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Der Weg des Meeres

Das Morgengrauen traf sie draußen auf dem Kattegatt, wo das Schiff sich in den Wogen zu heben und auf eine Weise zu rollen begann, die keineswegs mit den Vorstellungen der Knaben von heldenhafter Seefahrt übereinstimmte. Das alte, lecke Fahrzeug öffnete sich im Meer und zog Wasser wie ein Binsenschuh, so daß die halbe Mannschaft von den Riemen gehen mußte, um zu schöpfen. Die jungen Wikinge waren seekrank, und fast zitterten sie vor Angst, weil sie so weit draußen auf dem Meer waren, eine Zeitlang löste alle Ordnung sich auf, das Schiff drehte sich um sich selbst, weil nur auf einer Seite gerudert wurde, oder krängte furchtbar, indem alle auf einmal an die Reling stürzten. Uneinigkeit entstand, einige wollten umkehren und nach Hause, es kam zu Zänkereien und unwürdigen Auftritten – bis Germund schließlich mit der Ruderstange in der Hand von Bank zu Bank ging und die Kameraden zur Besinnung prügelte.

Germund sah die Unmöglichkeit ein, das Schiff zu halten, aber sie mußten wenigstens den Versuch machen, Land zu erreichen. Er stellte das Rudern ein, ließ das Fahrzeug treiben und nahm so viele zur Hilfe wie nötig waren, um den Mast aufzurichten, während die übrige Mannschaft schöpfen mußte. Ein ordentliches Segel hatten sie nicht, nur ein altes geflochtenes Bastsegel, das zu einem viel kleineren Schiff gehörte; aber schließlich bekamen sie es gesetzt, und Germund ließ das Schiff nun vor dem Wind treiben, die Götter mochten wissen, wohin, aber wenigstens kamen sie von der Stelle und nicht nach Seeland zurück, dessen nördliche Küste mehr und mehr in der Ferne versank; wahrscheinlich würden sie irgendwo in Jütland landen, wenn das Schiff so lange hielt. Seitdem so viele schöpften, war die Gefahr des Sinkens nicht mehr so überhängend, obgleich das Fahrzeug halb voll Wasser war, aber es hatte Fahrt, und man fing an aufzuatmen und sich auf sich zu besinnen.

Es war ein kalter, klarer Tag, mit nackter See; die Aprilsonne blitzte zwischen Wolken über das triefende Segel, ringsherum gingen die Wogen in einem langen Galopp, alle denselben Weg, und der beißende Wind trieb sie zur Eile an. Große Entenschwärme stiegen vor dem Schiff auf, so nah, daß man das Flügelschlagen der letzten hören konnte, die Möwen hingen weiß wie Feuer in einem Strahl der Sonne, der schräg aus Wolken herabkam, der Regenbogen brach sich im Gischt des Bugspriets, salzig und frisch und offen lag die Welt unterm frühlingskühlen Himmel. Die große, freie Sorglosigkeit aber, die dazu gehört, wenn Helden auf dem Meere sind, und zu der sie alle einen kräftigen Ansatz in ihrem Herzen getragen hatten, die war anscheinend auf Seeland zurückgeblieben. Statt wie auf Schwingen über die Wogen zu fernen Eroberungen zu fliegen, standen sie bis an den Leib in eiskaltem Wasser und ließen die Eimer kreisen, schöpften eine Welt von Wasser aus dem alten, lecken Trog, der ebensoviel wieder einsog; keinen Schlaf in der vergangenen Nacht, keine Zeit zum Essen, und nur geringe Aussicht, die kommende halbe Stunde zu erleben – das also war das Meer!

Alle ihre Habseligkeiten, die sie mit der Umsicht eines ganzen Winters ins Schiff geschmuggelt hatten, schwammen an Bord herum, kamen mit in die Eimer und wurden ins Meer geschüttet, sie schöpften alles, was Regner Lodbrog und Heldenleben auf dem Meer hieß, über Bord, schöpften ihr Inneres in die See und wären am liebsten selbst mitgefolgt, fort von dem schwankenden Sieb, auf den Grund hinunter, wo man in Ruhe liegen konnte, wenn Germund sie nicht in Atem gehalten hätte, willenlos wie sie waren, indem er sie ununterbrochen anschrie und ihnen mit einem Ruder über dem Kopf fuchtelte.

Obgleich die Lage hoffnungslos war, stand es nicht geschrieben, daß der Kattegatt ihr Grab werden sollte, sie hatten Germund an Bord, und an sein Leben heftete sich Glück, er sollte offenbar für einen grausameren Tod aufgespart werden. Gegen Mittag bekamen sie einen Segler in Sicht, ein großes Schiff mit blau- und weißgestreiften Segeln, das hinter ihnen auftauchte und sie mit der überlegenen Fahrt, die es hatte, bald eingeholt haben würde.

 

Sie waren gerettet! Die Rührung war so groß, daß die verzweifelten Knurrhähne die Schöpfgefäße aus den erstarrten Händen fallen ließen und an zu schluchzen fingen; ein Chor von gebrochenen Stimmen erhob sich aus dem sinkenden Schiff, das fast in gleicher Höhe mit den Wogen lag, winkende Hände streckten sich dem Befreier entgegen …

Germunds durchdringende Stimme aber weckte sie aus ihrer Freude. Er hatte ebenso wie die anderen zusehen müssen, wie alles, woran er geglaubt, ins Meer geschöpft wurde, und er, der den stärksten Glauben gehabt hatte, war nach und nach vollständig rasend geworden; daß der Traum damit endigen sollte, daß sie von einem anderen Segler aufgefischt wurden, dagegen sträubte er sich. Noch nicht – nein, jetzt war die Gelegenheit zum Kampf da. Wozu waren sie auf dem Meer? Das Schiff nehmen wir! Alle Mann an die Waffen! Und er hatte solche Gewalt über sie, daß er ihren Sinn noch einmal bekehrte, so daß auch diese Tollheit beschlossen wurde; sie kamen wirklich überein, das Schiff zu nehmen.

