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Wenk lief spornstreichs zwischen den Dienern an der Tür durch, die hinter dem Handrücken mit ernsten Gesichtern lachten. Er lief durch die Halle, die offene Tür auf die Freitreppe, purzelte die Stiegen hinunter, riß die Tür des Autos auf, das dort stand … Schon sprang das Auto an und war in wenigen Augenblicken in der Allee und der Nacht verschwunden.
Im Saal sagte Mabuse, sein Lachen auf einmal unterbrechend: »Er fährt ins Café Hölle, Ihnen eine Weizensemmel holen!«
Der Schlag, mit dem das Auto anfuhr, warf Wenk in den Polstersitz. Aber kaum berührte er den Sitz, so war ihm, als öffnete sich das Leder. Wenk sank rasch zurück in ein Loch hinein. Etwas schlug über ihm zusammen. Es krachte wie von Eisen.
Da erwachte er aus der Hypnose. Er lag unglücklich und unwissend, wie er hingekommen, den Kopf hintenüber, scheinbar in einer Vertiefung des Rücksitzes. Er wollte sich erheben, verstört, nach Ruhe und Erkennen suchend. Aber er vermochte nicht aus der Vertiefung hochzukommen. Etwas preßte ihn immer wieder zurück. Eine harte, unnachgiebige Fessel lag über ihn mehrfach gekreuzt.
Das Auto fuhr mit einer werfenden Tobsucht. Es schüttelte ihn gegen die Eisenstäbe, als die er bald die Fesseln erkannte, die ihm das Aufstehen unmöglich machten. Sie lagen eng über ihn gepreßt.
Er stemmte sich in einer aufflammenden Verzweiflung gegen sie. Aber er merkte gleich, das war alles vergebens. Das war alles für die Katze! Also war er verkauft und verloren. Er war auf den Leim gegangen.
Mit einem bösen Trotz wandte er sich gegen sich selber: So ist es recht! Der Stärkere gewinnt! So warst du der Schwache!
Weshalb war er der Schwache? Weil er etwas unternommen hatte, das von vornherein den Rand seiner Fähigkeiten überstieg. Ein jeder bescheide sich zu sich selber.
Was hatte ihn verführt, über sich selbst hinaus zu wagen? Weshalb konnte er jetzt, im verlorensten Augenblick, den sein Leben jemals besessen hatte, und der ihm so unglaubhaft schien, daß ein letzter süßer Zweifel, es möchte alles böser Traum sein, ihn nicht verlassen wollte …, weshalb konnte er seine Gedanken führen wie kleine, kühle, wohlgezirkelte arithmetische Probleme und Lösungen? Was hatte ihn verführt?
Er wußte es. Das Gute in ihm war es gewesen. Die Einordnung in die fließende Macht des Gewissens, das er gegen sein Volk hatte. Er hatte diesem helfen wollen. Und weil sein Gewissen mächtiger war als seine Fähigkeiten, war er dem Verderben entgegengegangen.
Wenn dies Erlebnis seinen Tod am Ausgang hatte, so starb er einen Tod, der edel war. So waren die seelischen Atome, die aus seinem Vergehen in neu entstehendes Leben hineinschwebten, von edler Fruchtbarkeit … Er lebte im Geist weiter unter den Menschen …
Der Schall des Motors pochte durch den Wald. Das hörte Wenk.
Was hatte der Feind mit ihm vor?
Das Auto schlug sich mit einer Raserei durch die Nacht wie ein Schiff durch einen Taifun.
Wozu? Wohin brachte man ihn?
Nach München? Aber weshalb?
Wenn man ihn richten wollte, weil er die Wege böser Kräfte gestört hatte und ihnen unterlegen war, weshalb setzte man die Rache noch aufs Spiel, indem man ihn stundenlang verschleppte?
Er sah, die Fenster des Autos waren nicht verhängt. Er erblickte Sterne, die mit bebenden Sprüngen die Scheiben durchtanzten. Nach München kam man nicht bis zum Morgen. Bei Tageslicht aber konnte man es unmöglich wagen, ihn gefesselt hinter unbedeckten Scheiben durch halb Deutschland zu fahren.
Man verschleppte ihn irgendwohin. Wohin? Wohin? flehte er inbrünstig.
Es mochte Mitternacht gewesen sein, als er die Villa verließ. Aber auch das war nicht ganz sicher. Denn er wußte gar nichts mehr von dem, was mit ihm geschehen war, während er noch mit der einen Hand den Puls der andern gefaßt gehalten hatte.
