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Der Heringsmarkt

In dem Fischerdorf, wo Germund Wohnung genommen hatte, fand er schließlich unerwartet Gevn, und von da an war es wieder, als ob sie nie getrennt gewesen wären. Germund ist später noch viel auf Wikingerfahrten gewesen, auf Seeland aber blieben er und sein Geschlecht ansässig.

Es war im Herbst zur Zeit der großen Heringsfischerei im Öresund, als Germund nach Hause kam. Überall herrschte reges Leben, der Sund lag gedrängt voll von Schiffen, und auf beiden Ufern war der Markt in vollem Gange. Der Hauptmarkt war auf der schwedischen Seite, in Falsterbo und Skanör, aber auch an der seeländischen Küste gab es große Handelsplätze, wo Fischer mit ihrem Fang anlegten und fremde Schiffer bereit lagen, die Heringe in Empfang zu nehmen, wenn sie gesalzen waren; auch eine Menge Krämer und Händler verschiedenster Art waren herbeigeströmt und hatten ihre Buden aufgeschlagen. Das Dorf, vor dem Germund seine Schiffe verankert hatte, war von Menschen überschwemmt; zwanzig- dreißigmal so viel als sonst im Jahr waren da, und die Buden standen dicht nebeneinander in unendlichen Reihen. Schon von weitem konnte man das Lärmen und Schreien am Strande hören und die Merkzeichen der verschiedenen Buden, mit dem Rauch der Lagerfeuer vermischt, flattern sehen.

Eine Masse Frauen, bis zu Tausenden, sowohl Mädchen wie Frauen, waren im Dorf beschäftigt. In einer noch früheren Zeit hatten die Frauen am Fischfang selbst teilgenommen, jetzt bestand ihre Arbeit hauptsächlich darin, die Fische auszunehmen und einzusalzen, wenn die Männer sie an Land gebracht hatten.

Zwischen diesem Heer von Frauen ging Germund umher und suchte Gevn. Er hatte gehört, daß ein Mädchen dieses Namens im Ort sein sollte, aber es war nicht leicht, einen einzelnen in dieser Mannigfaltigkeit herauszufinden. Es hatte den Anschein, als ob alle Frauen Dänemarks, und mehr dazu, auf einem Platz versammelt seien. Die meisten waren seeländisch, aus der Umgegend, viele aber waren von weither gekommen, und nicht wenige waren ausländisch.

Zwischen allem was auf dem Markt feilgeboten wurde, waren auch gefangene Frauen zu Scharen. Tagüber stellte der Besitzer sie vor den Buden zur Schau; sie standen in dem bereits herbstkalten Wetter fröstelnd da und schauten sehnsüchtig hinter den Bauern drein, wenn sie musternd vorbeigingen, ob nicht einer sie kaufen wollte, daß sie aus dem Handel erlöst würden und einen festen Wohnsitz bekämen. Nachts wurden sie in den kleinen Schuppen und Binsenhütten, die die Krämer zu ihrer Unterkunft errichtet hatten, eingeschlossen. Sie konnten auch für kürzere Zeit auf dem Markt erworben werden, der Besitzer verlangte keineswegs, daß man die Katze im Sack kaufen sollte; nach einem alten Übereinkommen fiel dabei dem Mädchen ein Teil der Miete zu, und darum gaben sich viele Mühe, die Aufmerksamkeit der Vorbeigehenden auf sich zu lenken und durch vertrauliche Gebärden anzulocken. Trotz der kühlen Luft konnte man bisweilen sehen, wie sie sich mit bloßem Körper in den Vordergrund drängten, von Fleischigkeit strotzend, dem Bersten nah wie Knospen im Mai und bereit aufzuspringen, wenn nur ein wenig Wärme auf sie fiele. Nicht ein jeder konnte der Versuchung widerstehen, eine ledige Frau einige Stunden sein zu nennen und sie später durch Entrichtung einer Silbermünze, groß genug, um den Schaden zu decken, vollständig wieder loszuwerden. Besonders Fremde, die fern von ihrem heimatlichen Herd waren, schafften sich hier häusliche Freuden ohne größere Unkosten.

