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Von Dr. Mabuse sprach eigentlich niemand mehr. Man hatte ihn in den vergangenen acht oder zehn Jahren vergessen.
Die einzigen, die hin und wieder dem Namen begegneten, waren junge Kriminalisten; sie hörten ihn gelegentlich in Seminaren und Hörsälen, aber sie waren viel zu jung, als daß sie sich an die eigentlichen Mabuse-Jahre hätten erinnern können, und so blieb der Fall Mabuse für sie ein beinahe klassischer kriminalhistorischer Stoff, etwa wie Schinderhannes oder Marquise von Brinvilliers, nicht sehr interessant, aber doch wichtig, weil, wenn man Pech hatte, im Examen danach gefragt werden konnte.
Sonderbar an dem Fall Mabuse erschien den jungen Leuten höchstens, daß in keinem Lehrbuch, in keinem Kollegheft stand, wie der große Verbrecher geendet hatte. Er war um das Jahr 1922 in fast allen großen Städten Europas verhängnisvoll tätig gewesen mit kriminellen hypnotischen Tricks, und es war ihm damals nicht gelungen, den Staatsanwalt Wenk zu erledigen.
Na schön – und dann. Was war aus Mabuse geworden? War er im Bodensee ertrunken? War er im Zuchthaus gestorben?
Kein Mensch schien Genaueres zu wissen. Die ganze Affäre Mabuse hatte noch heute, im Jahre 1931, etwas Rätselhaftes. Es war geradezu, als ob die Autoritäten sich schämten, die Wahrheit zu sagen. Oder als ob sie die Wahrheit nicht wüßten.
Übrigens war die Unwissenheit nicht auf Studenten beschränkt. Kriminalkommissar Lange aus Hannover zum Beispiel, ein Mann der Praxis und weit über Vierzig, hätte keine bessere Auskunft über Mabuse geben können. Vielleicht hätte er noch weniger von ihm gewußt als ein Student; denn damals hatte er sich mit dem Fall Mabuse dienstlich nicht zu befassen brauchen – und woher hätte er es heute wissen sollen?
An Ahnungen litt er auch nicht, sonst wäre er jetzt nicht so ruhig seinem dienstlichen Auftrag in Berlin nachgekommen. Dieser Auftrag lautete, heute, am 8. Januar 1931, abends von zehn Uhr an ein gewisses Haus in der Bendixstraße, Berlin W 35, zu beobachten und, nötigenfalls durch Betreten des Hauses, festzustellen, was darin vorging oder getrieben wurde.
Vertraulich hatte ihm sein Vorgesetzter in Hannover mitgeteilt, es bestehe Verdacht auf gewerbsmäßiges Glücks- (oder Falsch-)spiel wie auch auf Falschmünzerei oder Vertrieb von Falschgeld; möglicherweise war beides miteinander verbunden.
Es war also ein ganz normaler, ein ganz gewöhnlicher Auftrag. Das einzig Unangenehme daran war, daß der Auftrag ihn, Lange, wieder einen Abend oder die halbe Nacht kosten würde. Doch daran war er schließlich gewöhnt.
Kriminalkommissar Lange war ziemlich fest entschlossen, es nicht bei einer Betrachtung des Hauses von außen bewenden zu lassen, obwohl er natürlich auf die Straßenbeobachtung nicht zu verzichten wünschte.
Die Außenbeobachtung ergab wenig Interessantes. Bendixstraße 14 war ein altmodisches, aber vornehmes Mietshaus mit vier Stockwerken, die Art von Häusern, wo früher Generale, Landgerichtspräsidenten und neugeadelte Industrielle zu wohnen pflegten – aber schon längst nicht mehr wohnten. Ein Aufgang für Herrschaften, einer für Dienstboten und Lieferanten. Betteln verboten, Marmorengel im Hausflur, sehr hohe Fenster. So wie diese Leute es eben früher gewohnt waren. Jetzt hingen ein paar obskure Firmenschilder am Vorgartenzaun.
Ein paar Autos parkten in der Nähe. Manchmal fuhr schnell eine Taxe vor und entlud ein paar Leute in Pelzmänteln und in Abendkleidern, die auffallend eilig in der Haustür verschwanden. Wahrscheinlich also doch nur einer dieser vielen nicht konzessionierten Spielklubs, die es neuerdings wieder gab.
