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Nur noch die Hälfte der Sonnenscheibe stand über dem Horizont, die furchtbare Stunde nahte. Alle Posten in der Festung waren verdoppelt, vor jeder Thüre gingen schweigsame Schildwachen trotzig auf und ab. In allen Höfen ertönte der dumpfe Schall der schwarz behängten Trommeln; je und je fiel von den Außenwerken ein Kanonenschuß; die schwere Glocke ertönte in schauerlich langsamen Schlägen, und aus allen Punkten des Hafens eilten Fahrzeuge, mit Neugierigen angefüllt, der Festung zu.
Ein schwarz ausgeschlagenes Schaffot, um das sich die ungeduldige Menge drängte, war auf dem Waffenplatz aufgeschlagen und von einem Viereck von Soldaten umgeben. Auf dem Schaffot ging ein roth gekleideter Mann, der ein Beil in der Hand trug, auf und ab. Neben dem Schaffot war ein Holzstoß aufgeschichtet, zwischen beiden war ein Pfahl aufgepflanzt, an welchem eine Tafel hing, worauf mit großen Buchstaben geschrieben stand: »Ordener Guldenlew, Hochverräther.« Hoch oben von dem Kerker des Löwen von Schleswig flatterte eine große schwarze Fahne.
In diesem Augenblicke wurde Ordener vor den noch immer versammelten Gerichtshof geführt. Der Bischof allein war abwesend, da seine Funktion als Vertheidiger aufgehört hatte.
Ordener war schwarz gekleidet und trug den Danebrogorden um den Hals. Sein Gesicht war bleich, aber stolz und ruhig. Er war allein, denn man hatte ihn zur Hinrichtung abgeholt, ehe noch der Almosenier Athanasius Munder in seinen Kerker zurückgekommen war. Die Zuschauer waren bewegter, als der Verurtheilte selbst. Sein hoher Rang und sein grausames Schicksal erweckten Mitleid in Aller Herzen.
Kaum hatte sich die durch seine Ankunft erregte Bewegung gelegt, so ließ sich der Präsident das Wappenbuch beider Königreiche und die Statuten des Danebrogordens darreichen. Hierauf forderte er den Verurtheilten auf, niederzuknieen, ermahnte die Zuschauer zu ehrerbietigem Schweigen und begann mit lauter und ernster Stimme zu lesen:
»Wir Christiern, von Gottes Gnaden König von Dänemark und Norwegen, der Vandalen und Gothen, Herzog von Schleswig, Holstein, Stornmarn und Dithmarsen, Graf von Oldenburg und Delmenhurst, thun hiemit kund und zu wissen, nachdem wir auf den Antrag Unseres Großkanzlers, Grafen von Greiffenfeld (der Präsident sprach diesen Namen so schnell aus, daß man ihn kaum hörte), den von unserem Vorfahrer in der Regierung St. Waldemar gegründeten königlichen Danebrogorden wieder hergestellt, In Betracht, daß dieser ehrwürdige Orden zum Andenken an die Danebrogfahne, die Unserm gesegneten Königreich von dem Himmel selbst zugesendet ward, geschaffen worden,
Und daß es den göttlichen Ursprung dieses Ordens verläugnen hieße, wenn ein Mitglied desselben die Ehre und die heiligen Gesetze der Kirche und des Staats ungestraft verletzen könnte,
Als verordnen wir, vor Gott auf den Knieen liegend, daß ein jeglicher unter den Rittern des Ordens, welcher mittelst Treulosigkeit und Verraths seine Seele dem Teufel übergeben hätte, vor Gericht öffentlich gerügt und für immer des Rangs eines Ritters unseres königlichen Danebrogordens entsetzt werde.«
Der Präsident schloß das Buch wieder und sprach: »Ordener Guldenlew, Baron von Thorwick, Ritter des Danebrogordens, Ihr habt Euch des Hochverraths schuldig gemacht, für welches Verbrechen Euer Kopf abgeschlagen, Euer Körper verbrannt und Eure Asche in alle Winde zerstreut werden wird. Ordener Guldenlew, Hochverräther, Ihr habt Euch unwürdig erwiesen, unter die Ritter des Danebrogordens zu gehören, darum demüthigt Euch, denn ich werde öffentlich im Namen des Königs Euch aus ihrer Liste ausstreichen.«
Der Präsident streckte die Hand nach dem Ordensbuche aus, um den Urtheilsspruch zu vollziehen, als plötzlich eine Seitenthüre, rechts vom Tribunal, sich öffnete. Ein geistlicher Diener erschien unter ihr und kündigte den hochwürdigen Bischof von Drontheim an.