Es war ein großes, schlankgebautes Fahrzeug, das mit weißem Schaum vorm Bug bei Fahrwind auf sie zugeschossen kam, leicht auf- und niedertauchend, und schon so nah, daß man den schäumenden Schnitt des Kiels durch die Wogen hören konnte. An dem hellen Holz, das durch den Teer schimmerte, sah man, daß es ein neues Schiff war. Welch ein Glücksfall, ein neues Schiff hatten sie ja gerade nötig! Der Mast, eine ganz frisch entrindete Tanne, schimmerte wie Gold, die gewaltige Rahe war nagelneu, und das Segel schien sich zum erstenmal im Winde zu blähen. Jetzt tauchten eine Reihe Köpfe über der Reling zu beiden Seiten des Vorderstevens auf, spitze, blankgescheuerte Eisenhauben mit einem Dorn über der Nase, Schilder und Speere kamen zum Vorschein – aha, glücklicherweise ein Kriegsschiff – klar zum Entern!

Das übrige ging in dem Nebel vor sich, in den große Ereignisse sich zu hüllen pflegen. Im richtigen Augenblick drehte Germund seinen Steven auf das fremde Schiff zu, ließ die Ruderpinne los und kletterte mit Kriegsgeschrei auf den Mast hinauf, von seinen Mannen begleitet, die mit Messern zwischen den Zähnen ein unheilverkündendes Gebrüll anstimmten, und indem die Schiffe zusammenprallten, stürzten sie sich von der Takelung alle wie ein Mann auf das Schiff des Feindes herab! Fast im selben Augenblick sank ihr eigenes, dem beim Zusammenstoß der Steven eingerannt worden war.

Was jetzt folgte, war ein Beweis, daß die Munterkeit von Kriegern auf dem Meere doch nicht ganz ausgestorben war, Germund und sein Gefolge waren der Besatzung des Wikingerschiffes geradeswegs auf den Kopf gesprungen und wurden von ihr mit ungeheurem Gelächter in Empfang genommen, im buchstäblichen Sinn mit offenen Armen! Statt mit Spießen und scharfen Schwertern, fing man sie mit den Schilden auf, damit sie sich nicht stoßen sollten, man schien über ihren Anblick entzückt, soweit man sich vor Lachen aufrechthalten konnte. Es waren lauter starke, rote Kerle an Bord, alle furchtbar gut gelaunt, der Kampf der jungen Seeräuber war bald zu Ende, er wurde in Umarmungen und brüllendem Gelächter erstickt. So endete ihr erster Seekampf.

 

Als sie wieder einigermaßen zu sich gekommen waren und sich auf dem herrlichen Schiff umsahen, als ob sie gestorben und bei Ägir auferstanden seien, kam ein großer, behaarter Mann auf sie zu, und sofort war ihnen klar, daß es Regner Lodbrog sein müßte, so gewaltig und abenteuerlich sah er aus.

Er war von einer ungeheuren Breite, mit einem Körper wie ein Eichenstamm und knorrigen Gliedern, die dazu paßten, und dieser Fleischberg war von oben bis unten mit zusammengeketteten Eisenringen besetzt, Eisen traf sich überall mit Eisen auf seinem Körper, er war mit schneidenden und stechenden Mordgeräten jeder Art behängt; in der einen bläulichen Tatze hielt er ein langes, breitblättriges Beil von größtmöglicher Nummer und in der anderen einen eisenbeschlagenen Speer mit Horn und Widerhaken, auf dem Kopf hatte er einen geschmiedeten und genieteten Eisenkessel, der von einem Wildschweinskopf in getriebenem Kupfer gekrönt war, und alles Eisen an ihm trug frische Rostspuren vom Salzwasser, von derselben üppig roten Farbe wie Haar und Bart des Riesen, das unter dem Helm hervorbrauste, und wie der rote, struppige Pelz, der die gewaltigen Handgelenke bedeckte. Die Haut des Gesichts und der Hände war von Sommersprossen, so groß wie graue Erbsen, gefleckt, auf jeder Backe hatte er eine tätowierte Meerfrau, er sah überhaupt im ganzen aus wie ein Mann von Eisen und Rost und dem blauen Meer. Obgleich es ausgeschlossen schien, daß eine Waffe ihm etwas anhaben konnte, trug er zum Überfluß als Amulett einen schweren Mühlstein an Eisenketten auf der Brust, das Loch gerade überm Herzen, wie eine Herausforderung an alle Welt, ihn als Scheibe zu betrachten. Der Rücken dagegen, der ein ungeheures Ziel darbot, den aber natürlich kein Feind zu sehen bekommen würde, war verhältnismäßig schwach befestigt. Unter der Rüstung war er in feuchte, duftende Schaffelle gehüllt, und die Füße steckten in zwei mächtigen, grob ausgehöhlten Holzschuhen, mit Stroh gefüttert; ein Schnelläufer war er nicht. Als er den Mund aufmachte, kam solch ein Dröhnen aus seiner Brust, daß alles in der Nähe dabei erzitterte, seine Stimme, die dampfte, glich der des Urochsen, und sein Blick konnte Vögel ohnmächtig vom Himmel herabfallen lassen.

