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Bruder Parvus

Bevor Germund aufbrach, setzte er einen Mann an der Küste von Seeland an Land, den er von Frankreich aus an Bord gehabt hatte, einen geistlichen Mann mit Namen Parvus. Es geschah auf dessen eigenen Wunsch und, wie er sagte, auf Grund eines Traumes, den er gehabt und der ihm ein Schicksal in den nordischen Ländern prophezeit hatte.

Es war ein ganz unschädlicher Mönch, gelehrt und menschenklug, Germund hatte sich auf der Heimreise manche Stunde durch Gespräche mit ihm vertrieben. Er nannte sich Bruder, als ob er mit der ganzen Welt verwandt sei, war sehr klein an Wuchs, fast wie ein Kind, aber mit einem nicht unmännlichen Kopf, sehr häßlich, mit bläulicher Haut und doppelten Lippen. Die Hände waren winzig klein, bleifarbig und mit schwarzen Haaren auf den Gelenken, der Kopf war kahl bis auf einen dicken, kohlschwarzen Kranz, er hatte dunkle, glimmende Augen, die ganz erloschen aber auch merkwürdig klug und lebendig aussehen konnten. Von Wesen war er äußerst zuvorkommend, hatte lauter Runzeln und Fältchen im Gesicht vor Freundlichkeit, seine Züge zitterten wie geblendet vor Verlegenheit, wenn er mit jemandem sprach, als ob die Ehre zu groß für ihn sei – und dennoch konnte sein Gesicht wie in einem plötzlichen Lichtblitz das Innere eines hochsinnigen Mannes verraten und sehr ernst, fast drohend werden. Seine ganze Person bat um Erlaubnis, da zu sein, aber er war zweifellos ein überlegener Mann.

Bruder Parvus' ganzes Reisegut bestand in einem Buch ohne den geringsten Schmuck oder Zierat auf dem Einband, damit es Laien nicht über ihre Kraft reizen sollte, samt einem Kruzifix, das aus demselben Grunde aus unedlem Metall war. Außerdem führte er eine kleine Glocke oder eher eine Schelle bei sich aus einfachem Erz, ohne sonderlichen Wert; damit pflegte er zu bestimmten Tageszeiten zu läuten, wenn er ganz allein seine Andachtstunde hielt und seinem fernen Gott zu Ehren aus dem Buch sang.

Niemand hatte ihm an Bord etwas zuleide getan, denn er war unbewaffnet und schadete niemandem. Dazu war er unbemittelt, besaß nichts als das grobe Hemd, das er auf dem Leibe trug, und den Hanfstrick, womit es in der Mitte zusammengehalten war. Dennoch konnte man ihn nicht arm nennen, denn er kümmerte sich nicht um sein Auskommen, schlug sogar Gaben aus, wenn es sich um Fleisch oder schwere Getränke handelte. Er aß nur Brot und trank einen Schluck Wasser dazu. An bestimmten Tagen in der Woche genoß er gar nichts, läutete aber häufig mit seiner Glocke als Signal für sich selbst, um auf die Knie zu fallen und ein langes, ehrerbietiges Lied zu singen, wobei seine Augen den Himmel suchten, während er geheimnisvolle Zeichen auf Stirn und Brust machte. Dabei ließ es sich natürlich nicht vermeiden, daß dieser oder jener Spaßvogel an Bord seinen Scherz mit ihm trieb, und dann jammerte er, bekam solch leidenden, gejagten und verfolgten Ausdruck, als sei er der Weltschmerz in eigener Person, so daß keiner an Bord es übers Herz brachte, ihn auf die Probe zu stellen.

Im übrigen lebte er ganz für sich und schien Gesellschaft genug an seinem Buch zu haben. Er war heilkundig und machte sich dadurch verdient, daß er viele der Wikinge von ihren Wunden kurierte, oder von anderem übel, das sie befallen hatte. Bruder Parvus hatte sich auf der Flotte sehr beliebt gemacht.

