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In einem andern Kerker des nämlichen Gebäudes saß Turiaf Musdoemon. Als er sein ganzes höllisches Complot so plötzlich entschleiert und so unwiderlegbar erwiesen gesehen hatte, war er in augenblickliche Verwirrung gerathen. Bald aber kehrte seine Besonnenheit zurück, und er sah wohl ein, daß er jetzt nicht mehr an das Verderben seiner Feinde, sondern nur noch an seine eigene Rettung zu denken hatte. Er konnte zweierlei thun: Das Ganze auf die Schultern des Grafen von Ahlfeldt abladen, der ihn so feig im Stich gelassen hatte, oder Alles auf sich nehmen. Musdoemon wählte letzteres. Der Graf von Ahlfeldt war Großkanzler; nichts in den vorhandenen Papieren compromittirte ihn unmittelbar; er hatte einige Blicke des Einverständnisses mit Musdoemon gewechselt; er entschloß sich daher, das Urtheil über sich ergehen zu lassen, in der sichern Hoffnung, daß der Graf von Ahlfeldt sein Entkommen erleichtern werde, weniger aus Dankbarkeit für seine geleisteten Dienste, als wegen der Unentbehrlichkeit seiner künftigen Leistungen.
Musdoemon ging daher mit großer Gemüthsruhe in seinem Kerker auf und ab und zweifelte nicht, daß dessen Thüre sich in der Nacht für ihn öffnen werde. Er untersuchte beim Schein einer düstern Lampe die Form dieses Gefängnisses, das alte Könige, deren Namen die Geschichte kaum nennt, gebaut hatten, und wunderte sich nur, daß es einen hölzernen Boden hatte, auf welchem seine Tritte wiederhallten, wie auf einer unterirdischen Höhlung. Oben an der Decke war ein großer eiserner Ring befestigt, in dem noch ein Stück eines alten Strickes hing.
Die Zeit verging, eine Stunde nach der andern hörte er schlagen, und noch immer erschien kein Retter. Der Gefangene ward allmählig ungeduldig. Da klirrten plötzlich die Riegel im Schloß, und die alte Thüre bewegte sich in ihren verrosteten Angeln.
Ein roth gekleideter Mann trat in den Kerker. Er trug einen aufgewickelten hänfenen Strick in der Hand, vier schwarz gekleidete Hellebardiere folgten ihm.
Musdoemon trug noch seine Perrücke und seinen richterlichen Anzug. Diese Kleidung schien dem roth gekleideten Mann die gewohnte Achtung einzuflößen. Er grüßte den Gefangenen ehrerbietig.
»Gnädiger Herr,« fragte er nach einigem Zaudern, »sind es Euer Gnaden, mit dem wir zu schaffen haben?«
»Ja, ja,« erwiederte eilig Musdoemon, den dieser höfliche Eingang in seiner Hoffnung auf Entweichung bestärkte, und der die rothe Kleidung des Ankömmlings übersah.
»Sie heißen,« fuhr der roth gekleidete Mann fort, indem er auf ein Papier blickte, das er in der Hand hielt, »Turias Musdoemon?«
»Richtig! Der Großkanzler schickt Euch, meine Freunde?«
»Ja, Ew. Gnaden!«
»Vergeßt nicht, nachdem Ihr Euern Auftrag vollzogen haben werdet, Sr. Gnaden dem Großkanzler meinen innigsten Dank zu melden.«
Der rothe Mann warf einen Blick des Staunens auf ihn: »Ihren innigsten Dank! . . .«
»Allerdings, denn es wird mir wahrscheinlich unmöglich sein, ihn Sr. Gnaden im Augenblicke selbst darzubringen.«
»Wahrscheinlich nicht,« erwiederte Jener mit einem Ausdruck der Ironie.
»Und Ihr werdet selbst einsehen,« fuhr Musdoemon fort, »daß ich mich für einen solchen Dienst nicht undankbar erweisen darf.«
Der rothe Mann schlug ein lautes Gelächter auf: »Sollte man nicht glauben, wenn man Sie hört, daß der Kanzler für Euer Gnaden etwas ganz Anderes thue!«
»Für jetzt allerdings läßt er mir nur strenge Gerechtigkeit widerfahren . . .«
»Streng! Allerdings! Aber Sie geben selbst zu, daß es Gerechtigkeit ist. Dies ist das erste Geständniß dieser Art, das ich in den sechsundzwanzig Jahren meiner Amtsführung höre. Aber die Zeit vergeht unter unnützem Geschwätz. Sind Sie bereit, gnädiger Herr?«
»Fix und fertig,« erwiederte Musdoemon freudig und ging der Thüre zu.
