Victor Hugo
Han der Isländer. Band 2
Victor Hugo

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXXIV.

»Sage mir, Guldon Stayver, mein alter Kamerad, weißt Du auch, daß mir der abendliche Nordwind stark ins Gesicht zu wehen beginnt?« sagte Kennybol zu einem neben ihm gehenden Bergbewohner.

»Hm! Ich glaube, wir werden in diesen verdammten Schluchten des schwarzen Pfeilers, in welche sich der Wind stromweise stürzt, heute Nacht eben nicht sonderlich warm haben.«

»Nun, so wollen wir solche Feuer machen, daß die Nachteulen von den höchsten Felsenspitzen verjagt werden. Ich liebe ohnedies die Eulen nicht, seit jener Nacht, wo mir die Fee Ubfem in Gestalt einer Eule erschienen ist.«

»Bei St. Sylvester!« unterbrach ihn Guldon Stayper, »der Engel des Windes gibt uns tüchtige Flügelschläge! Wenn es nach mir geht, so zünden wir alle Tannen des Waldes an. Eine Armee wärmet sich dann an einem brennenden Walde.«

»Gott behüte, was faselst Du da! Und was würde aus den Rehen und dem übrigen Wilde werden!«

»Du bist immer noch der alte Schütze Kennybol, der Wolf der Rehe, der Bär der Wölfe, und der Büffel der Bären!«

»Sind wir noch weit entfernt von dem schwarzen Pfeiler?« fragte eine Stimme.

»Mit sinkender Nacht werden wir in seine Schluchten einziehen,« erwiederte Kennybol.

»Freund Guldon Stayper,« fuhr er fort, »Du hast ja einige Tage zu Drontheim zugebracht?«

»Ja, bei meinem kranken Bruder Georg Stayper, dem Fischer; ich führte einige Tage seine Barke, damit seine arme Familie nicht verhungerte.«

»Nun, hast Du dort nicht den Staatsgefangenen . . . Stumacher . . . Gleffenheim . . . oder wie er sonst heißt, gesehen, ich meine den Mann, in dessen Namen wir uns empören?«

»Du meinst den Gefangenen auf Munckholm. Wie hätte ich den sehen können? Da hätte ich, wie der Teufel, der da vor uns marschirt, die Gabe besitzen müssen, durch Mauern zu sehen. Es ist gewiß unter uns Allen nur ein Einziger, der diesen Gefangenen gesehen hat.«

»Ein Einziger? . . . Ah! Herr Hacket? Aber der ist ja fort. Er hat uns diese Nacht verlassen, um . . .«

»Ich meine nicht den Herrn Hacket.«

»Und wen denn?«

»Den jungen Mann mit dem grünen Mantel und der schwarzen Feder, der diese Nacht so plötzlich mitten unter uns kam . . .«

»Nun?«

»Nun, dieser kennt den Grafen, wie ich Dich kenne.«

Kennybol klopfte ihm auf die Achsel, blinzelte mit den Augen und rief: »Das habe ich mir doch gedacht!«

»Ja, dieser junge grüne Mann hat den Grafen in der Festung Munckholm selbst besucht und ist so ohne Umstände in wohlbewachte Mauern eingegangen, wie wir beide in einen königlichen Park.«

»Und woher weißt Du das, Bruder Guldon?«

Guldon schlug vorsichtig sein Thierfell auseinander: »Sieh her!«

»Bei Gott!« rief Kennybol aus, »das glänzt wie Edelstein!«

Es war wirklich eine kostbare Diamantschnalle, welche den ledernen Gürtel Guldon Staypers festhielt.

