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XI

Seit halb zwölf Uhr nachts war in Lohmanns Kommissariat ein reger Betrieb. Anlaß dieser fieberhaften Tätigkeit zu so ungewohnter Stunde war die Meldung des Kriminalsekretärs gewesen, der Kent zu überwachen hatte.

Am Nachmittag habe er Kent, der es sehr eilig zu haben schien und mehrfach die Verkehrsmittel wechselte, aus den Augen verloren. Gegen sieben Uhr fünfundvierzig war Kent wieder in seiner Wohnung eingetroffen, um sie um acht Uhr zwanzig wieder zu verlassen. Diesmal war ihm der Beamte dicht auf den Fersen geblieben. Kent hatte die gleiche Gegend wie am Nachmittag aufgesucht und war in einer wenig belebten Straße längere Zeit beobachtend auf und ab gegangen. Der Beamte hatte sich in eine Toreinfahrt gestellt, anscheinend gänzlich mit seiner schlecht brennenden Zigarette beschäftigt. Dann war er dem anderen in das leere Fabrikgebäude nachgegangen.

Hier allerdings hatte er sich nur schwer zurechtfinden können. Das Haus schien völlig leer und ohne Leben zu sein. Von Kent hatte er nichts mehr bemerkt. Plötzlich waren über ihm mehrere dumpfe Knalle erfolgt. Schüsse? Er war die Treppe hinaufgeeilt und hatte alsbald vor einer schweren eisernen Tür gestanden. Sie war nicht zu öffnen gewesen. Um Kent nicht entwischen zu lassen, der eventuell über andere Ausgänge das Haus hätte verlassen können, war er wieder hinuntergegangen und hatte sich vor die Haustür gestellt. Dort war er dann nach geraumer Zeit von Kent fast umgerannt worden. Die atemlose Hast dieses Menschen hatte ihn vermuten lassen, daß dort oben etwas geschehen war, dem er sofort nachspüren mußte. In dem dunklen Treppenflur hatte er zu seinem Erstaunen eine Gasmaske gefunden.

Die schwere Eisentür war diesmal halb offen gewesen. Ein süßlicher Geruch war ihm entgegengeströmt. Augenblicke später hatte er sich in der offenen Tür befunden. Aber schon war er von mehreren Fäusten gepackt und hereingezerrt worden. Zu einer rechten Gegenwehr war er nicht gekommen. Das süßliche Gas hatte ihn betäubt.

Später hatte er sich dann, von seiner Betäubung erwachend, auf der Treppe liegend wiedergefunden. Noch ganz benommen hatte er dem Kommissar Lohmann telefonisch Mitteilung von dem Erlebten gemacht. Dieser war sogleich von seiner Wohnung in seine Diensträume geeilt, um alles Weitere zu veranlassen. Dort war ihm der gerade abgegebene Brief Kents überreicht worden. Er hatte zu den außergewöhnlichen Beobachtungen des Beamten die Erläuterungen und Erklärungen gebracht.

Kents Satz: »Wenn Sie Anhaltspunkte über die Bande haben wollen, die all die Verbrechen begangen hat, die Sie zu erklären suchen, dann müssen Sie sofort die Räume im dritten Stock des Fabrikgebäudes in der Bräunestraße 17 aufsuchen.«

Dieser Satz hatte den Kommissar in eine ungeheure Erregung versetzt. Sollte sich seine Vermutung bestätigen, daß alle von ihm bearbeiteten und anscheinend nebeneinander herlaufenden Fälle doch miteinander zusammenhingen, auf einen Urheber zurückzuführen waren? Wer war dieser Kent eigentlich? Was hatte er für Beweggründe, die Bande, der er doch wahrscheinlich selber angehörte, zu verraten?

Lohmann hatte sogleich alles Nötige veranlaßt, um das Fabrikgebäude eingehend durchsuchen zu können. Die Aktion hatte jedoch zu seiner großen Enttäuschung nicht den erhofften Erfolg gehabt.

Die Räume waren leer gewesen, vollkommen leer. Nach langem Suchen erst hatte man wenigstens die Zuleitungen gefunden, durch die das Gas abgeblasen worden war. Wohin die Rohre führten, wurde zur Zeit noch untersucht.

Aber eine andere, ihn seltsam berührende und nachdenklich stimmende Feststellung hatte der Kommissar machen müssen. Das Sanatorium Dr. Borns grenzte an den Hof des Fabrikgebäudes, dessen altes Lagerhaus, an der Abgrenzung beider Grundstücke gelegen, das Laboratorium des Chemikers Dr. Rauschmann-Born war.