»Einen Augenblick Geduld!« rief der rothe Mann und bückte sich, um seinen aufgerollten Strick auf den Boden zu legen.
Musdoemon blieb stehen: »Wozu denn diesen ganzen Bund Stricke?«
»Ew. Gnaden haben Recht, es ist mehr, als wir brauchen, aber im Anfang dieses Prozesses glaubte ich viel mehr Verurtheilte zu bekommen.«
Mit diesen Worten löste der Mann seinen aufgerollten Strick auf.
»Laßt uns eilen!« sagte Musdoemon.
»Euer Gnaden sind sehr pressirt . . . Haben Sie nicht noch irgend eine Bitte? . . .«
»Keine andere, als daß Ihr, wie bereits gesagt, Sr. Gnaden dem Herrn Großkanzler meinen Dank darbringt. Jetzt laßt uns eilen, es treibt mich von hier fort. Haben wir einen weiten Weg vor uns?«
»Weg!« wiederholte der rothe Mann, indem er sich aufrichtete und mehrere Ellen des aufgerollten Stricks loswickelte. »Der Weg, den wir zu machen haben, wird Euer Gnaden nicht sehr ermüden. Wir werden Alles hier an Ort und Stelle zu Stande bringen.«
Musdoemon erbebte: »Was wollt Ihr damit sagen?«
»Was wollen Sie selbst sagen, Ew. Gnaden?«
»O, mein Gott!« sagte Musdoemon erbleichend, als ob ihm plötzlich ein Licht aufgegangen wäre. »Wer seid Ihr?«
»Ich bin der Henker.«
Der Elende zitterte wie ein vom Winde bewegtes Laub: »Kommt Ihr denn nicht, um mir fortzuhelfen?« murmelte er mit erloschener Stimme.
Der Henker lachte laut auf: »Allerdings will ich Ihnen forthelfen, und zwar in das Land der Geister, wohin Ihnen gewiß Niemand nachsetzen wird.«
Musdoemon warf sich mit dem Gesicht auf die Erde nieder: »Gnade! . . . Barmherzigkeit! . . . Gnade!«
»Bei meiner Treu,« sagte der Henker kaltblütig, »das ist das erste Mal, daß man eine solche Bitte an mich richtet. Halten Sie mich etwa für den König?«
Der Elende schleppte sich auf den Knieen zu dem Henker und umfaßte seine Beine unter Thränen und Seufzern.
»Ruhig!« fuhr der Henker fort. »Es ist das erste Mal, daß ich das schwarze Richterkleid sich vor meinem rothen Henkermantel demüthigen sehe.«
Er stieß den Bittenden mit dem Fuße von sich: »Guter Freund, flehe Gott und die Heiligen an, die werden Dich eher anhören, als ich.«
Musdoemon blieb auf den Knieen liegen, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und weinte bitterlich. Inzwischen hatte der Henker sich auf den Zehen erhoben und den Strick in den Ring an der Decke befestigt, ließ ihn bis auf den Fußboden herabhängen und machte dann eine Schleife daran, welche bis zu den Dielen des Kerkers herabreichte.
»Ich bin fertig,« sprach er zu dem Gefangenen, »bist Du auch mit dem Leben fertig?«
»Nein,« rief Musdoemon aufstehend, »nein, das ist unmöglich! Hier waltet ein furchtbares Mißverständnis ob. Der Kanzler von Ahlfeldt handelt nicht so niederträchtig . . . Er bedarf meiner zu sehr. Es ist unmöglich, daß man Euch zu mir geschickt hat. Laßt mich entwischen . . . Fürchtet den Zorn des Großkanzlers . . .«
»Hast Du uns nicht selbst erklärt, daß Du Dich Turiaf Musdoemon nennst?«
Der Gefangene blieb einen Augenblick stumm: »Nein,« rief er plötzlich aus, »ich heiße nicht Musdoemon, sondern Turiaf Orugix.«
»Orugix!« schrie der Henker, »Orugix!«
Er riß schnell die Perrücke ab, welche das Gesicht des Verurtheilten bedeckte, und stieß einen Schrei des Staunens aus: »Mein Bruder!«
»Dein Bruder!« rief der Verurtheilte mit einer Verwunderung aus, in welche sich Scham und Freude mischten, »wärest Du? . . .«
»Nychol Orugix, Scharfrichter der Provinz Drontheimhus, Dir zu dienen, mein Bruder Turiaf!«
Der Verurtheilte fiel dem Henker um den Hals und nannte ihn seinen Bruder, seinen theuren Bruder.