Die Knaben schlugen die Augen nieder, während er dröhnte; er war nicht gnädig. Schließlich aber endete er damit, daß er in einem brüllenden Ton, als ob er ihr Todesurteil verkünde (und mit einem Blinzeln, das sie nicht verstanden), den Befehl erteilte, daß man den Gefangenen etwas zu essen geben solle. Der Wortlaut gefiel ihnen nicht, und sie begriffen gar nicht, warum so reichlich darüber gelacht wurde, der Sinn aber erschien ihnen wohlgemeint, und als ihnen Kübel mit geschroteter Gerste, in Wasser geweicht, und kalter, gekochter Speck, noch mit den Borsten darauf, vorgesetzt wurde, da klärten sich die jungen, vom Meer bereits gefurchten Züge auf, und sie fielen mit feuchten Augen über die Gerichte her; einige ihrer schiffbrüchigen Träume kehrten zurück.

Sie erfuhren später, daß der Riese gar nicht Regner Lodbrog sei; er hieß Gauk und war einer der Befehlshaber des Königs. Man war drüben an der Küste von Halland gewesen, um Bier, Käse und andere Dinge, für die man Verwendung hatte, aus den Vorratskammern der Bauern zu holen. Die Beute lag in einem Haufen am Mast, verschiedene Fässer, Drittel und Säcke, außerdem einige Ochsen- und Ziegenleiber. Man hatte nachts gearbeitet und war darum jetzt in der Morgenstunde noch in Eisen. Einige Namen von Abwesenden, die häufig in ihrem Gespräch wiederkehrten, ließen vermuten, daß sie aus den schwedischen Vorratskammern, von denen sie sprachen, als seien es ihre eigenen, nicht ganz ohne Verluste herausgekommen waren. Das Schiff gehörte übrigens zu einer größeren Abteilung, die bei Samsö lag. Es war nagelneu, von Harz und Teer duftend, bis in alle Einzelheiten vortrefflich, und diente dem Schiffbauer auf Gotland, dem man es vor einer Woche geraubt hatte, zur besten Empfehlung.

 

Während die Knaben aßen, erfuhren sie dies und anderes von der Besatzung, die morgenfroh und sehr mitteilsam war. Der Ton zwischen den Kriegsleuten, besonders den jüngeren, war im übrigen so ausgelassen, daß man nicht gleich begriff, was Ernst war und was nicht, man mußte es aus ihren Witzen erraten; sie waren überhaupt nie ernst, alles wurde so gedreht, daß es schließlich eine komische Seite zeigte, über die man lachen mußte.

Da waren Krieger jeden Alters, auch blutjunge Menschen, so frisch im Wuchs, als seien sie erst seit Sonnenaufgang in die Höhe geschossen. An und für sich meinten die seeländischen Jungen, daß sie diesen Jünglingen nicht nachständen, weder an Kraft noch an Reife, aber die Überlegenheit der Fremden bestand in etwas anderem, sie waren in der Welt gewesen und erschienen ihnen darum wie höhere Wesen.

Zuerst war da ihre freie Sprache und ihre Behendigkeit im Denken, die anfangs die Neuangekommenen in Verlegenheit setzte; ein Mal nach dem andern stellte man ihnen Fragen und lachte sie aus, wenn sie in ihrer Unschuld die Worte vorsichtig wogen, um die richtige Antwort zu geben; gegen diese Art der Überlegenheit hatte man sich noch nicht zu wehren gelernt. Dann waren die jungen, erfahrenen Wikinge in den Augen der Seeländer ganz wundervoll gekleidet. Sie hatten Hosen an, eine Pracht, von der die Knaben natürlich schon gehört hatten und wußten, daß sie neumodisch sei, aber für ihre eigene Person hatten sie noch gar nicht daran zu denken gewagt, denn wer hätte den Anfang machen sollen? Sie gingen noch auf alte dänische Manier, wie es bei ihnen zu Hause Sitte war, mit bloßen Beinen, auch im Winter, nur ein Stück dicken Fries um den Körper gewickelt und außerdem Felle, je nachdem die Temperatur war, Arme und Beine aber waren nackt. Ihr Anzug war milde gesagt kindlich, und hätte einer das Herz gehabt, ihnen ins Gesicht zu sagen, daß sie in Röcken gingen, hätten sie es einstecken müssen, ohne ein Wort zu erwidern, denn es war die Wahrheit. Kein einziger auf dem Schiff war ohne Hosen! Einige waren in aller Bescheidenheit aus grobem Leinen, das um die Beine festgebunden wurde, aber es waren doch Hosen, andere waren wunderschön, aus buntem, welschem Tuch, und wieder andere aus edlen Fellen, Zobel und Marder, so daß man unwillkürlich an Regner Lodbrog denken mußte, der wegen der Pracht seiner Kleider berühmt war. Es war schwer mitanzusehen, und soviel ist sicher, daß die seeländischen Jungen sich im stillen gelobten, als allererstes in der Welt sich Hosen zu verschaffen, von wessen Beinen sie sie auch nehmen sollten.

Das Schiff strich mit herrlicher Geschwindigkeit in dem frischen Wind dahin, und das Herz hüpfte den kürzlich Geborgenen im Leibe vor Glück, an Bord eines solchen Seglers zu sein und zu fühlen, wie der Kiel unter ihnen ins Wasser biß. Bei dem günstigen Wind herrschte allgemeine Lustigkeit an Bord, die Ruderknechte hatten frei und schwatzten mit den Kriegern, es ging hoch her, man mußte die Glieder rühren und die Kehle schmieren, sich gegenseitig klopfen und miteinander ringen, um sich in der rauhen Luft warm zu halten und die Zeit zu vertreiben; harmlose, blaugefrorene Heiterkeit überall.

