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Die Glocke wuchs schnell. Schon ein Jahr nachdem Bruder Parvus seine Schelle in dem Fischerdorf aufgehängt hatte, wo er bald alle Hände voll zu tun bekam, konnte er Germund Briefe mit nach Frankreich geben, in denen er um Entsatz bat, und als der Wiking von seiner Sommerfahrt zurückkam, brachte er außer mehreren Pfaffen und allerhand kostbarem Gerät, Monstranzen, Heiligenbildern, Meßgewändern und einem Haufen Bücher, auch eine neue Glocke für Bruder Parvus zur Ablösung für die alte mit.
Sie war so groß wie ein Bienenkorb und sehr schwer und erforderte ein ganz neues Haus, um zu ihrem Recht zu kommen; sie rief mit einem starken eifrigen Klang übers Fischerdorf und das umliegende Land, es schwärmte und summte mit zornigen Tönen aus ihr heraus, sie warf sich heftig an ihrer Achse hin und her; der offene Rachen, in dem der Klöppel wie ein Stachel saß, wandte sich bald nach dieser, bald nach jener Seite des Landes, als wolle er alles verschlingen, was er fassen konnte. Sie war aus Messing.
Aber auch sie wurde zu klein und ward von einer neuen abgelöst mit einer tiefen gierigen Stimme, die langsamer sprach, aber meilenweit zu hören war. Sie war aus Erz. Jeden Morgen und jeden Abend gab sie der Landschaft Zungen, so daß die alten Kobolde mit den Ohren wackelten, kopfüber in die Erde schossen und der Klingelei ihren Hintersten zukehrten.
Nach ihr – aber da war es schon längst nicht mehr Bruder Parvus, sondern die allmächtige Kirche selbst, und die Urzeit war hinausgeläutet – nach ihr kamen die großen prahlenden Domglocken mit Opfersilber im Klang, die während des ganzen Mittelalters der Menschheit überm Kopf brüllten. Jetzt waren es ihrer viele im Verein.
Später wurde die Glocke grabesernst und alt, und jetzt spukt sie nur wie ein dunkles Gespenst durch den gewaltigen Ton der Großstadt, ein schwaches Wimmern der Unendlichkeit, das vom Verkehr erstickt worden ist.