnen gewählt hatte und die auch jetzt zwischen ihnen entschied. Nur die ihr standhielten, sollten den Norden wiedersehen. Den Rest behielt das Meer.
Die Verlebten, die Trunkenbolde, deren Seelen durch Trinken mürbe geworden waren, die Kitzligen, die das rauhe Leben nicht mehr schätzten, die Erloschenen, die keine Willenskraft mehr besaßen, von den Vielfressern gar nicht zu reden, die für Bauch und Riemen nicht mehr Platz auf der Ruderbank finden konnten, sie alle sammelte das Meer zu einem Bund in seiner Hand und bog sie, und wer den geringsten beginnenden Schaden hatte, geistig oder körperlich, mit dem er auf dem festen Boden vielleicht alt geworden wäre, der brach bei der Meerprobe zusammen, sank und kam nicht wieder zum Vorschein.
Was übrig blieb, waren fehlerfreie Männer, die ebenso gesund aus der Straße von Gibraltar herauskamen, wie sie hineingefahren waren. Sie konnten noch wochenlange Nachtwachen vertragen und Tag und Nacht in Sturm und Strom auf einem offenen Schiff stehen, von eisigem Salzwasser durchtränkt, aber mit klarem Kopf, obgleich sie nur salzigen, stinkenden Speck als Kost bekamen und Regenwasser, das in einem geteerten Segel aufgefangen wurde, voller Hoffnung, wenn auch alle Hoffnung verloren schien, von innerem Leben kochend, solange das Wasser ihnen nur bis an den Hals reichte, und es mit einem Fluch von sich prustend, wenn es ihnen bis an den Mund ging. Nur reine, willensstarke Männer überlebten den Schiffbruch.
Und jetzt richteten sie ihren Blick zum Großen Bären hinauf, in einer plötzlich unwiderstehlichen Sehnsucht nach dem Norden. Schon lange hatte die Sehnsucht in ihrem Gemüt verborgen gelegen, vielleicht seit dem Augenblick, wo sie in die Welt hinausfuhren; jetzt brach sie mit Gewalt hervor.
Der Große Bär drehte sich in seiner vorgeschriebenen Bahn am Nordhimmel, bald im Gleichgewicht und bald schwankend, wie um sein Wesen auszudrücken; seine Sterne funkelten weit voneinander entfernt und einsam, und doch am Himmel zusammengehörend wie eine Geschwisterschar. Die Nordländer kamen sich vor wie verirrte Kinder, wenn der Große Bär über ihren Köpfen entzündet wurde, so nah und doch in der Fremde! Sie hatten das Sternbild zum erstenmal von Mutters Arm aus gesehen, noch bevor sie fassen konnten, was sie sahen; später hatte man ihnen erzählt, daß es der Große Bär oben im Himmel sei, und sie hatten deutlich sehen können, sahen es noch jetzt deutlich, wie er dort oben in der blauen Einöde mit bereiften Tatzen ging, immer luftig und allein, immer stumm und immer derselbe.
Und da lernten sie eine Sehnsucht, die sie zu Hause nicht gekannt hatten, die Sehnsucht nach den Winterwundern der nordischen Natur. Sie träumten, daß sie wieder auf dem rauhen Schnee gingen und ihn wie Eisen unter den Füßen klirren hörten, sie hatten Verlangen nach unendlichen, blendenden Schneefeldern, frostklaren Nächten mit Sternen überm Kopf und dem Sternenteppich von frischgefallenem, knisterndem Schnee unter den Füßen. Gespenstische Nächte mit Vollmond und geisterhaften Welten von meilenweitem Schnee, das gellende Geheul der Füchse durch die klingende Luft und ein sachtes Tröpfeln des Schnees von den Bäumen im Walde.
Die frischen, glücklichen Tage im Freien, wenn die Sonne den Reifnebel durchbrach und wie ein kaltes, weißes Feuer auf ihrer Bahn funkelte, wilde Wolfsjagden im Gebirge mit Hunden und Knüppeln! Meilenweite Wanderungen auf den zugefrorenen Sunden, ein Paar Tierknochen unter den Füßen festgebunden und in jeder Hand einen Stachelstecken. Aalfang fern von menschlichen Wohnungen, allein mit dem dröhnenden Eis, vom frühen Morgen, bis die gebrechlichen Sterne des Großen Bären aus der Dämmerung traten und die Eisdecke von Ufer zu Ufer den Mond und die zunehmende Kälte anzubrüllen begann!
Die großen Schneestürme, die Leute und Vieh wie lebendig begraben drei, vier Tage eingeschlossen hielten, bis alle Welt wie ausgestorben dalag, eine Urdüsternis, in der nur gewaltige Heere von Schnee aus allen vier Himmelsrichtungen zusammentrafen und eine Schlacht lieferten! Und wenn die eisigen Mächte dann endlich ausgekämpft hatten und man aus den Häusern kam, dann lag die Erde unter Bergen von Schnee begraben; von den Wohnungen war kaum eine Spur zu sehen, nur der Rauch, der aus einem bräunlichen Loch im Schnee kam, das mit langen, blitzenden Eiszapfen behängt war, wie ein Rachen voller Zähne. Die Nachbarn gruben sich gegenseitig aus, das Vieh stand in den Ställen wie in unterirdischen Höhlen und blickte die Leute mit klaren, mystischen Augen an. Ho!