Eine der schweren Schiffskisten war Gegenstand allgemeiner unbezwinglicher Neugier und Munterkeit; man hob verstohlen den Deckel und erblickte ein liebliches junges Bauernmädchen, das dort hineingestopft war, beide Enden nach oben gebogen, das aber im übrigen gesund und fest schlief. Ein warnendes Dröhnen oben vom Führerdeck hielt die Männer aber, wenn auch widerstrebend, von der Kiste fern; der Raub gehörte dem Schiffsobersten, der ihn nachts selbst von dem Gehöft auf seinem Rücken zum Strand geschleppt hatte. Sonst stand der Riese schweigsam und in sich gekehrt mit der Ruderpinne gegen den Schenkel gedrückt oben achtern und schwankte. Wenn man den kleinen grünen Augen, die im Schatten all der roten Zottigkeit lagen, folgte, konnte man sehen, wie das Schiff sich danach in den Wogen drehte und senkte.

Die seeländische Küste schwand mehr und mehr aus dem Gesichtskreis, gleichzeitig aber tauchten andere niedrige Küsten aus dem Meer auf, Samsö und Jütland, zwischen Meer und Himmel schwimmend, mit dunklen zusammenhängenden Wäldern; rings hob sich Land in fernen Bruchstücken und Abhängen vom Horizont ab, als ob das Meer voll lauter niedriger Inseln liege. Möwen und Seevögel strichen gesellig neben dem Schiff her. Man hielt genau mit der Sonne Schritt, die auch über den Kattegatt wollte und eine kühle, wolkenlose Bahn vor sich hatte, gerade wie das Schiff; vor Abend bekamen sie die Flotte nördlich von Samsö in Sicht und steuerten bei Sonnenuntergang zwischen die verankerten Drachenschiffe.

Eines der Fahrzeuge war höher als die anderen, und hier wurden sie an Bord gebracht, um dem Oberbefehlshaber vorgeführt zu werden.

Es zeigte sich, daß es ein großer, sehr jugendlich aussehender Mann war, mit hellen Brauen und ungewöhnlich hübschen Schultern, und jetzt endlich glaubten die Knaben Regner Lodbrog Aug in Aug gegenüberzustehen. Es war auch beinahe so, denn wohl war es nicht der König selbst, aber einer seiner Söhne, Björn Eisenpanzer.

Ein Knistern ging durch Germunds Adern, als er den Königssohn sah; er meinte, daß seine Züge ihm bekannt seien, und plötzlich richtete er sich auf und blickte ihm offen ins Auge.

Björn Eisenpanzer ließ sich die Umstände bei dem Zusammentreffen mit den jungen Leuten erzählen und mußte seine Mannen, einige gar zu lachlustige junge Krieger, zur Ruhe ermahnen, um hören zu können. Er selbst verzog keine Miene.

 

Viele neue und überraschende Eindrücke drängten sich den Knaben auf, während sie auf dem Häuptlingsschiff standen. Ein Mann, der Björn Eisenpanzer nah zu stehen schien, sich aber im übrigen durch nichts hervortat, weder durch äußere Würdenzeichen, noch dadurch, daß er sich in die Geschehnisse mischte, zog gleich Germunds Aufmerksamkeit auf sich. Er war sehr groß, auffallend wuchtig gebaut, trat aber so leise auf, als wöge er nicht mehr als eine Feder, obgleich das Schiff unter seinem Gewicht knackte. Er ging auf den Zehen und mit gebogenen Knien, lautlos wie eine Katze, mit hochgezogenen Schultern und langen, schlaff nach vorn hängenden Armen, er hatte eine kluge Nase und merkwürdige, zottige Augen, die die Dinge von der Seite prüften; zwischen den schmalen Lippen hielt er einen Strohhalm, auf dem er sachte kaute, während er voller Wohlbehagen umherschlich und niemanden störte. Seine Kleider waren ohne jede Pracht, aber er trug einen kostbaren, ganz wundervollen Ringpanzer. Ein seltenes Mal hörte Germund ihn mit jemandem sprechen, seine Stimme war sanft und gedämpft wie die eines Singvogels, und aus seinem Mienenspiel sprach eine tiefe Zufriedenheit, schwerwiegende Andeutungen von Weisheit; die Kräfte in ihm schlummerten, jedes Haar um seinen Mund kräuselte sich vor Lebenslust; er war so sanft, daß er auf den Zehen ging, um sogar den Boden zu schonen, über den er schritt. Daß es soviel Behutsamkeit und Sanftmut in Menschengestalt gab, hätte Germund nie geglaubt; dieser Mann setzte ihn mehr in Erstaunen als alle anderen.

Es waren im übrigen noch größere und gewaltigere Leute an Bord, wahre Ungeheuer, so dick, daß ihre Arme vom Körper abstanden und nicht senkrecht herunterfallen konnten, ihr Kopf ging schon von den Ohren ab in die Schultern über; einige waren so feist, daß sie Falten warfen; ohne ein einziges Barthaar, glichen sie riesenhaften Säuglingen, andere waren mit struppigen Borsten bewachsen und hatten außerdem alle Gewächse, die es gibt, Warzen mit Haar drauf im Gesicht, so groß wie Mäuse und Ratten, Muttermale, Geschwülste auf der Kopfhaut; alles auf ihnen hatte überhand genommen. Das waren Björn Eisenpanzers Berserker. Wenn man sie gesehen hatte, konnte man begreifen, daß sie im Kampf aus Rand und Band gingen, brüllten und Holz und Metall durchbissen. In Friedenszeiten bewegten die Mißgeburten sich beschwerlich und fast furchtsam, wie große Ochsen. Keiner nahm weiter Notiz von ihnen. Einer von ihnen war ein Neger, schwarz wie Schlamm und mit Augen wie Muschelschalen. Niemand verstand ein Wort von dem, was er sagte. Sie wurden leicht böse, was schrecklich aussah, aber irgend jemand brauchte sie nur freundlich zu klopfen oder ihnen etwas zu essen zu versprechen, dann wurden sie gleich wieder ruhig. Die Waffen, mit denen sie ausgerüstet waren, waren doppelt so groß wie die gewöhnlicher Menschen. Das waren also die Berserker. Sie sahen schwermütig und einfältig aus.