Da stand eine raum- und lichtlose Kluft in ihm. Er kam nicht hinein und nicht hindurch. Der Puls war das letzte, was er jenseits noch in der Erinnerung erblicken konnte.
Ja, er wurde zur Richtstätte geführt.
Er erinnerte sich mit einer Sehnsucht, die keine Grenzen hatte, und die ihn wie in ein Meer warf, an seinen toten Vater. Mit allen Sinnen und allen Nerven klammerte er sich an diese von einer schreienden Melancholie hingepeitschten Erinnerungen.
Das Werfen seines haltlosen Körpers im Auto durch Stunden zusammen mit der Erregung seines Innern machte ihn krank. Er besudelte sein Gesicht. So wurde er hilflos und verzagt. Sein Gehirn verließ die Kraft, den Vorstellungen genaue Umrisse zu geben. Spuk trieb aus ihm auf. Teufel spielten Ball mit ihm zwischen dem Gaurisankar und dem Aconcagua, ließen ihn fallen und erhaschten ihn wieder, einen Augenblick, bevor er auf dem einsamen Kap der Guten Hoffnung zerschellte.
Dann wieder war ihm, als sei er von einer riesenhaften schwarzen Hand in eine Höhle gestopft worden wie ein Sack. Die Wände der Höhle waren so eng, daß er sich nicht einmal umlegen konnte. Aber plötzlich, langsam und ohne Unterbrechung, begannen die Wände zu wachsen. Sie wuchsen aber nicht auseinander. Sie bewegten sich von allen Seiten mit demselben Maß auf ihn zu. Und vor ihm stand greifbar schon der Augenblick, in dem die Felsen zwischen sich seine Knochen bersten und sein Hirn zerplatzen ließen.
Das Bewußtsein verließ ihn in einem traumähnlichen Zustand, den eine dumpfe, aus der Tiefe gellende, unsichtbare Todesangst beherrschte.
Als er erwachte, lag er ausgestreckt auf einem Ledersitz. Die eisernen Bänder waren nicht mehr über ihm. Aber seine Arme waren an seinen Rücken gefesselt und seine Beine übereinander gebunden. Über das Gesicht war ein breites Tuch mit schmerzendem Druck geknüpft, das ihm den Mund fest verschloß und ihm den Atem schwer machte.
Es war Tag.
Er hörte ein Brausen, das in gleichen Absätzen aufscholl und verklang. Bald wußte er: es ist das Meer!
Ein Mann schaute herein und über ihn. Das Tuch verhüllte Wenk nur ein Auge. Er sah mit dem andern über den Rand der Binde halb die Dinge, die auf gleicher Höhe lagen. Er kannte den Mann nicht.
Der Mann rief einen zweiten an: »Komm! Er ist wach!«
Da kam auch der zweite schauen. Jedoch auch diesen hatte Wenk nie gesehen.
Er hörte die beiden zusammen sprechen. »Es geht auf fünf Uhr. Der Doktor muß bald da sein!«
Der andere antwortete: »Wenn er gesagt hat, kurz nach fünf, so kommt er dann auch! Wir müssen uns parat machen!«
»Sieht man noch nichts?«
Die Männer entfernten sich.
Wenk versuchte, den Kopf zu heben. Aber er sah nicht über den Rand des Fensters. Die Landschaft mußte flach sein. Nur Himmel stand draußen.
»Gib das Glas! Da ist er!« hörte Wenk auf einmal rufen. Jetzt kommt die Entscheidung, sagte er sich. Er sammelte alle Kraft, den Vorstellungen zu widerstehen, die mit grauenmachenden Fragen seine Phantasie bestürmten und aus dem Dunkel heraus Züge von Bildern zu zerren versuchten, vor denen ihn graute.
Was nun geschah, ging sehr rasch vor sich.
Die Tür des Autos wurde aufgerissen. Hände faßten ihn an der Schulter. Die Schulter lag in der Nähe der Tür. Die Hände zerrten sie hinaus. Seine Füße schlugen schmerzend auf das Trittbrett und dann auf den Boden. Der zweite Mann hob die Beine auf, und sie trugen ihn ein Stück weit.
Da sah Wenk kurz vor sich Dünen. Nur ein paar Schritte waren es bis zu ihrem Kamm. Diesem kletterten die Männer nun mit ihm entgegen.
»Rascher!« rief der hinten, indem er sich umdrehte und rückwärts in die Landschaft schaute.
Wenk hörte einen Motor. Er wußte, das ist Mabuse, der Motor! Auf einmal baute sich ein lichtes Gewölbe über ihn. Erst nach einer Weile erkannte er, daß es die Tragflächen eines Eindeckers waren.