Nach einer Viertelstunde bekam Lange kalte Füße und ging auf die hohe Haustür zu. Sie war offen, und niemand hielt ihn auf, als er zum Hochparterre hinaufstieg.
»Sie sind natürlich Mitglied, mein Herr, nicht wahr?« fragte Lange eine ältere Frau, die ein weißes Schürzchen und eine weiße Haube trug und die Garderobe versah.
Der Kommissar war durch eine offene Tür im Hochparterre eingetreten und stand in der Diele.
»Natürlich«, entgegnete der Kommissar, gab der Frau Hut und Mantel, empfing eine Marke und ging durch die nächste Tür. Um ein Haar wäre er dabei mit einem jungen Kellner zusammengestoßen, der ein Tablett mit gefüllten Likörgläsern trug.
Der Kellner entschuldigte sich höflich. Niemand nahm von Lange Notiz.
Das Zimmer, sehr groß, ging links und rechts durch ausgebrochene Schiebetüren und Wände in fast ebenso große Räume über, so daß der Eindruck eines Saales entstand, eines übrigens recht elegant ausgestatteten Saales. Die Gäste, etwa siebzig oder achtzig Personen, vorwiegend Herren, spielten an Tischen Bakkarat oder Einundzwanzig; im Mittelzimmer stand sogar ein Roulettetisch, der förmlich umlagert war.
Hier überwogen die Damen. Lange sah viele dekolletierte Schultern und Busenansätze und stellte fest, es rieche wie in einer der kostspieligen Parfümerien.
Fast alle Anwesenden rauchten Zigaretten. Ein einziger älterer Herr zeigte seine Solidität durch das Rauchen einer Zigarre in Meerschaumspitze. Aber das täuschte: Lange kannte den Mann, es war Dr. Feleck, ein verkommener Anwalt, vor Jahren schon wegen Falschspiels verurteilt. Feleck erkannte übrigens Lange und verdrückte sich.
Der Kommissar erkundigte sich bei einem anderen Kellner, ob der alte Herr mit der Zigarre zum Vorstand gehöre; aber der Kellner kannte Dr. Feleck nicht, behauptete, ihn heute zum erstenmal gesehen zu haben, und versicherte, zum Vorstand gehöre der Herr keinesfalls.
Lange fand keinen Grund, der Auskunft zu mißtrauen, es war auch ganz unwahrscheinlich, daß ein Mann von der Vergangenheit Felecks Kapital für die Gründung eines nicht konzessionierten Spielklubs gefunden haben sollte. Der verkrachte Anwalt war allzu bekannt in Berlin.
Bei seinem Rundgang durch die Klubzimmer kam Lange auch an die Bar, wo um diese Zeit schon Hochbetrieb herrschte. Die Preise waren enorm, doch das hielt augenscheinlich niemanden davon ab, sich gute Laune anzutrinken und jedermann zu Drinks einzuladen. Hier herrschte eine Art von Familienfröhlichkeit. Man kannte sich zwar nicht, aber man liebte einander wie nahe Verwandte; sogar Brüderschaften wurden getrunken, von Leuten, die sich erst gegenseitig nach ihren Vornamen erkundigen mußten.
Lange ging in das Roulettezimmer zurück und beobachtete die Croupiers scharf durch einen Wandspiegel. Er konnte keinen Betrug entdecken, die Spieler gewannen gelegentlich sehr hohe Beträge. Aber warum sollte die Bank auch betrügen? Selbst wenn sie ehrlich war, mußte sie gewinnen, das war bekannt.
Er hörte hinter sich ein halblautes Gespräch. Ein Herr und eine Dame unterhielten sich über ihn, der jetzt nicht mehr in den Spiegel starrte, sondern das Spiel direkt beobachtete.
»Ich hab' ihn schon mal geseh'n«, sagte der Herr, »ich glaube, er ist ein holsteinischer Gutsbesitzer …«
Und die Dame entgegnete: »So sieht er auch aus.«
Um so besser also. Lange betrachtete noch einmal die Spielmarken und schätzte das Verhältnis »Marken zu Bargeld« ab: etwa zwei Fünftel spielten mit Chips, drei Fünftel mit Bargeld. Gewöhnlich wurde in solchen Klubs viel mehr mit Bargeld gespielt, etwa im Verhältnis drei zu eins, aber es war nichts Verdächtiges dabei, daß es hier anders war. Es sprach für die Unternehmer, daß ihre Spielmarken soviel Vertrauen fanden.