Ungleich mehr wurde Germund von den jungen Kriegern angezogen, von denen eine auserwählte Schar an Bord war, lauter schlanke, blonde Freigeborene, alle prachtvoll gekleidet und vor Gesundheit strotzend, bis an den Hals mit einem Überschuß von Kraft und Lust zum Scherzen geladen. Der Frühling brauste ihnen in den Adern, sie gingen wie in einer Art Katzengeschmeidigkeit umher, jede Gebärde, jede Lebensäußerung war wie eine spielende Herausforderung zum Kampf, sie konnten nicht aneinander vorbeigehen, ohne den Hals zu recken und die Glieder zu spannen, jeder Scherz hatte dieselbe mörderische Bedeutung: wer mir zu nahe kommt, ist ein toter Mann! Sie alle trugen das Gepräge der Fruchtbarkeit, sahen aus, als seien sie fix und fertig dem Schoß der Natur entsprungen, ohne ein Lot zu viel oder zu wenig, schmal um die Hüften und mit langen, abgehärteten Gliedern, jeder Zoll an ihnen Geschmeidigkeit und Kraft, der noch flaumige Bart dicht und gleichmäßig wie Wollgras. Mehrere von ihnen stolzierten mit bedeutenden Narben umher, obgleich sie sich darin natürlich nicht mit den älteren Kriegern messen konnten, von denen einige aussahen, als seien sie in mehrere Stücke zerhackt gewesen und windschief wieder zusammengewachsen.

Mit tiefer Beschämung bemerkten die seeländischen Jungen, daß alle Krieger sorgfältig gewaschen waren und das lange Haar gepflegt und gekämmt trugen; sie hatten sich eingebildet, daß ein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit beschmutzt die edelste Zierde des Wikings sei, und dem Haar hatten sie noch nie einen Gedanken geschenkt, das spielte nur eine Rolle für sie als Haltepunkt bei einem Kampf, oder als unwillkommenes Mittel, an Dornbüschen hängen zu bleiben; und wenn es zu lang wurde, hatten sie es mit Feuer abgesengt oder zwischen zwei Steinen durchgehauen. Diese neue überraschende Anwendung des Haares schrieben sie sich hinter die Ohren.

 

Während Björn Eisenpanzer den Bericht über die Neuangekommenen anhörte, stand Germund zufällig mit den Füßen auf einem Tauende, und das hatte einer entdeckt, just der große Mann mit den sonderbaren Augen, der spinnend auf Raubtiertatzen umherging und auf einem Strohhalm kaute. Er kneift das eine Auge zu, entzückt macht er den anderen ein Zeichen und zieht mit einem plötzlichen Ruck das Tau unter Germunds Füßen fort. Germund stürzte natürlich zu Boden, so lang er war, und man lachte … im selben Augenblick aber war Germund unsichtbar! Man hörte es plumpsen, daß es durchs ganze Schiff ging, und sah wie durch einen Nebel ein Rad von menschlichen Gliedern: Germund und der Spaßmacher wirbelten auf den Brettern miteinander herum. Das Gelächter nahm zu, bekam aber einen etwas anderen Klang, nicht mehr ungeteilt auf Germunds Kosten. Noch bevor die Kämpfenden wieder ganz sichtbar geworden waren, rollten sie in einem Bündel über die Reling, gingen über Bord und endeten mit einem Klatsch unten in dem eiskalten Wasser, zum Jubel der ganzen Besatzung. Als man sie herausgefischt hatte, war der Riese außer Atem und verbarg es nicht; er mußte sich hinsetzen, während das Wasser von seinem Ringpanzer troff, und lachte aus vollem Halse. Darauf bot er Germund die Hand und richtete sich mit dessen Hilfe auf, keine geringe Höflichkeit gegen einen Unbekannten.

Germund wurde es heiß und kalt, als er hinterher erfuhr, daß der, den er angefallen und der ihm seine Freundschaft angeboten hatte, woraus klar hervorging, wer der Stärkere sei, kein anderer als Haastein war, der große Seekönig, Björn Eisenpanzers Pflegevater und der Schrecken aller Meere!

Die Sache der seeländischen Jungen wurde kurzerhand entschieden und zu ihrer vollen Zufriedenheit; sie kamen alle in den Sold des Königs und wurden auf der Flotte verteilt.

 

Später erfuhren die Knaben übrigens, daß sie keineswegs die einzigen waren, die im Heer Aufnahme gefunden hatten; solange Björn Eisenpanzer in der Ostsee lag, war von allen Seiten neue Mannschaft herbeigeströmt, Überschuß an Jugend, fast von demselben Jahrgang wie die seeländischen Jungen. Auch sie hatten das Meer unter mehr oder weniger abenteuerlichen Umständen gesucht, alle aber aus demselben Antrieb und mit demselben Erfolg, insofern als sie alle unter dem Rabenbanner endigten.

Viele hatten von der Anwesenheit der Flotte gehört und sie von selbst aufgesucht, andere hatten das Fahrwasser durchkreuzt und waren zufällig auf sie gestoßen, von ganzen, vollzähligen Mannschaften auf eigenen Schiffen bis zu einzelnen Meerbummlern herab, die der See in ausgehöhlten Baumstämmen getrotzt und sich nur von den Fischen, die sie fingen, ernährt hatten, einige vom Limfjord und andere von den norwegischen Küstenlandschaften, Leute aus Schonen, Gotland, Fynen und Samsö; in ganzen Schwärmen waren sie gekommen, frühlingstoll und auf alles gefaßt, nur nicht auf das eine: nach Hause zurückzukehren; und Björn Eisenpanzer nahm sie alle freundlich auf, solange seine eigenen Schiffe und die neuen, die man verwenden konnte, tragen wollten; daß er just zu diesem Zweck hier lag, das war sein Geheimnis.