Die beiden Männer verrichteten alles mit hastigen Bewegungen. Wenk wurde auf den Sand gelegt. Zwei Stricke wurden ihm unter Brust und Armen durchgeknüpft. Ein Mann hob ihn an den Beinen hoch, und auch diese wurden mit zwei Stricken, die irgendwo am Gestänge schon vorbereitet waren, hochgebunden. Ein dritter Strick wurde dann um seinen Leib geschlungen.
Es dauerte nicht lange, bis Wenk erkannte, daß er mit dem Rücken an die Wand der Gondel des Flugzeuges angebunden hing. Er lag da, angepreßt wie ein Paket, das mit auf die Reise genommen wurde. Mit dem freien rechten Auge sah er über den Rand der Binde hinweg, daß das Flugzeug auf einem vorbereiteten Platz über einer sanft ins Meer fallenden Laufbahn stand. An ihrem Fuß lief der Strand weiter. Es war Ebbe.
Ich werde eine Reise übers Meer machen! sagte eine traurige Stimme in ihm. Wie lang ist es seit meiner letzten Seereise her! Der ganze Krieg liegt dazwischen. Aber jetzt kommt für mich erst der Krieg … erst die Granate.
Aus der Tiefe seiner Muskeln brüllte eine Antwort gegen dieses kleine, wehmütige Stimmlein. Die Muskeln lehnten sich gegen die Fesseln auf. Sein Körper warf sich in den Stricken hin und her. Die Tragfläche bebte unter den Schlägen und schwankte über ihm.
Da neigte sich ein breites Gesicht und ein hochgeschwungener Schädel über ihn, und zwei Augen brannten seinen ganzen Leib an. »So!« preßte sich ein Laut aus dem Mund des Mannes, der sich über ihn neigte.
Ja, das ist der Feind! Mabuse! durchfuhr es Wenk.
»Steig' ein!« rief dann Mabuses Stimme.
Man hörte ein Rauschen wie von Frauenkleidern. Dann stieg aus dem Rauschen eine Stimme … eine Stimme, die ihm unter dem Fleisch auf die Knochen bebte. Er kannte sie! Das Kleiderrauschen wurde heftig und nah, die Frauenstimme rief: »Was ist das?«
Wenk hörte Entsetzen, Qualen und Grausen aus dieser Stimme und Frage.
»Was ist das?« rief die Stimme schrill und versagend nochmals.
»Steig' ein!« schrie Mabuse dagegen.
Da fragte die Stimme der Frau, diese wohlbekannte, süße und dunkle Stimme der Gräfin Told, wie verschüchtert in sich zurückgesunken: »Was geschieht mit diesem Mann?«
Wenk sagte sich: Sie kennt dich nicht!
»Steig' ein! Er geht mit auf die Reise! Es ist kein dritter Sitz da! Steig' ein, rasch!« rief Mabuse.
Wenk sah, wie Mabuses Arme die Frau erfaßten und über ihn hinweg in die Gondel hoben. Dann stieg Mabuse nach. Er benutzte als Tritt Wenks angebundenen Leib, und wie er im Führersitz saß, keine zwei Finger breit über Wenk, beugte sich Mabuse herüber zu seinem Kopf und sagte mit rauhem Hohn: »Der Herr machen die Reise mit. Wohin? Glück auf!«
»Fertig?« fragte Mabuse dann rückwärts.
»Alles in Ordnung!«
Der Propeller klopfte, und unversehens rutschte das Flugzeug in die Bahn, und mit dem Augenblick, wo Wenk den Motor stoßen fühlte, waren die Räder schon vom Boden frei, und die Erde fiel unter seinem halben Auge hinab ins Grausige.
Das Flugzeug stieg jäh aufwärts. Es war Wenk, als stünde sein Körper fast aufrecht. In der Gondel wurde kein Wort gesprochen. Die Luft prallte brutal an ihn, als sei sie aus fliegendem Holz. Bald begann ihn zu frieren. Die Kälte schlug ihm durch den breiten Ausschnitt des Frackhemds mitten ins Herz. Er spürte nur, daß die Kälte immer tiefer in ihn eindrang, wie mit wühlenden Messern. Seine Haare waren starr und standen aufrecht. Sie waren wie Nadeln schmerzhaft in seine Haut gestoßen.
Von aller Fähigkeit zu denken war nichts mehr in ihm als eine mit dunklen Farben aufgemischte, fließende Scheibe. Eine kleine, unklare Vorstellung sprang ihm daraus nun wieder in die Hände: als erleide er ein Martyrium und als erleide er dieses Martyrium der Gräfin Told zuliebe, die er einmal geliebt habe, wo es nicht erlaubt war.