Germund setzte ihn nicht ohne Bedenken an Land. Denn wenn die Bauern Unbewaffnete auch nicht angriffen und ihn wohl überhaupt kaum beachten würden, so gab es doch wilde Tiere und andere Gefahren im Walde, denen er sich aussetzte. Und wovon wollte er leben, er, der nicht zu jagen verstand, wo wollte er wohnen, wie sich schützen, wenn es kalt wurde? Bruder Parvus schlug indessen jede Besorgnis nieder, indem er auf sein Buch und seinen Gott hinwies; er wollte sich nicht überreden lassen, von seinem Vorhaben abzustehen. Was ihm geträumt hatte, das hatte ihm geträumt und danach handelte er. Dem beugte Germund sich, setzte ihn kopfschüttelnd an Land und sah ihn einsam und verlassen am Ufer zwischen den äußersten Bäumen des Waldes stehen, der ganz bis an den Sund hinunterging. Darauf stach Germund in See.

Im Herbst kam er zurück nach einem wohlverbrachten Sommer in Frankreich an der Seine, wo die Eingeborenen ihn in einer noch ziemlich ungeplünderten Landschaft mit neuer Ladung für die Schiffe versehen hatten, mit Stückgut, Lebensmitteln und Wein, und wo er verweilte, bis der Weizen der Leute gereift war, so daß er ihn noch ernten und mitnehmen konnte, bevor er aufbrach. Obgleich er dort bequem und vorteilhaft mit dem Normannenheer hätte überwintern können, war er doch zurückgekommen, um sein Winterquartier irgendwo am Öresund aufzuschlagen; die Hoffnung, Gevn noch zu finden, hielt ihn fest.

Mehrmals im Lauf des Sommers hatte Germund an Bruder Parvus gedacht, wie es ihm wohl gehe; jetzt traf er ihn wieder und, wie es sich zeigte, im besten Wohlsein.

 

Bruder Parvus hatte sich im Walde an einem hübschen, einsamen Ort niedergelassen, zwischen hohen Buchen in der Nähe einer Quelle, und war so froh darüber, daß man unwillkürlich seine Zufriedenheit teilen mußte, obgleich er eigentlich etwas verrückt schien.

Als Wohnung hatte ihm den ganzen Sommer ein hohler Baum gedient, wo der Bär in alten Zeiten sein Winterquartier gehabt hatte; über seinem Kopf wölbte sich eine gewaltige Buche, und an ihrem untersten Ast hatte er seine kleine Glocke aufgehängt, mit einer Schnur zum Ziehen, wenn er sich selbst zur Messe läutete.

Der Wald hatte eine neue Stimme bekommen. Die alten stillen Wälder, wo früher nur das Brüllen des Auerochsen, wenn er um seine Kühe kämpfte, oder Kriegshörner das Schweigen unterbrochen hatten, sprachen jetzt mit einer neuen wundersamen Stimme, die alle Vögel zum Lauschen brachte, einem zarten, hoffnungsvollen Klang, der Morgen und Abend begrüßte und die Stunden einteilte, die hier noch nie geteilt worden waren.

Außer der Glocke, die den Wald voll Musik läutete, aber doch nur einen Ton hatte, spielte Bruder Parvus auf einer Flöte, die er sich aus einem Rohr geschnitzt hatte; ihr Klang reichte nicht weit, war aber so lieblich, daß einem das Herz dabei stillstand. Er konnte auch singen; es war erstaunlich, was für eine mächtige Stimme in dem kleinen Mann wohnte, man konnte ihn auf weite Entfernung im Walde hören, wenn er mit seiner Glocke geläutet hatte und darauf die Messe hielt, um sich selbst und seinen Gott in der Einsamkeit zu unterhalten.

Sein Herz schien eitel Musik zu sein; wenn er selbst nicht Andacht hielt, lauschte er den Vögeln, deren Sprache er offenbar verstand, nach dem Ausdruck in seinem Gesicht zu urteilen; er nickte ihnen verständnisvoll zu, selbst den kleinsten Vögeln, und legte den Kopf sanft auf die Seite, wenn einer auf einem Zweig saß und zu ihm herunter piepste. Die Vögel waren seine Freunde.