Aber nicht alle versuchten sich auf diese Weise bemerkbar zu machen, einige wollten lieber gleich ganz verkauft werden und irgendwohin, wo sie in Ruhe leben konnten, selbst wenn sie dreschen oder andere harte Arbeit verrichten mußten, und meistens erging es auch jeder nach ihrem Geschmack, obgleich niemand nach ihren Wünschen fragte. Die Mehrzahl war froh und wohlgemut. Diese oder jene, die erst kürzlich von den Ihrigen weggeschleppt worden war, ließ wohl den Kopf hängen, im großen ganzen aber war die Sorglosigkeit allgemein, sie waren jung, und eine Frau kennt ja ihr Schicksal, etwas Schlimmeres als das Schlimmste konnte ihr nicht widerfahren, wie es auch kommen mochte.

Die meisten Frauen auf dem Markt waren von heimatlich baltischer Abstammung, von allen Küsten der Ostsee zusammengeholt, schwedische, finnische und lettische Mädchen, von säbelbeinigen, untersetzten Weibern hoch oben aus Lappland, bis zu den dicken mecklenburgischen Vollblutfrauen, die sehr begehrt waren, und knisternden wendischen Mädchen, die bissen und einen Strohwisch hinterm Ohr haben mußten, auch fromme Russinnen; da waren aber auch irische und englische Jungfrauen mit edlen Augen, viele von vornehmer Herkunft, und andere von noch weiter her, bis zu schwarzen stummen Frauen au6 dem Süden, die niederhockten und nur ungern aufstanden, wenn jemand sie besehen wollte. Hier war ein lebhafter Verkehr von morgens bis abends. Lautes Schwatzen und Zwitschern verriet immer, wo der Frauenmarkt war.

Germund durchwanderte die Straße zwischen den Buden, aber Gevn fand er nicht.

 

Unmittelbar am Strande und auf den Inseln, die der Küste vorgelagert waren, hatte man unzählige offene Schuppen oder Zelte errichtet, wo das Einsalzen der Heringe vor sich ging. Die Frauen, die hier arbeiteten, waren alle dänisch, nicht aus Seeland allein, sondern auch von den anderen Inseln und aus Jütland, denn es gab keine Provinz im ganzen Lande, die nicht zur Heringszeit Leute über den Sund schickte.

Die Geschäftigkeit und der Eifer waren groß, jeden Augenblick legten ganze Flotten von Fischerbooten an, bis an die Reling mit Heringen geladen, denn der Sund war so voller Fische, daß man sie mit dem Schöpfer ins Boot schaufeln konnte; die Mädchen bekamen immer neue Ladungen, die sie einsalzen sollten, sie standen bis an die Hüften in Heringen, lachten laut vor Verzweiflung und hantierten gewaltig mit Kübeln und Tonnen, um die Arbeit zu bewältigen, während sie den Männern, die sich am Strande zankten und gegenseitig in die Speichen rannten, kecke Worte zuriefen; der ganze Strand war ein wüstes Geschrei.

Es wurde wie auf Tod und Leben gearbeitet, die dänischen Mädchen zeigten, was sie zwischen Sonnenaufgang und Dämmerung leisten konnten. Sie waren in allen Altern da, von Vierzehnjährigen in kurzen Röcken, die mit heiserer Stimme sprachen, um älter zu erscheinen als sie waren, bis zu alten zahnlosen Weibern. Ach, die hatten nichts als ihre Arbeit; die Jungen arbeiteten allerdings wie wild, zwischendurch aber fanden sie doch noch Zeit zu Wortgefechten mit den Burschen, grobkörnig wie das Salz in ihren Händen, womit sie die Heringe besprengten, denn was läßt sich nicht alles sagen, wenn man zu mehreren ist; fröhliches und derbes Scherzen würzte die Luft, hier gab es nicht Überfluß an Heringen allein! Ein durchdringender Geruch von Heringen und Salzwasser hing in der Luft, mit einem Nebel von Verliebtheit, scherzhaft gemeinten Balgereien, verblümten Reden über das bekannteste von allen Dingen und stürmischer Lachlust vermischt; Heringe und Liebe füllten die Gemüter bis zum Rand!

Abends, wenn die Arbeit beendigt war, wurde der kecke Tumult von beklommener und zurückhaltender Wildheit abgelöst, die Mädchen rotteten sich in Scharen zusammen und boten den Burschen Trotz, sie waren freie Fischermädchen und hatten nicht die Absicht, sich irgendeiner irdischen Macht zu beugen, es sei denn, daß sie es freiwillig taten.