Dann fühlte er einen kurzen Fauststoß an seinen Kopf. Eine Stimme fragte roh wie ein Holzknüttel auf ihn hernieder: »Ist Ihnen viertausend Meter hoch genug?«
Nach wenigen Augenblicken fragte es nochmals: »Oder haben Sie sich aus Angst schon vorher verabschiedet?«
Die Stimme ging fort, wie ein Geist. Wenk spürte, wie sich das Flugzeug grade richtete. Als es eine kurze Weile so geflogen war, kam eine Hand an seinen Kopf. Sie riß hastig und mit heftigen Stößen die Binde fort.
Da sah Wenk, wie sich weit über seinen Kopf das Gesicht Mabuses vorbeugte. Er blieb stumm. Aber die Züge waren wie auseinandergerissen von einer Lust, die Entsetzen verbreitete. Die grauen Augen hatten keine Form und keine Iris mehr. Sie waren wie alte verwitterte Steine. Sie waren hart und voll von einem Tod, der sich Wenk gleich einem spaltenden Hieb durch den Körper schlug.
Dann sagte der verdehnte Mund und öffnete sich wie der Spalt einer Klamm, die ins Rutschen kam: »Sie haben gewagt, meinem Weg entgegenzutreten. Sie stehen vor Ihrem letzten Augenblick. Ich habe Ihnen den Knebel vom Munde gerissen, daß ich mich an dem Schrei ergötze, mit dem Sie die viertausend Meter zurück zu Ihrer Welt fallen!«
Wenk hörte die Stimme wie einen über einen Blitz einkrachenden Donner. Er spürte, wie die Hände Mabuses die Stricke an den Beinen lösten. Er zerrte und riß daran. Auf einmal waren seine Beine frei. Sie fielen hinab, einen Augenblick nur, dann hielt der Strick, der den Leib umschlang, sie wieder an. Die Hände rasten um diesen. In kurzen Sekunden war er gelöst.
Wenks Leib im weiteren Fall richtete sich aufrecht, nur noch gehalten von den Stricken, die seine Brust an die Wand anschnürten. Er fühlte plötzlich, daß seine Hände frei waren, und mit diesem Gefühl schlug eine jähe Hoffnung durch sein Blut.
Aus dem Verhüllten seiner Phantasie stieg, wie ein Märchen, prangend, mit Wollust und Sehnsucht beladen, mit Glück durchstrahlt, die Erinnerung, daß er die Schönheit und Menschlichkeit der seinem Ende jetzt so nahen Gräfin Told einmal angebetet und nicht vergessen hatte. Eine wundersame Macht ging von diesem Gefühl aus, das sich im nächsten Blutschlag schon, in der Kraft des letzten Augenblicks vor dem Tod, zu einer unlösbaren Blutsbrüderschaft gesteigert hatte und wie ein Gewölbe voll Stolz und Mut über den wilden Schädel des Mörders hinweg auf der anderen Seite auf das menschliche Herz dieser Frau einen Fuß absetzte.
Er sah, wie auf einmal die Augen der Gräfin irr, wie Vögel, die aus dem Äther abgeschossen werden, über Mabuses weit und gierig vorgebeugten Kopf sich errichteten … Er sah, wie die Hände aus den Pelzhandschuhen zuckten und weiß funkelten, so nackt, als böte sich ihm ihr ganzer Leib in keuschem, heißem Opfer dar, sich an Mabuses Schulter krallten und ihn zurückreißen wollten.
Aber Mabuse schüttelte die Frau mit einem Ruck seines Körpers zurück. Er hob die Hände mit einer tobenden Wut an den letzten Strick. Sie rissen die ersten Knoten auf … der Körper Wenks rutschte etwas tiefer … schlugen Wenks Hände, die nach dem Rand der Gondel irrten, mit geschlossenen Fäusten zurück …
Da erhob sich ein letzter Widerstand aus einem flutenden Schein von Lebenswillen heraus, und Wenks Stimme brüllte in die Luft hinauf, die das Flugzeug brausend umschwankte: »Der ist der Mörder des Grafen Told. Der ließ ihn falsch spielen! Der gab ihm das Rasiermesser in die Hand, um sich die Kehle zu durchschneiden!«
Eine Faust schlug ihn in den Mund. Er spürte Blut hinter der Zunge fließen, und es schmeckte in diesen vorletzten Augenblicken, in denen er noch sein Leben besaß, voll von einer seinen Geist vulkanisch durchbrausenden Süßigkeit.