Lange ging zur Bar zurück, wo es noch lauter und schriller zuging als zuvor, erwischte einen der hohen Barstühle und bestellte sich einen Flip. Während er ihn langsam schlürfte, betrachtete er von oben herab die sechs Kartentische. Es spielten fast nur Herren, und Chips waren überhaupt nicht zu sehen; alles setzte, gewann und verlor bar. An manchem Tisch ging es um sehr hohe Beträge. Auch die Bakkarat-Croupiers schienen einwandfrei.
Aber laut war es hier an der Bar! Laut!
»… Popocatepetl! Er hat es erraten.« Der Mensch lachte es sprudelnd heraus und die, die um ihn standen, begannen scheppernd zu lachen.
»Was für einen Witz hat er erzählt?« fragte eine Dame, die sich in den Kreis schob.
»In einem Militärkasino auf dem Balkan«, begann der Mann nochmals, »haben sie die Gewohnheit gehabt, ihre Gäste die Zusammensetzung der Cocktails erraten zu lassen. Dabei war immer nur der Anfangsbuchstabe des einzelnen Schnapses zu nennen und diese Buchstaben zu irgendeinem Wort zusammenzusetzen. Also für jeden Buchstaben hatte man einen Cocktail zu trinken.
Also zum Beispiel: ein Automobil-Klub-Cocktail, der aus Sherry, Orangeade, französischem Wermut und Angostura besteht, war ›Sofa‹ zu nennen. – Da war einmal ein Oberst aus der Provinz zu Gast, der als ein unbesiegbarer Trinker und als ein gerissener Kenner berühmt war. Schon immer hatte man ihn hineinlegen wollen und für diesen Besuch einen ganz besonders reichhaltigen Cocktail zusammengemixt. Aber er erriet ihn doch.
Er riet: Popocatepetl! und sank, von den zwölf Cocktails gefällt, vom Stuhl.«
Alle lachten wieder, und das Mädchen lachte jetzt mit. Einer mit einem ziemlich einfältigen Gesicht fühlte seine gesellige Begabung gereizt. Im Bestreben, etwas zur Unterhaltung beizutragen, begann er mit eilfertiger Zunge etwa auf die Weise, wie man bei einem Fernsprechanruf einen Namen auseinander buchstabiert, das Wort Popocatepetl zu zerpflücken und stückweise wieder zusammenzusetzen.
Er haspelte herunter: »P, O – wie der Po; P, O, P, O, wie der … sagt man nicht; P, O – P, O, K, A – wie der Ka … Popoka! …« und so fort, immer schneller werdend, bis er das Wort zusammen hatte. Dann rief er triumphierend: »Mach einer das nach!«
Man war hier die seltsamsten Gestalten gewöhnt. Doch über dieses alberne Geschwätz wollte niemand lachen. Und da die Cocktailgeschichte zu Ende war, löste sich der so schnell gebildete Kreis der Zuhörer wieder auf.
Etwas abseits bemerkte Kriminalkommissar Lange einen Mann mit einem Ansatz von Wohlgenährtheit und sorgsam gescheiteltem Haar; er war in seinem Äußeren übermäßig gepflegt, was darauf zu deuten schien, daß er aus der Provinz gekommen war. Den Kopf trug er etwas geneigt, als sei er zu stetem Entgegenkommen bereit.
Jetzt kam er, dösend oder betrachtend, langsam auf Lange zu, fand den benachbarten hohen Stuhl frei und schaute, wie Lange selbst, von einem Spieltisch zum andern.