»Das ist eben so gewiß ein Edelstein,« versicherte Guldon, »als es gewiß ist, daß der Mond zwei Tagereisen von der Erde entfernt, und daß mein Gürtel von Büffelleder ist.«

Kennybol runzelte die Stirne, sah von Guldon weg und sprach in wild feierlichem Tone: »Guldon Stayper vom Dorfe Chol-Soe, in den Bergen von Kole, Dein Vater Medprath Stayper ist einhundert und zwei Jahre alt gestorben mit reinem Gewissen, denn einen Hirsch oder ein Elennthier des Königs zu tödten, ist keine Sünde. Guldon Stayper, sieben und fünfzig Jahre sind über Dein graues Haupt hingegangen, und es wäre Dir besser, wenn dieser Diamant zu einem Kieselstein würde, als daß Du ihn durch ein Verbrechen gewonnen hättest!«

»So wahr Kennybol der beste Schütze in den Bergen von Kole, und so wahr dieser Diamant ein Diamant ist, so wahr besitze ich ihn von Rechtswegen.«

»Wirklich!«

»Gott und meine Schutzengel wissen es. Eines Abends, als ich Söhnen unserer guten Mutter Norwegen, welche den Leichnam eines am Strande von Urchthal gefundenen Offiziers trugen, den Weg in das Spladgest zeigte, es sind jetzt acht Tage her, trat ein junger Mann an meine Barke und rief: Nach Munckholm! Er sprang in meinen Nachen und ich stieß vom Ufer ab. Es war mein guter Engel, der ihn zu mir führte. Als der junge Mann zu Munckholm ausstieg, warf er mir als Bezahlung diese Diamantschnalle zu, die meinem Bruder Georg, und nicht mir, gehört hätte, wenn nicht zu der Stunde, in welcher ich den Reisenden führte, das Tagewerk, das ich für meinen Bruder that, zu Ende gewesen wäre. Das ist die reine Wahrheit, Bruder Kennybol!«

»Gut, und weißt Du gewiß, daß dieser junge Mann der nämliche ist, der jetzt mit Norbiths Haufen hinter uns marschiert?«

»Gewiß! Unter tausend Gesichtern würde ich den herausfinden, der mein Glück gemacht hat. Es ist auch der nämliche Mantel und die nämliche schwarze Feder . . .«

»Ich glaube Dir, Guldon!«

»Und es ist offenbar, daß er den berühmten Gefangenen besucht hat, denn wäre es nicht um eines so großen Geheimnisses willen gewesen, so würde er den Schiffer nicht so reichlich beschenkt haben.«

»Du hast Recht,«

»Und ich denke so bei mir, daß dieser junge Fremde den Grafen, den wir befreien wollen, vielleicht besser kennt, als Herr Hacket, der mir zu nichts gut scheint, als zu miauen, wie eine wilde Katze.«

»Du sagst da etwas, was ich auch denke. Ich möchte dem fremden jungen Herrn lieber gehorchen, als diesem Hacket, und wenn der Dämon von Island unser Anführer ist, so danken wir es weniger dem Schwätzer Hacket, als diesem Unbekannten.«

»Wirklich?« fragte Guldon.

Eben öffnete Kennybol den Mund zur Antwort, als ihm Norbith von hinten auf die Schulter schlug.

»Kennybol,« sagte er, »wir sind verrathen. Gormon Woestroem kommt von Süden. Das ganze Regiment von Munckholm marschirt gegen uns. Die Uhlanen von Schleswig sind zu Sparbo, drei Compagnien dänischer Dragoner erwarten Pferde im Dorfe Löwig. Aus der ganzen Straße hat er eben so viele grüne Jacken als Büsche gesehen. Wir müssen schnell Skongen zu erreichen suchen und dürfen nicht Halt machen. Dort können wir uns wenigstens vertheidigen. Auch glaubte Gormon, als er durch die Schluchten des schwarzen Pfeilers kam, im Gesträuch Flintenläufe blitzen zu sehen.«

Der junge Anführer war bleich, aufgeregt, aber aus Blick und Ton sprachen gleichwohl Muth und Entschlossenheit.

»Unmöglich!« rief Kennybol aus.

»Sicher und gewiß!« erwiederte Norbith.

»Aber Herr Hacket . . .«

»Ist ein Verräther oder eine feige Memme. Darauf verlaß Dich, Kamerad Kennybol! . . . Wo ist er, dieser Hacket? . . .«

Der alte Jonas trat zu den Beiden. An der tiefen Muthlosigkeit, die allen seinen Zügen aufgedrückt war, ließ sich leicht erkennen, daß er bereits um die unglückliche Nachricht wußte.

Die Blicke der beiden Alten begegneten sich und sie schüttelten zumal die Köpfe.