Wovon er lebte? Ach, in der Nähe des hohlen Baumes auf einem sonnigen Fleck hatte er im Frühling Samen gestreut und allerhand Zwiebeln und Gemüse gezogen, die ihm Nahrung gaben. Hier pflanzte er auch verschiedene Kräuter, die sonst hier zu Lande nicht wuchsen und die er für seine Heilkunst brauchte. Was sein Auskommen im übrigen betraf, so waren da ja die Waldkinder, die ihm jeden Tag von ihrem Essen gaben.

Die Kinder – an einem der ersten Tage, als er sich im Walde angesiedelt hatte, war ihm ein Flüstern und Schwatzen über seinem Kopf ins Ohr gedrungen, und als er in die Höhe guckte, war die Buche wie lebendig von Kindern gewesen, einer ganzen Schar kleiner, wilder Geschöpfe, die von der Glocke des Einsiedlers angelockt worden waren und den Baum besetzt hatten, um ihre Neugier zu befriedigen.

Bruder Parvus war klug, er tat ganz unbefangen, guckte weg und setzte sich ruhig zum Lesen nieder. Es zwitscherte und kicherte unterdrückt über seinem Kopf, etwas Moos fiel von den Zweigen herab, der ganze Baum erzitterte, Bruder Parvus aber sitzt mit seinem Buch vor der Nase. Kurz darauf läutet die Glocke ganz leise, eines hat sie berührt, danach großer Rückzug und heftiges Schaukeln der Buchenzweige – Bruder Parvus liest. Nach einer Weile, als wieder Ruhe im Baum eingetreten ist, hört er es hinter sich auf der Erde rascheln, eines steht und guckt ihm über die Schulter, um zu sehen, was ein Buch für ein Ding ist. Und da sich nichts ereignet, kommt die ganze Bande Stück für Stück vom Baum herunter, und alle wollen sehen, was ein Buch für ein Ding ist. Jetzt gibt Bruder Parvus sich den Anschein, als ob er schläft, und nachdem die Horde alle seine Sachen gründlich gemustert hat, zieht sie sich still zurück.

Das war die erste Begegnung. Das nächstemal kam Bruder Parvus den Kindern schon näher und bald war die Freundschaft besiegelt. Wollte man behaupten, daß Bruder Parvus einfach in die Horde ausgenommen sei und ihr Leben teilte, nur mit dem Unterschied, daß er in einem bestimmten Baum wohnte, während die anderen umherstreiften, hatte man so unrecht nicht. Er bekam Anteil an der Nahrung der Kinder, für die es in dieser Jahreszeit hundert Möglichkeiten gab, und machte sich dafür unentbehrlich durch seine Flöte, hauptsächlich aber durch seine unvergleichliche Glocke. Sie läutete jetzt tagüber für eine Schar dankbarer Jugend, die stundenlang voller Entzücken im Gras sitzen und ihr lauschen konnte. Da war das Buch, in das sie hineingucken durften, die Bilder und die kleinen Zeichen, die sie nie müde wurden zu begaffen, und Bruder Parvus versprach ihnen mit einem schicksalsschwangeren Lächeln, daß sie sie bald noch näher kennen lernen sollten.

Als Germund im Herbst nach Hause kam, hatte Bruder Parvus schon eine Schule in vollem Gang! Die Waldkinder saßen in artigen Reihen vor Bruder Parvus' Baum und hörten ihn die Flöte lieblich spielen, oder sie lauschten den Märchen, die er erzählte, denn jetzt kannte er ihre Sprache und wußte zahllose Geschichten.

Wie spiegelten die Märchen sich in den ausdrucksvollen Kindergesichtern, wenn er erzählte, wie hingen sie an seinem Munde! Die jungen Züge erschlafften in tiefstem Kummer oder klärten sich voller Glückseligkeit auf, je nachdem es in der Geschichte zuging; die unberührten, hungrigen Seelen tranken Leben und Tod aus dem Unterricht des Einsiedlers. Die ganze Welt, von der sie zu hören bekamen, hatte er in seinem Buch, und er versprach ihnen, wenn sie recht artig seien, dann sollten sie selbst lesen lernen, damit sie alle Geschichten kennen lernen konnten. Sie wußten schon, daß es etwas gab, was Buchstaben hieß, sie konnten schon A sagen, das war ein kleines, schwarzes Männchen, das im Buch immer wiederkehrte, bald sollten sie auch B sagen lernen.