Er machte ihm eine Menge erzwungener Liebkosungen mit einem falschen und furchtsamen Lächeln, und Nychol beantwortete sie durch finstere und verlegene Blicke. Man hätte ihn für einen Tiger halten können, der einen Elephanten in dem Augenblicke leckt, wo das Ungeheuer seinen Fuß auf ihn setzt, ihn zu zertreten.
»Welches Glück, Bruder Nychol! . . . Wie freue ich mich, Dich wieder zu sehen!«
»Und mir, Bruder Turiaf, thut es leid darum um Deinetwillen.«
Der Verurtheilte stellte sich, als ob er dies nicht höre, und fuhr mit zitternder Stimme fort: »Du hast ohne Zweifel Weib und Kinder? führe mich doch zu ihnen, daß ich meine liebenswürdige Schwägerin begrüßen und meine niedlichen kleinen Neffen umarmen kann! . . .«
»Den Teufel auch!« murmelte der Henker.
»Ich will ihr zweiter Vater sein . . . Höre, Bruder, ich bin mächtig, ich habe Einfluß . . .«
»Ich weiß, daß Du Einfluß hattest. Jetzt aber denke nur noch an den Einfluß, den Du Dir ohne Zweifel im Himmel zu bewahren gewußt haben wirst.«
Jede Hoffnung schwand aus dem Gesichte des Verurtheilten: »Mein Gott! Was soll das heißen, lieber Bruder Nychol? Ich bin ja gerettet, weil ich Dich wiedergefunden habe. Bedenke doch, daß wir unter dem nämlichen Herzen gelegen sind, und daß dieselbe Brust uns gesäugt hat. Vergiß nicht, Nychol, daß Du mein Bruder bist!«
»Bis heute hast Du Dich dessen nicht erinnert!« erwiederte der rohe Nychol.
»Nein, von meines Bruders Hand kann ich nicht sterben.«
»Das ist Deine Schuld, Turiaf! Du hast meine Laufbahn unterbrochen, ohne Dich wäre ich königlicher Scharfrichter zu Kopenhagen. Wer hat mich als Scharfrichter der Provinz in dieses elende Land verwiesen? Hättest Du nicht als schlechter Bruder an mir gehandelt, so würdest Du Dich nicht über das zu beklagen haben, was Dir jetzt empörend erscheint. Ich wäre dann nicht in der Provinz Drontheimhus, und ein Anderer würde das Geschäft an Dir verrichten. Jetzt genug, mein Bruder, Du mußt sterben.«
Der Verurtheilte rollte sich auf dem Boden, rang die Hände und stieß ein klägliches Geheul aus, wie die Verdammten in der Hölle.
»Lieber Herr Gott,« rief er aus, »wenn es einen gibt, habe Barmherzigkeit mit mir! Nychol, mein Nychol! Ich beschwöre Dich bei unserer gemeinschaftlichen Mutter, laß mich doch leben!«
Der Henker zeigte sein Papier: »Ich kann nicht, der Befehl ist bestimmt.«
»Dieser Befehl betrifft nicht mich,« stotterte der Elende in seiner Verzweiflung, sondern einen gewissen Musdoemon; ich bin Turiaf Orugix.«
»Sei nicht einfältig,« erwiederte Nychol mit Achselzucken, »ich weiß wohl, daß er Dich betrifft. Im Uebrigen,« fügte er noch hinzu, »wärest Du gestern noch für Deinen Bruder nicht Turiaf Orugix gewesen, so sollst Du denn heute für ihn nur Turiaf Musdoemon sein.«
»Mein Bruder! Mein Bruder! So warte doch bis morgen! Der Großkanzler kann unmöglich Befehl zu meiner Hinrichtung gegeben haben. Es ist ein entsetzliches Mißverständniß. Der Graf von Ahlfeldt liebt mich sehr. Ich beschwöre Dich, mein lieber Nychol, laß mir das Leben! Ich werde bald wieder in Gunst sein und will Dir dann alle möglichen Dienste leisten . . .«
»Du kannst mir nur noch Einen Dienst leisten, Turiaf. Ich bin bereits um zwei schöne Hinrichtungen gekommen, die des Exkanzlers Schuhmacher und des Sohns des Vicekönigs. Ich habe nichts als Unglück. Jetzt sind mir nur noch Han der Isländer und Du übrig. Deine Hinrichtung bringt mir, als nächtlich und geheim, zwölf Dukaten ein. Laß mich also in Gottes Namen mein Geschäft verrichten, das ist der einzige Dienst, den ich von Dir erwarte.«
»O, mein Gott!« rief der Verurtheilte schmerzlich aus.