Dem Kommissar war eine blitzartige Erkenntnis gekommen. Der Kriminalrat allerdings hatte, als ihm Lohmann noch in der Nacht telefonisch von dieser Erkenntnis, die sich bei ihm langsam zu fester Überzeugung auswuchs, Mitteilung machte und um Sondervollmachten bat, nach einer gedankenschweren Pause nur die beschleunigte Überprüfung des Verlaufs der Rohrleitungen in dem Fabrikgebäude angeordnet.

Soweit war man, als kurz nach Mitternacht die Nachricht eintraf, daß die Lara aus dem Phönix-Theater entführt worden sei.

Kurz danach war Lohmann mit einem guten Dutzend Beamten bereits auf dem Weg dorthin.

Die Beamten fanden im Phönix-Theater nur noch das aufgeregte Bühnenpersonal. Die Männer wußten nichts Bestimmtes auszusagen, da von dem Augenblick an, wo Beobachtungen von Bedeutung zu machen gewesen wären, der Bühnenbau wie das ganze Theater in vollständiger Finsternis gelegen hatten.

Die einzige sichere Folge des Ereignisses im Phönix-Theater war das Verschwinden der Tänzerin Lara inmitten der Panik, die durch den Anschlag hervorgerufen worden war. Sie blieb auch verschwunden. Daß sie entführt und die Panik nur zu diesem Zweck hervorgerufen worden war, ließ sich nicht beweisen. Über irgendeine Mutmaßung, woher die Täter kamen, zu welchem Zweck sie die Tat verübten, ob sie zu vielen oder wenigen waren, konnte Lohmann nichts ermitteln.

Er sagte später zum Kriminalrat: »Habe ich Ihnen nicht damals den Namen dieser Dame genannt? Ich hatte so ein Vorgefühl, als ob diese Lara uns noch beschäftigen würde. Allerdings scheint sie der passive Teil bei der Sache gewesen zu sein …«

»Wenn es nicht ein ordinärer Reklametrick von der Person ist«, ergänzte der Kriminalrat. »Denn so eine Sensationsmontage verhilft zu vollen Häusern.«

»Himmelherrgott!« schimpfte Lohmann, »dann würde ich sie für diesen Sensationskitzel mit oder ohne obrigkeitliche Erlaubnis auf meinen Tisch legen und verprügeln.«

»Ich habe weiter nichts dagegen, wenn Sie mich nur nicht als Vollstreckungszeugen benutzen wollen«, antwortete der Kriminalrat. »Die öffentliche Stimmung ist heutzutage polizeilichen Sondergerichten nicht freundlich gesinnt, wie Sie wissen.«

Lohmann untersuchte den Tatort genau. Aber die Bühne war gerade besetzt, und er beschränkte sich darauf, die Bühnenräume und Ausgänge und die äußere Umgebung des Bühnenhauses abzusuchen, während seine Kollegen ihm erzählten, was sie festgestellt hatten.

»Es ist nicht viel!« sagte Lohmann trocken und fuhr nach Hause. Von dort rief er die Verwaltung des Theaters an und fragte, ob die Vorausbestellungen auf Plätze für die gestrige Nachtvorstellung aufbewahrt worden seien. Er wollte versuchen, ein Bild zu gewinnen, aus welchen Kreisen sich die Besucher zusammensetzten. Zudem war es gewiß, daß die richtigen oder falschen Namen der Entführer oder ihrer Helfer unter diesen Vorausbestellungen zu finden waren, da sie sich zur Ausübung des Streiches ja Plätze hatten sichern müssen.

Als man dies bestätigte, bat er, sie ihm auszuhändigen. Sie lagen am Morgen auf seinem Tisch. Er sah sie durch, aber es fiel ihm nichts dazwischen auf. Es waren meist bekannte Namen der wohlhabenden Gesellschaft. Auch den Namen Professor Borns fand er dazwischen.

Dieser hatte eine Loge bestellt … Loge Nummer fünf. Das kam ihm zu. Seine Tochter war ja wohl auch an der Vorstellung beteiligt, wie sich Lohmann jetzt entsann. Loge Nummer fünf enthielt, er prüfte das im Adreßbuch nach, in dem die Theaterpläne waren, sechs Plätze.

Born hatte seine Tochter mitgenommen, natürlich! Wen noch für die übrigen vier Plätze? … Lohmann konnte sich nicht ausdenken, wer auf den anderen Sesseln der Loge Nummer fünf gesessen haben mochte, denn er kannte die gesellschaftlichen Beziehungen Borns nicht.