Der Mann interessierte Lange plötzlich. Unbefangen redete er den Fremden an, während er mit seinem Flipglas auf die Spieltische deutete: »Eine Atmosphäre, als ob nicht jeden Tag über alle Straßen Menschen liefen, die vom Zusammenbetteln von Pfennigstücken leben, weil die Regierung nicht imstande ist, ihnen Arbeit zu beschaffen.«
Der freundliche Herr wollte gerade zustimmend antworten, als von einem Spieltisch her eine Stimme rief: »Bank!« und gleich darauf »Einundzwanzig! Her mit die Omelette!«
Lange ereiferte sich förmlich: »Hier schwimmt das Geld herum, wovon die meisten Deutschen nicht genug besitzen, um sich den Knust Brot zu kaufen, der den Hunger stillt. Für diese Leute hier scheint das Geld wirklich nur ein Stück bedrucktes Papier zu sein und nicht einen bestimmten, vom Staat garantierten Wert darzustellen. Hier sitzen die Kerle, die eine neue Inflation vorbereiten.
Überhaupt das Geldproblem …« fuhr er redselig und glücklich, einen so beflissenen Zuhörer zu haben, fort: »… auch mit dem Geld hapert es schon. Das Land ist mit falschen Scheinen überschwemmt. Wenn man eine Banknote in der Hand hat, weiß man nie, ob sie echt oder gefälscht ist, und stellen Sie sich vor, welche Unsicherheit das in die Wirtschaft trägt. Das Geld ist die Gewähr, ja, der Ausdruck der wirtschaftlichen Sicherheit der Familie.
Aber wo gibt es jetzt überhaupt bei uns eine Sicherheit?«
Wiederum setzte der wohlgenährte Herr mit dem schräg gehaltenen Köpfchen zu einer bereitwillig zustimmenden Bemerkung an, als von neuem eine andere Stimme ihm das Wort in den Mund zurückschlug.
Sie kam aus dem Kreis der Männer und Frauen, die sich doch noch um den Buchstabierenden zusammengefunden hatten und sich jetzt vergeblich ereiferten, sein Kunststück nachzumachen. Die Stimme sagte laut: »Kinder, so 'n Gejaule! Ich spendiere einen der falschen Fünfzigmarkscheine, wenn ihr stille seid!«
Durch Lange ging es wie ein elektrischer Schlag. Seine Augen rissen sich vom Nachbarn los, seine Brust sprang vor. Er trat zu dem Mann hin, der die Bemerkung gemacht hatte und fragte: »Haben Sie zuviel Geld? Weshalb spielen Sie nicht?«
Der wohlgenährte Herr aus der Provinz folgte ihm auf dem Fuß, anscheinend nicht weniger elektrisiert.
Der Angeredete antwortete: »Alles besetzt!«
»Nein, ein Spieltisch ist frei«, rief jemand.
»Also, los!«
»Ich mache mit«, sagte nun mit sanfter Stimme der wohlgenährte Herr, der inzwischen ebenfalls zu dem Kreis getreten war. Es fanden sich sofort zwei andere dazu. Man wollte pokern.
Während der Tisch hergerichtet wurde, wandte sich Lange an den ersten Partner: »Sie scherzten natürlich mit dem falschen Fünfzigmarkschein. Aber wissen Sie nicht, daß es jetzt ganz toll damit ist? Ein Bankdirektor sagte mir dieser Tage, sie hätten in der letzten Woche fünfzig Stück … und selbst Fachleute seien außerstande …«
»Wem sagen Sie das?« fiel ihm der Angesprochene ins Wort.
»Nur der, der die Scheine entworfen hat, soll sie erkennen. Sie sollen besser gemacht sein als die echten. Hat man vielleicht schon einmal einen erwischt beim Ausgeben? Jawoll, höchstens mit einem echten läuft man Gefahr, angehalten zu werden. Hätt' ich nur mehr davon!«
»Haben Sie denn welche?« fragte Lange mit einem scherzhaften Lächeln und ließ das Gesicht des andern nicht aus den Augen.
»Höchstens ein Dutzend!« scherzte der Angeredete.
»Dann möchte ich heute lieber verlieren als gewinnen«, ulkte der wohlgenährte und übermäßig gepflegte Herr. Er sah sanft aus und stellte den Kopf noch schiefer.
So mißtrauisch Lange sonst war – heute wäre ihm nie der Gedanke gekommen, daß der Dicke mit der verbindlichen Kopfhaltung ein Kollege sein könnte. Er hatte sich noch nicht entschieden, wofür er ihn hielt, und reservierte sich dafür alles, vom Klubvorstand bis zum Gimpel. Aber der Kriminalbeamte fehlte in seiner Kombination, nicht einmal versuchsweise hatte er das angenommen, es wäre allzu phantastisch gewesen.