 

Da war besonders eine Geschichte, die den kleinen Heiden gar zu gut gefiel und die Bruder Parvus immer wieder erzählen mußte.

Sie handelte von einem Riesen, der in die Welt zog, um jemanden zu finden, der stärker war als er; dem wollte er dienen. Er maß seine Kräfte mit vielen, sowohl Göttern wie Menschen, Riesen und Gnomen, Ungeheuern und schließlich sogar erfolgreich mit dem Tod in der Unterwelt, aber keiner konnte es mit ihm aufnehmen, und schließlich glaubte er, daß er der Stärkste in der ganzen Welt sei.

Da hörte er von noch einem Gott, der der stärkste von allen Göttern sein sollte, ihm entschloß er sich zu dienen und bekam die Aufgabe, Fährmann an einem Fluß zu sein, der schwer für Menschen zu passieren war. Das gefiel dem Starken gar wohl, und das Wetter mochte noch so hart und der Strom noch so stark sein, er trug jeden hinüber der kam, wer es auch war, selbst Wagen mit Pferden und allem Zubehör, er nahm das Ganze auf seine Schultern, denn er war ja so stark, so stark.

Eines Abends aber saß ein ganz kleines Kind am Ufer und wollte gern über den Fluß getragen werden. Der Starke nahm das Kind wie eine Feder auf seinen Rücken und watete hinaus, und da ereignete sich das Wunderbare, daß das Kind anfing, schwer und immer schwerer zu werden, und als er bis zur Mitte des Flusses gekommen war, lag das Kind wie eine so ungeheure Bürde auf seinen Schultern, daß der Riese, der doch so groß wie eine Eiche war, in die Knie sank und fast im Fluß ertrunken wäre. Als er aber mit äußerster Not mit seiner Bürde hinübergekommen war, da erfuhr er, daß das Kind der fremde Gott selbst gewesen sei und daß er die ganze Welt auf seinen Schultern getragen habe!

Diese Geschichte gefiel den Kindern gar gut. Sie lachten über den dummen Riesen, und es amüsierte sie königlich, daß ihm ein kleines Kind zu schwer geworden sei.

Bruder Parvus lachte selber mit wie ein Kind, fast konnte man glauben, daß er selbst es sei, an dem der gutmütige Riese sich in seinem Übermaß von Naturkräften überhoben hatte.

 

Der Sommer war nicht vorübergegangen, ohne daß Bruder Parvus auch mit der erwachsenen Bevölkerung der Harde in Berührung gekommen war.

Das Gerücht von seiner Heilkunst verbreitete sich schnell, bald war es eine wohlbekannte Sache, daß der fremde Einsiedler im Walde alle Krankheiten kurieren konnte, gegen die es sonst keine Mittel gab. Aus den ausländischen Kräutern, die er gepflanzt hatte, und aus anderen, die er im Walde fand, bereitete er kräftige Salben und Getränke, mit denen er manchem Kranken das Leben rettete. Bruder Parvus nahm nichts für seine Kuren, er bat nur den, den er geheilt hatte, Gott zu danken, in dessen Kraft er gewirkt habe.

Lange dauerte es nicht, bis Bruder Parvus außer seiner Schule täglich großen Zulauf von Krüppeln und Leidenden hatte, die er nach bestem Vermögen erquickte. Er bekam viele Gaben, behielt sie aber nicht für sich, sondern schenkte sie an Brotlose und Bettler, wovon es ganze seufzende Scharen gab. Mit dem Einsiedlerdasein war es vorbei; eher glich der Platz im Walde an der Quelle und der Baum des frommen Mannes einem Jahrmarkt.

Die Glocke läutete jetzt nicht mehr für Bruder Parvus allein, sie war ein Signal für die Kinder, die Geschichten hören und Buchstaben sehen wollten, sie verkündete denen, die es wissen wollten, wann Messe sei, und sie läutete Arme zur Gabenverteilung herbei.