Dann war es, als wollte ihn eine letzte Gewalt aus dem Strick stoßen. Ein furchtbares Gewicht preßte sich auf seinen Kopf, rollte über seinen Leib, um ihn abzudrücken. Das Gewicht war grenzenlos, schwarz, von einer tosenden Eile erfüllt.
Aber mit einemmal war das eiserne Gewicht von ihm abgerutscht. Ein Teil löste sich vom Flugzeug ab, unerkenntlich, und versank. Wenks Hände hielten den Rand der Gondel umklammert wie Schrauben. Das Flugzeug schwankte, als sei es von der hohen dünnen Luft betrunken.
Es war folgendes geschehen:
Als der Name des Grafen Told durch die Luft klang, wie hergeworfen von der raum- und zeitlosen Höhe, war es der Gräfin, als erwache sie aus einem Traum auf dem Grund eines Moores. Seit jener Nacht, die sie von ihrem Mann gerissen und an den bösen Willen Mabuses gefesselt hatte, war dieser Name von ihr nicht mehr gesprochen und nicht mehr gedacht worden. Er hatte sich in ihr Inneres, tief in das Chaos, aus dem sich ihr Leben nährte, verkrochen. Er war da hineingeschlagen worden von der dämonenhaften Gewalt des Herrschwillens Mabuses, und die Frau hatte es geduldet, in einer Art unbewußter Selbstwehr. Sie wäre sonst ganz und ohne Rettung dem Werwolf verfallen gewesen.
Dort im Innern hatte der Name nun gelegen und gewartet, hatte gelauert, bis er wieder emporsteigen konnte, um ihre Seele zu retten.
Wenks letzter Schrei hatte ihn aus dem Unterdunkel hervorgerissen. Die Gräfin hatte ihn empfangen wie eine erste Waffe gegen die geheime Kraft des Mannes, der ihren Willen und ihre ganze Persönlichkeit so lange vergewaltigt hatte. Sie war auf einmal wieder zu sich selber emporerwacht. Das Erstarrte zerschmolz. Die Finsternis, in die sie eingekrallt lag, erleuchtete sich. Es ward Tag in ihr.
Und da bekam sie all die stolze junge Kraft ihres Gemüts wieder in die Hand. Sie geriet in einen Grimm, den Gott ihr einflößte. Ihre Muskeln nährten sich an ihm unüberwindlich. Ihre Hände wurden eisern wie ihr Herz, und sie nahm die erste Waffe, die herumlag, den schweren Schraubenschlüssel, und schlug dem Verbrecher zur Rache und zur Befreiung mit ihm von hinten den Schädel ein.
Mabuse, gerichtet, bekam das Übergewicht und stürzte über Wenk hinüber in die Tiefe, die ihn gleich begrub …
Wenk erreichte mit den Beinen eine Querstange, schob sich blitzschnell hoch, der Knoten über der Brust, gelockert, löste sich von selber. Wenk fiel in die Gondel. Das Flugzeug stürzte schon in irren Schwankungen im Raum. Da bekam Wenk noch rechtzeitig die Hebel zu fassen. Der Motor tobte weiter. Das Flugzeug errichtete sich wieder, und nach einer raschen Orientierung den Motor ausschaltend, ließ es Wenk im Gleitflug zur Erde zurück und auf das Ufer zu sinken.
Es landete an den Dünen der ostfriesischen Küste.
Wenk half der Gräfin aus der Gondel. Sie war bleich, aber bei vollem Bewußtsein. Sie fiel vor ihm nieder und drückte ihr Gesicht an seine Hände.
Er hob sie auf und sagte: »Wir haben uns gegenseitig das Leben gerettet. Wir wollen schweigen! Und versuchen zu vergessen. Trennen wir uns!«
Aber da sagte die Gräfin: »Nein! Ich habe nichts zu verschweigen und nichts zu vergessen. Das Blut, das ich vergießen mußte, kam vom Bösen. Ich habe ihn von sich selber und die Menschen von ihm befreit. Wer kann gegen mich zeugen?«
Wenk schaute sie stumm an. Langsam begriff er. Dann gingen Schauer durch ihn. Wie stolz! wie kühn sie ist! wollte er sich sagen. Aber sein Herz warf Strahlen auf in ihm. Er breitete die Arme aus in einer selbstopfernden und sich hingebenden Gebärde. Das Leben, jung, wiedergewonnen, überstürzte ihn, und in demselben Augenblick brach die von so vielen Geschehnissen verschüttete Liebe wieder auf, die sich nie erfüllt hatte.
Dann stiegen sie zusammen über die Dünen dem nächsten Dorf und wieder den Menschen zu.
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