Born, immer wieder Born!

Er fragte telefonisch beim Theater nach dem Namen und der Adresse der Schließerin, die in der Nachtvorstellung die Loge Nummer fünf zu verwalten gehabt hatte. Dann fuhr er selber zu der Frau und erfuhr, daß das Theater ausverkauft gewesen war, daß in der Loge Nummer fünf aber nur ein einzelner Herr gewesen sei, den sie nicht gekannt habe. Er sei im allerletzten Augenblick gekommen. Sie erinnere sich genau.

Lohmann fragte nicht weiter, sondern begab sich ins Theater und besah sich die Loge Nummer fünf, ihren Zugang, ihre Lage zur Bühne und zum Kronleuchter, in den anscheinend zum Signal des Losgehens geschossen worden war. Er stieß einen Fluch aus und sagte: »Nein! Von hier aus nicht!«

Schließlich fuhr er in sein Büro zurück, las nochmals die schriftlich festgelegten Äußerungen der Bühnenangestellten und die Aussagen von anderen Leuten, wie sie sich bei derartigen Anlässen, meist aus Wichtigtuerei, immer bei der Polizei mit einem Wissen melden, das zu nichts führt.

Er stand auf und schloß das Fenster. Dabei kam er an einem Schrank vorbei, worin Akten aufbewahrt wurden. Es war Abend geworden, ohne daß von den in der Lara-Angelegenheit tätigen Beamten ein neuer Bericht gekommen wäre. Der Schrank erinnerte ihn daran, daß er sich die Mabuse-Akten hatte geben lassen. Er hatte einige Male, um einen freien Augenblick auszunutzen, darin gelesen. Jetzt holte er sie wieder hervor aus dem Schrank, worin sie verwahrt lagen und blätterte oberflächlich darin herum, bis er auf eine Stelle stieß, die ihn mehr und mehr fesselte.

In dem Augenblick, da er von einem plötzlichen Einfall getroffen mitten aus dem Lesen aufschaute und voll Überraschung mit der flachen Hand auf den Tisch schlug, trat der Kriminalrat herein.

Lohmann rief ihn an: »Sie ist doch geraubt worden!«

»Weshalb glauben Sie das jetzt? Stellen Sie sich vor: Mitten aus einem überfüllten Theater in voller Öffentlichkeit? Wie kommen Sie zu dieser Auffassung?«

»Durch ein Vergleichen mit einem Ereignis, das vor einigen Jahren stattfand. Hier in den Akten stoße ich auf einmal wieder auf den Raub der Gräfin Told …«

Und Lohmann erzählte, was noch vielen Menschen im Gedächtnis war, die die damaligen Vorgänge verfolgt hatten, daß 1921 Mabuse mitten aus einer großen Gesellschaft die Gräfin Told geraubt und für sich irgendwohin in Sicherheit gebracht hatte. Auch der Kriminalrat erinnerte sich an diese Geschichte, die damals die Öffentlichkeit stark berührt hatte. Er meinte jedoch, Mabuse könne ja nicht mehr in Frage kommen, da er durch seinen körperlichen und geistigen Zustand handlungsunfähig und in dem festen Haus der Heil- und Pflegeanstalt bewacht wurde.

»Er hat einen Nachfolger! Ich sagte es bereits heute nacht … Professor Born!« sagte Lohmann kurz und wie etwas Selbstverständliches.

Der Kriminalrat richtete sich auf.

»Lohmann, Sie werden gefährlich. Sie haben schon kürzlich Ihre Phantasie um den Professor spazierengeführt. Ich möchte nicht mit meinem Ressort den Witzblättern den Stoff liefern … Professor Born!« rief er dann mit unwilligem Staunen noch einmal.

Er schüttelte sich, um die letzten Reste der Möglichkeit eines derartigen Verdachtes gänzlich fortzuwerfen. Dann fragte er nach einer nachdenklichen Pause: »Haben die Nachforschungen in dem Fabrikgebäude etwas ergeben?«

»Leider noch nicht abgeschlossen«, antwortete Lohmann bedauernd. »Das Gebäude ist alt und vollkommen verbaut, viele alte Gas- und Wasserleitungen durchziehen es. Es ist nicht leicht, die richtige zu verfolgen. Aber soviel steht schon fest: sie führt bis in den Keller und verliert sich dann im Erdreich. Sie ist übrigens mit einer Drahtleitung verbunden, wie man sie für eine Lautsprecheranlage benötigt. Beide Leitungen kommen von außerhalb des Gebäudes. Soviel steht, wie gesagt, fest.«

»Und Sie meinen, daß das Ihre Theorie stützt?« Lohmann zuckte die Achseln.