Es war eine bunte Schar. Einige sahen ziemlich simpel aus, so einfach wie nur möglich gekleidet, in Bast und Wolfsfelle, und mit uralten Hämmern aus einer harten Steinart bewaffnet, die wahrscheinlich als wundertätige, geheimnisvoll kräftige Waffen im Geschlecht vererbt worden waren; das waren die robusten Nachkommen der Pfadfinder im Innern des unbekannten Schweden-Norwegen, hoch oben aus den Hochgebirgsgegenden, wo nicht mal Bäume wuchsen; sie hatten sich den Frühlingsströmen anvertraut in großen Trögen aus geflochtenen Birkenreisern mit Fellen überzogen, und waren mit den Flüssen ins Meer hinaus geschwommen, zusammen mit Myriaden von Lemmingen, die in jenen Jahren auch wanderten. Sie glichen der leibhaftigen grauen Urzeit, waren aber im übrigen Augenblickskinder genug, wenn es auf Appetit und Schlagfertigkeit ankam.

In der ersten Zeit mußten sie alles von Grund auf lernen, wie kleine Kinder, sie hatten sogar noch nie ein Schiff gesehen und waren sehr erstaunt, daß die Leute, die sie an Bord vorfanden, nicht größer waren; sie hatten erwartet, ungeheure Riesen in so großen »Booten« zu finden. Alles war neu für sie, noch nie gesehen, noch nie gedacht, dafür waren sie selbst aber auch neu, funkelnd wie die Aprilsonne vor Empfänglichkeit und neugeborenem Witz.

Sie lachten sich halbtot über das Tauwerk an Bord, das so köstlich dick war, sie faßten es an und konnten es nicht mit der Hand umspannen, hoben unwillkürlich die Augen in die Höhe, als wollten sie die unnatürliche Größe desjenigen messen, zu dem solch ein Netz paßte; dann schüttelten sie den Kopf, lachten inwendig herzhaft, und waren nun um so viel klüger geworden! Sie gerieten über die alltäglichsten Dinge in entzücktes Erstaunen, lachten laut vor Freude über die Rüstungen der Mannen, die sie vorsichtig mit den Fingern berührten, ob es auch kein Blendwerk sei, sie umarmten und streichelten die Masten und gingen aus Ehrfurcht vor den geschnitzten Drachenköpfen, vor denen sich ihnen die Haare sträubten, auf den Zehen.

All die Unmasse Eisen, die auf dem Schiff verwandt worden war, raubte ihnen die Sprache, entzündete den Jägerblick in ihren frischen Augen; das erste gute Messer oder Beil, das in ihren Besitz kam, hätte sie fast veranlaßt, auf der Stelle heimzukehren, beim Gedanken an den alten Mann, ihren Vater, der jetzt allein dort oben in der Wildnis Fallen für die Renntiere grub und der, solange sie zurückdenken konnten, sich mit den kostbaren Resten eines alten Eisensplitters an einem Schaft beholfen hatte.

Im übrigen dauerte es erstaunlich kurze Zeit, bis sie sich ganz wie andere Menschen benehmen lernten, wenn sie auch ihre eigentümliche Wachsamkeit und Neugier bewahrten. Nachtschlaf als eine regelmäßig wiederkehrende Notdurft schienen sie nicht zu kennen, sie schliefen selten und nur wenn der Schlaf sie wie eine Art Krankheit überkam.

Als man ihnen zum erstenmal starke Getränke gab! Das leibhaftige Feuer schien ihnen durch die Adern zu laufen. Sie brüllten in langen Zügen aus der Kehle vor Wonne, wollten mehr haben! Sie rasten wie Sonnen, stürmten durch den Himmelsraum, ihre Augen gebaren eine neue Erde und neue Sterne, sie tauten auf wie jener Frostriese am Morgen der Zeiten, der die ganze Welt überschwemmte, ihr Gehirn wurde zu Wolken, ihre Knöchel zu Bergen, Bäume wuchsen ihnen auf dem Kopf und das eine Bein zeugte nicht einen, sondern viele Söhne mit dem andern, denn sie fanden, daß sie viel zu viele hätten; sie fabelten von ihren ungeheuren Kräften, erhoben sich, um den Himmel herunterzureißen und glaubten, daß sie es bestens besorgt hätten, wenn sie selbst auf den Rücken fielen. Es lohnte sich, ihnen berauschende Getränke zu geben!

Wovon sie besonders fabelten, wenn sie bezecht wurden, war das vertrauliche Verhältnis, in dem sie zu gewissen schrecklichen Mächten standen, die sie selbst in eigener Person waren, wenn man sie recht verstand; sie deuteten an, daß sie die heißen Söhne der Sonne seien, drohten nicht geradezu, daß sie das ganze Erdreich absengen wollten, aber ließen durchblicken, daß sie es könnten, daß sie aber zu wohlgesonnen seien und Europa schonen wollten, wenn man ihnen noch ein Faß gönnte! Aus diesem gefährlichen Geschwätz und aus der Andacht, die sie im nüchternen Zustand dem Feuer bewiesen und die wahrscheinlich damit zusammenhing, daß die Überlieferungen der alten Feueranbeter noch in ihrem Geschlecht lebten, bekamen sie ihren Beinamen auf der Flotte: Muspels Söhne wurden sie genannt, und sie verdienten sich übrigens später diesen Spitznamen vollauf. Den Tod kannten sie nicht, aber töten, damit waren sie geboren.