Und doch war es so: der Dicke hieß Hoffmeister und gehörte der Berliner Kriminalpolizei an.
Zwei Spiele Karten waren inzwischen gebracht worden. Man begann. Hoffmeister verlor. Er suchte vergeblich nach Kleingeld, um das letzte Überbieten zu bezahlen, entnahm seiner Brieftasche einen Fünfzigmarkschein und legte ihn in die Mitte des Tisches.
Jetzt neigte sich Lange über den Tisch, beäugte den Schein, hob ihn auf einmal hoch, besah sich ihn nochmals, drehte ihn rasch um, steckte ihn in die Tasche, stand auf und legte Hoffmeister die Hand auf die Schulter. Zugleich zog er eine Uhrkette aus der Tasche und zeigte ihm seine Kriminalpolizei-Erkennungsmarke.
»Folgen Sie mir!« sagte er streng.
Hoffmeister war zunächst nur erstaunt. »Was haben Sie denn?« stotterte er.
»Einen der Ausgeber der falschen Fünfzigmarkscheine erwischt. Los! Folgen Sie mir!«
Die anderen sprangen auf. Von allen Seiten kamen Männer und Frauen heran. Ein erregtes Gewoge, Fragen, Erzählen, Auf und Ab.
»Kommen Sie beiseite!« sagte nun Hoffmeister, der allmählich den Vorgang erfaßte.
»Sie rufen mich beiseite?« posaunte Lange. In seiner Stimme war triumphierender Hohn. »Großartig!«
»Ich muß Ihnen etwas sagen! Es ist sehr wichtig.«
»Für Sie, mag sein, nicht für mich. Für mich ist nur wichtig, ob Sie folgen oder sich widersetzen wollen.«
»Ich will mich nicht widersetzen!« sagte Hoffmeister sanft.
»Schreien Sie nicht so. Sie haben schon genug Aufsehen erregt!« fuhr ihn Lange an.
In der Menge der Gäste war während dieser Auseinandersetzung der beiden etwas vor sich gegangen: der große Tisch in der Mitte, auf dem man Einundzwanzig gespielt hatte, war auf einmal leer und verlassen. Selbst die Karten waren verschwunden. In der Tür war ein Gedränge entstanden. Wenige Augenblicke, dann war es auch dort ruhig. Das Lokal war auf einmal leer. Auch die drei anderen Pokerspieler waren verschwunden.
Hoffmeister erkannte bald die geänderte Lage. Ohne die Sanftmut aufzugeben, sagte er mit leisem Vorwurf: »Sie haben da etwas Nettes angerichtet durch Ihren Fimmel mit dem Fünfzigmarkschein. Ich habe diese Spielhölle entdeckt und war hier, um herauszubekommen, was sie betreibt. Laufen Sie den Halunken wenigstens nach!«
Lange pflanzte sich vor Hoffmeister auf.
»Sie gefallen mir. Haben Sie Papiere?«
Jetzt zeigte auch Hoffmeister seine Erkennungsmarke.
Zuerst ging ein betretenes Staunen über das Gesicht des anderen. Es wich rasch einem Mißtrauen. Dann sagte Lange langsam: »Den Witz kennen wir, Herr Pseudokollege, darauf fallen wir nicht herein. Sie gehen jetzt brav vor mir heraus und begleiten mich zur nächsten Wache. Verstanden?«
Es blieb Hoffmeister nichts übrig als mitzugehen. Unterwegs versuchte er noch einmal: »Sie sind bei der Falschgeld-Recherche, Herr Kollege?«
»Ich verbitte mir den Kollegen«, wurde zurückgeschnauzt, und Hoffmeister trottete schweigend weiter. Lange erbat sich bei der Wache einen Beamten. Sie nahmen Hoffmeister in die Mitte und brachten ihn aufs Polizeipräsidium.
Der Kommissar Lohmann hatte noch Dienst.
»Was ist das?« wandte er sich an Lange. »Sie bringen uns unseren guten Hoffmeister? Hat er den Weg ins Amt nicht allein gefunden?«
Lange wies sich als Kriminalbeamter aus Hannover aus und zog dann triumphierend den falschen Fünfzigmarkschein aus der Tasche.