Da klopfte es an die Tür, und ein Beamter trat herein, um zu melden, es sei ein Herr Kent draußen, der den Polizeikommissar Lohmann gleich sprechen wolle.

»Kent? Ist das der Mann, der uns die Mitteilung geschickt hat?« fragte der Kriminalrat.

Lohmann nickte. Eine starke Spannung bemächtigte sich seiner. »Ich lasse Herrn Kent bitten!« beschied er dem Beamten, nachdem ihm der Kriminalrat durch einen Wink zu verstehen gegeben hatte, daß er bloß den stillen Zuhörer zu spielen gedenke.

Bald trat Kent ein, und Lohmann sah gleich an seiner Haltung und seinem Auftreten, daß er heute in einer ganz anderen Verfassung kam als das erstemal.

*

Kent hatte eine entsetzliche Nacht hinter sich. Als er und Helli das Theater verlassen hatten, irrten sie durch die Straßen, und keiner von beiden fand den Mut und die Kraft zu einem Wort. Schließlich beendete Kent die Aussichtslosigkeit dieses ziellosen Nebeneinanderirrens und brachte Helli nach Hause. Er selber streifte planlos weiter und war gegen fünf Uhr in die Nähe seiner Wohnung gelangt, ohne es beabsichtigt zu haben. Jetzt betrachtete er es als einen Wink, und in der Hoffnung, wenigstens in einigen Stunden Schlaf über den Zustand seines Innern hinwegzukommen, war er heimgegangen und hatte sich zu Bett gelegt.

Aber der Kampf in seinem Innern marterte ihn mit quälenden Träumen und stieß ihn um so heftiger immer wieder aus dem Schlaf.

Zwei Gegensätze waren da und keine Lösungen: Das Mädchen schonen, ihr nicht den Vater nehmen … oder seine Pflicht tun und seine Kenntnisse der Polizei melden und die Menschen von dem Verbrecher befreien … Daß seine innere Wandlung so schnell einer derart harten Prüfung unterzogen wurde, machte ihn aufsässig gegen das Schicksal.

Er spielte sich in die unmöglichsten Vorsätze und Vorstellungen. Er will mit ihr fliehen. Sie nehmen morgen in Hamburg ein Schiff nach Brasilien … Nein, das war nur eine halbe Lösung, da sie lediglich seine Eigensucht mitzählte … Er will Born aufsuchen und ihm sagen, daß er alles weiß, und Born muß verschwinden. Tot oder lebendig muß er vor den Menschen verschwinden. Das würde Helli wohl den Vater nehmen, aber es würde ihr sein Andenken lassen, sie vor dem Bösesten verschonen … Ja, eine Weile blieb Kent bei diesem Vorsatz, und daß er eine Lösung sah, brachte ihm etwas Ruhe und Schlaf.

Nachdem er aber wieder erwacht war und nüchterner und einfacher denken konnte, hielt dieser Plan vor der Wirklichkeit nicht mehr stand. Es war unglaubhaft, daß ein Mensch wie Born sich ohne weiteres die Einmischung gefallen lassen würde. Jetzt hielt Kent es für natürlich, daß Born sich dann gegen ihn wenden und mit den Mitteln, über die er verfügte, ihn rasch beseitigen lassen würde.

Aber wäre das nicht das Beste? Wäre es nicht das Gegebene, daß er, Kent, verschwände und der zwiespältigen Sorgen enthoben würde?

Nun aber trat die Sehnsucht zu leben in ihm hervor. Er fühlte sich gestärkt und fruchtbar. Er war voller Erwartungen und Hoffnungen. Welche süße, alles überwuchernde Lockung: ein Leben mit diesem Mädchen neu aufbauen zu können!

Ach, es war so oder so ungewiß, ob er nicht das erste Opfer seiner Pflichterfüllung werden würde, wenn er mit seinen Kenntnissen der Polizei wohl das Haupt der Bande, aber zugleich auch sich selber auslieferte!

Mit den Gefahren dieser Möglichkeit, erwog Kent, wäre schließlich die Schuld bezahlt, die er für das letzte halbe Jahr seines Lebens auf sich geladen hatte.