Umgang fand nur in geschlossenen Trupps statt, hierbei aber führte das Verlangen, einander nah zu sein, zu einer Art Spiel oder Tanz, der darin bestand, daß Mädchen und Burschen, jede für sich, eine Kette bildeten und mit feurigem Geschrei aufeinander losstürmten, um dann wieder zurückzustürmen, wenn die Reihen sich Aug in Auge gegenüberstanden; das wiederholten sie einmal über das andere und immer entzückter. Ein Bursche sprang aus der Schar heraus und näherte sich den Mädchen mit herausfordernder Haltung, gleich trat eines der Mädchen aus der Reihe hervor und erwiderte stolzen Hauptes die Herausforderung, und dann gingen die beiden äußerst höflich auf den Zehen umeinander herum, um darauf wieder von ihrem Trupp ausgenommen zu werden, wonach die Reihen von neuem in voller Schlachtordnung aufeinander losstürmten, sich trafen, einander musterten und wieder rückwärts auseinanderstoben, unter fortwährendem einförmigem und entzücktem Kriegsgeheul. Später ging dann jeder zu seinem Quartier.

Die Nächte aber waren schon dunkel, man konnte sich auf dem Wege von der einen Binsenhütte zur anderen fast verirren, wenn man auch nur wenige Schritte zu gehen hatte. Es war schwer, die abnehmende Jahreszeit, die Nächte, die lang und verlassen und kalt waren, allein zu ertragen, es bildeten sich Paare im geheimen, und warum auch nicht, nachdem man sich zwischen vielen einig geworden war, daß man sich und niemand anders haben wollte! Bis spät in die Nacht hinein klang gedämpftes, zärtliches Sprechen aus den Weidenbüschen draußen auf den Holmen. Hier erlebten viele von den jungen Mädchen einige tolle Augenblicke, die ihnen nicht einmal richtig ins Bewußtsein traten, deretwegen sie aber später ohne Reue die Prüfungen eines ganzen Menschenalters als Hausfrau und Mutter ertrugen. Nie vergaßen sie die Weidenbüsche und die Septembernacht, den großen tollen Burschen und das Ja, das sie gegeben hatten.

Gejohle und Geschrei gehörten auch zu den düsteren Herbstnächten, Kämpfe um dieses oder jenes schöne Mädchen, um das die jungen Fischer in Streit geraten waren oder das gegen Kaufleute oder andere fremde Unbefugte verteidigt werden mußte. Da jeder, der an der Fischerei teilnahm, sich durch Übereinkunft verpflichtet hatte, keine Waffen zu tragen, solange der Markt dauerte, mußte man sich mit Heringstonnen oder den bloßen Fäusten zuschanden schlagen.

Was getrunken wurde? Kaufleute aus Lübeck und Danzig löschten ganze Schiffe voll Wein und Bier am Strande und eröffneten einen Ausschank in Buden, die in aller Eile ausgeschlagen wurden, oder sie legten die Tonnen im Freien aufs Gras, der Hering machte Durst, man genoß ihn sowohl vor wie nach dem Rausch. Nicht die Fischer allein waren durstig, die fremden Handelsleute standen ihnen nicht nach, sie waren aus Nowgorod, Riga, London, Bremen und Brügge gekommen, und der lange Weg schien ihnen einen Durst gemacht zu haben, der nicht zu löschen war. Von den Handwerkern, die ihre Buden längs der Küste aufgeschlagen hatten, zog sich jeder in seinem Fach einen Durst zu, der Schuhmacher von dem Ledergeruch, der Schmied durch die große Hitze von der Este, die Schlächter vom Blut, selbst der Schneider bekam Fasern in den Hals und mußte ein gehöriges Horn neben sich stehen haben, während er zuschnitt und die Stirn bei seiner Arbeit in Falten zog; der Luftspringer, der die Leute belustigte, durstete, der Böttcher, der Salzbrenner, alle dursteten und wurden erquickt.

Und der Hering gab die Mittel zu allem und noch mehr dazu, er wanderte in Heerscharen wie ein Meer von Silber durch den Sund, von Meerschweinen, Möwen und Menschen verfolgt, aber ohne sich aufhalten zu lassen, denn er ging ja seinem eigenen rasenden Geschäft nach, das auch aus nichts anderem bestand, als das Nasse zu schlucken und sich zu vermehren.