Alles dies vermißten die Nordländer, wenngleich sie es nicht für möglich gehalten hatten, daß man so etwas vermissen könne. Mit dem Innersten ihrer Seele, dem, worin sie von anderen verschieden waren, sehnten sie sich nach Hause. Der Große Bär rief. Und das Blut, die Kindheit rief, es war nicht anders, dort oben im Norden war jemand, den sie wiedersehen mußten.
Bereits als sie in Mauretanien waren und Mohren schlachteten, hatte das Heimweh sich gemeldet. Die Chronik hat eine Bemerkung aufbewahrt, die einer der Lodbrogsöhne zu einem seiner Brüder machte, unmittelbar bevor sie in eine Schlacht gingen.
»Bruder,« sagte er, »es ist eine große Dummheit und Torheit, daß wir von einem Land zum andern durch die ganze Welt ziehen und uns selbst totschlagen, anstatt unser Heimatland zu verteidigen und dem Willen unseres Vaters zu gehorchen; er ist jetzt allein und fern von seiner Heimat, lebt in einem Lande, das nicht sein eigenes ist; der Sohn, den wir bei ihm zurückließen, ist ermordet worden, wie mir offenbart ist (es war ihm in einem Traum offenbart worden), und ein anderer Sohn ist in einer Schlacht gefallen. Wer weiß, ob Vater selbst der Schlacht lebendig entronnen ist!«
Die Chronik fügt hinzu, daß es sich ganz richtig so verhielt, wie ihm ahnte; Regner Lodbrog war tot, im Kampf gegen König Aelde gefallen, als seine Söhne von ihrer Fahrt nach dem Lande der Jugend zurückkehrten. Die Heimkehr im tieferen Sinn war ihnen versagt.
Tag und Nacht fuhren die Normannen bei günstigem und ungünstigem Wind, mit Segel und Riemen, um nach Hause zu kommen.
Sie hörten die Zugvögel in der Nacht, erkannten den Kiebitzschrei in der flötenden, rufenden, wilden Jagd über ihren Köpfen im Sternendunst, und bekamen ein wildes Verlangen nach den nordischen Ufern. Der Große Bär glänzte über ihrem Ziel im Norden, im Süden aber war die Welt verlöscht, lebte nicht mehr in ihren Gedanken; die Palmen und all das übrige Immergrün, die Feigen und das Trampeltier und die moschusduftenden Frauen, das alles lag nun unterm Horizont hinter ihnen, wie Dinge, deren sie sich wohl erinnerten und die sehr wirklich waren, mehr aber auch nicht.
Jetzt stand der Norden vor ihnen wie das Wunderbare, all die kleinen vertrauten Dinge, von denen sie sich so weit entfernt hatten, daß sie fürchteten, sie für ewig verloren zu haben.
Wie war es daheim in Schweden, konnte man noch nach Hause kommen und sich einen Löffel aus dem süßen Birkenholz schnitzen, wenn die Rinde sich im Frühling von dem triefend nassen Stamm löste, und gemeinsam mit dem Alten Buchweizengrütze aus einer Schüssel löffeln, ob Schwesterlein noch Kopf unten vor der Ziege stand und ihr blondes Haar mit dem struppigen Fell vermengte, während sie melkte, ob die kleinen Kühe mit den Holzschellen um den Hals noch im Wacholdergehölz grasten und nach etwas Grünem unterm Reif schnüffelten? Dampften in der Mittagssonne noch die kahlen, aufgetauten Flecken auf den Dächern der Häuser?
Ach, die Frauen in Northumberland, die so verlassen auf der Landzunge gestanden hatten, als man fortreiste, grau und betrübt im Nebel, ob sie noch immer dort standen? Die Lerchen in England, die grünen Wälle oberhalb der steilen Felsufer, wo das Meer tief, tief unten milchweiß schäumte, wo die Lerchen auf der luftigen Grenze zwischen Land und Meer schwebten – war das noch alles ebenso? Sie hatten nicht der Lerchen geachtet, hatten nicht verweilen können; ob der englische Frühling, dem sie untreu geworden waren, sie wieder aufnehmen würde?
Norwegen, sang es in den Riemen, wenn sie in den unendlichen Nächten taktfest in den Gabeln knarrten, Norwegen!