Es war darüber Mittag geworden. Er zog sich an und ging auf die Straße. Eine Sehnsucht ohne Maßen trieb ihn, Helli zu sehen, ein Wort von ihr zu hören, ihren Kopf zwischen die Hände zu nehmen.

Er zögerte den Entschluß hinaus, ob er zu ihr oder zur Polizei gehen sollte. An den Schlagzeilen der Mittagsblätter, die er in den Händen der Zeitungsverkäufer sah, gewahrte er, welche Aufregung das unerklärliche Ereignis der Nacht im Phönix-Theater hervorgebracht hatte. Er hätte es verhüten können. Und wieder bohrten Zweifel und Verzweiflung sich in seine Absichten.

Abends endlich ging er doch zum Polizeipräsidium und ließ sich bei Lohmann melden. Als er eintrat, begrüßte Lohmann ihn freundlich: »Herr Kent, ich freue mich über Ihre Gesinnungsänderung. Als Sie das letztemal bei mir waren, blieb vieles unklar. Dafür war Ihr Brief gestern abend um so klarer. Sie haben uns damit geholfen. Das soll Ihr Schaden nicht sein. Nehmen Sie Platz. Ich habe noch einige Fragen, die Sie mir hoffentlich gründlich beantworten werden, denn erst dann wird Ihre Absicht, uns die Bande in die Hände zu spielen, zu voller Wirkung kommen können.

Bisher haben wir leider nicht viel erreicht. Ihre Zugehörigkeit zu der Bande …« Lohmann sah Kent beobachtend an, aber der reagierte nicht auf die Behauptung, sondern schaute zu dem Kriminalrat hinüber, »… wird uns sicher weiterhelfen«, sagte der Kommissar nach einer kleinen Pause zuversichtlich. »Übrigens, dieser Herr ist ein Kollege. Sie dürfen ruhig sprechen.«

Kent sprach und sagte gleich etwas Überraschendes: »Ich weiß, wer die Tänzerin geraubt hat!«

Lohmann starrte ihn an. Nach einer Weile schob er ihm einen Stuhl hin, da Kent immer noch stand. Er selber setzte sich hinter seinen Tisch. »Wer?« fragte er kurz.

»Der Mann, der dies geschrieben hat!«

Kent reichte ihm den Zettel hin, der ihn zum Erscheinen in dem Versammlungslokal aufgefordert hatte.

Lohmann nahm das Blatt, indem er Kent im Auge behielt. Dann las er es noch einmal, bevor er fragte: »Wann haben Sie das bekommen?«

»Gestern.«

»Mabuse hat doch keine Möglichkeit, Ihnen diesen Zettel zukommen zu lassen …«

»Dann hat er eben einen Nachfolger!«

»Wissen Sie, wer den Zettel geschrieben hat?« Eine kribbelnde Erregung begann sich in Lohmann bemerkbar zu machen.

Kent sagte: »Natürlich.«

Lohmann, auf einmal unbezähmbar von der Erregung hingerissen, ein Jäger in dem Augenblick, wo er das begehrte Wild erlegen will, schrie: »Den Namen!«

Leise erwiderte Kent: »Ich kann ihn nicht so ohne weiteres nennen.«

Lohmann warnte ihn: »Sie wissen, daß Sie sich mit diesem Zettel in meine Hand begeben haben. Sie sind Mitglied einer unterirdischen Verbrecherbande.«

Kent schaute ihn flehend an: »Ich war es, Herr Kommissar«, sagte er. »Aber das ist nicht der Weg, wie wir zueinander kommen. Ich hätte nicht herzukommen brauchen, und wenn mich schon ein besonderer Umstand hergeführt hat, so hätte ich ja nicht zu sagen brauchen, daß die Aufforderung an mich gerichtet war.«

»Sie würden uns einen der größten Verbrecher entziehen, die heute in Europa leben«, rief Lohmann, der sich noch immer nicht beherrschte.

»Ich weiß«, antwortete Kent.

»Weshalb tun Sie das?«

Kent schwieg.

»Kommen Sie mit einem Wissen zu mir, um es zu verbergen?«

»Ich will es Ihnen nicht verbergen. Ich möchte nur eine Vereinbarung mit Ihnen treffen«, antwortete Kent scheu.

Lohmann rief, allerdings enttäuscht über die Vermutung, daß Kent aus diesem Grunde gehandelt haben sollte: »Ach so, Geld?«

»Nein, kein Geld! Wenn Sie mir Schutz vor Verfolgung zusagen können, wäre ich Ihnen bis an das Ende meines Lebens dankbar. Ich will dieses Leben ändern.«

Nun stutzte Lohmann, der in seinem Beruf ein Menschenkenner geworden war. Hier ging es um einen ernsten Willen. Das erkannte er an den bittenden Augen und dem entschlossenen Zug um den Mund.