»Nun, Jonas? Nun, Kennybol?« sagte Norbith.

Der alte Anführer der Bergleute von Faroer strich langsam mit der Hand über seine runzliche Stirne und antwortete auf den fragenden Blick, den ihm Kennybol zuwarf, mit gedämpfter Stimme: »Ja, es ist nur allzu wahr. Gormon Woestroem hat sie selbst gesehen.«

»Wenn dem so ist,« sagte Kennybol, »was ist zu thun?«

»Was zu thun ist?« versetzte Jonas.

»Ich glaube, Bruder Jonas, wir würden wohl daran thun, Halt zu machen.«

»Und noch besser, Bruder Kennybol, uns zurückzuziehen.«

»Halt machen! Zurückziehen!« rief Norbith aus. »Vorrücken muß man!«

»Vorrücken!« sagte Kennybol, »und die Arquebusiere von Munckholm?«

»Und die Uhlanen von Schleswig?« fügte Jonas hinzu,

»Und die dänischen Dragoner?« fuhr Kennybol fort.

Norbith stampfte mit dem Fuß auf den Boden: »Und die königliche Vormundschaft? Und meine Mutter, die vor Hunger und Kälte stirbt!«

»Teufel auch! die königliche Vormundschaft!« wiederholte Jonas.

»Was liegt daran!« sagte Kennybol.

Jonas nahm ihn bei der Hand: »Bruder Schütze, Ihr habt nicht die Ehre, der Mündel unseres glorreichen Souveräns Christiern IV. zu sein. Möge der heilige König Olaus, der im Himmel ist, uns von der Vormundschaft befreien!«

»Befreie Dich mit Deinem Säbel!« sagte Norbith wild.

»Kecke Worte,« antwortete Kennybol, »kosten einen jungen Menschen wenig, aber bedenkt, daß wenn wir weiter marschiren, alle diese Grünröcke . . .«

»Ich bedenke, daß es uns wenig nützen wird, uns wie Füchse vor den Wölfen in unsere Berge zu verkriechen, man kennt unsern Aufstand, man weiß unsere Namen, und wenn es einmal gestorben sein muß, so ziehe ich eine Flintenkugel dem Galgenstricke vor.«

Jonas nickte mit dem Kopf zum Zeichen der Zustimmung,

»Der Teufel auch!« sagte er. »Die Vormundschaft für unsere Brüder! Der Galgen für uns! Norbith könnte wohl Recht haben.«

»Deine Hand her, wackerer Norbith!« rief Kennybol aus. »Es ist Gefahr von beiden Seiten. Besser ist's, gerade aus auf den Abgrund loszugehen, als rücklings hineinzustürzen.«

»Vorwärts denn!« schrie der alte Jonas und schlug an seinen Säbel.

Norbith schüttelte ihnen die Hand: »Hört, Brüder! Seid kühn wie ich, ich will klug sein wie ihr. Laßt uns heute nicht bälder Halt machen, als in Skongen. Die Besatzung ist schwach, wir können sie erdrücken. Laßt uns die Schluchten des schwarzen Pfeilers, weil es einmal sein muß, in tiefster Stille durchziehen. Wir müssen durch, wenn sie auch vom Feinde besetzt wären. Ich glaube, daß die Arquebusiere noch nicht an der Brücke von Ordals, vor Skongen, sind, aber gleichviel! Tiefe Stille!«

»Tiefe Stille!« wiederholte Kennybol.

»Jetzt, Jonas,« fuhr Norbith fort, »zurück auf unsern Posten! Morgen vielleicht sind wir zu Drontheim, trotz der Arquebusiere, der Uhlanen, der Dragoner und aller Grünröcke des Südens.«

Die drei Anführer kehrten zu ihren Haufen zurück. Bald lief das Losungswort: »Tiefe Stille« von Reihe zu Reihe, und diese kaum noch so tumultuarische Rebellenbande bot in diesen Wüsten, im düstern Scheine der sinkenden Sonne, nur noch eine Truppe stummer Gespenster dar, die geräuschlos über die Gräber des Kirchhofs hinstreicht.