»Ich verspreche Dir, daß ich Dich nicht lange leiden lassen will. Ich werde Dich mit brüderlicher Zärtlichkeit hängen. Ergib Dich darein!«
Musdoemon stand auf, seine Nasenflügel waren weit geöffnet vor Wuth, seine blauen Lippen zitterten, die Zähne klapperten aneinander, sein Mund schäumte.
»Satan!« rief er . . . »ich habe diesen Ahlfeldt gerettet! Ich habe diesen Bruder da umarmt! Und sie tödten mich! Und ich soll sterben . . . bei Nacht . . . in einem finstern Kerker, ohne daß die Welt meine Verwünschungen hören, ohne daß meine Stimme von einem Ende des Königreichs zum andern über sie donnern, ohne daß meine Hand den Schleier, der ihre Verbrechen bedeckt, zerreißen kann! Um diesen Tod zu erleiden, hätte ich mein ganzes Leben besudelt! Elender,« fuhr er zu seinem Bruder gewendet fort, »Du willst also Brudermörder werden?«
»Ich bin Henker!« antwortete Nychol phlegmatisch.
»Nein!« rief der Verurtheilte aus und warf sich ingrimmig auf den Henker, und seine Augen spieen Flammen und vergossen Thränen, wie ein in die Enge getriebener Stier. »Nein, so will ich nicht sterben! Ich will nicht als furchtbarer Drache gelebt haben, um mich zuletzt als elender Wurm zertreten zu lassen!«
Er würgte jetzt als Feind den, welchen er eben erst als Bruder umarmt hatte. Die Verzweiflung spannte alle seine Kräfte an; sie rangen miteinander, und es wäre schwer zu entscheiden gewesen, welcher der beiden Brüder scheußlicher war, der eine mit der stupiden Wildheit eines reißenden Thiers, der andere mit der verschmitzten Wuth eines Teufels.
Die bis dahin theilnahmlos gebliebenen Hellebardiere traten jetzt ins Mittel. Sie standen dem Henker bei und rissen Musdoemon von ihm weg. Er warf sich der Länge nach auf die Erde, stieß ein entsetzliches unartikulirtes Geheul aus und kratzte sich die Nägel blutig.
»Sterben!« . . . rief er . . . »Ihr Geister der Hölle! Sterben, ohne daß mein Geschrei diese Hallen durchdringt, ohne daß meine Arme diese Mauern umstürzen! . . .«
Man ergriff ihn, er leistete keinen Widerstand mehr. Man zog ihm seine weite Kleidung aus, um ihn zu binden. Ein versiegeltes Paket fiel auf den Boden.
»Was ist das?« fragte der Henker.
Eine höllische Freude leuchtete aus dem grassen Auge des Verurtheilten. »Wie konnte ich das vergessen!« murmelte er. »Höre, Bruder Nychol,« fügte er mit fast freundschaftlicher Stimme hinzu, »diese Papiere gehören dem Großkanzler. Versprich mir, sie ihm einzuhändigen, und mache dann mit mir was Du willst.«
»Weil Du jetzt ruhig bist, verspreche ich Dir Deine letzte Bitte zu erfüllen. Ich werde diese Papiere dem Großkanzler einhändigen, so wahr ich Orugix heiße.«
»Uebergib sie ihm selbst,« fuhr Musdoemon boshaft lächelnd fort, »das Vergnügen, das sie dem Kanzler machen werden, kann Dir vielleicht von Nutzen sein.«
»Wirklich, Bruder! Ich danke Dir. Vielleicht kann ich dadurch königlicher Scharfrichter werden. Nun, wir wollen als gute Freunde scheiden. Ich verzeihe Dir, daß Du mich mit den Nägeln blutig gekratzt hast, verzeihe mir das hänfene Halsband, das ich Dir umknüpfen werde.«
»Der Kanzler hatte mir ein anderes Band versprochen,« antwortete Musdoemon.