Der ehrwürdige Geistliche trat in den Saal, begleitet von einem andern Priester, der ihn unterstützte.
»Halten Sie ein, Herr Präsident!« rief er eifrig. »Halten Sie ein! Gelobt sei Gott! Noch ist es Zeit.«
Der Präsident wandte sich mißmuthig dem Bischof zu: »Erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, hochwürdiger Herr, daß Ihre Anwesenheit hier überflüssig ist. Der Gerichtshof ist im Begriff, den Verurtheilten seiner Ehren und Würden zu entsetzen, ehe er seine Strafe ersteht.«
»Hüten Sie sich,« erwiederte der Bischof, »an den Ihre Hand zu legen, der rein ist vor dem Herrn. Dieser Verurtheilte ist unschuldig.«
Ein Schrei des Staunens erhob sich unter den Zuschauern und Richtern.
»Ja,« fuhr der Bischof fort, »zittert, ihr Richter! Ihr wart auf dem Punkt, unschuldiges Blut zu vergießen.«
»Herr Bischof,« sagte der Präsident, »lassen Sie sich nicht durch einen leeren Schein täuschen. Wenn Ordener Guldenlew unschuldig ist, wer ist dann schuldig?«
»Euer Gnaden wird das erfahren,« antwortete der Bischof. Bei diesen Worten zeigte er dem Gerichtshof eine eiserne Büchse vor, die ein Diener hinter ihm trug.
»Verehrte Richter,« rief er aus, »ihr habt im Finstern gerichtet, in dieser Büchse ist das wunderbare Licht, das Euch erleuchten wird.«
Der Präsident, der geheime Sekretär und Ordener schienen von dem Anblick dieser geheimnißvollen Büchse gleich ergriffen.
Der Bischof fuhr fort: »Hört mich, ihr Richter! Heute, als ich in meine bischöfliche Wohnung zurückkehrte, um von den Beschwerden dieser Nacht auszuruhen und Gott für das ewige Heil der Verurtheilten anzuflehen, hat man mir diese versiegelte eiserne Büchse zugestellt. Der Aufseher des Spladgest hatte sie diesen Morgen gebracht, mit der Versicherung, daß sie ohne Zweifel irgend ein satanisches Geheimniß enthalte, da er sie bei dem Schwarzkünstler Benignus Spiagudry gefunden habe, dessen Leichnam man im Sparbosee aufgefischt hat. Nachdem ich über diese Büchse den Segen gesprochen, öffnete ich das Siegel, das, wie Sie hier noch sehen können, das alte abgeschaffte Wappen des Grafen von Greiffenfeld an sich trägt. Ich habe in der That ein satanisches Geheimniß darin gefunden. Schenken Sie mir jetzt Ihre ganze Aufmerksamkeit, denn es handelt sich hier um Menschenblut, und der Herr wägt jeden Tropfen desselben auf gerechter Wage.«
Mit diesen Worten öffnete er die Büchse und zog ein Pergament daraus hervor, auf dessen Rückseite folgendes Zeugniß geschrieben war:
»Ich Blaxtum Cumbysulsum, Doktor, erkläre in der Stunde meines Todes, daß ich dem Hauptmann Dispolsen, Prokurator des ehemaligen Grafen von Greiffenfeld, folgendes Aktenstück zugestellt habe, das ganz von der Hand Turiaf Musdoemons, in Diensten des Grafen von Ahlfeldt, geschrieben ist, damit der oben benannte Hauptmann Dispolsen davon denjenigen Gebrauch mache, der ihm gefallen wird. Somit bitte ich Gott, mir meine Sünden zu vergeben.«
»Kopenhagen am 11. Tage des Monats Januar im Jahr unserer Erlösung 1699.«
»Cumbysulsum.«
Der geheime Sekretär zitterte krampfhaft. Er wollte sprechen und vermochte es nicht. Der Bischof stellte das Pergament dem Präsidenten zu, der bleich und heftig bewegt war.