Es war als ob das Elend in der Gegend jetzt erst an den Tag käme, es war grenzenlos. Eine ganze Bevölkerung verkam in Schmutz, Krankheit und geistiger Nacht. Man konnte nicht im Walde gehen, ohne auf verweste Leichen zu treten, Kinder, die von Eltern ausgesetzt worden, Schwache und Freundlose, die tot umgefallen waren. Das war um so auffallender, als die Bevölkerung sonst, die Lebenden, einen fast abstoßenden Eindruck von Gesundheit und Kraft machte. Entsetzlich war die Gleichgültigkeit, die hier dem Tode und allem, was des Todes ist, bezeigt wurde. Bruder Parvus hatte Augenblicke, wo Entsetzen und Kummer ihn fast überwältigten. Aus der tiefen Not aber wuchs auch sein Glaube, durch den sein Lebenswerk genährt werden sollte.

Er hatte angefangen zu taufen. Die ersten, die sich im Vertrauen auf seine Verkündigung zu dem Herrn bekannten, dem er diente und dessen Gebot Liebe war, waren einige Sklaven aus einem in der Nähe gelegenen Gehöft, die sich abends zum Walde schlichen und dem Fremden ihre Hoffnungslosigkeit anvertrauten; ihnen folgten andere von anderen Höfen, außerdem verschiedene Obdachlose, Bettler und Strolche, und als Bruder Parvus fand, daß sie genügend im Glauben unterrichtet seien, schritt er zur Taufe.

Hier zeigte es sich indessen, daß ein Teil abtrünnig wurde. Denn als sie ihre Kleider ablegen und ins Nasse sollten, scheuten mehrere zurück, fingen an zu beben und zu zittern und wollten lieber in ihrer Finsternis bleiben. Aber es waren auch viele da, die sich überwanden und in die Quelle stiegen, nachdem sie sich überzeugt hatten, daß sie Grund haben würden. Ohne Wasser getauft zu werden war natürlich eine Unmöglichkeit, aber es war ja auch nur ein Übergang, und viele, wie gesagt, entschlossen sich dazu.

Die Taufe gab Veranlassung zu verschiedenen Überraschungen, indem die neuen Menschen, die aus der Quelle stiegen, oft nicht wiederzuerkennen waren. Mancher alte gebrochene Sklave, von dem man überhaupt nicht mehr sehen konnte, woraus er war, offenbarte menschliche Züge, wenn er eine Zeitlang in der Quelle geweicht und seine Kruste verloren hatte. Von einigen zeigte es sich, daß sie schwarz wie Pudel waren, wenn sie aufgetaut wurden, andere dagegen stiegen hell und wunderhübsch aus dem Bade, nachdem sie die alte Kruste verloren hatten. Die Getauften sagten, daß ihnen in der ersten Zeit nach dem Bade fröre, ihre Haut war so empfindlich gegen die Kälte geworden, aber das war noch nicht das Schlimmste, oft wandten ihre Nächsten, selbst ihre Frauen ihnen den Rücken, indem sie behaupteten, daß sie gar nicht dieselben seien.

Tatsächlich gehörte nicht wenig Mut dazu, sich der Taufe zu unterziehen, abgesehen von dem nassen Übergang, denn sie hob den einzelnen über das Gewöhnliche hinaus, und es ist bekanntlich nicht leicht, von der Allgemeinheit abzuweichen. Darum war es auch nicht zu vermeiden, daß die Bekehrten Gegenstand von Verfolgungen wurden. Aber sie lernten, daß gerade darin ein Verdienst läge. Und als die Bewegung erst über einen gewissen Punkt hinausgekommen war, griff sie mehr und mehr um sich, wie so oft bei einer geduckten, dicht zusammengedrängten Bevölkerung, und es kamen mehr und mehr Leute und sagten, jetzt hätten sie sich entschlossen, jetzt wollten sie es wagen.

Bruder Parvus fand die Zeit nicht mehr fern, wo er eine Gemeinde haben würde. Sich den Mächtigen der Harde, den Bauern zu nähern, würde vorläufig noch nichts nützen, das fühlte er wohl, obgleich dieser und jener ihn als Arzt schon aufgesucht hatte.