Die Hellebardiere führten ihn jetzt geknebelt in die Mitte des Kerkers, und der Henker legte ihm die Schlinge um den Hals.
»Turiaf, bist Du bereit?«
»Noch einen Augenblick! Einen Augenblick!« rief der Verurtheilte aus, dessen Angst zurückgekehrt war. »Ich bitte Dich, Bruder, ziehe den Strick nicht eher an, bis ich es Dir sage.«
»Ich brauche den Strick nicht anzuziehen,« antwortete der Henker.
Eine Minute darauf wiederholte er seine Frage: »Turiaf, bist Du bereit?«
»Nur noch einen Augenblick! Muß ich denn sterben? . . .«
»Turiaf, ich habe nicht länger Zeit zu warten.«
Orugix forderte die Hellebardiere auf, sich von dem Verurtheilten zu entfernen.
»Noch ein Wort, Bruder! Vergiß nicht das Paket dem Grafen Ahlfeldt einzuhändigen.«
»Sei ruhig deßhalb. Turiaf, bist Du bereit?«
Der Elende öffnete den Mund, um vielleicht noch eine Minute Leben zu erbetteln, aber der ungeduldige Henker bückte sich, drehte an einer Schraube, und der Boden öffnete sich unter den Füßen des Patienten, der Unglückliche verschwand im Abgrund, und man sah nur noch den schwankenden Strick, der in die dunkle Höhlung hinabhing. Tief unten hörte man Wasser rauschen. Ein schwacher Seufzer ertönte aus der Tiefe. Die Hellebardiere wichen entsetzt zurück.
»Es ist geschehen!« sagte der Henker. »Fahre wohl, Bruder!«
Er zog ein Messer aus dem Gürtel und schnitt den Strick ab: »Fahre hin und nähre die Fische des Golfs.«
Der Henker schloß die Oeffnung wieder. Als er sich aufrichtete, war der Kerker voll Rauch.
»Was ist das?« fragte er die Hellebardiere. »Woher kommt dieser Rauch?«
Sie öffneten die Thüre des Kerkers. Alle Gänge waren voll dicken Rauchs. Ein geheimer Ausgang führte sie in den viereckigen Hof, wo ein furchtbarer Anblick ihrer wartete.
Ein ungeheurer Brand, verstärkt durch den heftigen Westwind, verzehrte die Kaserne der Arquebusiere. Die Flamme schlug auf allen Seiten heraus.
Ein Kerkermeister, der in den Hof geflohen war, erzählte ihnen, daß das Feuer in Han des Isländers Kerker ausgebrochen sei, dem man unklugerweise Feuer und Stroh gegeben habe.
»Ich habe doch viel Unglück,« rief Orugix aus, »da entgeht mir nun wieder Han der Isländer. Der Wicht ist verbrannt, und ich bekomme nun nicht einmal seinen Körper, den ich doch mit zwei Dukaten erkauft habe!«
Die unglücklichen Arquebusiere, plötzlich aus dem Schlafe aufgeschreckt, drängten sich dem großen Thore zu, das verrammelt war. Man hörte ihr Angstgeschrei, man sah, wie sie an den Fenstern die Hände rangen. Viele stürzten sich in den Hof herab und fanden einen andern Tod, als den durch die Flammen. Das furchtbare Element verbreitete sich durch das ganze Gebäude, ehe der übrige Theil der Besatzung zur Hülfe herbeieilen konnte. Man schlug das große Thor mit Aexten ein, aber es war schon zu spät; das ganze Dach stürzte zusammen und begrub die Bewohner des Hauses unter seinen Trümmern.
Am andern Morgen waren von dem Gebäude nur noch die verbrannten und noch glühenden Mauern übrig. Von dem schönen Regiment der Arquebusiere von Munckholm entgingen nur etwa dreißig Mann dem Tode, aber die meisten waren Krüppel geworden.
In Han des Isländers Kerker fand man die Ueberreste eines menschlichen Körpers neben einem eisernen Rost und zerbrochenen Ketten.