»Was sehe ich?« rief der Präsident aus, als er das Aktenstück entfaltete: »Note an den erlauchten Grafen von Ahlfeldt, betreffend die Mittel, sich auf gerichtlichem Wege des Exkanzlers Schuhmacher zu entledigen . . .«
»Ich schwöre Ihnen, hochwürdiger Bischof . . .«
Das Papier entfiel der Hand des Präsidenten.
»Lesen Sie, lesen Sie, gnädiger Herr!« fuhr der Bischof fort. »Ich zweifle nicht daran, daß Ihr unwürdiger Sekretär Ihren Namen mißbraucht hat, wie er den des unglücklichen Schuhmacher mißbrauchte. Sie werden jetzt einsehen, welche unselige Folgen Ihr unchristlicher Haß gegen Ihren Vorgänger gehabt hat. Einer Ihrer Untergebenen hat in Ihrem Namen ihn zu Grunde zu richten gesucht, in der Hoffnung, sich dadurch bei Ihnen in Gunst zu setzen.«
Als der Präsident sah, daß der Verdacht des Bischofs, der den ganzen Inhalt der Büchse kannte, sich nicht bis zu ihm erhob, faßte er wieder frischen Muth. Ordener fühlte sich freudig ergriffen, als ihm klar ward, daß Schuhmachers Unschuld mit der seinigen zugleich an den Tag kommen würde.
Der Präsident nahm jetzt seine ganze Besonnenheit zusammen und las mit allen Zeichen des Unwillens, den sämmtliche Zuschauer theilten, eine lange Note, in welcher Musdoemon den Plan, welchen wir ihn im Laufe dieser Geschichte befolgen sahen, in allen seinen Einzelnheiten entwickelte. Mehrere Male wollte der geheime Sekretär aufstehen, um sich zu vertheidigen, aber jedesmal warf ihn das Geräusch der öffentlichen Entrüstung wieder auf seinen Sitz zurück. Als die Verlesung des schändlichen Aktenstücks zu Ende war, ließ sich unter den Zuschauern ein Murren des Abscheus vernehmen.
»Hellebardiere, greift diesen Menschen!« sagte der Präsident, indem er mit dem Finger auf den geheimen Sekretär deutete.
Der elende Wicht stieg, sprachlos und mit wankenden Füßen, unter dem lauten Zischen des Volks von seinem Sitze herab auf die Bank der Angeklagten.
»Verehrteste Herren Richter,« sprach der Bischof, »schaudern Sie und freuen Sie sich zugleich. Die Wahrheit, welche bereits Ihre Gewissen durchdrungen hat, wird noch bestätigt werden durch das, was der Almosenier der Gefängnisse dieser königlichen Stadt, mein ehrwürdiger Mitbruder Athanasius Munder, der hier gegenwärtig ist, Ihnen zu berichten hat.«
Athanasius Munder neigte sich vor dem Bischof und dem Gerichtshof: »Was ich jetzt sagen werde, ist die reine Wahrheit. Nach allem dem, was ich diesen Morgen in dem Kerker des Sohns des Vicekönigs sah, konnte ich den Gedanken nicht unterdrücken, daß dieser junge Mann unschuldig sei, obwohl ihn das Tribunal auf sein eigenes Geständniß hin verurtheilt hatte. Vor einigen Stunden nun bin ich berufen worden, dem unglücklichen Bergbewohner, der hier vor Ihren Augen so grausam erdolcht worden ist, und den Sie als Han den Isländer verurtheilt hatten, den letzten Trost der Religion zubringen. Dieser Mensch hat mir sterbend Folgendes mitgetheilt: Ich bin nicht Han der Isländer; ich habe diesen Namen fälschlich geführt und bin nur allzusehr dafür gestraft worden. Derjenige, welcher mich bezahlt hat, diese Rolle zu spielen, ist der geheime