 

Der einzige, der sich weder einen Becher zu Gemüte führte, noch ein Liebchen nahm, war Bruder Parvus, dessen kleine Kapelle zwischen Germunds beschützenden Schiffen und dem Frauenmarkt lag, der immer einen Schwarm von Menschen anzog. Aber er tat auf andere Weise einen reichen Fang, er hatte seine Netze nach Seelen ausgelegt und fing viele.

Die Lehre des Christentums als solche war keineswegs unbekannt. Ansgar war ja schon früher im Norden gewesen und hatte den Weg gebahnt, die meisten wußten Bescheid, wenn sie sich auch nicht gleich dem Glauben übergaben. Zwischen so vielen war es indes nur natürlich, daß dieser oder jener, bevor er in See stach, lieber einem neuen, vielleicht kräftigen Gott einige Tonnen Heringe oder bares Geld opferte, anstatt sie dem alten Njord zu geben, der allzu oft widrigen Wind gesandt, selbst wenn man ihn reichlich bedacht hatte.

Bruder Parvus errang sich bald Achtung im Dorfe; von Mann zu Mann wurde erzählt, eine Tatsache, die durch Zeugen erhärtet war, daß der kleine unansehnliche Priester ein glühendes Eisen in seinen Händen getragen habe, ein unabweisbares Zeugnis für den Gott, dessen Kraft er verkündete.

Obgleich es schon spät im Jahr und hundekalt war, ließ mancher Fischer sich taufen, indem er meinte, daß ein Bad am Strande ohne Gefahr besser sei, als draußen in der Tiefe ein Bett zu finden. Bruder Parvus' Gemeinde zählte, bevor der Heringsmarkt zu Ende war, mehrere hundert Seelen. Die Nachfrage nach Aufklärung und Teilhaftigkeit an den Gnadenmitteln der Heiligen Schrift war so groß, daß Bruder Parvus ihr kaum nachkommen konnte, alle Welt wollte eine Schriftstelle auf Pergament haben, die man entweder ganz hinunterschluckte, im Vertrauen auf ihre inwendige Wirkung, oder als Pflaster auf den Körper legte. Dafür nahm Bruder Parvus den Getauften das Versprechen ab, und er wußte, daß sie es halten würden, nie mehr einem heidnischen Gott zu opfern und nie wieder Pferdefleisch zu essen, was man in der Heringszeit leicht versprechen konnte.

Bruder Parvus fühlte sich übrigens nicht verlassen im Fischerdorf während der Marktzeit; viele der fremden Kaufleute waren Christen, wenn auch nicht offenkundig, ein großer Teil des Handels wurde von Christen betrieben, die im heimlichen Einverständnis miteinander waren und jeden Sonntag den Pakt durch eine gemeinsame Mahlzeit besiegelten, bei der Bruder Parvus als der oberste Geweihte am Ort die Wirtspflichten übernahm. Er hatte viele Glaubensgenossen in dieser Zeit, mit denen er Gedanken austauschen und sich für seinen exponierten Posten Mut holen konnte.

Die Heiden im Fischerdorf hatten wohl eine Art Vorstellung davon, daß die Fremden wie mit heimlichen Fäden zusammenhingen, aber sie dachten sich nichts weiter dabei. In festerer Form trat ihnen das Christentum durch gewisse deutsche Kaufmannsbunde entgegen, deren Mitglieder nicht mit Heiden handeln durften; wollte man seine Heringe bei ihnen absetzen oder ihre Waren kaufen, mußte man sich dreinfinden, daß sie einem das Zeichen des Kreuzes auf die Brust machten, was ja nie schaden konnte, obgleich es hieß, daß man dadurch primsigniert wurde.

Das Auffallendste bei den christlich Geweihten waren die geheimnisvollen Beschwörungen, die sie vor und nach der Mahlzeit an irgendeinen Abwesenden zu richten schienen, und dann die Zärtlichkeit, mit der sie sich gegenseitig traktierten, wenn sie sich unter sich glaubten, Männer küßten sich und guckten sich tief in die Augen, Tränen und Trauergesang ohne Grund, bekümmerte Mienen, selbst wenn der Handel flott ging, lauter Dinge, die ein einfältiger Mensch nicht verstand und die ja auch Sache der Eingeweihten bleiben mochten. Aber merkwürdig war es, zwei bärtige Mannspersonen in zärtlicher Umarmung zu sehen, die einander mit Küssen und salzigen Tränen näßten, das war auffallend. Einige behaupteten, daß diese Leute die Härte der Welt und ihre eigenen Sünden beweinten; möchten sie nur ebenso empfinden, wenn sie in ihren Buden standen, dann pflegten sie hart wie Flintstein zu sein!