Von einem dieser Unschuldigen aus den Hochgebirgsgegenden wurde sogar erzählt, daß er noch nie in seinem Leben ein Weib gesehen hatte, bevor er von der Flotte ausgenommen wurde, obgleich er ein großer, erwachsener Mensch war! Das mochte darin seine Erklärung haben, daß seine Mutter gestorben war, bevor er denken konnte, und daß der Vater ganz einsam und von Menschen zurückgezogen gelebt hatte. Als er auf einem der Schiffe ein Mädchen erblickte, stieß er einen lauten Schrei aus und sah sich um, um sich zu verstecken, gleich darauf aber lachte er, lachte wieder und zeichnete mit beiden Händen vorsichtig durch die Luft, erst nach innen und dann nach außen und dann wieder nach innen, die hüftenschöne Linie des Weibes, ging näher, lachte seltsam und begann schwer zu atmen, im nächsten Augenblick mußte man ihn greifen und binden.

Im Gegensatz zu Naturkindern wie die Muspelsöhne machte die Bauernjugend aus den alten Dörfern längs der Buchten, aus den aufgeklärten Harden am Isefjord und aus Schonen einen fast überverfeinerten Eindruck, sie traten reich ausgerüstet mit eingeführten, südländischen Waffen und Kleidern auf und hatten neugebaute Schiffe, die nach ihren heimatlichen Wäldern dufteten; sie wurden ohne größere Verwandlung in die Flotte eingereiht. Alte Wikinge, die sich bisher auf eigene Faust umgetan hatten und sich jetzt dem Heer anschlossen, brauchen kaum erwähnt zu werden, sie kamen aus allen Gegenden des Nordens. In einer Beziehung glichen sich alle, woher sie auch stammten: die Begriffe waren dieselben, und sie sprachen alle dieselbe Sprache, denn es gab nur diese eine.

Zahlreich waren die Geschichten, die auf der Flotte von der Erfindungsgabe und Rücksichtslosigkeit erzählt wurden, die die Jugend an den Tag gelegt hatte, um mitzukommen. Sie schlichen sich an Bord, wenn die Schiffe in der Nähe des Landes lagen, versteckten sich unter den Brettern und wurden halbtot im Bodenwasser gefunden; ein oder mehrere gutgewachsene Burschen waren ans Tageslicht gekommen, als man die Segel aufrollte; sie hatten sich dort versteckt, um erst zum Vorschein zu kommen, wenn das Schiff ein gutes Stück auf dem Meere war. Andere hatten sich auf Balken vorwärts gestakt, sich treiben lassen und um Hilfe geschrien, nur um gerettet zu werden und an Bord zu kommen. Keine aber hatten die Kühnheit gehabt wie die seeländischen Jungen, eines der Königsschiffe geradezu zu kapern, diese Ehre teilten sie mit niemandem, und darum genossen sie von Anfang an einen gewissen komischen Ruhm an Bord; es wurde zu einem stehenden Witz, daß Schiffsleute, die mit einem Boot von einem Schiff zum anderen sollten, sich gebärdeten, als ob sie Angst hätten, wegen der Gefahr, der sie sich unterwegs aussetzten. Über ihre Zutrittsberechtigung zum Heer herrschte indessen kein Zweifel. Germund, ihr Anführer, wurde von Björn Eisenpanzer der Besatzung seines eigenen Schiffes einverleibt.

Ein unendliches Lärmen, Bekanntschaftenmachen an Bord der Schiffe, Rufen von einem zum andern, herrschte von morgens bis abends unter den Rabenbannern, die in dem frischen Frühlingswind an den Masten flatterten. Nicht umsonst versammelte man sich unter dem Zeichen der Raben, man schnatterte, als sei man selbst eine große Schar von gesellschaftlichen und raubgierigen Vögeln.

Nach und nach aber senkte sich Ruhe und Ordnung auf die Gemüter. Die Alten auf der Flotte hatten Übung im Einüben neuer Mannschaften. Endlich eines Tages lichtete Björn Eisenpanzer die Anker, um zu seinem Vater und seinen Brüdern zu stoßen, die mit dem Normannenheer im Fahrwasser zwischen England und Frankreich lagen.

 

Als sie nördlich um Skagen herumgekommen waren, bekamen sie einen Sturm, der die Schiffe gegen die jütländische Küste zurücktrieb und der ganzen Flotte mit Untergang drohte.

Björn Eisenpanzers Schiff, das das größte war und sich am schwersten rudern ließ, kam in Gefahr, zu kentern. Jeder einzige Mann an Bord lag über den Riemen, wo Platz für eine Hand war, und ruderte ums Leben, und nicht nur wenige hitzige Augenblicke, sondern Stunde um Stunde, bis das Blut von ihren Handflächen rann. Das lange schwere Schiff stand bisweilen kerzengrade auf den Wogen, so daß man wie an einer Leiter an den Ruderbänken hinaufsehen konnte, wo die Besatzung sich wie ein Mann hintenüberstemmte, Rücken und Arme bis zum äußersten gespannt, während die Riemen die See weiß schaufelten. Neben Björn Eisenpanzer, der den Steuermann am Steuerruder abgelöst hatte, stand Haastein, aufmerksam und nachdenklich.

Nach und nach wurde es klar, daß das Schiff trotz verzweifelten Kampfes zur Küste abgetrieben wurde. Der Strom zwang es dorthin; die Besatzung aber, die das Land näher und näher kommen sah, obgleich sie alle arbeiteten, als solle ihnen der Kopf springen, konnte sich die Sache nicht anders erklären, als daß irgend eine gewaltige Hand – Ran? – von unten den Kiel gepackt hielt und sie langsam und sicher in Tod und Untergang führte.

Es war heller Tag mit klarer, durchsichtiger See, wodurch ihre Lage noch schrecklicher wirkte; die Leute fingen an die Kräfte zu verlieren, man sah sich an und schrie, daß Ran ein Opfer verlange und daß gelost werden solle, wer über Bord gehen müsse.