»Gut«, sagte er dann. »Ich werde Sie schützen, wenn Sie etwas Brauchbares mitteilen können. Wollen Sie mir jetzt die Bedingung nennen oder die Vereinbarung, auf die hin Sie sprechen wollen?«

»Sie müssen dem Mann Gelegenheit geben, sich selbst zu richten!« antwortete Kent rasch.

Lohmann zuckte betroffen ein wenig zurück. Er überlegte und sagte erst nach einer Weile: »Dies ist eine sehr schwere Bedingung für mich, als Beamten. Können Sie mir wenigstens sagen, was der Grund dieser Forderung ist?«

Kent antwortete leise und ohne zu zögern: »Ich möchte jemand geschont wissen, der dem Mann nahe steht.«

Lohmann grübelte. Dann fragte er unvermittelt: »Sie lieben seine Tochter?«

Kent nickte: »Ja.«

»Herr Kent, Vertrauen gegen Vertrauen. Ich werde Ihnen jetzt einen Namen nennen. Und wenn dieser Name stimmt, werden Sie mir dann nach Prüfung der Sachlage die Entscheidung überlassen?«

»Ich sehe, daß mir keine andere Wahl bleibt.«

»Born!« stieß Lohmann hervor.

Kent antwortete leise: »Ja.«

Der Kriminalrat machte eine erregte Bewegung, bezwang sich aber sofort wieder.

Dann saßen alle drei lange Zeit stumm da und wie unter einer schweren Last. Lohmann starrte auf den Zettel, den er in der Hand hielt. Schließlich ging er zu einem Schrank und nahm ein Bündel Akten heraus. Er legte es auf den Tisch und blätterte darin.

Dann zeigte er Kent ein Blatt: »Können Sie sich nicht doch irren? Dies ist die Schrift Borns. Die des Zettels ist eine ganz andere.«

In der Tat zeigte die Schrift der Akte, die ein psychiatrisches Gutachten Borns enthielt, Schriftzüge, die den steilen, keilförmigen Buchstaben des Zettels völlig entgegengesetzt waren.

»Leider irre ich mich nicht«, erwiderte Kent. »Ich weiß nicht, wessen Schrift auf dem Zettel steht. Aber ich weiß, daß er von Born kommt, und die Akte, die Sie mir da als von Born stammend zeigen, bestätigt mir dies nur. Ich bekam öfter Zettel, die ›Mabuse‹ unterzeichnet waren, und die hatten Schriftzüge, die denen dieser Akte gleichen. Ich erinnere mich genau an sie.«

Es ging wie ein befreiendes Aufatmen durch den Kommissar. »So, Herr Kent, nun habe ich noch wichtige Fragen. Sie müssen sich mir schon eröffnen. Ich verspreche Ihnen, alles einzusetzen, was in meiner Macht steht, um Ihnen später eine milde Behandlung durch das Gericht zu sichern. – Die erste Frage: Das Wahlattentat ist von Ihrer Bande inszeniert worden?«

»Ja.«

Lohmanns Züge spannten sich immer mehr.

»Und der Börsenkrach?«

»Ebenfalls.« Kents Stimme war hart und entschlossen.

»Herr Kent, Sie sind von einem unserer Beamten damals in einer Spielbank beobachtet worden, als man dort die Ausgabe falscher Fünfzigmarkscheine feststellen konnte …«

Kent winkte kurz ab: »Auch die Geldfälschungen gehören dazu.«

Lohmann richtete sich auf, seine Züge entspannten sich.

»Erzählen Sie, Kent. Ich möchte auch wissen, wer Ihnen damals aus der Untersuchungshaft geholfen hat. Das heißt, ich weiß es bereits. Nur die Bestätigung fehlt mir noch.«

Kent gab ohne weiteres zu, daß es ein Gefängniswärter gewesen sei. Und, um ganz korrekt zu sein, fügte er hinzu: »Auch eine junge Dame, die zufällig am Gefängnis in Plötzensee vorüberging, hat indirekt mitgewirkt. Aber sie wußte natürlich nicht, daß es sich um eine gewaltsame Befreiung handelte.«

»Sie kennen die Dame?« fragte Lohmann. Aber es war schon keine Frage mehr, und er lächelte.


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