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[XII]

An etwas Schwarzem, von roten Ringen und Blitzen Durchfurchtem erwachte die Gräfin Told. Es war dunkel und fremd um sie. Ein ganz zartes Licht leuchtete abgedämpft irgendwo hoch, wie auf einem Berg, in das Zimmer, in dem sie lag. Sie lag auf einem Ruhebett, angekleidet. Sie hatte das Zimmer nie gesehen. Auch erkannte sie kaum etwas in dem Raum. Sie lag da und versuchte, das, was sie erlebt hatte, in sich wieder hervorzurufen. Es widerstand. Nur hart, wie mit einem Schlag, stand ein Augenblick da, in dem die grauen Augen jenes Dr. Mabuse, der ihr von Tigern erzählt hatte, sich über sie senkten, grauenerregender als Krallen einer Bestie, die Blut roch … geisterhaft … ein Griff aus Luft, aber der Atem gerann ihr. Ihr ward, als ob ihr das Herz zurückfloh und wie ein Pferd, dem die Hufe nicht mehr am Stein hielten, hinterrücks verloren in eine Schlucht stürzte.

Eine Tür öffnete sich. Sie wußte nicht genau, wo. Sie fühlte es mehr, als daß sie es genau gehört hätte. Sie wartete auf etwas. Auch ihre Vorstellungen stauten sich zurück und warteten.

Nach einer Weile sprach aus der zarten Düsternis heraus eine Stimme: »Sie sind wach. Wünschen Sie, daß ich Licht mache?«

Es war eine Stimme, von der im ersten Klang der Gräfin dünkte, sie sei eine Glocke, das Fest der Seele einzuläuten. Aber im Nu zerging diese Empfindung. Ein Gefühl des Nichtglaubens durchzog sie. Wie kam diese Stimme in die Dunkelheit? Diese einzige von allen Stimmen, die sie nicht erwartet hatte. Sie erschrak so ins Unerkennbare der Seele tief hinein, daß ihr war, als fröre ihre Haut über den ganzen Körper zu Eisblumen zusammen.

Ein Laut knirschte aus ihrer Kehle. Sie hörte ihn nicht. Sie streckte nur abwehrend die Hände aus. Da wurde es hell im Zimmer.

Dr. Mabuse schloß die Tür und kam an das Lager heran. Er sagte: »Die Lage ist so: ich habe Sie gewünscht! Ich habe Sie mir genommen!«

Die Gräfin gewann an den menschlichen Lauten die Beherrschung wieder. Sie erhob sich vom Ruhebett, aber sie fühlte sich von der Ohnmacht wie ausgesogen. Was wollte dieser Mann? Ja, sie wußte doch genau, was er wollte. Er war ein Tiger.

Trotzdem fragte sie: »Was wollen Sie?«

»Ich sagte es Ihnen eben!« antwortete die große Stimme kurz.

»Und nun?«

»Bleiben Sie bei mir!«

»Ich will nicht!« schrie die Gräfin. »Ich will meinem Mann helfen. Ich will nicht!«

Da erst ward ihr wieder klar, was sich ereignet hatte. Ihr Mann hatte falsch gespielt!

Du mein Gott, mein lieber Gott, wie war das möglich gewesen! Sie wußte doch so genau, daß er das nie tun würde. Welche Widersprüche! Welche Qualen! Welche Verzweiflung! Welche Hölle! Und sie war bei der Helferin der Mörder Hulls gewesen und war ihr erlegen. Alles drehte sich durcheinander, und Blut erschien neben dem schwarzen, ohnmächtigen Unglück, das ihr Mann angerichtet hatte.

Sie hörte die Männerstimme, groß, voll Grauen, voll Gefahren: »Sie wollen nicht? Frage ich danach?«

Er hatte den Tiger nicht gefragt und den Auerochsen nicht. Sollte er eine schwache Frau fragen! Das ist wahr! Sollte er sie fragen? Sie war seine Beute.

Dieser Vorstellung gab sie sich mit einer wollüstigen Angst hin. Sie gehörte dem stärksten Mann, den ihre Augen jemals gesehen. Was konnte sie sich wehren? Er hatte sie einfach genommen. Gab es Männer, deren Willen genügte, ohne Berührung eine Frau zu nehmen?