Die Küste war schon so nah, daß man die Menschen auf dem Sande, auf den die Seen mit weißen Schaumzungen hinaufleckten, umherlaufen sehen konnte, Leute mit Kapuzen auf dem Kopf und langen Stangen in den Händen – und die Besatzung auf dem Schiff wußte Bescheid, die Stangen hatten einen Eisenhaken am Ende, womit einer die Schiffbrüchigen an Land zog, während ein anderer bereit stand, sie mit einem Beil oder einem großen Stein totzuschlagen; an Land gabs nichts zu holen, falls man heil durch die Brandung kam. Und das Schiff trieb immer weiter vom Kurs ab.

Da steht König Haastein auf der Befehlshaberbrücke. Sie sehen, daß er das Steuerruder nimmt, alles schweigt. Das erste, was er tut, ist etwas Wahnsinniges, er läßt das Fahrzeug plötzlich mit der Breitseite gegen die Wogen fallen, daß das grüne Wasser über die Besatzung spült, aber gerade das hat er gewollt; als er den Steven wieder zum Wind dreht, tropft jeder Mann von eiskaltem Wasser und schnappt nach Luft, mit dem salzigen Geschmack des Todes auf der Zunge – und jetzt fängt er an, ihnen seinen Willen aufzuzwingen.

Er schüttelt sich, und man sieht seine Zähne, ein furchtbarer Wortvorrat entströmt seiner Kehle, er spielt nicht mehr den leise Schleichenden, sondern steht wie ein Fels auf Deck, mit Augen, die wie ein weißer Kreis überall hin scheinen, seine Stimme ist keine Liebkosung mehr, sie dringt wie eine Geißel von einem Ende des Schiffes bis zum anderen, und da legen sie sich in die Ruder! Noch nie ist so gerudert worden, Haastein brüllt den Takt und die Männer arbeiten sich blau, greifen zu, daß ihnen schwarz vor Augen wird, und oben auf der Brücke rudert Haastein selbst mit, wirft sich vornüber und hintenüber durch die Luft, im Takt mit den Leuten, noch stärker; es ist, als ob seine Willenskraft sich der Besatzung mitteilt. Und sie trotzen der Strömung.

Als sie es aber so weit gebracht haben, daß das Land sich nicht mehr nähert, daß sie sich wenigstens auf der Stelle halten, da gedenkt Haastein Rans. Das Opfer – jawohl, hier ist, was wir geben wollen, und er schleudert einen großen Speer in die Wogen.

Sie rudern wie rasend, und jetzt kommen sie vorwärts, und als sie es spüren, vermehren sich ihre Kräfte, vorhin stöhnten sie unter der Bürde der Hoffnungslosigkeit, jetzt aber singen sie, peitschen das Meer mit den Riemen wie in einem einzigen Triumph, bis das Saugen der Strömung und der Widerstand des Windes gebrochen sind.

Und als sie sich schließlich auf offenem Meer in Sicherheit befinden und reißend vorwärts rudern, da ist es, als ob das ganze Schiff singt, sie singen und lachen über den Riemen, und in den wilden Worten, die als Text in ihrem Meer- und Siegesgesang schwellen, kehrt Haasteins Name wieder und wieder: Haastein, Haastein! Die Haare auf ihrem Kopf sträuben sich vor wilder Freude, während sie singen und rudern: Haastein, Haastein!

Die übrigen Schiffe, die in derselben Not gewesen waren, retteten sich auch aus der Strömung, durch das Beispiel des Führerschiffes ermutigt, die Flotte war gerettet. Hinter den Schiffen verschwand Jütlands niedrige, knochenfarbige Sandküste unter schäumenden Brandungslinien, und vor ihnen im Westen lag der offene Horizont zwischen Himmel und Meer, wo es von fernen, öden Wogen wimmelte.

Als jede Gefahr überstanden war, verließ König Haastein das Steuerruder, sah sich um und fand einen Strohhalm, den er mit einem fast unmerklichen Augenblinzeln zwischen seine Eckzähne schob. Keiner außer ihm selbst wußte, daß er sein Bestes noch lange nicht gegeben hatte.

Vor Abend waren sie auf offener See, nichts anderes als Himmel und Meer, wenn man sich rund um sich selbst drehte; für die, die immer nur so weit draußen gewesen waren, daß sie doch noch Land sehen konnten, war dies ein Anblick, der stumm machte.

Die Sonne sank in das ernste Meer, die Dunkelheit brach herein, und sie durften nicht nach Hause, keine ruhige Nacht auf der festen Erde, hier, auf diesem hackenden Schiff mußten sie jetzt ihr Leben fristen.

Die Abendröte schwand vom Himmel, die Nacht schloß sich vor ihnen. Jetzt aber wurden die Sterne entzündet. Rechter Hand neigte sich der Große Bär, zart gebaut und mit großen Abständen zwischen seinen Sternen, mit ihm waren alle von Kind auf vertraut, er war das erste bekannte Bild am Himmel über der heimatlichen Hütte. Er würde sie auch übers Meer begleiten.

Einer nach dem anderen von den alten Erfahrenen, die die Fahrt über die Nordsee schon früher mitgemacht hatten, duckte sich zwischen den Ruderbänken, ohne ein Wort, zog ein Kleidungsstück über den Kopf und ließ später nichts mehr von sich hören, während die lange Nacht sich aufs Schiff senkte.

Himmelragend, kaum sichtbar gegen den Hintergrund der Sterne, stand vorn eine unbewegliche Gestalt, der Ausguckmann.

Das Meer atmete mit langgezogenem Rauschen, sonst nichts als das laute, einförmige Rütteln der Riemen in den Gabeln, das bis auf den Boden des Schiffes widerhallte.


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