Kein Mensch konnte aus ihnen klug werden. Bruder Parvus peitschte sich jeden Freitag mit eigener Hand bis aufs Blut unter seinem Kruzifix statt zu essen; Leute, die den seelenguten kleinen Mann kannten, fanden, daß er es wirklich nicht verdient habe.

 

Germund und seine Gefährten lebten sich im Fischerdorf ein, wo bald jeder durch Kampf und Tanz und dunkle Nächte eine Freundin fand, mit der er getrost dem Winter entgegenging. Mehrere von ihnen, die au6 Seeland stammten, fanden sogar eine kleine Kindheitsgeliebte wieder von damals, als sie Waldkinder waren, die inzwischen groß und schön geworden, aber sonst ganz dieselbe geblieben war; die Glückseligkeit, von neuem mit ihr vereint zu sein, ging ihnen durch Mark und Bein.

So fand Germund Gevn. Sie war unter den Fischermädchen und Germund suchte viele Tage, bevor er auf sie stieß. Wieder und wieder, wenn er eine sah, die Gevn ähnelte, meinte er, daß sie es sei, denn die dänischen Mädchen glichen sich wie ein Tropfen Ostseewasser dem andern, alle mit geschmeidigen Rücken und sanften Gesichtern, der Blick feucht wie süße, helle Nächte, und mit großen, runden, innig wehrlosen Händen.

Da gingen sie in ihren groben Röcken, das einzige, was sie außer einem Hemd und einem Leibchen anhatten, mit Heringsschuppen in den Zöpfen und mit weichen, kräftigen Gliedern, von Salzwasser duftend, schweigsam und unwissend wie die Morgenröte, aber mit Seelen wie die kalten Wälder im April, der zögernde Lenz, lauter schlummernde Liebe, ja, ja, da gingen sie sanft umher, in tiefer Unbewußtheit, mit offenen kühlen Augen, ohne weitere Anzeichen von Leben, anscheinend ohne zu atmen, bis einer ihr einfaches, harmloses Herz weckte und sie plötzlich den Lebenssprung wagten, ja, ja, wie die Buche, die grünt, wie die kühlen, dänischen Wälder, die sich in einer plötzlichen Aufwallung mit der Sonne vermählen!

Das ganze Geheimnis ihres Wesens bestand darin, daß sie bei Widerstand störrisch wurden und sich nicht ergeben wollten, anderseits aber auch nicht nein sagen konnten, wenn jemand sich ihnen im Guten näherte, so unüberwindlich und so unbeschützt ist das dänische Gemüt; die Männer, die sie erwählten, und das waren just diejenigen, die sich ihre Schwäche nicht zunutze machten, hingen mit tiefer Dankbarkeit zeitlebens an ihnen, weil sie so und nicht anders waren, so wehrlos gegen Güte.

Als Germund das erste dänische Mädchen sah, meinte er, Gevn sei es, ein Fischermädchen, das von weitem auf ihn zukam, mit schlanker Taille, sich in den schweren, reichen Hüften wiegend, so, gerade so ging Gevn auf Erden; im übrigen aber war sie es gar nicht. Von jedem jungen Weib, das er von hinten sah, mit schrägen Schultern und vollen, kräftigen Unterarmen glaubte er, daß sie es sei; entdeckte er ein Gesicht, das stärker von Kühnheit und Lebensfreude glühte als andere oder zwei sehr klare aufrichtige Augen, hörte er ein Mädchen herzlich und unschuldig lachen, wie das erste schwache Wiehern des Füllens im Frühling, dann meinte er, es sei Gevn, aber es war ein anderes ebenso wildes und sanftes dänisches Mädchen, Gevn war es nicht. Bekam man eine von ihnen, war es, als ob man sie alle besäße.

Endlich, als er Gevn fand und die kühle Süße wiedererkannte, die Haar und Mund ausströmten, ein Duft wie nach Regen, Sommerregen und Wiesen auf den dänischen Inseln, da, ja, da mußte er sein Leben lang die Erde lieben, der sie entsprossen, den Wald, der mit ihrer gemeinsamen Kindheit eins geworden war und den Ort, wo sie einander wiedergefunden hatten.


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