Aber Lohmann und Hoffmeister konnten nur lachen.
Das Mißverständnis klärte sich schnell: Lange, erst seit kurzem und nur vorübergehend in Berlin tätig, war in Hannover nicht davon benachrichtigt worden, daß in einer anderen Falschgeldaffäre Berliner Beamte etwa auf der gleichen Spur tätig sein könnten.
Und das war eben der Fall gewesen: Kriminalinspektor Hoffmeister war zufällig Lange in den Weg gelaufen, ebenso ahnungslos wie dieser. Sie hatten einfach nichts voneinander gehört; ein kleiner Organisationsfehler, wie er selbst bei der Polizei einmal vorkommen kann. Aber peinlich war und blieb es.
Lohmann, heute nacht Kommissar vom Dienst, nahm die Banknote auf und fragte Lange: »Doch nicht von unserem Hoffmeister ausgegeben?«
»Diese falsche Banknote fand ich bei ihm. Sie gehört zu denen, die …«
»Wie fanden Sie sie bei ihm?« unterbrach ihn Lohmann.
Lange erzählte, was in dem geheimen Spielklub vor sich gegangen war.
»Wo haben Sie die Note her?« fragte Lohmann Hoffmeister.
»Da ist noch eine!« antwortete dieser und reichte sie hin.
»Dieselbe Sache«, rief Lange. »Auch falsch!«
»Selbstverständlich«, sagte Hoffmeister, »denn ich bekam beide zusammen, als ich mir in der Spielhölle einen Hunderter wechseln ließ.
Ich hoffte, der Kellner könnte das nicht und müsse sich an den Chef wenden. Und den wollte ich mir anschauen.
Durch das Dazwischentreten des Kollegen und die Art, wie er vorgehen zu müssen glaubte, haben die Besitzer nun Zeit gewonnen, die Gäste zu warnen und selber zu verduften. Hätte er sich geschickter aufgeführt, so hätte ich jetzt den Spielhöllenbesitzer und er den Ausgeber der Falschscheine.«
Hoffmeister legte den Kopf schief, wie ein Vögelchen, als er das mit seiner sanften Stimme sagte.
»Nun, lieber Hoffmeister, das mag sein«, sagte Lohmann. »Aber es ist nicht ohne Pikanterie, daß ausgerechnet einer von unseren Leuten sich gleich zwei Scheine durch die Falschmünzer hat aufhängen lassen. Denn daß ein Betrogener Ihnen die Scheine gegeben hat, glaube ich nicht. Diese Spielhölle ist einer der Orte, wo sie ausgegeben werden.«
Hoffmeister entgegnete nichts, er schickte nur einen Blick voll traurigen Vorwurfs zu dem Kollegen aus Hannover.
Aber der sagte beleidigt: »Naja, ihr aus Berlin!«
Für Hoffmeister hatte die Angelegenheit immerhin Folgen.
Ein letzter kleiner Verdacht blieb trotz allem irgendwie kleben, und was er gar nicht von sich abtun konnte, war, daß er in dieser Zeit, da die Falschmünzer mit ihren Fünfzigmarkscheinen schon fast eine öffentliche Panik verursachten und die Polizei Tag und Nacht auf der Suche hielten, sich als Kriminalbeamter mit zwei solchen Scheinen hatte hineinlegen lassen.
Das war eine Todsünde, denn das ging gegen das Prestige.
Lohmann, der bisher mit der Arbeit des Inspektors Hoffmeister durchaus zufrieden gewesen war, konnte nicht umhin, dem Kriminalrat über das Vorgefallene zu berichten, vergaß jedoch nicht zu betonen, daß Hoffmeister in der letzten Zeit stark überlastet gewesen war, und daß der Grund seiner Unachtsamkeit sicher in seiner Überarbeitung zu suchen wäre.
So folgte der ersten nächtlichen Aussprache eine Reihe von Untersuchungen und Rücksprachen für Hoffmeister. Auch der Kriminalrat fand ihn reichlich überarbeitet. Es endete damit, daß der unglückliche Hoffmeister für vier Wochen auf Erholungsurlaub geschickt wurde.