Sekretär des Großkanzlers; er heißt Musdoemon und hat den Aufstand unter dem Namen Hacket angezettelt. Ich halte ihn für den allein Schuldigen bei der ganzen Sache. – Nach diesem Bekenntniß hat er mich um den Segen der Kirche gebeten und mir empfohlen, alsbald hieher zu eilen, um seine letzten Worte dem Gerichtshof mitzutheilen. Gott ist Zeuge, daß ich die Wahrheit sage. Möchte es mir gelingen, das Blut des Unschuldigen zu retten, ohne daß das des Schuldigen vergossen wird!«
»Ew. Gnaden sehen,« sagte der Bischof zum Präsidenten, »daß einer meiner Clienten nicht mit Unrecht so viele Aehnlichkeit zwischen diesem Hacket und Ihrem geheimen Sekretär gefunden hat.«
»Turins Musdoemon,« fragte der Präsident den neuen Angeklagten, »was habt Ihr zu Eurer Vertheidigung vorzubringen?«
Musdoemon erhob zu seinem Herrn einen Blick, der diesen erschreckte. Seine ganze Besonnenheit war zurückgekehrt, und er antwortete nach einigem Bedenken: »Nichts, gnädiger Herr!«
Der Präsident fuhr mit schwacher angegriffener Stimme fort: »Ihr bekennt Euch demnach des Euch zur Last gelegten Verbrechens schuldig? Ihr gesteht, daß Ihr der Urheber einer Verschwörung seid, welche gegen den Staat und ein Individuum Namens Schuhmacher zugleich gerichtet war?«
»Ja, gnädiger Herr!« antwortete Musdoemon.
Der Bischof erhob sich: »Damit kein Zweifel in dieser Sache übrig bleibe, so bitte ich den Angeklagten zu fragen, ob er Mitschuldige gehabt hat?«
»Mitschuldige!« wiederholte Musdoemon.
Er schien einen Augenblick nachzusinnen. Im Gesicht des Präsidenten malte sich peinliche Angst.
»Nein, Herr Bischof!« sagte endlich Musdoemon.
Der Präsident warf einen Blick des Dankes auf ihn, der dem seinigen begegnete. »Nein,« fuhr Musdoemon mit Bestimmtheit fort, »nein, ich habe keine Mitschuldige gehabt. Ich habe dieses Complot aus Anhänglichkeit an meinen Herrn, der nichts davon wußte, geschmiedet, um seinen Feind Schuhmacher ins Verderben zu stürzen.«
Die Blicke des Angeklagten und des Präsidenten begegneten sich abermals.
»Da Musdoemon keine Mitschuldige gehabt hat,« sagte der Bischof, »so folgt daraus von selbst, daß Ordener Guldenlew nicht schuldig sein kann.«
»Wenn er es nicht war, hochwürdiger Herr Bischof, warum hat er sich dann als schuldig bekannt?«
»Warum, Herr Präsident, hat sich dieser Gebirgsbewohner auf Gefahr seines Kopfes hartnäckig für Han den Isländer ausgegeben? Gott allein weiß, was im Grunde der Herzen vorgeht.«
Ordener nahm das Wort: »Verehrteste Herren Richter, da nun der wahre Schuldige entdeckt ist, kann ich offen reden. Ja, ich habe mich selbst fälschlich angeklagt, um den gewesenen Kanzler Schuhmacher, dessen Tod seine Tochter ohne Schutz gelassen hätte, zu retten.«
Der Präsident biß sich in die Lippen.
»Ich ersuche das Tribunal,« sagte der Bischof, »die Unschuld meines Clienten Ordener auszusprechen.«
Der Gerichtshof entfernte sich und kehrte nach kurzer Berathung in den Saal zurück. Der Präsident las mit fast erloschener Stimme das Urtheil ab, das Turiaf Musdoemon zum Tode verdammte, Ordener Guldenlew freisprach und in alle Ehren und Würden wieder einsetzte.