»Wie bin ich hergekommen?« fragte sie.

»Wir haben zuvor Wichtigeres zu besprechen. Wie wollen Sie sich einrichten?« fragte die Stimme groß und kalt neben ihr und mit einem erbebenmachenden Ernst.

»Ich will nicht!« schrie die Gräfin. Ihr war, als seien Marterwerkzeuge in ihr Hirn eingegraben.

»Das ist nicht die Frage!« antwortete die Stimme, wie ein Stein … er fällt … er liegt! liegt Jahrtausende … »Es handelt sich darum: bleiben Sie freiwillig bei mir oder als meine Gefangene?«

Die Frau, erwachend am Gefühl des Zwanges, mit dem sie bedroht wurde, vermochte ihre Sinne zu sammeln. Sie schaute, horchte, lauerte. Leise begann sie zu rechnen: List oder Widerstand?

Sie antwortete nach einer Weile: »Sie können mich in München nicht als Ihre Gefangene halten!«

Mabuse mit einem drohenden Ton: »Woher wissen Sie, daß Sie in München sind?«

»Haben Sie mich verschleppt?« rief die Gräfin.

»Ich bin kein Gorilla!«

»Wer sind Sie? Wie heißen Sie?«

»Wie Sie mich nennen werden!«

»Dann werde ich Sie Gorilla nennen!« wollte sie böse sagen. Aber es begann, daß ihre Zunge in einer süßen Schwere diesem häßlichen Namen widerstand. Sie sprach ihn nicht aus. Irgend etwas war in sie eingetreten, was ihre Lage so mild machte. Was Lockungen und Versprechen aus der Weite herholte und in ihrem kleinen Herzen zusammentrug wie emsige, nächtliche Heinzelmännchen.

Etwas in ihrem Gewissen lehnte sich dagegen auf, daß es ihr gut gehen sollte, wo ihrem Mann doch ein Unglück zugestoßen war und ihr selbst, wer weiß was, widerfuhr.

Sie fragte trotzig: »Nun also, was wollen Sie von mir?«

Aber der Mann schaute sie nur hart und ruhig an, und ihr war, ihre Frage schwömme klein und verächtlich auf einem großen Meer davon. Das Meer aber war die Brust dieses Mannes. Es gab innen und außen keine kraftvollere Brust. Diese Brust war ein Idol ihrer heimlichsten, ihrer eingeschlossensten Wünsche gewesen. Sich hineinbetten … hineinbetten … wie in das Dschungel …

Da sagte der Mann, nachdem er sie so eine Weile angeschaut hatte, mit einer gewaltsam erfüllten Ruhe: »Das Geschlecht der Menschen ist zu verächtlich geringherzig, als daß seine Männer und Frauen der einen Kraft fähig wären, die die Schöpfung sonst in den Unterschied der Geschlechter gelegt hat: einmal sehen, wissen, und eins gehört dem andern so ganz wie der Tag dem Licht!«

»Das will sagen,« fragte die Gräfin zaghaft, »Sie lieben mich? Deshalb … bin ich hier!«

»Ich begehre Sie. Das ist mehr als Liebe – für mich! Sie sind hier, weil es meinem Begehren keinen Widerstand gibt. Sie können eine Königin werden. In dieser Brust und in Citopomar in Südbrasilien. Eine Königin über Urwälder, wilde Tiere, zahme und wilde Menschen, Täler, Felsen und Fernen. Wer kann in dieser verächtlichen Gegend Ihnen mehr geben?«

»Niemand!« sagte die Gräfin, traumhaft vom Geheimnis umfangen, das so rasch das doppelte Spiel in ihr begonnen hatte.

»Sie haben sich also entschlossen, freiwillig zu bleiben?« fragte Mabuse.

Die Gräfin fiel wieder zu ihrer Lage zurück. Sie wich von dem Mann, und wie Schutz suchend stellte sie sich hinter die Ottomane. Sie preßte die Lippen aufeinander. Aber in ihrem Schweigen wühlte in zerrender Qual das Doppelte, daß sie fort wollte und dennoch irgendwoher das Verlangen trug, zu bleiben und zu gehorchen.