Inzwischen verengte sich der Weg immer mehr zwischen zwei Felsenwällen, die je länger, je steiler sich erhoben.

In dem Augenblick, wo das röthliche Licht des Mondes mitten im kalten Dufte der Wolken sich erhob, neigte sich Kennybol zu Guldon Stayper: »Jetzt kommen wir an den Engpaß des schwarzen Pfeilers, Stille!«

Man hörte bereits das Geräusch des Waldstroms, der brausend zwischen den Felsen hinfließt, und im Süden sah man die ungeheure längliche Granitpyramide, die der schwarze Pfeiler heißt, sich auf dem Grau des Himmels und dem Schnee der umliegenden Berge abmalen. Die Rebellen, gezwungen, in diesen Engpässen ihre Kolonnen zu verlängern, setzten ihren Marsch fort. Sie durchzogen diese tiefen Schluchten, ohne eine Fackel anzuzünden, ohne einen Laut von sich zu geben. Selbst das Geräusch ihrer Schritte war von dem betäubenden Falle der Cascaden und dem Geheul des Windes übertönt. In den düstern Tiefen des Engpasses verloren, drang das oft umwölkte Licht des Mondes nicht bis zu dem Eisen ihrer Piken herab, und die weißen Adler, die je und je über ihren Häuptern hinflogen, merkten nicht, daß jetzt eine so große Menschenmenge ihren einsamen Aufenthalt erfülle.

Einmal klopfte Guldon Stayper mit seinem Gewehrkolben auf Kennybols Schulter: »Bruder, dort leuchtet etwas hinter jenem Ginster.«

»Ich sehe es,« erwiederte Kennybol, »es ist das Wasser des Waldstroms, in dem sich die Wolken spiegeln.«

Man schritt unaufhaltsam vorwärts.

Ein andermal faßte Guldon den Arm Kennybols: »Sind das nicht Gewehre, die da oben im Schatten des Felsen blitzen?«

Kennybol schüttelte den Kopf: »Beruhige Dich, Bruder! Es ist ein Lichtstrahl, der auf das Eis einer Felsenspitze fällt.«

Nach zwei Stunden eines beschwerlichen Marsches gelangte die Vorhut an den Ausgang der Schluchten des schwarzen Pfeilers. Guldon Stayper näherte sich Kennybol und äußerte leise seine Freude, daß sie endlich ohne Unfall am Ziel ihres Marsches angelangt seien, Kennybol lachte und schwur, daß er nicht einen Augenblick die Besorgnisse seines Gefährten getheilt habe. Für die meisten Menschen hat die Gefahr, wenn sie einmal vorüber ist, nicht bestanden, und sie heucheln einen Muth, der ihnen im dringenden Augenblick vielleicht gefehlt hätte.

In diesem Augenblicke zogen zwei runde Scheine, die im Gebüsche wie glühende Kohlen glänzten, Kennybols Aufmerksamkeit auf sich.

»Bei meiner armen Seele!« sagte er leise, indem er Guldons Arm faßte, »da sehe ich zwei glühende Augen, die Niemand anders angehören können, als der schönsten Pantherkatze, die je im Walde miaut hat.«

»Du hast Recht,« antwortete Guldon, »und wenn er nicht vor uns marschirte, so würde ich glauben, daß es die verfluchten Augen dieses isländischen Teufels . . .«

»Stille!« sagte Kennybol und nahm seine Büchse zur Hand. »Niemand soll sagen,« fuhr er fort, »daß ein solches Wild ungestraft vor Kennybols Augen gekommen ist.«

Der Schuß erfolgte, ehe Guldon Staypers Arm den unklugen Schützen zurückhalten konnte, aber nicht das klägliche Geschrei einer wilden Katze antwortete darauf, sondern ein furchtbares Tigergeheul, dem ein noch entsetzlicheres menschliches Lachen folgte.

Kaum war der unselige Schuß gefallen, als auf den Bergen, in den Schluchten, in den Wäldern ein tausendfaches: »Es lebe der König!« erscholl. Hinter ihnen, vor ihnen, neben ihnen ertönte der unerwartete Donner dieser Stimmen, dem von allen Seiten ein mörderisches Gewehrfeuer folgte.


 << zurück weiter >>