Sein Weg zu den Gehöften, das war ihm klar, mußte durch die Hausfrauen gehen; er wußte bereits von mehr als einer Freigeborenen, die sich gerührt über seine Tätigkeit geäußert hatte; sein gutes Einvernehmen mit den Kindern begann Früchte zu tragen.

 

So stand die Sache, als Germund im Herbst zurückkehrte und Bruder Parvus wiedersah. Sie führten manches Gespräch zusammen, und Germund konnte den Erfolg, den Bruder Parvus gehabt hatte, nur billigen. Daß er sich Notleidender und Ausgestoßener annahm, um die sich sonst niemand kümmerte, konnte man ihm doch nicht zum Vorwurf machen!

Er sah, daß Bruder Parvus kein gewöhnlicher Mönch sei. Er war uneigennützig. Obgleich er eine tiefe persönliche Demut niemals ablegte, leuchtete sein Blick doch von einer Kraft, die er aus dem Bewußtsein zu schöpfen schien, einem Geist zu dienen, der weiter reichte als sein eigenes Leben. Es leuchtete Stolz durch sein gebrochenes Wesen.

Außer Bruder Parvus hatte Germund nie einen Menschen getroffen, der von sich selbst behauptete, daß er furchtsam sei, aber es war wirklich so, sein ganzes Wesen, jede Bewegung drückte Furcht aus, das kleinste Tier konnte ihn sinnlos erschrecken, er wich wie ein Weib vor der blanken Waffe zurück – aber hatte er nicht eine lebensgefährliche Reise ganz allein zwischen lärmenden Wikingen gemacht, lebte er hier nicht unbeschützt im Walde in einem fremden Lande zwischen Leuten, die ein Menschenleben für nichts Besseres erachteten als ihren Speer hindurch zu rennen? Er hätte ja im Süden bleiben und gute Tage in einem wohlbefestigten Kloster haben können. Nein, er war kein gewöhnlicher Mönch.

Oft sprach Germund mit dem klugen Mann über das Himmelreich, an das sie beide auf ihre Art glaubten, über die Lage desselben aber konnten sie sich nicht einigen.

Während des kommenden Winters und übrigens auch später bekamen sie auf mancherlei Weise viel miteinander zu tun. Als es anfing kalt zu werden, bot Germund Bruder Parvus an, ihm beim Bauen eines Hauses behilflich zu sein, worin er in Sicherheit wohnen und seine Anhänger zum Unterricht versammeln könne. Aber er schlug ihm vor, sich, statt im Walde, in einem Fischerdorf niederzulassen, wo Germund selbst sein Winterquartier aufzuschlagen gedachte, und darauf ging Bruder Parvus ein.

Germund wollte anfangs in den Fure-See einlaufen und sich dort verschanzen, als er aber den Bach mit großen Steinen versperrt fand, entschloß er sich zu einer anderen Stelle weiter unten an der Küste, wo er einen guten Ankerplatz und andere Bequemlichkeiten für einen Winteraufenthalt fand. Es war eines der größten Fischerdörfer an der Küste und ein alter Marktplatz für Heringe, wo Leute von weither aus der ganzen Ostsee zusammenkamen, um zu handeln. Dort konnte er mit seinen Schiffen vor Anker gehen und sich befestigen, selbst in Sicherheit sein und doch den Vorteil des Umgangs mit Menschen haben. Für Bruder Parvus und sein barmherziges Werk bot der Ort viel größere Vorteile als der entlegene Platz im Walde, das sah er wohl ein und folgte Germund zum Fischerdorf.

Hier half Germund ihm eine Hütte in der Nähe der Schiffe bauen, so daß er ihren Schutz genießen konnte. Die Hütte war nur gering, mit einem Strohdach und ohne Fenster, Bruder Parvus aber war glücklich an dem Tage, als er seine kleine Glocke an der Tür aufhängen und die ganze Herrlichkeit zu Ehren seines fernen milden Gottes einweihen konnte. Die stolze, fast drohende Haltung, die sonst immer hinter seinem demütigen Wesen verborgen lag, brach sich einen Augenblick aus seinem Inneren Bahn, aber auch nur einen Augenblick.


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