Er sagte: »Wenn es das gäbe: Ein Mann und eine Frau sehen sich zum erstenmal, und in dem ersten Blick, den sie tauschen, sagen sie sich: Jetzt gibt es nichts mehr in mir von dem, was ich war. Jetzt ist alles wie ein tönernes Gestell zerschlagen, und nur du … du bestehst. Undenkbar ist auch nur ein Blutschlag, der nicht durch alles, was ich bin, dir gehört. Es ist, als ob die Jahrzehntausende des Bestehens der Geschlechter in diese zwei Wesen auf einmal alle ihre Kraft geschleudert hätten, mit der die Menschen in so dreckiger Sparsamkeit und mit so kupplerischen Bremsen umgehen. Welch ein Geäse ist der Mensch! Aber das andere wäre Ebenbild Gottes und Schöpfung!«

Der Gräfin war, als spanne sie eine plötzliche Gewalt zwischen zwei Pole. Sie wußte, sie war selber die zwei Pole zugleich, und doch war der eine anders als der andre. Muß ich von einem zum andern laufen? fragte sie sich … Sie wurde sehr müde … Oder kann ich so ausgespannt bleiben … so wohlig … so von der Sonne einer Wesensart beschienen, die ich an mir liebe?

Es war der Hang, dem Außergewöhnlichen nachzugehen, um zu fühlen, wo sie am meisten Mensch sei und sie selber, gelöst von allem, was um sie hing und nichts mit ihr zu tun hatte. Und über die Gräfin fiel wieder das Gefühl eines Paradieses, die Windgesänge elysäischer Gefilde, die reine, ungeteilte Gefühle aushauchten. Fiel über sie, als ob sie fähig wäre, die süßen Gruppen fern von ihrem Blick aufgescharter Horizonte von ihrer Sehnsucht zu erlösen und in ihrem Blut als eigenen Besitz einzubergen. Was geschieht mit mir? fragte sie, sich leise zurückkämpfend und schnell wieder dem tönenden Paradies entgegensinkend, das vor ihren ermatteten Augen in ihr Herz zu schweben begann.

Das graue Auge des fremden, drohenden Mannes strahlte wie eine Jahreszeit auf sie. Es stand vor ihr, hoch wie Wolken. Die Jahreszeit vergewaltigte die Erde. Aber die Erde gab sich in aller Liebe hin. War das das Geheimnis auch ihrer Natur? fragte sich die Gräfin. Die Jahreszeit ging wie ein Unwesen mit Kräften von jenseits des Horizonts durch die Wälder, über die Flüsse, Städte, Gebirge … mit Augen, nicht rechts, nicht links schauend vor geisterhafter Macht, und war auf einmal mitten in allen Dingen. Wenn der Mann so wie die Jahreszeit über mich geht  … ist das … das Paradies? Erfüllung? Wahr gewordene Sehnsucht? Erlöster Wahn? Ist das meine zweite Natur? Der ich nicht zu folgen gewagt habe?

Sie wollte widerstehen. Aber eine süße Kraftlosigkeit öffnete alle Poren an ihr. Sie ward dunkel und voll gebender Schmerzhaftigkeit, wie ein Acker im März. Eine Dohle krähte. Aber es sang eine Amsel hinterher über sie. Und die krächzende Dohle und die singende Amsel entrissen eine Made, eine lebende Made ihrem Bett in der Baumrinde. Und auch die Baumrinde war im Erwachen, und es sang durch ihre Zellen. Und die Amsel stieg hoch auf in die Luft und sang in Triolen, die von Erdgeist trieften …

Die Frau ward die Amsel. Und ward zugleich die Made. Sie gab sich und wurde vertilgt. Und wußte es nicht vor Dunkelheit und Trubel im Blut. Sie ward zu allerinnerst aufgerührt und war ganz unten gewesen, schäumte oben und war nicht greifbar, wie eine Seifenblase … Über ihr stieg der Ruf des Mannes wie das Rauschen des Sommers, der das Steigen der Säfte im gereiften Ährenfeld bricht.


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