Die Männer saßen tagelang schweigend auf den Schiffen, jeder mit einem Bild vor dem inneren Auge, das sich mehr und mehr aufdrängte: irgendeine Landschaft, eine Küste oder eine Insel daheim, ein kleines Gehöft, eine einsame Besitzung im Walde, wo der Mann wieder und wieder Ausguck nach dem Wetter hielt und die alte Frau mit gesenktem Kopf auf dem Stein vor der Tür Korn zum Brot schrotete. Die nordischen, bodenlosen Wälder, überall offen und dennoch wie mit dem Riegel des Märchens verschlossen! Das Gnomengebrüll des Eises auf den Binnenseen zur Mittwinterszeit in den langen, schwarzen Nächten, der kühle, meilenweite Widerhall aus verschneiten Wäldern!
Und wenn es dann Sommer wurde, der liebliche nordische Sommer! Das Gaukeln des Kuckucks in den Tälern, der Liebeszauber der Frösche an den langen, ruhigen Abenden! Die hellen Nächte! Mädchen, die um die Mitternachtsstunde mit Tau im Haar draußen lustwandelten, und arme Burschen zum Narren hielten, lachlustig und schlagfertig solange mehrere beisammen waren, aber bebend still, wenn es einem glückte, mit ihnen allein zu bleiben in der hellen Nacht …
Gegen Ende der Reise saßen die Wikinge ganz stumm auf den Bänken, ruderten nur, ruderten aus allen Kräften, um nach Hause zu kommen.
Die Lodbrogsöhne fanden die Goldländer nicht, aber es scheint, daß der Ausflug sie gelehrt hatte, mit Ländern aus gewöhnlicher Erde und heimatlichen Steinen fürlieb zu nehmen, jedenfalls blieben sie den Rest ihrer Tage im Norden.
Die Träumerreise hatte ihren Glauben an das, was sie besaßen, gestärkt. Die Eroberungsarbeit in England schritt jetzt mit verdoppelter Kraft vorwärts; was König Regner vorbereitet hatte, vollbrachten die Söhne, Nord-England kam in festen normannischen Besitz.
Die Lodbrogsöhne wurden Könige und verknüpften nordischen Geist mit Heldentaten in England, Dänemark, Norddeutschland, Norwegen, Schweden und Rußland. Die meisten von ihnen bekamen den Tod nicht in gewöhnlichem Sinn zu schmecken, sie fielen auf Heerzügen in ihrer vollen Manneskraft, ihre Gestalten werden stets die Unsterblichkeit der leuchtenden nordischen Jugend bewahren.
Haastein verbrachte den Rest seines Lebens mit ununterbrochenen Kriegszügen zwischen Frankreich und Südengland, hin und her über den Kanal, hier und nirgends anders gedachte er sich festzusetzen. Nach den Reisen und königlichen Zerstreuungen seiner Jugend fand er Geschmack daran, durch langjährige, harte Arbeit an Ort und Stelle den Boden für eine kommende Jugend vorzubereiten, unzertrennbar von Ruder und Axt, als der alte Seelöwe, der er nun einmal war. Ein Menschenalter später, als das Normannenheer in einer neuen Generation endlich das Land erobert und ihm seinen Namen gegeben hatte, wird er als in der Normandie ansässig genannt. Haasteins Nachkommen sind französische Freiherren geworden, und in späteren Gliedern sind sie sicher Wilhelm dem Eroberer nach England gefolgt und haben sich dort Herzogtümer gewonnen.
König Haastein nahm in Frankreich das Christentum an. Das Heidentum war ja schon dadurch in ihm gebrochen, daß er in Luna primsigniert worden war; diesmal aber war es ihm ernst, er nahm wirklich den Glauben an und fand sich mit dem Zehnten ab; wahrscheinlich hat er es für vorteilhaft gehalten, einen Bruchteil von Besitzungen abzugeben, die ihm noch nicht gehörten, um ihnen dadurch näher zu kommen. Was das Pferdefleisch anbetraf, so war es auf die Dauer eine fade und wenig schmackhafte Speise, wenn es einen von dem Wild in den französischen Wäldern und dem Eigentumsrecht daran ausschloß. Bei der Taufe legte Haastein seine Hände gehorsam zum zweitenmal zusammen, Übung hatte er ja schon darin – nur schade, daß das heilige Bad nicht imstande war, eine alte Tätowierung abzuwaschen, die er auf dem Arm hatte, Thors Hammer, der ein Bündel pfeilspitze Donnerkeile ausstrahlte, und ein großes Frejamal mitten auf seiner behaarten Brust. Im übrigen wird später nichts Unvorteilhaftes von dem berüchtigten Helden gemeldet, und man weiß nichts anderes, als daß er eines natürlichen Todes starb. Vielleicht ist er mit der Überzeugung verschieden, daß das Himmelreich im Jenseits gesucht werden muß, wenn man tot ist, ein Gedanke, der ihm ja durch eigene Erfahrung nicht fremd war.
Der alte, der echte Traum vom Himmelreich aber war nicht erloschen, der ging in späteren Jahrhunderten bei anderen Nordländern und unter neuen Formen um, in den Kreuzzügen und der Entdeckung Amerikas; auf mancherlei Weise noch sollte die urnordische Hoffnung den Weg zur Wirklichkeit auf Umwegen durch Träume zeigen.